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Wladimir I. Lenin 19171014 Werden die Bolschewiki die Macht behaupten?

Wladimir I. Lenin: Werden die Bolschewiki die Macht behaupten?

[Geschrieben am 7.-14. Oktober (24. September - 1. Oktober) 1917 Veröffentlicht im Oktober 1917 in der Zeitschrift „Prosweschtschenije",1 Nr. 1-2. Nach Sämtliche Werke, Band 21, Wien-Berlin 1931, S. 311-362]

Worüber sind sich mit Ausnahme der Bolschewiki alle Richtungen von der „Rjetsch" bis einschließlich „Nowaja Schisn", von den Kadetten-Kornilowisten bis zu den Halbbolschewiki einig?

Darin, dass die Bolschewiki es entweder niemals wagen werden, allein die ganze Staatsmacht zu übernehmen, oder dass sie, wenn sie es wagen und die Staatsgewalt ergreifen, diese nicht einmal die allerkürzeste Zeit werden halten können.

Wenn irgend jemand einwenden wird, dass die Frage der Übernahme der ganzen Staatsmacht durch die Bolschewiki allein eine ganz unreale politische Frage sei, dass nur schlimmster Eigendünkel irgendeines „Fanatikers" sie für real halten könne, so werden wir diesen Einwand widerlegen, indem wir die Erklärungen der verantwortlichsten und einflussreichsten politischen Parteien und Richtungen verschiedener „Färbung" genau anführen.

Zunächst aber zwei Worte zur ersten der angedeuteten Fragen: Werden es die Bolschewiki wagen, allein die ganze Staatsmacht zu übernehmen? Ich hatte schon auf dem Allrussischen Rätekongress Gelegenheit, diese Frage mit einem kategorischen Ja zu beantworten, und zwar in einem Zwischenruf, den ich während einer der Ministerreden Zeretellis machte.2 Und ich bin weder in der Presse noch in mündlichen Äußerungen auf Erklärungen der Bolschewiki gestoßen, dass wir allein die Macht nicht übernehmen sollten. Ich stehe nach wie vor auf dem Standpunkt, dass eine politische Partei im Allgemeinen, die Partei der fortgeschrittensten Klasse aber im Besonderen, keine Existenzberechtigung hätte, dass sie unwürdig wäre, als Partei betrachtet zu werden, und in jeder Hinsicht eine jämmerliche Null wäre, wenn sie auf die Macht verzichtete in einem Augenblick, in dem sie die Möglichkeit hat, sie zu ergreifen.

Wir wollen nun die Erklärungen der Kadetten, der Sozialrevolutionäre und der Halbbolschewiki (ich möchte lieber Viertelbolschewiki sagen) zu der uns interessierenden Frage anführen.

