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Wladimir I. Lenin 19170504 Resolution des Zentralkomitees der SDAPR

Wladimir I. Lenin: Resolution des Zentralkomitees der SDAPR

vom 4. Mai (21. April) 19171

[„Prawda" Nr. 38, 5. Mai (22. April) 1917. Nach Sämtliche Werke, Band 20.1, Wien-Berlin 1928, S. 286-288

Nach Besprechung der in Petrograd geschaffenen Lage infolge der imperialistischen, annexionistisch-räuberischen Note der Provisorischen Regierung vom 18. April 1917 und der darauf folgenden Volkskundgebungen durch Massenversammlungen und Straßendemonstrationen am 20. April, beschließt das ZK der SDAPR:

1. Die Agitatoren und Redner der Partei haben die niederträchtige Lüge der kapitalistischen und kapitalistenfreundlichen Zeitungen, als drohten wir mit dem Bürgerkrieg, zu entlarven. Das ist eine niederträchtige Lüge, denn im gegenwärtigen Augenblick, solange die Kapitalisten und ihre Regierung es nicht wagen, und dazu auch nicht in der Lage sind, Gewalt gegen die Massen anzuwenden, solange die Soldaten- und Arbeitermasse ihren Willen frei bekundet, alle Behörden frei wählt und absetzt, – in einem solchen Augenblick ist jeder Gedanke an den Bürgerkrieg naiv, sinnlos, wahnwitzig, in einem solchen Augenblick ist die Unterordnung unter den Willen der Mehrheit der Bevölkerung und die freie Kritik dieses Willens durch die unzufriedene Minderheit notwendig; wenn es zu Gewalttaten kommt, so fällt die Verantwortung auf die Provisorische Regierung und ihre Anhänger.

2. Die Kapitalistenregierung und ihre Zeitungen bemänteln mit ihrem Geschrei gegen den Bürgerkrieg nur die Tatsache, dass sich die Kapitalisten, die notorisch eine verschwindende Minderheit des Volkes ausmachen, dem Willen der Mehrheit nicht unterordnen wollen.

3. Um den Willen der Mehrheit der Bevölkerung in Petrograd, wo es zur Zeit besonders viel Soldaten gibt, die die Stimmung der Bauern kennen und sie richtig zum Ausdruck bringen, zu erfahren, ist es notwendig, sofort in allen Bezirken Petrograds und seiner Umgebung eine Volksabstimmung zu veranstalten über die Frage der Stellung zur Regierungsnote, der Unterstützung der einen oder andern Partei, der Erwünschtheit dieser oder einer andern Provisorischen Regierung.

4. Alle Parteiagitatoren müssen in den Betrieben, bei den Regimentern, auf den Straßen usw. diese Auffassungen und diesen Vorschlag propagieren durch friedliche Diskussionen und friedliche Demonstrationen, ferner durch überall zu veranstaltende Meetings; man muss sich bemühen, eine planmäßige Abstimmung in den Betrieben und Regimentern zu organisieren, wobei vollständige Ordnung und kameradschaftliche Disziplin auf das strengste zu wahren sind.

5. Die Parteiagitatoren müssen immer und immer wieder protestieren gegen die von den Kapitalisten verbreitete niederträchtige Verleumdung, als trete unsere Partei für einen Sonderfrieden mit Deutschland ein; wir betrachten Wilhelm II. als einen ebensolchen gekrönten Räuber, der wert ist, gehenkt zu werden, wie Nikolaus II., und die deutschen Gutschkows, d. h. die deutschen Kapitalisten, als ebensolche Annexionisten, Räuber, Imperialisten, wie die russischen, englischen und alle anderen Kapitalisten; wir sind gegen Verhandlungen mit den Kapitalisten, wir sind für Verhandlungen und für Verbrüderung mit den revolutionären Arbeitern und Soldaten aller Länder; wir sind überzeugt, dass die Regierung Gutschkow-Miljukow eben darum bemüht ist, die Lage zu verschärfen, weil sie weiß: die proletarische Revolution in Deutschland beginnt, und diese Revolution wird ein Schlag sein für die Kapitalisten aller Länder.

