Lenin‎ > ‎1917‎ > ‎

Wladimir I. Lenin 19170501 Unsere Ansichten (Antwort auf die Resolution der Exekutivkommission des Soldatendeputiertenrates)

Wladimir I. Lenin: Unsere Ansichten (Antwort auf die Resolution der Exekutivkommission des Soldatendeputiertenrates)

[„Prawda" Nr. 35, 1. Mai (18. April) 1917 gez.: N. Lenin. Nach Sämtliche Werke, Band 20.1, Wien-Berlin 1928, S. 259-263]

Die Zeitungen vom 16. April veröffentlichen folgende Resolution:

Die Exekutivkommission des Soldatendeputiertenrates hat Stellung genommen zu der Mitteilung von Genossen über die desorganisatorische Propaganda, die sich unter einer revolutionären, oft sogar sozialdemokratischen Flagge versteckt, insbesondere die der sogenannten Leninisten; sie hält diese Propaganda für nicht minder schädlich als irgendeine konterrevolutionäre Propaganda von rechts, jedoch betrachtet sie es gleichzeitig als unmöglich, Unterdrückungsmaßnahmen gegen Propaganda anzuwenden, solange diese nur Propaganda bleibt. Die Exekutivkommission des Soldatendeputiertenrates hält es für äußerst notwendig, alle Maßnahmen zu ergreifen, um dieser Propaganda unsere Propaganda und Agitation entgegenzusetzen. Wir müssen danach streben, dass unsere Organisationen genügend stark werden, um in jedem beliebigen Moment jeder konterrevolutionären Aktion, von welcher Seite sie auch kommen möge, unsere Aktionen entgegenzustellen. Wir sprechen den dringenden Wunsch aus, dass das Exekutivkomitee zum Zwecke der Bekämpfung der desorganisatorischen Propaganda eine planmäßige Agitation sowohl in der Presse als auch insbesondere in den Formationen des Heeres eröffne."

Wenn wir mit dieser Resolution die von uns angeführte Erklärung in dem Leitartikel der „Iswestija" (vom 17. April) gegen die „unehrliche und widerwärtige Hetze" vergleichen, so wird uns sofort klar werden, welche politische Gruppierung sich tatsächlich in dieser Frage herausgebildet hat. Dass die „Russkaja Wolja" ein Hetzorgan ist und das „Jedinstwo" des Herrn Plechanow „eine solche Kampfmethode" nachahmt, ist von einem Zeugen, dem „Djelo Naroda", anerkannt worden.

Eine andere Stellung nimmt die Exekutivkommission des Soldatendeputiertenrates ein, die ausdrücklich erklärt, es sei „unmöglich, Unterdrückungsmaßnahmen anzuwenden, solange die Propaganda nur Propaganda bleibt".

Aus diesem Grunde drucken wir die Resolution der Exekutivkommission vollständig ab und halten eine sachliche Analyse derselben für nützlich.

Die Resolution erklärt die Propaganda Lenins für „nicht minder schädlich als irgendeine konterrevolutionäre Propaganda von rechts". Sehen wir zu, worin der wesentliche Unterschied besteht zwischen 1. der konterrevolutionären Propaganda von rechts, 2. der Propaganda für die Provisorische Regierung und ihre Unterstützung, und 3. unserer Propaganda.

Die Rechten wollen den Sturz der Provisorischen Regierung und die Rückkehr zur Monarchie.

Die Provisorische Regierung hat versprochen, im Einvernehmen mit dem Petrograder Arbeiter- und Soldatendeputiertenrat zu handeln.

Unsere Propaganda sagt: die ganze Macht im Staate muss ausschließlich in die Hände der Arbeiter-, Soldaten-, Bauern- usw. Deputiertenräte übergehen, denn diese Räte vertreten, wie jeder weiß, die ungeheure Mehrheit des Volkes. Wir wollen durch „Aufklärungsarbeit" erreichen (wie es Lenin gleich am ersten Tage klar und deutlich inseinen Thesen ausgesprochen hat), dass die Mehrheit des Volkes die Notwendigkeit eines solchen Überganges der Staatsgewalt begreife.

Die Rechten sind also für die Macht des Monarchen. Die Kapitalisten sind für die Macht der Kapitalisten (denn die Provisorische Regierung ist eine Regierung der Kapitalisten); sie versprechen im Einvernehmen mit dem Arbeiter- und Soldatendeputiertenrat zu handeln.

Wir wollen die Mehrheit des Volkes davon überzeugen, dass die Macht ausschließlich beim Arbeiter-, Soldaten- usw. Deputiertenrat liegen muss.

Es ist ganz klar, dass es sogar vom Standpunkte der Anhänger einer Verständigung mit der Provisorischen Regierung unmöglich ist, unsere Propaganda als „nicht minder schädlich als irgendeine konterrevolutionäre Propaganda von rechts" zu bezeichnen. Denn die Anhänger einer Verständigung stützen sich jetzt auf die Mehrheit des Volkes! Wie können sie also erklären, dass unsere Propaganda, die die Mehrheit überzeugen will, dass es notwendig sei, die gesamte Macht zu übernehmen, „ebenso schädlich ist wie die Propaganda von rechts"? Das ist ein offenkundiger Widerspruch.

Der Soldatendeputiertenrat wird eine solche Ansicht seiner Exekutivkommission kaum lange verteidigen können. Gehen wir weiter.