Der Leitartikler der „Rjetsch" vom 16. September schreibt: „… Unstimmigkeit und Wirrwarr herrschen im Saale des Alexandertheaters, und die sozialistische Presse spiegelt dasselbe Bild wider. Durch Bestimmtheit und Geradlinigkeit zeichnet sich nur der Standpunkt der Bolschewiki aus. In der Beratung ist dies der Standpunkt der Minderheit, in den Räten ist es die immer stärker werdende Strömung. Aber trotz ihrer ganzen rednerischen Angriffslust, ihrer prahlerischen Phrasen, ihres zur Schau getragenen Selbstvertrauens sind die Bolschewiki, mit Ausnahme einiger weniger Fanatiker, bloße Maulhelden. Die ,ganze Macht' zu übernehmen, würden sie aus eigenem Antrieb nicht versuchen. Desorganisatoren und Zerstörer par excellence, sind sie im Grunde Feiglinge, die sich in der Tiefe ihrer Seele sowohl ihrer Unwissenheit als auch der Kurzlebigkeit ihrer gegenwärtigen Erfolge sehr gut bewusst sind. Genau so gut wie wir alle verstehen auch sie, dass der erste Tag ihres endgültigen Triumphes zugleich auch der erste Tag ihres jähen Niederganges sein müsste. Von Natur aus verantwortungslos, ihren Methoden und Mitteln nach Anarchisten, sind sie nur als eine der Richtungen des politischen Denkens – oder besser als eine seiner Abirrungen – denkbar. Die beste Art, den Bolschewismus auf lange Jahre loszuwerden, ihn zu erledigen, wäre, die Geschicke des Landes in die Hände der bolschewistischen Führer zu legen. Und wäre nicht das Bewusstsein der Unzulässigkeit und der Verderblichkeit solcher Experimente, so könnte man sich aus Verzweiflung auch zu einem solchen heroischen Mittel entschließen. Zum Glück, wir wiederholen es, streben diese traurigen Helden des Tages in Wirklichkeit selber keineswegs nach der Ergreifung der ganzen Staatsmacht. Kommt doch für sie eine schöpferische Arbeit unter keinen Umständen in Frage. Daher beschränkt sich ihre ganze Bestimmtheit und Geradlinigkeit auf die Sphäre der politischen Tribüne, der Versammlungsphraseologie. Praktisch kommt ihre Position von keinem Gesichtspunkte aus in Betracht. Übrigens: in einer Beziehung hat sie auch eine gewisse reale Wirkung: Sie vereinigt alle übrigen Schattierungen des ,sozialistischen Denkens' in der Ablehnung ihres Standpunkts …"3

So urteilen die Kadetten. Und nun der Standpunkt der größten, der „herrschenden und regierenden" Partei Russlands, der „Sozialrevolutionäre", in einem gleichfalls nicht gezeichneten, also redaktionellen Leitartikel ihres offiziellen Organs „Djelo Naroda" vom 21. September:

„ … Wenn die Bourgeoisie nicht gewillt ist, bis zur Konstituierenden Versammlung mit der Demokratie auf dem Boden der von der Beratung bestätigten Plattform zusammen zu arbeiten, dann muss sich die Koalition eben innerhalb der Konferenzparteien bilden. Das ist ein schweres Opfer für die Verteidiger der Koalition, doch müssen mit ihr auch die Verfechter der Idee einer ,reinen Linie' der Macht einverstanden sein. Wir befürchten jedoch, dass eine Verständigung hier vielleicht doch nicht zustande kommt. Und dann bleibt die dritte und letzte Kombination: dann ist jener Teil der Beratung verpflichtet die Macht zu organisieren, der prinzipiell die Idee ihrer Homogenität verteidigte.

Sagen wir es klar: die Bolschewiki werden verpflichtet sein, das Kabinett zu bilden. Sie haben der revolutionären Demokratie den Hass gegen die Koalition mit allergrößter Energie eingeimpft, ihr von der Beseitigung der ,Kompromisspolitik' alles Heil versprochen und alles Elend des Landes auf diese Politik zurückgeführt.

Wenn sie sich der Tragweite ihrer Agitation bewusst waren, wenn sie die Massen nicht betrogen haben, so sind sie verpflichtet, die so freigebig ausgestellten Wechsel einzulösen.

Die Frage ist deutlich gestellt.

Und mögen sie keine zwecklosen Anstrengungen machen, sich hinter in Eile geschaffenen Theorien von der Unmöglichkeit einer Machtübernahme zu verstecken.

Solche Theorien wird die Demokratie nicht gelten lassen.

Die Anhänger der Koalition müssen ihnen aber zugleich volle Unterstützung garantieren. Dies sind die drei Kombinationen, die drei Wege, vor denen wir stehen, – andere gibt es nicht!" (Sperrungen vom „Djelo Naroda".)4

So urteilen die Sozialrevolutionäre. Und nun endlich die „Stellung" (wenn man den Versuch, zwischen zwei Stühlen zu sitzen, eine Stellung nennen kann) der „Viertelbolschewiki" von der „Nowaja Schisn". Wir entnehmen sie dem redaktionellen Leitartikel der „Nowaja Schisn" vom 23. September:

