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Wladimir I. Lenin 19170906 Politische Erpressung

Wladimir I. Lenin: Politische Erpressung

[„Proletarij", Nr. 10, 6. September (24. August) 1917. Nach Sämtliche Werke, Wien-Berlin 1931, Band 21, S. 116-119]

Man nennt es Erpressung, wenn jemand unter Androhung der Enthüllung irgendwelcher Tatsachen oder erfundener „Geschichten", die dem Entlarvten unangenehm sein könnten, oder unter der Drohung, ihm irgendwelche anderen Unannehmlichkeiten zu bereiten, Geld von ihm erpresst.

Eine politische Erpressung ist die Androhung der Enthüllung oder die Enthüllung tatsächlicher, häufiger aber erfundener „Geschichten", um den Gegner zu schädigen, zu verleumden, ihm die Möglichkeit der politischen Tätigkeit zu nehmen oder zu erschweren.

Unsere republikanischen, mit Verlaub zu sagen, sogar demokratischen Bürger und Kleinbürger haben sich als Helden der politischen Erpressung offenbart, sie haben einen „Feldzug" der Verleumdungen und Lügen gegen die ihnen missliebigen Parteien und politischen Führer eröffnet. Der Zarismus verfolgte brutal, barbarisch, viehisch. Die republikanische Bourgeoisie verfolgt schmutzig, sie bemüht sich, den ihr verhassten proletarischen Revolutionär und Internationalisten durch Verleumdung, Lüge, Verdächtigung, Gerüchte usw. zu besudeln.

Besonders den Bolschewiki ist die Ehre zuteil geworden, diese Verfolgungsmethoden der republikanischen Imperialisten am eigenen Leibe zu erfahren. Die Bolschewiki können überhaupt folgenden bekannten Ausspruch des Dichters auf sich selber beziehen:

Nicht in des Lobes sanft Tribut,

Im wilden Hassgeschrei der Wut

Erlauschen wir des Beifalls Stimme.1

Ein Geheul wilder Wut erhob sich fast sofort nach dem Beginn der russischen Revolution in der gesamten bürgerlichen und fast in der gesamten kleinbürgerlichen Presse gegen die Bolschewiki. Und der Bolschewik, der Internationalist, der Anhänger der proletarischen Revolution kann wirklich in diesem wilden Hassgeschrei der Wut die Stimme des Beifalls „erlauschen", denn der wilde Hass der Bourgeoisie ist oft der beste Beweis dafür, dass der Verleumdete, Gehetzte, Verfolgte richtig und ehrlich dem Proletariat dient.

Die Erpressernatur der verleumderischen Methoden der Bourgeoisie können wir besonders anschaulich an einem Beispiel aufzeigen, das nicht unsere Partei betrifft, an dem Beispiel des Sozialrevolutionärs Tschernow.

Die vorsätzlichen Verleumder, die Mitglieder der Kadettenpartei mit Miljukow und Hessen an der Spitze, die Tschernow einschüchtern und verjagen wollten, inszenierten gegen ihn eine Hetze wegen seiner im Ausland veröffentlichten, angeblich „defätistischen" Artikel und wegen seiner Beziehungen zu Leuten, die von Agenten des deutschen Imperialismus Geld erhalten haben sollen. Eine Hetze entbrannte, die von der gesamten bürgerlichen Presse aufgegriffen wurde.

Aber bald „einigten sich" die Kadetten und die Sozialrevolutionäre auf einer bestimmten Zusammensetzung der Regierung. Und – o Wunder! – von der „Anklage" gegen Tschernow war nicht mehr die Rede! Innerhalb weniger Tage verschwand die „Affäre" Tschernow – ohne Gerichtsverhandlung, ohne Untersuchung, ohne Veröffentlichung der Dokumente, ohne Befragung der Zeugen, ohne Gutachten der Sachverständigen. Als die Kadetten mit Tschernow unzufrieden waren, entstand eine auf Verleumdung beruhende „Affäre" Tschernow. Als die Kadetten sich, wenn auch nur vorübergehend, mit Tschernow politisch „aussöhnten", verschwand die „Affäre".

Das ist eine politische Erpressung, wie sie im Buche steht. Die Zeitungshetze, die Verleumdungen und Verdächtigungen sind in den Händen der Bourgeoisie und solcher Schufte, wie die Miljukow, Hessen, Saslawski, Dan usw., ein Werkzeug des politischen Kampfes und der politischen Rache. Das politische Ziel ist erreicht – und von der „Anklage" gegen NN oder MM ist nicht mehr die Rede –, wodurch die schmutzige Natur, die niederträchtige Unehrlichkeit, das erpresserische Wesen der Leute, die die „Anklage" erhoben haben, enthüllt wird.

Denn es ist klar, dass keine politischen Änderungen einen Nicht-Erpresser zwingen können, Enthüllungen einzustellen, die auf ehrlichen Absichten beruhen; es ist klar, dass ein Nicht-Erpresser auf jeden Fall in seinen Enthüllungen bis zu Ende gehen würde, bis zu dem Urteil des Gerichts, bis zur vollständigen Informierung der Öffentlichkeit, bis zur Sammlung und Veröffentlichung aller Dokumente oder bis zum offenen und direkten Bekenntnis, dass er einen Fehler begangen hat oder dass ein Missverständnis vorlag.

