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Wladimir I. Lenin 19170610 Nachwort zu der Broschüre „Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution"

Wladimir I. Lenin: Nachwort zu der Broschüre „Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution"

[Zum ersten Mal veröffentlicht 1917 in der Broschüre: „Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution", Verlag „Priboj". Nach Sämtliche Werke, Band 20.2, Wien-Berlin 1928, S. 67-70]

Meine Broschüre erscheint infolge des ökonomischen Verfalls und der Arbeitsunfähigkeit der Druckereien in Petersburg verspätet. Die Broschüre ist am 10. April 1917 geschrieben; heute ist der 28. Mai, und sie ist noch immer nicht erschienen.

Die Broschüre wurde vor der allrussischen Konferenz unserer Partei, der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (Bolschewiki), verfasst, als Entwurf einer Plattform zur Propagierung meiner Ansichten. Sie wurde in Maschinenschrift in einigen Exemplaren an die Mitglieder der Partei vor der Konferenz und während der Konferenz verteilt und hat in dieser Weise einen Teil ihrer Aufgabe erfüllt. Inzwischen hat die Konferenz vom 24.–29. April 1917 bereits getagt, ihre Resolutionen sind längst erschienen (siehe Beilage zu Nr. 13 der „Soldatskaja Prawda"), und der aufmerksame Leser wird leicht merken, dass meine Broschüre oft nur den ersten Entwurf dieser Resolutionen darstellt.

Es bleibt mir nur noch übrig, die Hoffnung auszusprechen, dass die Broschüre im Zusammenhang mit diesen Resolutionen, als Erläuterung zu diesen, dennoch einigen Nutzen bringen wird; außerdem möchte ich noch zwei Punkte erwähnen.

Auf Seite 27 schlage ich vor, in Zimmerwald nur zur Information zu bleiben. Die Konferenz war in diesem Punkt mit mir nicht einverstanden, und ich musste gegen die Resolution über die Internationale stimmen. Schon jetzt ist es offensichtlich, dass die Konferenz einen Fehler begangen hat und dass der Verlauf der Ereignisse diesen Fehler rasch korrigieren wird. Bleiben wir in Zimmerwald, so machen wir uns (wenn auch gegen unseren Willen) an der Hinausschiebung der Gründung der III. Internationale mitschuldig. Wir hemmen indirekt ihre Schaffung, weil wir durch das tote Gewicht des geistig und politisch schon toten Zimmerwald gebunden sind.

Die Lage unserer Partei ist im Angesicht aller Arbeiterparteien der ganzen Welt jetzt eine solche, dass wir verpflichtet sind, unverzüglich die III. Internationale zu gründen. Außer uns kann es jetzt niemand tun, und jeder Aufschub ist von Übel. Wären wir in Zimmerwald nur zur Information geblieben, dann hätten wir zu einer solchen Gründung freie Hand gehabt (und wären zu gleicher Zeit imstande gewesen, Zimmerwald auszunutzen, wenn die Verhältnisse es gestattet hätten).

Jetzt aber sind wir – infolge des von der Konferenz begangenen Fehlers – gezwungen, untätig mindestens bis zum 5. Juli 1917 zu warten (Tag der Einberufung der Zimmerwalder Konferenz – wenn sie nicht wieder vertagt wird! Einmal wurde sie schon vertagt …).

Doch der Beschluss, den das Zentralkomitee unserer Partei nach der Konferenz einstimmig angenommen hat und der in Nr. 55 der „Prawda" vom 12. Mai abgedruckt worden ist, hat zur Hälfte den Fehler gutgemacht. Es wurde beschlossen, unsern Austritt aus Zimmerwald zu erklären, falls es sich auf eine Beratung mit den Ministern einlassen sollte. Ich erlaube mir, die Hoffnung auszusprechen, dass der Fehler auch zur anderen Hälfte bald gutgemacht sein wird, sobald wir die erste internationale Konferenz der „Linken" einberufen haben werden (die „Dritte Strömung" der „Internationalisten der Tat", vgl. oben, S. 23-25).

Der zweite Punkt, bei dem man verweilen muss, ist die Bildung des „Koalitionsministeriums" vom 6. Mai 1917. In diesem Punkt könnte es den Anschein haben, als ob die Broschüre besonders veraltet sei.

In Wirklichkeit ist sie aber gerade in diesem Punkt gar nicht veraltet. Sie baut alles auf der Klassenanalyse auf, die die Menschewiki und Narodniki, die sechs Minister den zehn kapitalistischen Ministern als Geiseln geliefert haben, wie das Feuer fürchten. Und gerade deshalb, weil die Broschüre alles auf der Klassenanalyse aufbaut, ist sie nicht veraltet, denn der Eintritt von Zeretelli, Tschernow u. Co. in das Ministerium hat in geringfügigem Maße nur die Form der Verständigung des Petrograder Sowjets mit der Regierung der Kapitalisten geändert, und ich habe auf Seite 8 der Broschüre ausdrücklich betont, „dass ich nicht so sehr die formale Verständigung als vielmehr die tatsächliche Unterstützung" im Auge habe.

Mit jedem Tage kommt es deutlicher zum Vorschein, dass Zeretelli, Tschernow u. Co. eben nur Geiseln der Kapitalisten sind, dass die „erneuerte" Regierung nichts von ihren pompösen Versprechungen erfüllen will und auch nicht kann, weder in der auswärtigen noch in der inneren Politik. Tschernow, Zeretelli u. Co. haben sich politisch tot gemacht, sie erwiesen sich als Helfershelfer der Kapitalisten, die in Wirklichkeit die Revolution drosseln. Kerenski ist bereits so weit gesunken, dass er mit Gewalt gegen die Massen vorgeht (vgl. S. 9 der Broschüre, wo es heißt: „Gutschkow droht vorläufig nur mit Gewaltanwendung gegen die Massen", Kerenski aber musste diese Drohungen verwirklichen …). Tschernow, Zeretelli u. Co. haben sich und ihre Parteien, die der Menschewiki und der Sozialrevolutionäre, politisch getötet. Mit jedem Tag werden dem Volk immer mehr die Augen aufgehen.

Das Koalitionsministerium ist nur ein Übergangsmoment in der Entwicklung der grundlegenden Klassengegensätze unserer Revolution, wie sie kurz in meiner Broschüre analysiert sind.

Dieser Zustand kann nicht von langer Dauer sein. Entweder geht es rückwärts – zur Gegenrevolution auf der ganzen Linie, oder es geht vorwärts – und die Macht geht in die Hände anderer Klassen über. Man kann nicht in einer revolutionären Zeit, in der Situation des imperialistischen Weltkrieges, auf einem Fleck stehenbleiben.

Petersburg, 10. Juni (28. Mai) 1917

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