„… Wenn die Koalition mit Konowalow und Kischkin wieder zustande kommt, so wird das nichts anderes bedeuten als eine neue Kapitulation der Demokratie und die Aufhebung der Resolution der Beratung über eine verantwortliche Regierung auf der Plattform vom 14. August5

Ein homogenes Ministerium der Menschewiki und Sozialrevolutionäre wird sich seiner Pflicht zur Rechenschaftslegung ebenso wenig bewusst sein können, wie die verantwortlichen sozialistischen Minister im Koalitionskabinett sich der ihrigen bewusst waren… Eine solche Regierung wäre nicht nur nicht imstande, die ,lebendigen Kräfte' der Revolution um sich zu sammeln, sie könnte auch auf keine einigermaßen aktive Unterstützung ihrer proletarischen Avantgarde rechnen.

Kein besserer, sondern ein noch schlechterer Ausweg aus der Situation, eigentlich gar kein Ausweg, sondern einfach eine Katastrophe wäre jedoch die Bildung eines homogenen Kabinetts von anderem Typus, einer Regierung ,des Proletariats und der ärmsten Bauernschaft'. Allerdings wird eine solche Losung auch von niemand aufgestellt, außer in gelegentlichen schüchternen und nachträglich systematisch ,richtiggestellten' Bemerkungen des ,Rabotschij Putj'…“

Diese schreiende Unwahrheit schreiben ,mutig' jene verantwortlichen Publizisten nieder, die selbst sogar den Leitartikel des ,Djelo Naroda' vom 21. September vergessen haben …

Formell haben jetzt die Bolschewiki die Losung: ,Alle Macht den Räten' auferstehen lassen. Sie ließen diese Losung fallen, als die Räte nach den Julitagen durch ihr Zentralexekutivkomitee entschieden den Weg der aktiven antibolschewistischen Politik betraten. Jetzt aber kann die ,Rätelinie' nicht nur als wiederhergestellt betrachtet werden, man hat sogar alle Ursache, zu erwarten, dass der geplante Rätekongress eine bolschewistische Mehrheit ergeben wird. Unter diesen Umständen ist die von den Bolschewiki wieder aufgenommene Losung: ,Alle Macht den Räten' eine ,taktische Linie', die geradenwegs auf die Diktatur des Proletariats und der ,ärmsten Bauernschaft' hinzielt. Zwar versteht man unter Räten auch die Räte der Bauerndeputierten, und somit setzt die bolschewistische Losung eine Regierung voraus, die sich auf den überwiegenden Teil der ganzen Demokratie Russlands stützt. In diesem Falle verliert jedoch die Losung: ,Alle Macht den Räten' ihre selbständige Bedeutung, da sie die Räte auf Grund ihrer Zusammensetzung mit dem von der Beratung gebildeten ,Vorparlament' fast gleichbedeutend macht!" …

Diese Behauptung der „Nowaja Schisn" ist eine ganz schamlose Lüge und kommt der Erklärung gleich, dass eine Imitation und eine Verfälschung des Demokratismus mit dem Demokratismus „fast gleichbedeutend" sei. Das Vorparlament ist eine Fälschung, die den Willen einer Minderheit des Volkes, besonders den der Kuskowa, Berkenheim, Tschaikowski und Co., für den Willen der Mehrheit ausgibt. Das zum ersten. Zweitens haben selbst die von den Awksentjew und Tschaikowski verfälschten Bauernräte auf der Beratung einen so hohen Prozentsatz von Koalitionsgegnern gestellt, dass sich im Verein mit den Räten der Arbeiter- und Soldatendeputierten unbedingt der Sturz der Koalition ergeben hätte. Drittens bedeutet: „Alle Macht den Räten", dass die Macht der Bauernräte sich hauptsächlich auf das flache Land erstrecken würde, in den Dörfern aber ist das Überwiegen der ärmsten Bauern gesichert…

Ist das nun ein dasselbe, so muss die bolschewistische Losung unverzüglich von der Tagesordnung abgesetzt werden. Verdeckt aber die Losung: ,Die Macht den Räten' nur die Diktatur des Proletariats, so bedeutet diese Macht eben die Niederlage und den Zusammenbruch der Revolution.

