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Wladimir I. Lenin 19170509 Vorwort zu dem Buch „Der Imperialismus als jüngste Etappe des Kapitalismus"

Wladimir I. Lenin: Vorwort zu dem Buch „Der Imperialismus als jüngste Etappe des Kapitalismus"

[Geschrieben am 9. Mai (26. April) 1917 Veröffentlicht 1917 in dem Buche: „Der Imperialismus als jüngste Etappe des Kapitalismus". Nach Sämtliche Werke, Band 20.1, Wien-Berlin 1928, S. 380 f.]

Die Schrift, die ich hiermit dem Leser vorlege, ist im Frühjahr 1916 in Zürich entstanden. Bei den dortigen Arbeitsverhältnissen litt ich natürlich unter einem gewissen Mangel an französischer und englischer und einem noch größeren Mangel an russischer Literatur. Das grundlegende englische Werk über den Imperialismus von J. A. Hobson konnte ich jedoch mit der Aufmerksamkeit verwerten, die diese Arbeit meiner Überzeugung nach verdient.1

Die Schrift ist verfasst im Hinblick auf die zaristische Zensur. Aus diesem Grunde war ich nicht nur gezwungen, mich strengstens auf die theoretische – insbesondere ökonomische – Analyse zu beschränken, sondern auch die wenigen unumgänglichen politischen Hinweise mit der größten Vorsicht zu formulieren, in Andeutungen, gewissermaßen durch die Blume zu sprechen, in jener verfluchten Sprache, zu der der Zarismus alle Revolutionäre nötigte, sobald sie die Feder in die Hand nahmen, um etwas „Legales" zu schreiben.

Es fällt schwer, jetzt, in den Tagen der Freiheit, diese durch die Rücksicht auf die zaristische Zensur entstellten, verkrüppelten, gleichsam in eiserne Schrauben gepressten Stellen der Broschüre wieder zu lesen. Dass der Imperialismus den Vorabend der sozialistischen Revolution bedeutet, dass der Sozialchauvinismus (Sozialismus in Worten, Chauvinismus in Taten) gleichbedeutend ist mit dem völligen Verrat am Sozialismus, mit dem vollständigen Übergang zur Bourgeoisie, dass diese Spaltung innerhalb der Arbeiterbewegung im Zusammenhang mit den objektiven Bedingungen des Imperialismus steht u. a. m. – darüber musste ich in der „Sklavensprache" reden, und so möchte ich den Leser, der sich für die Frage interessiert, auf den bald erscheinenden Neudruck meiner in den Jahren 1914-1917 im Ausland geschriebenen Aufsätze verweisen2. Es sei besonders eine Stelle auf Seite 119 u. 120 hervorgehoben: um in zensurfähiger Form dem Leser klarzumachen, wie schamlos die Kapitalisten und die auf ihre Seite übergegangenen Sozialchauvinisten (gegen die Kautsky so inkonsequent kämpft) in der Frage der Annexionen lügen, wie schamlos sie die Annexionen ihrer Kapitalisten bemänteln, war ich gezwungen, als Beispiel … Japan zu wählen! Der aufmerksame Leser wird mit Leichtigkeit an Stelle Japans Russland setzen und an Stelle Koreas Finnland, Polen, Kurland, die Ukraine, Chiwa, Buchara, Estland und die anderen von Nicht-Großrussen besiedelten Gebiete.

Ich will hoffen, dass meine Broschüre zur Klärung jener ökonomischen Grundfrage beitragen wird, ohne deren Studium der jetzige Krieg und die jetzige Politik absolut nicht zu verstehen sind, nämlich der Frage nach dem ökonomischen Wesen des Imperialismus.

1 Siehe J. A. Hobson, „Imperialism", London 1902.

2 Gemeint ist das Buch „Gegen den Strom", eine Sammlung von Aufsätzen Lenins und Sinowjews aus der Kriegszeit; in deutscher Sprache erschienen 1921, Verlag der Kommunistischen Internationale.

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