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Wladimir I. Lenin 19170712 Phrasen und Tatsachen

Wladimir I. Lenin: Phrasen und Tatsachen

[„Prawda" Nr. 94, 12. Juli (29. Juni) 1917. Nach Sämtliche Werke, Band 20.2, Wien-Berlin 1928, S. 240-242]

Minister Skobelew hat einen Appell an alle Arbeiter Russlands veröffentlicht. Im Namen „unseres" (so heißt es wörtlich: unseres) sozialistischen Ideals, im Namen der Revolution, im Namen der revolutionären Demokratie, usw. usw. usw. werden den Arbeitern „Schlichtungskammern" gepredigt und alle „eigenmächtigen" Handlungen scharf verurteilt.

Ach, wie schön der scheinsozialistische Minister, der Menschewik Skobelew, flötet:

Ihr (die Arbeiter) habt allen Grund, über die Bereicherung der besitzenden Klassen während des Krieges empört zu sein. Die Zarenregierung hat vom Volksgelde Milliarden verschwendet. Die Regierung der Revolution muss sie der Volkskasse wiedergeben."1

Schön singt der Vogel, … wo wird er sich wohl niedersetzen!

Der Appell des Herrn Skobelew ist am 28. Juni veröffentlicht worden. Das Koalitionsministerium wurde am 6. Mai gebildet. Und während dieser ganzen Zeit, in der die Zerrüttung fortschreitet und eine Katastrophe von unerhörter Schwere sich mit Siebenmeilenschritten dem Lande nähert, hat die Regierung keinen einzigen ernsten Schritt gegen die Kapitalisten, die „Milliarden" eingeheimst haben, unternommen! Um diese Milliarden der „Volkskasse wiederzugeben", hätte man am 7. Mai ein Gesetz über die Abschaffung des Geschäfts- und Bankgeheimnisses und über die sofortige Durchführung der Kontrolle über die Banken und die Syndikate der Kapitalisten erlassen sollen, weil es sonst nicht nur unmöglich ist, diese Milliarden „wiederzugeben", sondern sie überhaupt aufzufinden.

Hält der menschewistische Minister Skobelew die Arbeiter tatsächlich für kleine Kinder, die man mit dem Versprechen unmöglicher Dinge abspeisen kann (die „Milliarden" „wiederzugeben" ist unmöglich, seien wir froh, wenn es gelingt, den Staatskassendiebstählen ein Ende zu machen und wenigstens ein paar hundert Millionen wieder zu erlangen), während man es Wochen um Wochen unterlässt, das Mögliche und Notwendige durchzuführen?

Ausgerechnet an demselben Tage, an dem der menschewistische Minister Skobelew wieder einmal sein Wunderhorn effektvollster republikanischer, revolutionärer und „sozialistischer" Redensarten vor den Arbeitern ausgeschüttet hat, an diesem selben Tage hatte Genosse Awilow, der die Oboronzy (d. h. die Chauvinisten) mit den Arbeitern „vereinigen" will, den ungewöhnlich glücklichen, selten glücklichen Einfall, in der „Nowaja Schisn" einen Artikel zu schreiben, zwar ohne Konsequenzen zu ziehen, aber mit Tatsachen.2

Nichts in der Welt ist so beredt, wie diese einfachen Tatsachen.

Am 5. Mai wurde die Koalitionsregierung gebildet. In einer feierlichen Erklärung verspricht sie… die Kontrolle und sogar die „Organisation der Produktion". Am 16. Mai nimmt das Exekutivkomitee des Petrograder Rats „Direktiven" für seine Minister an und fordert, dass „sofort (hört!) zur allerenergischsten Durchführung (bei Gott, so steht es wörtlich da) der staatlichen Regelung der Produktion geschritten werde" usw. usw. usw.

Die energische Durchführung beginnt.

Am 19. Mai erfolgt der Rücktritt Konowalows mit einer sehr energischen Erklärung gegen … die „extremen Sozialisten"! Am 1. Juni findet die Allrussische Konferenz der Vertreter der Industrie und des Handels statt. Die Konferenz spricht sich ganz entschieden gegen die Kontrolle aus. Die nach dem Rücktritt Konowalows zurückgebliebenen drei stellvertretenden Minister „führen energisch durch": der erste stellvertretende Minister Stepanow unterstützt im Konflikt mit den Kohlenindustriellen des Donezbeckens (die durch passive Resistenz die Produktion zugrunde richten) … die Unternehmer. Hierauf lehnen die Unternehmer alle Schlichtungsvorschläge Skobelews ab.

Der zweite stellvertretende Minister Paltschinski sabotiert die „Beratung über die Brennstoffe".

Der dritte stellvertretende Minister Sawin schafft eine „grobe und nicht einmal geistreiche Karikatur" einer Regelung in der Form einer „Beratung von Vertretern verschiedener Ressorts".

Am 10. Juni reicht der erste stellvertretende Minister Stepanow der Provisorischen Regierung einen „Bericht" ein in dem gegen das Programm des Exekutivkomitees polemisiert wird.

Am 21. Juni nimmt der Rätekongress noch eine Resolution an …

Von unten her werden eigenmächtig Versorgungskomitees geschaffen. Von oben wird ein Oberster „Wirtschaftsrat" versprochen. Der zweite stellvertretende Minister Paltschinski setzt auseinander: „Wann er (der Wirtschaftsrat) zu funktionieren beginnen wird, ist schwer zu sagen" …

Das klingt wie Hohn, es sind aber Tatsachen.

Die Kapitalisten verhöhnen die Arbeiter und das Volk und setzen ihre Politik der verschleierten Aussperrungen und der Verheimlichung ihrer skandalösen Gewinne fort, während sie die Skobelew, Zeretelli und Tschernow vor schicken, um die Arbeiter durch Redensarten zu „beschwichtigen".

1 Der Appell des Arbeitsministers an die Arbeiter ist in der „Nowaja Schisn" Nr. 60 vom 11. Juli (28. Juni) 1917 veröffentlicht. Arbeitsminister Skobelew erklärt darin den Arbeitern, die Provisorische Regierung habe sich zur Aufgabe gestellt, mit allen Kräften gegen die wirtschaftliche Zerrüttung zu kämpfen, sie werde durch die Autorität der revolutionären Macht die Volkswirtschaft regeln und kontrollieren. Die leitenden und kontrollierenden Organe sollen auf der Grundlage einer weitgehenden Vertretung der Arbeiterschaft umgestaltet werden. Deshalb sollten die Arbeiter auf jegliche eigenmächtige Handlungen und auf Eingriffe in die Produktion verzichten.

2 Bezieht sich auf den Artikel Awilows „Die Zerrüttung im Handelsministerium" in der „Nowaja Schisn" Nr. 60 vom 11. Juli (28. Juni) 1917. Der Verfasser schildert, wie das Handelsministerium mit Paltschinski und Stepanow an der Spitze die Versprechungen der Regierung über Kontrolle und Regelung der Industrie, wie sie in der Deklaration der Koalitionsregierung vom 18. (5.) Mai 1917 verkündet wurden, sabotiert.

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