Muss denn noch bewiesen werden, dass das nicht nur von den übrigen Klassen des Landes, sondern auch von den wirklichen lebendigen Kräften der Demokratie isolierte Proletariat weder imstande sein wird, sich technisch des Staatsapparates zu bemächtigen und ihn in der jetzigen außerordentlich komplizierten Situation in Gang zu setzen, noch politisch fähig sein wird, dem Druck aller feindlichen Kräfte zu widerstehen, der nicht nur die Diktatur des Proletariats, sondern mit ihr die ganze Revolution hinwegfegen würde?

Die einzige Regierung, die den Forderungen des Augenblicks entspricht, ist jetzt eine wirklich ehrliche Koalition innerhalb der Demokratie …"6

Der Leser möge uns die langen Auszüge verzeihen; sie waren aber unbedingt notwendig. Es war notwendig, die Stellung der verschiedenen bolschewiki-feindlichen Parteien genau darzulegen. Es war notwendig, den äußerst wichtigen Umstand genau zu beweisen, dass alle diese Parteien die Übernahme der gesamten Staatsmacht durch die Bolschewiki allein nicht nur als eine durchaus reale, sondern auch als eine aktuelle, als eine Tagesfrage anerkannt haben.

Gehen wir jetzt zur Analyse jener Argumente über, auf die gestützt „alle", von den Kadetten bis zu den „Nowaja Schisn"-Leuten, überzeugt sind, dass die Bolschewiki die Macht nicht werden behaupten können.

Die solide „Rjetsch" führt überhaupt gar keine Argumente an. Sie überschüttet lediglich die Bolschewiki mit den erlesensten und wütendsten Schimpfworten. Das von uns angeführte Zitat beweist unter anderem, wie völlig unrichtig es wäre, anzunehmen, dass die „Rjetsch" die Bolschewiki zur Machtergreifung „provoziere", und darum: „Hütet euch, Genossen, denn das, was der Feind rät, ist sicher schlecht!" Wenn wir, anstatt alle Erwägungen sowohl allgemeiner wie konkreter Natur sachlich zu prüfen, uns dadurch „überzeugen" lassen, dass die Bourgeoisie uns zur Machtergreifung „provoziere", so werden wir als die von der Bourgeoisie Geprellten dastehen, denn die Bourgeoisie wird ganz bestimmt immer hasserfüllt Millionen Übel als Folge der Machtergreifung durch die Bolschewiki prophezeien, sie wird immer wütend schreien: „Am besten wäre es, sich die Bolschewiki mit einem Schlag und auf lange Zeit vom Halse zu schaffen, indem man sie die Macht ergreifen lässt und dann kaputt schlägt." Ein solches Geschrei wäre zwar, wenn man will, ebenfalls eine „Provokation", nur im umgekehrten Sinne. Die Kadetten und die Bourgeois „raten" uns durchaus nicht und haben uns niemals „geraten", die Macht zu ergreifen; sie versuchen nur, uns durch die angebliche Unlösbarkeit der Machtaufgaben einzuschüchtern.

Nein. Wir dürfen uns durch das Geschrei der erschreckten Bourgeois nicht einschüchtern lassen. Wir müssen daran festhalten, dass wir uns niemals „unlösbare" gesellschaftliche Aufgaben gestellt haben, die vollkommen lösbaren Aufgaben der sofortigen Schritte zum Sozialismus aber, als dem einzigen Ausweg aus einer äußerst schwierigen Lage, wird nur die Diktatur des Proletariats und der ärmsten Bauernschaft lösen. Ein Sieg, und dazu ein dauerhafter Sieg, ist jetzt mehr denn je und mehr denn irgendwo sonst dem Proletariat in Russland sicher, wenn es die Macht ergreift.

