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Wladimir I. Lenin 19171102 Ein neuer Betrug der Partei der Sozialrevolutionäre an den Bauern

Wladimir I. Lenin: Ein neuer Betrug der Partei der Sozialrevolutionäre an den Bauern

[Geschrieben am 2. November (20. Oktober) 1917. „Rabotschij Putj", Nr. 44, 6. November (24. Oktober) 1917. Gezeichnet: N. Lenin. Nach Sämtliche Werke, Band 21, Wien-Berlin 1931, S. 454-460]

Die Partei der Sozialrevolutionäre hat in ihrem Hauptorgan, dem „Djelo Naroda", vom 18. und 19. Oktober feierlich und in aller Öffentlichkeit erklärt, dass der neue Bodengesetzentwurf des Landwirtschaftsministers ein „wichtiger Schritt zur Verwirklichung des Agrarprogramms der Partei" sei, dass das „ZK der Partei alle Parteiorganisationen dringend auffordere, eine energische Agitation zugunsten des Gesetzentwurfes zu entfalten und ihn in den Massen zu popularisieren".1

Dieser in seinen Hauptteilen im „Djelo Naroda" veröffentlichte Gesetzentwurf des Ministers S. L. Maslow, eines Mitglieds der Partei der Sozialrevolutionäre, ist jedoch ein Betrug an den Bauern. Die Partei der Sozialrevolutionäre hat die Bauern betrogen: sie ist von ihrem Bodengesetzentwurf abgeglitten zu dem von den Gutsherren und den Kadetten verteidigten Plan der „gerechten Abschätzung" und der Aufrechterhaltung des gutsherrlichen Eigentums am Boden. Die Partei der Sozialrevolutionäre hat sich auf ihren Parteitagen während der ersten (1905) und der zweiten (1917) russischen Revolution feierlich und in aller Öffentlichkeit verpflichtet, die Bauernforderung der Beschlagnahme der gutsherrlichen Ländereien, d. h. ihres entschädigungslosen Überganges in die Hände der Bauern, zu unterstützen. In dem jetzigen Entwurf des Herrn S. L. Maslow aber wird nicht nur das Eigentum der Grundbesitzer am Boden aufrechterhalten, sondern sogar das Geld, das die Bauern nach „gerechter" Abschätzung für die „gepachteten" Ländereien zahlen, geht an die Grundbesitzer.

Dieser Gesetzentwurf des Herrn S. L. Maslow ist ein vollständiger Verrat der Partei der Sozialrevolutionäre an den Bauern, der vollständige Übergang dieser Partei in das Lager der Grundbesitzer. Man muss alle Kräfte anspannen, alle Anstrengungen machen, um die Erkenntnis dieser Wahrheit in der Bauernschaft zu verbreiten.

Djelo Naroda" vom 18. Oktober hat die Paragraphen 2-–40 des Maslowschen Entwurfes veröffentlicht. Hier das Grundlegende und Wichtigste aus diesem Entwurf:

1. In den „provisorischen Pachtfonds", der gebildet werden soll, gelangen nicht alle Ländereien der Gutsbesitzer.

2. Die Überweisung der gutsbesitzerlichen Ländereien an diesen Fonds geschieht durch die Bodenkomitees, die auf Grund des Gesetzes der Gutsbesitzer-Regierung des Fürsten Lwow vom 21. April 1917 gegründet worden sind.2

3. Die Pachtsummen, die die Bauern für diese gutsbesitzerlichen Ländereien zu zahlen haben, werden von den Bodenkomitees festgelegt „entsprechend der reinen Rentabilität" und gelangen nach Abzug der zu leistenden Zahlungen an den „betreffenden Besitzer", das heißt an den Gutsbesitzer.

Das ist ein dreifacher Betrug der Sozialrevolutionäre an den Bauern, und darum muss auf jeden dieser drei Punkte ausführlicher eingegangen werden.

In den „Iswestija" des Allrussischen Rates der Bauerndeputierten, Nr. 88 vom 19. August, ist die „Instruktion" veröffentlicht, die auf Grund der 242 Instruktionen verfasst wurde, die die Delegierten zum ersten Allrussischen Rätekongress der Bauerndeputierten in Petrograd im Jahre 1917 aus der Provinz mitgebracht hatten.

Diese Zusammenfassung von 242 Instruktionen, die die Delegierten der Bauern aus der Provinz zusammengestellt haben, ist die beste Unterlage für die Beurteilung dessen, was die Bauern wollen. Und diese zusammenfassende Instruktion zeigt sehr anschaulich, wie die Bauern durch den Entwurf S. L. Maslows und der Partei der Sozialrevolutionäre betrogen werden.

