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Wladimir I. Lenin 19170531 Konfusion (Noch einmal über Annexionen)

Wladimir I. Lenin: Konfusion (Noch einmal über Annexionen)

[„Prawda" Nr. 60, 31. (18.) Mai 1917. Nach Sämtliche Werke, Band 20.1, Wien-Berlin 1928, S. 507-509]

Die Redakteure der „Iswestija", die sich in den Händen des Blocks der Narodniki und Menschewiki befinden, schlagen alle Rekorde der Konfusion. In der Nr. 67 vom 16. Mai versuchen sie, gegen die „Prawda" zu polemisieren, ohne sie natürlich, nach übler „Minister"manier, beim Namen zu nennen. Die „Prawda" habe eine nebelhafte, irreführende Auffassung von Annexionen.1

Mit Verlaub, Bürger Minister und ministrable Redakteure, aber die Tatsache bleibt eine Tatsache, nämlich, dass nur unsere Partei in genau formulierten offiziellen Resolutionen eine Definition des Begriffes Annexion gegeben hat. Annexion (Eroberung) ist gewaltsames Festhalten eines fremden Volkes in den Grenzen eines gegebenen Staates. Kein Mensch, der lesen und das Gelesene verstehen kann, konnte das missverstehen, wenn er die Beilage zu Nummer 13 der „Soldatskaja Prawda" (Resolutionen der Allrussischen Konferenz vom 24.-29. April 1917) gelesen hat.

Worin besteht der Einwand der Narodniki und Menschewiki aus der Redaktion der „Iswestija"? Nur darin, dass man angeblich nach unserer Auffassung „den Krieg so lange führen müsste, bis Deutschland sich in das Kurfürstentum Brandenburg … und Russland sich in das Großfürstentum Moskau verwandelt habe"!! Eine Annexion, belehrt die Redaktion ihre Leser, „das bedeutet die gewaltsame Eroberung eines Gebiets, das am Tag der Kriegserklärung im Besitze eines anderen Staates war" (kurz: ohne Annexionen – Status quo, d. h. Wiederherstellung des Zustandes, wie er vor dem Kriege war).

Es ist unvorsichtig von den Führern der Narodniki und Menschewiki aus dem Exekutivkomitee, die Redaktion so konfusen Leuten anzuvertrauen, es ist wirklich unvorsichtig.

Man wende einmal ihren Einwand gegen uns auf ihre Definition an: soll man so lange Krieg führen, bis Russland Polen, Deutschland Togo und die Kolonien in Afrika zurückerobert haben?? Ein offenkundiger Unsinn, und nicht nur ein theoretischer, sondern auch ein praktischer Unsinn; die Soldaten jedes beliebigen Landes werden Redakteure, die solche Betrachtungen anstellen, zum Teufel jagen.

Ihre Betrachtung ist aus folgenden Gründen falsch:

1. Zur theoretischen Definition der Annexion gehört der Begriff „fremdes" Volk, d. h. ein Volk, das seine Eigenart und den Willen zur Sonderexistenz bewahrt hat. Denkt darüber nach, Mitbürger, lest, falls es euch noch immer unklar ist, die Ausführungen von Marx und Engels über Irland, über die dänischen Teile Deutschlands, über die Kolonien nach, und ihr werdet sehen, wie sehr ihr euch verrannt habt. Weder das Kurfürstentum Brandenburg noch das Großfürstentum Moskau hat irgend etwas damit zu schaffen.

2. Es ist unsinnig, die Frage des Begriffs der Annexion zu vermengen mit der Frage „wie lange man Krieg führen soll". Das heißt, den Zusammenhang des Krieges mit den Interessen und der Herrschaft bestimmter Klassen nicht begreifen, das heißt, den Standpunkt des Klassenkampfes aufgeben und sich auf den kleinbürgerlichen, „klassenlosen" Standpunkt stellen. Solange die Kapitalistenklasse an der Macht ist, werden die Völker notwendigerweise „solange Krieg führen" müssen, wie es dieser Klasse beliebt. Es ist eine kleinbürgerliche Illusion, zu glauben, durch Wünsche, Forderungen, Beratungen darüber hinwegzukommen.

3. Solange die Kapitalistenklasse an der Macht ist, wird ihr Friede unvermeidlich ein „Austausch von Annexionen" sein, Armenien gegen Lothringen, Kolonie gegen Kolonie, Galizien gegen Kurland und dergleichen mehr. Einem unaufgeklärten Menschen ist es zu verzeihen, wenn er das übersieht. Für Redakteure der „Iswestija" gibt es keine Entschuldigungen.

4. Erst wenn das Proletariat an der Macht sein wird (wozu der Krieg überall führt) ist wirklich ein „Friede ohne Annexionen" möglich, sonst ist er unmöglich.

Wenn unsere Partei sagt: „Frieden ohne Annexionen", so weist sie stets, zur Warnung für konfuse Leute, darauf hin, dass diese Losung in untrennbaren Zusammenhang mit der proletarischen Revolution gestellt werden muss. Nur im Zusammenhang mit ihr ist sie richtig und notwendig. Diese Losung dient nur dazu, die Linie der proletarischen Revolution vorzuzeichnen und ihre Entwicklung und ihre Ausbreitung zu fördern. Wer hilflos zwischen der Hoffnung auf die Kapitalisten und der Hoffnung auf die proletarische Revolution hin- und herpendelt, der verurteilt sich zur Hilflosigkeit und Konfusion in der Frage der Annexionen überhaupt.

P. S. „Djelo Naroda" vom 17. Mai ist mit der „Iswestija" einverstanden, dass der Ausdruck „ohne Annexionen" gleichbedeutend sei mit dem Begriff „Status quo". Versucht einmal, ihr Herren Sozialrevolutionäre oder Menschewiki, das klar, genau, ohne Umschweife im Namen eurer Partei, eures Petrograder Komitees, eures Parteitags zu sagen!

1 Es handelt sich um den Artikel in der „Iswestija" Nr. 67 vom 29. (16.) Mai 1917 unter der Überschrift: „Ohne Annexionen". Der Artikelschreiber definierte den Begriff Annexion wie folgt: „Annexion – das bedeutet gewaltsame Eroberung eines Gebiets, das am Tage der Kriegserklärung im Besitz eines anderen Staates war". Kurland, Livland und die anderen nationalen Gebiete, die dem ehemaligen russischen Reich angehörten, will der Artikelschreiber nicht als russische Annexionen gelten lassen.

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