Wir wollen rein praktisch die konkreten Umstände erwägen, die den einen oder anderen Augenblick ungünstig gestalten, aber uns keinen Augenblick durch das wilde Geheul der Bourgeoisie einschüchtern lassen und nicht vergessen, dass die Frage der Übernahme der gesamten Macht durch die Bolschewiki wirklich zur Tagesfrage geworden ist. Jetzt droht unserer Partei eine sehr viel größere Gefahr, wenn wir das vergessen, als wenn wir die Machtergreifung als „verfrüht" ansehen. In dieser Hinsicht kann es ein „verfrüht" jetzt nicht geben: dafür sprechen von einer Million Chancen alle mit Ausnahme vielleicht von einer oder zwei.

Über die boshaften Beschimpfungen der „Rjetsch" kann und muss man sagen:

Nicht in des Lobes sanft Tribut,

Im wilden Hassgeheul der Wut

Erlauschen wir des Beifalls Stimme.

Dass die Bourgeoisie uns so wild hasst, ist eine der anschaulichsten Erläuterungen der Wahrheit, dass wir dem Volke die richtigen Wege und Mittel zum Sturze der Herrschaft der Bourgeoisie zeigen.

Das „Djelo Naroda" geruhte dieses Mal, als seltene Ausnahme, uns nicht mit seinem Geschimpfe zu beehren, führte aber auch nicht die Spur eines Beweises an. Es versucht nur, uns indirekt, durch Andeutungen mit der Aussicht zu schrecken: „Die Bolschewiki werden verpflichtet sein, das Kabinett zu bilden." Ich kann mir sehr gut denken, dass die Sozialrevolutionäre, die uns schrecken möchten, selbst ganz aufrichtig zu Tode erschreckt sind durch das Gespenst der erschreckten Liberalen. Ebenso kann ich mir denken, dass es den Sozialrevolutionären gelingen mag, in irgendwelchen besonders hohen und besonders faulen Institutionen von der Art des Zentralexekutivkomitees und in ihm ähnlichen „Kontakt“-Kommissionen (d. h. mit den Kadetten in Verbindung stehenden, einfach ausgedrückt, sich mit den Kadetten verbrüdernden Kommissionen) einzelne Bolschewiki einzuschüchtern; denn erstens ist die Atmosphäre in allen diesen Zentralexekutivkomitees, im „Vorparlament" usw. widerlich und stickig bis zum Erbrechen, ein längeres Einatmen dieser Atmosphäre für jeden Menschen schädlich, – und zweitens ist Aufrichtigkeit ansteckend, und ein aufrichtig eingeschüchterter Philister ist fähig, sogar einen einzelnen Revolutionär vorübergehend in einen Philister zu verwandeln.

Doch so „menschlich" verständlich dieser aufrichtige Schreck des Sozialrevolutionärs auch sein mag, den das Missgeschick traf, mit den Kadetten Minister zu sein oder als Ministeriabler den Kadetten gegenüberzustehen, so ist es doch ein politischer Fehler, der zu leicht an den Verrat am Proletariat grenzen kann, sich schrecken zu lassen. Heraus mit den sachlichen Argumenten, ihr Herren! Hofft nicht, dass wir uns durch euern Schreck werden schrecken lassen!

Sachliche Argumente finden wir diesmal nur in der „Nowaja Schisn". Sie tritt diesmal als Anwalt der Bourgeoisie auf, in einer Rolle, die dieser „in jeder Hinsicht angenehmen Dame" viel besser zu Gesicht steht als die sie offenbar „schockierende" Rolle einer Verteidigerin der Bolschewiki.

Der Anwalt stellt sechs Argumente auf:

1. Das Proletariat „ist von den übrigen Klassen des Landes isoliert".

2. Es „ist von den wirklich lebendigen Kräften der Demokratie isoliert".

3. Es „wird nicht imstande sein, sich technisch des Staatsapparats zu bemächtigen".

4. Es wird diesen Apparat „nicht in Gang setzen können".

5. „Die Situation ist außerordentlich kompliziert".