Die Bauern fordern die Aufhebung des Privateigentums am Boden; die entschädigungslose Übergabe der gesamten privatbesitzerlichen usw. Ländereien in den Gemeinbesitz des gesamten Volkes; die Verwandlung der Bodenstücke mit hoch entwickelten Kulturen (Gärten, Plantagen usw.) in „Muster-Bodenstücke" und ihre Übergabe in die „ausschließliche Nutzung des Staates und der Gemeinden"; die Beschlagnahme „des gesamten gutsbesitzerlichen toten und lebenden Inventars" usw.

So sind auf Grund der 242 Instruktionen aus der Provinz, die die Bauern selber ihren Delegierten gegeben haben, die Forderungen der Bauern deutlich und klar zum Ausdruck gebracht.

Die Partei der Sozialrevolutionäre aber, die in eine „Koalition" (d. h. in ein Bündnis oder einen Pakt) mit der Bourgeoisie (den Kapitalisten) und den Grundbesitzern gegangen ist, die sich an der Regierung der Kapitalisten und Grundbesitzer beteiligt, hat jetzt einen Entwurf verfasst, der das Eigentum der Grundherren nicht aufhebt, sondern nur einen Teil der gutsbesitzerlichen Ländereien einem provisorischen Pachtfonds überweist!!

Gärten, Plantagen, Runkelrübensaaten u. a. m. dürfen auf Grund dieses Entwurfes dem Pachtfonds nicht überwiesen werden! Nicht überwiesen werden ferner die Ländereien, die „für die Befriedigung des Bedarfs des Besitzers, seiner Familie, seiner Angestellten und Arbeiter und für die Erhaltung des vorhandenen Viehes" notwendig sind!!

Der reiche Gutsbesitzer also, der Runkelrüben und Kartoffeln für seine Fabriken anbaut, der Butterschlägereien oder Mühlen, Gärten und Plantagen, Hunderte Stück Vieh besitzt, der Dutzende von Angestellten und Arbeitern beschäftigt, behält seine Großwirtschaft, die noch dazu eine kapitalistische Wirtschaft ist. So frech, so schamlos hat die Partei der Sozialrevolutionäre die Bauern betrogen!

Die Überweisung der gutsbesitzerlichen, oder der „privatbesitzerlichen", wie es im Entwurf heißt, Ländereien an den Pachtfonds geschieht durch die Bodenkomitees, die gebildet wurden auf Grund des Gesetzes vom 21. April 1917, das die Gutsbesitzer-Regierung des Fürsten Lwow und Konsorten erlassen hat, jene Regierung Miljukows und Gutschkows, der Imperialisten und Plünderer der Volksmassen, die die Arbeiter und Soldaten Petrograds durch die Bewegung vom 20.-21. April, d. h. vor einem halben Jahr schon, gestürzt haben.

Es ist klar, dass das Gesetz dieser Gutsbesitzer-Regierung über die Bodenkomitees kein demokratisches (dem Volke dienendes) Gesetz ist. Im Gegenteil, dieses Gesetz enthält eine ganze Reihe äußerst empörender Abweichungen vom Demokratismus. § 11 dieses Gesetzes z. B. „räumt den Bodenkomitees der Gouvernements das Recht ein, die Beschlüsse der Bezirks- und Kreiskomitees bis zum endgültigen Beschluss des Haupt-Bodenkomitees aufzuheben". Die Komitees aber sind nach diesem betrügerisch abgefassten Gutsbesitzer-Gesetz so zusammengesetzt, dass das Kreiskomitee weniger demokratisch ist als das Bezirkskomitee, das Gouvernementskomitee weniger demokratisch als das Kreiskomitee, das Hauptkomitee weniger demokratisch als das Gouvernementskomitee!

Das Bezirks-Bodenkomitee ist in seiner ganzen Zusammensetzung von der Bevölkerung des Landbezirkes gewählt. Dem Kreiskomitee gehört, nach dem Gesetz, z. B. der Friedensrichter an, ferner fünf Mitglieder der „provisorischen Exekutivkomitees" (bis zur Organisierung der neuen Selbstverwaltung). Dem Gouvernementskomitee gehören nicht nur ein Mitglied des Kreisgerichts und der Friedensrichter an, sondern auch ein Vertreter des Ministeriums, den der Minister ernennt, usw. Dem Haupt-Bodenkomitee aber gehören 27 Mitglieder, „die die Provisorische Regierung dazu auffordert", an! Ihm gehört ferner je ein Vertreter von elf politischen Parteien an, wobei die Mehrheit (sechs von elf) auf die Kadetten und rechts von ihnen stehende Parteien kommt. Nun, ist das keine Mogelei der Lwow, Schingarew (sie haben das Gesetz unterzeichnet) und ihrer Freunde? Ist das nicht eine Verhöhnung des Demokratismus den Gutsbesitzern zuliebe?