Das Beispiel Tschernows, der kein Bolschewik ist, zeigt uns anschaulich das wahre Wesen des Erpressungsfeldzuges der bürgerlichen und der kleinbürgerlichen Presse gegen die Bolschewiki. Als das politische Ziel dieser Ritter und Handlanger des Kapitals ihnen erreicht schien, als die Bolschewiki verhaftet und ihre Zeitungen verboten waren, da hüllten sich die Erpresser in Schweigen! Die Helden des Feldzuges gegen die Bolschewiki, die Miljukow und Hessen, die Saslawski und Dan, die alle Mittel zur Enthüllung der Wahrheit in Händen hatten: Geld, die Presse, die Hilfe der Bourgeoisie im Ausland, die Unterstützung der „öffentlichen Meinung" des gesamten bürgerlichen Russlands, die freundschaftliche Hilfe der Staatsgewalt eines der größten Staaten der Welt, – obgleich sie alle diese Mittel in Händen hatten, hüllten sie sich in Schweigen!

Jeder ehrliche Mensch muss klar erkennen, was die klassenbewussten Arbeiter, die das ganze Leben die Methoden der Bourgeoisie rasch zu begreifen lehrt, sofort erkannt haben, nämlich dass die Miljukow und Hessen, die Saslawski, Dan usw. politische Erpresser sind. Das muss ein für allemal festgestellt, den Massen auseinandergesetzt, täglich in der Zeitung veröffentlicht werden; es müssen Dokumente, die das beweisen, für eine Broschüre gesammelt, die Erpresser müssen boykottiert werden usw. Das sind die des Proletariats würdigen Mittel im Kampf gegen Verleumdung und Erpressung!

Eines der letzten Opfer der Erpressung ist unser Genosse Kamenew. Er hat sich bis zur Untersuchung der Angelegenheit von der öffentlichen Tätigkeit zurückgezogen".2 Unseres Erachtens ist das ein Fehler. Gerade das bezweckten die Erpresser. Sie wollen die Angelegenheit gar nicht untersuchen. Es hätte genügt, wenn Kamenew den Schuften das Vertrauen seiner Partei entgegengestellt hätte – mögen dann die Hunde der „Rjetsch", der „Birschowka", des „Djen", der „Rabotschaja Gazeta" und der übrigen niederträchtigen Zeitungen bellen, soviel sie wollen.

Wenn unsere Partei darauf eingeht, dass ihre Führer von der öffentlichen Tätigkeit beseitigt werden, weil die Bourgeoisie sie verleumdet, so wird die Partei sehr darunter leiden, sie wird dem Proletariat Schaden zufügen, den Feinden des Proletariats aber Vergnügen bereiten. Denn die Bourgeoisie hat viele Zeitungen, gedungene erpresserische Federn (wie die der Saslawski und Konsorten) stehen ihr zur Verfügung, es wird ihr darum leicht fallen, unsere Parteiarbeiter zu „beseitigen"! Sie denkt gar nicht daran, irgendeine Angelegenheit zu untersuchen, die Wahrheit festzustellen.

Nein, Genossen! Wir wollen der Kritik der bürgerlichen Presse nicht nachgeben! Wir wollen den Schuften und Erpressern, den Miljukow, Hessen und Saslawski, kein Vergnügen bereiten. Wir wollen uns auf das Urteil der Proletarier verlassen, der klassenbewussten Arbeiter unserer Partei, die aus 240.000 Internationalisten besteht. Vergessen wir nicht, dass die Internationalisten in der ganzen Welt von der Bourgeoisie und den mit ihr verbündeten „Vaterlandsverteidigern" mit den Mitteln der Verleumdung, der Lüge und der Erpressung verfolgt werden.

Lasst uns standhaft sein in der Brandmarkung der Erpresser. Lasst uns unerbittlich jeden geringsten Zweifel von dem Gericht der klassenbewussten Arbeiter, von dem Gericht unserer Partei untersuchen; der Partei glauben wir, in ihr sehen wir die Vernunft, die Ehre und das Gewissen unserer Epoche, im internationalen Bündnis der revolutionären Internationalisten sehen wir die einzige Gewähr für die Befreiungsbewegung der Arbeiterklasse.

Und keine Nachgiebigkeit der „öffentlichen Meinung" jener Leute gegenüber, die in einer Regierung mit den Kadetten sitzen, die den Miljukow, Dan, Saslawski die Hand reichen.

Nieder mit den politischen Erpressern! Ihnen werde nur Verachtung und Boykott zuteil! Ihr niederträchtiger Verrat an den Arbeitermassen muss unaufhörlich entlarvt werden! Wir müssen beharrlich unseren Weg gehen, die Arbeitsfähigkeit unserer Partei wahren, die Parteiführer sogar davor bewahren, dass sie an die Schufte und deren gemeine Verleumdungen ihre Zeit vergeuden.

1 Lenin zitiert hier (nicht absolut genau) ein Gedicht Nekrassows aus dem Jahre 1852.

2 Nach den Julitagen wurde die Verleumdung als Mittel des Kampfes gegen den Bolschewismus nicht nur gegen Lenin und Sinowjew, sondern auch gegen Kamenew benutzt, der zu jener Zeit der Vertreter der Bolschewiki im Zentralen Exekutivkomitee war. Am 23. (10.) August veröffentlichten die „Iswestija" des ZEK (Nr. 140) und andere Zeitungen eine angeblich vom Justizministerium ausgehende Mitteilung über Beziehungen Kamenews zur politischen Polizei in der vorrevolutionären Zeit. Am 13. September (31. August) war das Justizministerium gezwungen zu erklären, dass „ … weder der Justizminister noch irgendein hierzu bevollmächtigter Beamter des Justizministeriums diese Mitteilung an irgendeine Zeitung geschickt hat. Die Redaktion der ,Iswestija' der Räte der Arbeiter- und Soldatendeputierten ist augenscheinlich irregeführt worden, als ihr eine gefälschte Mitteilung übersandt wurde, die angeblich vom Justizministerium ausgegangen sei…"

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