6. Das Proletariat „wird nicht fähig sein, dem gewaltigen Druck der feindlichen Kräfte zu widerstehen, der nicht nur die Diktatur des Proletariats, sondern mit ihr die ganze Revolution hinwegfegen wird".

Das erste Argument ist von der „Nowaja Schisn" geradezu lächerlich ungeschickt dargelegt, denn wir kennen in der kapitalistischen und halb kapitalistischen Gesellschaft nur drei Klassen: Bourgeoisie, Kleinbürgertum (mit der Bauernschaft als dessen Hauptvertreter) und Proletariat. Welchen Sinn hat es nun, von einer Isolierung des Proletariats von den übrigen Klassen zu sprechen, wo es sich um den Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie, um eine Revolution gegen die Bourgeoisie handelt?

Wahrscheinlich wollte die „Nowaja Schisn" sagen, dass das Proletariat von der Bauernschaft isoliert sei, denn von den Gutsbesitzern konnte doch hier wirklich nicht die Rede sein. Man konnte aber nicht klar und deutlich sagen, das Proletariat sei jetzt von der Bauernschaft isoliert, denn die schreiende Unrichtigkeit einer solchen Behauptung springt in die Augen.

Es ist schwer vorstellbar, dass in irgendeinem kapitalistischen Lande das Proletariat so wenig vom Kleinbürgertum isoliert wäre – und wohlgemerkt, in einer Revolution gegen die Bourgeoisie – wie heute das Proletariat in Russland. An objektiven und unbestreitbaren Belegen dafür liegen uns die neuesten Abstimmungsergebnisse für und gegen die Koalition mit der Bourgeoisie vor, nach den „Kurien" der Zeretellischen „Bulyginschen Duma", d. h. der berüchtigten „Demokratischen" Beratung zusammengestellt. Die Kurien der Räte ergeben:


Für die Koalition

Gegen die Koalition

Arbeiter- und Soldaten-Deputiertenräte

83

192

Bauern-Deputiertenräte

102

70

Zusammen:

185

262

Die Mehrheit ist also im Ganzen für die proletarische Losung: Gegen die Koalition mit der Bourgeoisie. Und wir haben schon oben gesehen, dass selbst die Kadetten gezwungen sind, das Erstarken des bolschewistischen Einflusses in den Räten anzuerkennen. Dabei handelt es sich hier um eine Beratung, einberufen durch die gestrigen Führer in den Räten, die Sozialrevolutionäre und Menschewiki, die in den zentralen Körperschaften eine gesicherte Mehrheit besaßen! Es ist klar, dass das tatsächliche Übergewicht der Bolschewiki in den Räten hier zu gering veranschlagt ist.

Sowohl hinsichtlich der Koalition mit der Bourgeoisie als auch hinsichtlich der sofortigen Übergabe der grundherrlichen Ländereien an die Bauernkomitees besitzen die Bolschewiki schon jetzt die Mehrheit in den Räten der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten, die Mehrheit des Volkes, die Mehrheit des Kleinbürgertums. „Rabotschi Putj", Nr. 19 vom 24. September zitiert aus Nr. 25 des Sozialrevolutionären Organs „Snamja Truda"7 Nachrichten über die am 18. September in Petrograd abgehaltene Konferenz der Bauerndeputiertenräte der Provinzen.8 Auf dieser Konferenz stimmten für die uneingeschränkte Koalition die Exekutivkomitees von vier Bauernräten (die der Gouvernements Kostroma, Moskau, Samara, Taurien). Für die Koalition unter Ausschluss der Kadetten traten die Exekutivkomitees von drei Gouvernements und zwei Armeen (die der Gouvernements Wladimir, Rjasan und Schwarzmeer-Gebiet) ein. Gegen die Koalition aber stimmten die Exekutivkomitees von 23 Gouvernements und vier Armeen.

Die Mehrheit der Bauern ist also gegen die Koalition!

