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Wladimir I. Lenin 19170523 Einer der Geheimverträge

Wladimir I. Lenin: Einer der Geheimverträge

[„Prawda" Nr. 53, 23. (10.) Mai 1917. Nach Sämtliche Werke, Band 20.1, Wien-Berlin 1928, S. 477 f.]

Bekanntlich war das erste Wort der „revolutionären" Provisorischen Regierung über die Außenpolitik die Erklärung: alle Geheimverträge, die der frühere Zar Nikolaus II. mit den „alliierten" Kapitalisten abgeschlossen hat, bleiben weiter in Kraft, und das neue Russland betrachte sie als heilig und unantastbar und werde sie erfüllen.

Ferner ist bekannt, dass unsere „Oboronzy" die Weigerung der Miljukows, die Geheimverträge zu veröffentlichen, eifrigst unterstützen. Diese Jammersozialisten sind soweit heruntergekommen, dass sie die Geheimdiplomatie, und zwar die Geheimdiplomatie des früheren Zaren in Schutz nehmen.

Warum hüten denn die Verteidiger des imperialistischen Krieges so eifrig das Geheimnis der Verträge?

Wollt ihr wissen, warum, Genossen Arbeiter und Soldaten?

Schaut euch wenigstens einen dieser herrlichen Verträge an: wir meinen „unseren" Vertrag mit Italien (d. h. mit den italienischen Kapitalisten) vom Anfang des Jahres 1915.

Der bürgerliche Demokrat Herr W. Wodowosow teilt in der Zeitung „Djen" (vom 6. Mai 1917), gestützt auf die im „Nowoje Wremja" veröffentlichten Angaben, den Inhalt dieses Vertrages mit:

Die alliierten Mächte haben Italien Südtirol mit Trient, die ganze Küste, den nördlichen Teil von Dalmatien mit den Städten Zara und Spalato, den mittleren Teil von Albanien mit Valona, die Inseln im Ägäischen Meer an der kleinasiatischen Küste und außerdem eine vorteilhafte Eisenbahnkonzession in Türkisch-Kleinasien garantiert – das ist der Blutpreis, den sich Italien ausbedungen hat. Ein derartiger Landzuwachs übertrifft die kühnsten nationalen Aspirationen, die Italien jemals gehabt hat. Außer den Gebieten mit italienischer Bevölkerung (Südtirol und Triest), ungefähr 600.000 Menschen, erhält Italien auf Grund des Vertrages Gebiete mit einer Bevölkerung von mehr als einer Million, die in ethnographischer und religiöser Hinsicht ihm ganz fremd ist. So z. B. Dalmatien, von dessen Bevölkerung 97 Prozent serbischen Stammes sind, während die Italiener dort wenig mehr als 2 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Wie gar nicht anders zu erwarten, hat der Vertrag mit Italien, der nicht nur ohne Einverständnis, sondern auch ohne Wissen Serbiens abgeschlossen worden ist, dort die größte Erbitterung und Aufregung hervorgerufen. Paschitsch hat in der Skupschtina die Hoffnung ausgesprochen, dass die Gerüchte über den Vertrag sich als falsch erweisen würden, weil die Einigung Italiens selbst auf Grund des nationalen Prinzips erfolgt und Italien infolgedessen keiner Handlung fähig sei, die diesem Prinzip durchaus widerspreche. Paschitsch hat sich geirrt: der Vertrag ist tatsächlich abgeschlossen worden.

Es ist dies der einzige Vertrag, der sich auf den gegenwärtigen Krieg bezieht und dessen Inhalt wir kennen, und dieser Vertrag ist ein brutaler Raubvertrag. Ob in den übrigen Verträgen sich dieselben Raubgelüste äußern, wissen wir nicht. Jedenfalls wäre es für eine Demokratie, die die Losung ,Friede ohne Annexionen' auf ihr Banner geschrieben hat, äußerst wichtig, dies zu erfahren."

Wir wissen nicht", ob die übrigen Geheimverträge ebensolche Raubverträge sind? Nein, Herr Wodowosow, wir wissen das sehr gut: die Geheimverträge über die Aufteilung Persiens, der Türkei, die Eroberung Deutschlands, Armeniens sind ebenso schmutzige Raubverträge wie der Raubvertrag mit Italien.

Genossen Soldaten und Arbeiter! Man sagt euch, dass ihr die „Freiheit" und die „Revolution" verteidigt. In Wirklichkeit verteidigt ihr die dunklen Verträge des Zaren, die man vor euch wie eine geheime Krankheit verbirgt.

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