Worin bestehen sachlich unsere Meinungsverschiedenheiten? Hauptsächlich in drei Punkten.

1. In der Frage des Grund und Bodens. Wir sind dafür, dass die Bauern, nach eigenem Beschluss der Mehrheit der Bauern selber, sofort vom ganzen Boden Besitz ergreifen und auf diese Weise die Produktion von Brot und Fleisch für die Soldaten steigern.

Die Provisorische Regierung tritt für eine „Verständigung" der Bauern mit den Grundbesitzern ein, d. h. für eine „Verständigung" von 300 Bauern mit einem Grundbesitzer.

Wir werden sehen, ob die Mehrheit des Volkes in dieser Frage für uns oder für die Provisorische Regierung ist.

2. Wir sind für eine Republik, in der es von unten bis oben keine Polizei gibt, kein stehendes Heer (an seine Stelle muss unserer Überzeugung nach die allgemeine Bewaffnung des ganzen Volkes treten), kein Beamtentum, das faktisch unabsetzbar ist und eine privilegierte bourgeoismäßige Bezahlung erhält. Wir sind für die ausnahmslose Wählbarkeit und jederzeitige Absetzbarkeit aller Beamten und für eine proletarische Entlohnung derselben.

Die Provisorische Regierung ist für die Wiederherstellung der Polizei des üblichen Typus, für das stehende Heer, für das übliche Beamtentum.

3. Die Provisorische Regierung ist für die Fortsetzung des und gerade solch eines Krieges, wie ihn Nikolaus der Blutige begonnen hat. Die Provisorische Regierung ist für die Bestätigung der von ihm abgeschlossenen geheimen Raubverträge, ohne Befragen des Volkswillens und sogar ohne Veröffentlichung der Verträge.

Wir sind gegen einen solchen Krieg, gegen die Bestätigung der Verträge, gegen ihre Nichtveröffentlichung

Wir raten den Völkern, allen ohne Ausnahme, diesen Krieg nicht durch einen Gewaltfrieden, sondern durch einen wahrhaft demokratischen Frieden zu beenden, der allen Völkern und Völkerschaften ohne Ausnahme die Freiheit gibt. Wir wollen dem Volke beweisen, dass der Übergang der Staatsmacht vollständig und ausschließlich in die Hände der Arbeiter- und Soldatendeputiertenräte notwendig ist, damit der Krieg wirklich nicht durch einen Gewaltfrieden beendet wird.

Denn solange die Macht sich in den Händen der Kapitalisten und Grundbesitzer (Gutschkow, Lwow, Miljukow) befindet, bleibt der Krieg in Wirklichkeit unter der Führung der Kapitalisten, bleiben alle Versprechungen eines Friedens ohne Annexionen nur Versprechungen, ist das Misstrauen der Arbeitermassen der ganzen Welt gegen die Regierung der Kapitalisten unvermeidlich, wird also sich der Krieg immer mehr in die Länge ziehen.

Eine Frage: was wird sein, wenn in Russland die Macht in die Hände der Arbeiter- und Soldatendeputiertenräte übergeht, während in Deutschland eine Revolution, die nicht nur Wilhelm II., sondern auch die deutschen Miljukows und Gutschkows stürzt, nicht ausbricht (denn wenn an die Stelle des deutschen Nikolaus II. die deutschen Gutschkows und Miljukows treten, so wird sich hinsichtlich des Krieges gar nichts ändern)?

Unsere Antwort: die Macht in den Händen der Arbeiter- und Soldatenräte wird die Macht der Mehrheit des Volkes sein, diese Mehrheit aber – das sind die Arbeiter und ärmsten Bauern. Die sind tatsächlich nicht interessiert an Annexionen, sie werden nicht in Worten, sondern in der Tat auf sie verzichten, sie werden in der Tat aufhören, Wächter der Kapitalistenprofite zu sein.

Unter solchen Bedingungen sind auch wir mit einem revolutionären Krieg gegen die Kapitalisten eines beliebigen Landes einverstanden, denn das wird in Wirklichkeit ein Krieg gegen die Interessen jedes Kapitals sein und nicht für die Interessen der Kapitalisten eines einzelnen Landes.

Eine Frage: wie kann in der Praxis, sofort, unverzüglich die Sache des Friedens beschleunigt werden, wenn es unmöglich ist, den Krieg zu beenden, indem man einfach die Bajonette in die Erde stößt?

Unsere Antwort: der Krieg kann weder dadurch beendet werden, dass man einfach die Bajonette in die Erde stößt, noch überhaupt durch die einseitige Weigerung eines der kriegführenden Länder. Es gibt und es kann nur ein praktisches, sofortiges Mittel geben, den Frieden zu beschleunigen (außer dem Sieg der Arbeiterrevolution über die Kapitalisten), nämlich: die Verbrüderung der Soldaten an der Front.

Sofortige, energischste, allseitige, bedingungslose Förderung der Verbrüderung der Soldaten beider kriegführenden Gruppen an der Front durch uns.

Eine solche Verbrüderung hat bereits begonnen, wir wollen sie fördern.

Das sind unsere Auffassungen. Wir sind fest überzeugt, dass die Mehrheit des Volkes sie nicht bezeichnen wird als „nicht minder schädlich als irgendeine konterrevolutionäre Propaganda von rechts".

Kommentare