So sieht die „Isolierung des Proletariats" aus.

Man muss übrigens beachten, dass sich für die Koalition drei Randgouvernements ausgesprochen haben, die Gouvernements Samara, Taurien und Schwarzmeer-Gebiet, wo es verhältnismäßig sehr viele reiche Bauern und Großgrundbesitzer gibt, die Lohnarbeiter beschäftigen, sowie vier industrielle Gouvernements (Wladimir, Rjasan, Kostroma und Moskau), in denen die Dorfbourgeoisie ebenfalls stärker ist als in den meisten Gouvernements Russlands. Es wäre interessant, genauere Daten zu dieser Frage zu sammeln, um ein Bild von der Haltung gerade der ärmsten Bauern in jenen Gouvernements zu gewinnen, in denen die „reichen" Bauern überwiegen.

Es ist ferner interessant, dass in den „nationalen Gruppen" die Koalitionsgegner in der starken Mehrheit von 40 gegen 15 Stimmen waren. Die annexionistische, brutale Gewaltpolitik des Bonapartisten Kerenski und Konsorten gegen die nicht voll berechtigten Nationen Russlands hat ihre Früchte getragen. Die breite Masse der Bevölkerung der unterdrückten Nationen, d. h. die Masse ihrer Kleinbürger, vertraut dem Proletariat Russlands mehr als der Bourgeoisie, denn die Geschichte hat hier den Befreiungskampf der unterdrückten Nationen gegen ihre Unterdrücker auf die Tagesordnung gesetzt. Die Bourgeoisie hat die Sache der Freiheit der unterdrückten Nationen schändlich verraten, das Proletariat bleibt der Sache der Freiheit treu.

Die nationale Frage und die Agrarfrage sind für die kleinbürgerlichen Massen der Bevölkerung Russlands gegenwärtig die Kernfragen. Das ist unbestreitbar. Und in beiden Fragen ist das Proletariat ganz und gar nicht „isoliert". Es hat die Mehrheit des Volkes hinter sich. Es ist allein fähig, in diesen beiden Fragen, eine so entschiedene, wirklich „revolutionär-demokratische" Politik zu machen, die der proletarischen Staatsgewalt sofort nicht nur die Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung, sondern auch einen wahren revolutionären Begeisterungssturm in den Massen sichern würde. Denn zum ersten Mal würden die Massen bei der Regierung nicht auf schonungslose Unterdrückung der Bauern durch die Gutsbesitzer, der Ukrainer durch die Großrussen stoßen, wie unter dem Zarismus, nicht auf das durch hochtrabende Phrasen verhüllte Streben, eine ähnliche Politik in der Republik fortzusetzen, nicht auf Schikanen, Unrecht, Intrigen und Verschleppungen, Listen und Kniffe (alles, womit Kerenski die Bauern und die unterdrückten Nationen bedenkt), sondern sie würden eine durch die Tat bewiesene warme Sympathie finden, sofortige und revolutionäre Maßnahmen gegen die Gutsbesitzer, die sofortige Wiederherstellung der vollen Freiheit für Finnland, die Ukraine, Weißrussland, für die Mohammedaner usw.

Die Herren Sozialrevolutionäre und Menschewiki wissen das sehr gut und suchen deshalb die halbkadettischen Spitzen der Genossenschaften als Hilfskräfte für ihre reaktionär-demokratische Politik gegen die Massen heranzuziehen. Deshalb werden sie es niemals wagen, die Massen zu befragen, einen Volksentscheid oder auch nur eine Abstimmung in allen lokalen Räten, in allen Lokalorganisationen über bestimmte Fragen der praktischen Politik herbeizuführen, zum Beispiel darüber, ob alle grundherrlichen Ländereien sofort den Bauernkomitees übergeben werden sollen, ob die eine oder andere Forderung der Finnen oder der Ukrainer erfüllt werden soll und dergleichen mehr.