6. Wenn die Provisorische Regierung Gerüchte verbreitet über den völlig unabwendbaren Zerfall, so will sie nicht nur das Volk einschüchtern, damit es die Regierungsgewalt in ihren Händen belasse, sondern sie bringt auch nebelhaft, unklar, verworren jene tiefe und unzweifelhafte Wahrheit zum Ausdruck, dass alle Völker der Welt in eine Sackgasse geführt, durch den Krieg um der Interessen der Kapitalisten willen an den Rand des Abgrundes gebracht worden sind, und dass es tatsächlich keinen anderen Ausweg gibt als den Übergang der Macht in die Hände der revolutionären Klasse, d. h. des revolutionären Proletariats, das zu revolutionären Maßnahmen fähig ist.

Sind Getreidevorräte usw. im Lande vorhanden, so wird auch die neue Regierung der Arbeiter und Soldaten verstehen, über sie zu verfügen. Wenn aber durch den kapitalistischen Krieg der wirtschaftliche Zerfall so weit vorgeschritten sein sollte, dass kein Getreide vorhanden ist, so wird die Kapitalistenregierung die Lage der Volksmassen nur verschlechtern und nicht verbessern.

7. Die Politik der jetzigen Mehrheit der Führer des Arbeiter- und Soldatendeputiertenrates, der Parteien der Narodniki und Menschewiki, halten wir für grundfalsch, denn das Vertrauen zur Provisorischen Regierung, die Versuche, sich mit ihr auszusöhnen, das Feilschen um Verbesserungen usw., alles das würde faktisch nur eine Vermehrung wertloser Papierfetzen bedeuten, eine bloße Verschleppung, überdies aber bedeutet diese Politik die Gefahr, dass der Arbeiter- und Soldatendeputiertenrat in Widerspruch gerät zu dem Willen der Mehrheit der revolutionären Soldaten an der Front und in Petrograd und der Mehrheit der Arbeiter.

8. Wir fordern die Arbeiter und Soldaten, die anerkennen, dass der Arbeiter- und Soldatendeputiertenrat seine Politik ändern und die Politik des Vertrauens und des Paktierens mit der Kapitalistenregierung aufgeben muss, auf, ihre Delegierten zum Arbeiter- und Soldatendeputiertenrat neu zu wählen, indem sie nur solche Leute entsenden, die standhaft eine ganz bestimmte Meinung, im Einklang mit dem wirklichen Willen der Mehrheit, vertreten werden.

1 Die Aprilkrise vom 20.–22. April (3.-5. Mai n. St) 1917 wurde verursacht durch die Note des Außenministers Miljukow an die alliierten Regierungen vom 1, Mai (18. April). Diese Note überzeugte die Arbeitermassen, dass die Provisorische Regierung, die in Worten die Losung des demokratischen Friedens ohne Annexionen und Kontributionen akzeptierte, in Wirklichkeit den Alliierten ihre Treue zu den von Nikolaus II. abgeschlossenen annexionistischen Verträgen bestätigt und sich verpflichtet hat, den Krieg bis zum entscheidenden Sieg zu führen. Die Folge war eine Reihe von Straßendemonstrationen der Arbeiter und Soldaten gegen Miljukow und die Provisorische Regierung. Die Bourgeoisie antwortete mit patriotischen Gegendemonstrationen, die zu Zusammenstößen auf dem Newski-Prospekt führten. Vereinzelt wurde auf Arbeiterdemonstranten geschossen. Die Bewegung fand ein Echo in Moskau, wo ein Teil der Arbeiter und das 56. Reserveregiment vor dem Sowjet und dem Moskauer Komitee der Bolschewiki demonstrierten. Die Empörung der Massen zwang Miljukow zurückzutreten, er wurde durch den bisherigen Finanzminister Tereschtschenko ersetzt Die Regierungskrise zog sich bis zum 5. Mai hin, wo die erste Koalitionsregierung unter Teilnahme der Sozialisten gebildet wurde. – Die Resolutionen des Zentralkomitees der Bolschewiki vom 4. Mai (21. April) und 5. Mai (22. April) 1917 wurden von Lenin verfasst. Eine vorhergegangene Resolution vom 3. Mai (20. April) ist aller Wahrscheinlichkeit nach von einem andern Mitglied des Zentralkomitees geschrieben worden.

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