Bestätigt das nicht vollkommen die häufig wiederholte Erklärung der Bolschewiki, dass nur die Räte der Bauerndeputierten, die von der Masse der Werktätigen gewählt sind und von diesen zu beliebiger Zeit abgesetzt werden können, imstande sind, den Willen der Bauernschaft richtig zum Ausdruck zu bringen und ins Leben umzusetzen?

Die Sozialrevolutionäre, die infolge der Vertrauensseligkeit der unaufgeklärten Bauern im Allrussischen Exekutivkomitee der Bauerndeputiertenräte die Mehrheit bekommen haben, haben Verrat an den Bauern, Verrat an den Bauernräten geübt, sie sind auf die Seite der Gutsbesitzer übergegangen und haben sich mit dem Gesetz des Gutsbesitzers Fürsten Lwow über die Bodenkomitees zufrieden gegeben. Darin besteht der zweite Hauptbetrug der Sozialrevolutionäre an den Bauern.

Und mit um so größerem Nachdruck müssen wir, die Arbeiterpartei, die Forderung der Bolschewiki wiederholen: alle Macht auf dem Lande den Räten der Bauerndeputierten und den Deputierten der landwirtschaftlichen Arbeiter!

Die Bauerninstruktionen fordern die Beschlagnahme, die entschädigungslose Enteignung der gutsbesitzerlichen Ländereien, die Beschlagnahme der Gestüte und der privaten Vieh- und Pferdezucht, die Übergabe der Grundstücke mit hochentwickelter Kultur in die Nutzung des Staates, die Beschlagnahme des gesamten toten und lebenden Inventars der Güter der Grundherren.

An Stelle all dessen setzt der sozialrevolutionäre Ministerentwurf den Bauern die Aufrechterhaltung der Pachtzahlungen vor, die nach wie vor in die Tasche des Gutsbesitzers gelangen!

Die Pacht – heißt es in § 33 des sozialrevolutionären Entwurfes – wird an die Komitees gezahlt, die" (nachdem die Zahlungen an die Staatskasse usw. abgezogen sind) „den Rest dem betreffenden Besitzer überweisen."

So bescheren die „Sozialrevolutionäre", nachdem sie die Bauern mit hochtrabenden Versprechungen betrogen haben, der Bauernschaft einen grundbesitzerlich-kadettischen Bodengesetzentwurf!!

Das ist ein vollständiger Betrug an den Bauern.

Von den Bauernforderungen der Beschlagnahme ist hier absolut nichts mehr geblieben. Das ist keine Beschlagnahme des Großgrundbesitzes, sondern seine Festigung durch die „republikanische" Regierung, die den Grundbesitzern den Besitz des Inventars sichert, den Besitz des Bodens, der dem Bedarf der „Angestellten und Arbeiter" dient, des Bodens, der „vom Besitzer für die Anpflanzung von Runkelrüben und anderen technischen Kulturen bestimmt ist" (das eine Wort „bestimmt ist" genügt!!), die Aufrechterhaltung der Zahlungen für den ganzen übrigen Boden, der dem Pachtfond überwiesen wird. Die Bodenkomitees werden verwandelt in Sammelstellen für die Pachtgelder der edlen Herren Grundbesitzer!!

Das gutsbesitzerliche Eigentum wird von den Sozialrevolutionären nicht aufgehoben, sondern gefestigt. Ihr Übergang ins Lager der Gutsbesitzer, ihr Verrat an den Bauern tritt jetzt sonnenklar an den Tag.

Man darf sich von den hinterlistigen Kadetten, diesen treuen Freunden der Kapitalisten und der Gutsbesitzer, nicht betrügen lassen. Die Kadetten tun so, als sei der Entwurf der Sozialrevolutionäre außerordentlich „revolutionär", in allen bürgerlichen Zeitungen wird gegen den Entwurf Lärm geschlagen, überall werden Notizen über den „Widerstand" der bürgerlichen Minister (und natürlich ihrer direkten Handlanger, wie z. B. Kerenski) gegen diesen „schrecklichen" Gesetzentwurf veröffentlicht. Das alles ist eine Komödie, ein Spiel, die hohe Forderung eines feilschenden Kaufmanns, der die Charakterlosigkeit der Sozialrevolutionäre sieht und noch mehr abzuhandeln hofft. In Wirklichkeit aber ist der Entwurf S. L. Maslows ein „Gutsbesitzer"-Entwurf, der für eine Verständigung mit den Gutsbesitzern, für ihre Rettung geschrieben wurde.

