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Wladimir I. Lenin 19170508 Thesenentwurf zur Resolution über die Räte

Wladimir I. Lenin: Thesenentwurf zur Resolution über die Räte1

[Geschrieben am 7. u. 8. Mai (24. u. 25. April) 1917 Zum ersten Mal veröffentlicht im Jahre 1925 im „Leninsammelbuch" Nr. 4. Nach Sämtliche Werke, Band 20.1, Wien-Berlin 1928, S. 313-315]

In einer Reihe Provinzzentren, besonders in den Arbeiterzentren, erwies sich die Rolle der Räte als besonders groß. Es entstand eine Alleinherrschaft; die Bourgeoisie ist vollständig entwaffnet und muss sich vollständig unterordnen; die Löhne wurden erhöht, der Arbeitstag verkürzt, ohne dass die Produktion gesunken wäre; die Lebensmittelversorgung ist gesichert, die Kontrolle der Produktion und der Verteilung in Angriff genommen; alle alten Behörden sind abgesetzt; die revolutionäre Initiative der Bauern sowohl in der Frage der Macht (Absetzung aller alten und Einsetzung von neuen Behörden) als auch in der Bodenfrage wird gefördert.

In der Hauptstadt und in einigen Großstädten ist die umgekehrte Erscheinung zu verzeichnen: die Zusammensetzung der Räte ist weniger proletarisch; in den Exekutivkomitees ist der Einfluss der kleinbürgerlichen Elemente unvergleichlich größer; ebenso sehen wir – besonders in den Kommissionen – eine „Arbeitsgemeinschaft mit der Bourgeoisie", die die revolutionäre Initiative der Massen hemmt, die revolutionäre Bewegung der Masse und ihre revolutionären Aufgaben bürokratisiert und alle revolutionären Maßregeln, die geeignet sind, die Kapitalisten zu „kränken", bremst.

In der Hauptstadt hatte das Volk, besonders aber die Arbeiterschaft, die größten Opfer gebracht, um den Zarismus zu stürzen. Hier war der Aufwand an revolutionärer Energie besonders groß; die Macht des Kapitals, die hier eine besonders hohe Stufe der Zentralisierung erreicht hatte, bewirkte, dass die Kapitalisten hier nach dem Sturz der alten Zentralgewalt ein Höchstmaß an Macht an sich rissen –- darum ist es durchaus verständlich und unvermeidlich, dass die Macht der Räte (und die Macht des Proletariats) sich hier als schwach erwiesen hat, dass die Aufgabe des Weitertreibens der Revolution besonders schwierig, der Übergang zu einer neuen Etappe der Revolution besonders mühevoll, der Widerstand der Bourgeoisie aber besonders hartnäckig ist.

Hieraus ergibt sich: in den Hauptstädten, in den großen Industriezentren muss einstweilen die Hauptkraft darauf konzentriert werden, die Kräfte für die Vollendung der zweiten Etappe der Revolution zu sammeln; in der Provinz aber muss und kann die Revolution unmittelbar weiter getrieben werden, indem die Alleinherrschaft der Räte verwirklicht, die revolutionäre Energie der Arbeiter- und Bauernmassen entfacht und die Kontrolle der Produktion und der Verteilung in Angriff genommen wird usw.

Der Gang der Revolution war in großen Zügen folgender: 1. Beseitigung der alten Staatsmacht in der Hauptstadt. 2. Da das Proletariat nicht darauf vorbereitet ist, die gigantischen Aufgaben der Leitung des gesamten Staates zu lösen, ergreift die Bourgeoisie die Macht. 3. Die Revolution greift auf die Provinz über. 4. In der Provinz kommt es sehr häufig, besonders aber in den proletarischen Zentren, zur Bildung von Kommunen, der Aufschwung der revolutionären Energie der Massen ist besonders groß. 5. Die Bauern nehmen das Land usw. 6. Fabriken: Kontrolle derselben, 7. Alleinherrschaft. 8. Die örtliche kommunale Revolution schreitet vorwärts. 9. Bürokratisierung, Unterordnung unter die Bourgeoisie in der Hauptstadt.

Schlussfolgerungen: 1. Vorbereitung in der Hauptstadt (Sammlung der Kräfte für die neue Revolution). 2. Vorwärts treiben der Revolution (Macht? Land? Fabriken?) in der Provinz. 3. Lokale Kommunen, d. h. völlige lokale Autonomie; eigenmächtig; ohne Polizei, ohne Beamte, Alleinherrschaft der bewaffneten Arbeiter- und Bauernmassen. 4. Kampf gegen den bürokratisierenden und bürgerlich-beruhigenden Einfluss der kleinbürgerlichen Elemente. 5. Die Erfahrungen der örtlichen Praxis müssen gesammelt werden, um die Hauptstadt vorwärtszutreiben: die „Provinz" wird zum Vorbild. 6. Man muss den Massen der Arbeiter, Bauern und Soldaten auseinandersetzen, dass die Alleinherrschaft und die Diktatur des Proletariats die Ursache des Erfolges der Revolution in der Provinz ist. 7. Natürlich ist es in der Hauptstadt schwieriger, erfordert mehr Zeit. 8. Weitertreiben der Revolution in den Kommunen, die aus den Vorstädten und den Stadtvierteln der Großstädte gebildet werden 9. Verwandlung (in den Hauptstädten usw.) in „Lakaien der Bourgeoisie".

1 Der „Thesenentwurf zur Resolution über die Räte" wurde von Lenin während der russischen Aprilkonferenz niedergeschrieben. Die Thesen dienten ihm als Grundlage für seine Rede auf der Konferenz am 8. Mai (25. April), die jedoch in den Protokollen der Konferenz nicht erhalten blieb. Sie enthalten, besonders im Schlussteil, nur Stichworte, keine abgerundeten Formulierungen. Entstehung und Zweck dieser schriftlichen Notizen erklären diesen Umstand zur Genüge.

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