Wenn das „Djelo Naroda" in den genannten Nummern diesen Entwurf einen „hervorragenden Gesetzentwurf über den Grund und Boden" nennt, der „die große (!) Reform der Sozialisierung (I!) in Angriff nimmt (!!!)", so ist das reinste Scharlatanerie. Der Entwurf enthält nicht die geringste „Sozialisierung" (mit Ausnahme vielleicht der „sozialen" Hilfe, die den Gutsbesitzern zur Erlangung der Pachtzahlungen gewährt wird), er enthält absolut nichts „revolutionär-demokratisches", überhaupt nichts als die im europäischen bürgerlichen Reformertum üblichen „Reformen" vom irländischen Typus.

Wir wiederholen, es ist ein Entwurf für die Rettung der Gutsbesitzer, für die „Beruhigung" des begonnenen Bauernaufstandes mit Hilfe geringfügiger Zugeständnisse, wobei das Wichtigste den Gutsbesitzern geblieben ist.

Die Tatsache, dass die Sozialrevolutionäre einen so schmachvollen Entwurf eingebracht haben, ist ein anschaulicher Beweis für die unerhörte Heuchelei, mit der die Bolschewiki beschuldigt werden, durch ihre Pläne der Übergabe der Macht an die Räte die Konstituierende Versammlung „sprengen" zu wollen. „Es sind nur noch 40 Tage bis zum Zusammentritt der Konstituierenden Versammlung" – schreien heuchlerisch die Kadetten, die Kapitalisten, die Grundbesitzer, die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre! Im Stillen aber wird der Regierung ein umfangreicher Gesetzentwurf über den Grund und Boden eingereicht, der die Bauern betrügt, sie den Gutsbesitzern unterjocht, das Eigentum der Gutsbesitzer am Boden festigt.

Wenn man die Gutsbesitzer gegen den immer mehr anwachsenden Bauernaufstand schützen muss, dann „kann man" auch 40 Tage vor der Konstituierenden Versammlung, auch 30 Tage vor ihrem Zusammentritt einen umfangreichen Gesetzentwurf durchbringen.

Wenn aber von dem Übergang der Macht in die Hände der Räte die Rede ist, um den ganzen Boden den Bauern zu geben, um das Eigentum der Gutsherren am Boden sofort aufzuheben, um sofort einen gerechten Frieden anzubieten, – o, dann erheben die Kadetten, die Kapitalisten, die Grundbesitzer, die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre ein einmütiges Geheul gegen die Bolschewiki.

Mögen denn die Bauern wissen, wie die Partei der Sozialrevolutionäre sie betrogen, wie sie sie an die Gutsbesitzer verraten hat.

Mögen die Bauern wissen, dass nur die Arbeiterpartei, nur die Bolschewiki mit ihrem ganzen Sein und bis zuletzt gegen die Kapitalisten, gegen die Grundbesitzer sind, dass nur sie für die Interessen der ärmsten Bauernschaft und aller Werktätigen eintreten.

1 In Nr. 183 des „Djelo Naroda" vom 31. (18.) Oktober 1917 waren folgende, vom Landwirtschaftsminister, dem Sozialrevolutionär S. L. Maslow, eingebrachte Gesetzentwürfe veröffentlicht: Verfügungen über die Regelung der landwirtschaftlichen Bodenverhältnisse durch die Bodenkomitees, über die Gründung eines provisorischen Bodenpachtfonds, über die Verteilung des Bodenpachtfonds, über die Lösung der Streitfragen über die wirkenden Pachtverträge, usw.

Am nächsten Tage veröffentlichte das „Djelo Naroda" vom 1. November (19. Oktober) folgenden Beschluss des Zentralkomitees der Partei der Sozialrevolutionäre: „Der Landwirtschaftsminister hat der Provisorischen Regierung einen Gesetzentwurf über die Übergabe des Bodens von landwirtschaftlicher Bedeutung in die Verwaltung der Bodenkomitees vorgelegt. Die ursprüngliche Fassung dieses Entwurfes ist im ,Djelo Naroda' veröffentlicht worden. Angesichts der ungeheuren Bedeutung des Gesetzentwurfes, der ein gewaltiger Schritt vorwärts auf dem Wege der Verwirklichung des Agrarprogramms der Partei ist, fordert das Zentralkomitee alle Parteiorganisationen dringend auf, eine energische Agitation zugunsten des Gesetzentwurfes zu entwickeln und ihn den Massen zu popularisieren".

2 Die Bodenkomitees, sowohl das Hauptbodenkomitee wie die Gouvernements-, Kreis- und Landesbezirksbodenkomitees wurden gegründet auf Grund eines Beschlusses der Provisorischen Regierung von 4. Mai (21. April) 1917 und hatten den Zweck, die Materialien für die Bodenreform zu sammeln und die Bodenreform für die Konstituierende Versammlung vorzubereiten.

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