Und nun die Friedensfrage, diese Kardinalfrage des ganzen gegenwärtigen Lebens. Das Proletariat sei „von den übrigen Klassen isoliert" … Das Proletariat tritt hier wahrlich als Vertreter der gesamten Nation, aller lebendigen und ehrlichen Elemente aller Klassen, als Vertreter der ungeheuren Mehrheit des Kleinbürgertums auf. Denn nur das Proletariat wird sofort nach der Erlangung der Macht allen kriegführenden Völkern einen gerechten Frieden anbieten, und nur das Proletariat wird zu wirklich revolutionären Maßnahmen bereit sein (Veröffentlichung der Geheimverträge usw.), um möglichst schnell einen möglichst gerechten Frieden herbeizuführen.

Nein. Die Herren von der „Nowaja Schisn", die über Isolierung des Proletariats schreien, bringen damit nur ihre subjektive Einschüchterung durch die Bourgeoisie zum Ausdruck. Die objektive Lage der Dinge in Russland ist zweifellos derart, dass das Proletariat gerade jetzt von der Mehrheit des Kleinbürgertums nicht „isoliert" ist. Gerade jetzt, nach der traurigen Erfahrung der „Koalition" hat das Proletariat die Sympathien der Mehrheit des Volkes auf seiner Seite. Diese Bedingung für die Behauptung der Macht durch die Bolschewiki ist vorhanden.

Das zweite Argument besteht darin, dass das Proletariat „von den wirklich lebendigen Kräften der Demokratie isoliert" sei. Was das bedeuten soll, ist unerfindlich. Es ist wahrscheinlich „griechisch", wie die Franzosen in solchen Fällen zu sagen pflegen.

Die Schreiber der „Nowaja Schisn" sind ein ministeriables Volk. Sie wären sehr gut zu Ministern in einem Kadettenkabinett geeignet. Denn von solchen Ministern wird eben die Fähigkeit verlangt, schön klingende und glatt geschniegelte Phrasen zu dreschen, die absolut keinen Sinn haben, mit denen jede Gemeinheit verschleiert werden kann und denen deshalb der Beifall der Imperialisten und Sozialimperialisten sicher ist. Der Beifall der Kadetten, der Breschkowskaja, Plechanow und Co. ist den Leuten von der „Nowaja Schisn" für die Behauptung, dass das Proletariat von den wirklich lebendigen Kräften der Demokratie isoliert sei, sicher. Denn indirekt wird hier gesagt —oder diese Behauptung wird so aufgefasst werden, als sei es gesagt worden —, dass die Kadetten, die Breschkowskaja, Plechanow, Kerenski und Co. „die lebendigen Kräfte der Demokratie" seien.

Das ist falsch. Es sind tote Kräfte. Das hat die Geschichte der Koalition bewiesen.

Die durch die Bourgeoisie und die bürgerlich-intellektuelle Umgebung eingeschüchterten Leute von der „Nowaja Schisn" sehen als „lebendig" den rechten Flügel der Sozialrevolutionäre und Menschewiki an, der sich in nichts Wesentlichem von den Kadetten in der Art der „Wolja Naroda", des „Jedinstwo" usw. unterscheidet. Wir aber halten für lebendig nur das, was mit den Massen und nicht mit den Kulaken verbunden ist, nur das, was durch die Lehren der Koalition von ihr abgestoßen wurde. Die „wirksamen lebendigen Kräfte" der kleinbürgerlichen Demokratie sind durch den linken Flügel der Sozialrevolutionäre und Menschewiki vertreten. Das Erstarken dieses linken Flügels, besonders nach der Juli-Konterrevolution, ist eines der sichersten objektiven Merkmale dafür, dass das Proletariat nicht isoliert ist.

Noch anschaulicher beweisen das die allerjüngsten Linksschwankungen der sozialrevolutionären Zentristen, die durch die Erklärung Tschernows vom 24. September, dass seine Gruppe die neue Koalition mit Kischkin und Co., nicht unterstützen könne, bestätigt sind.9 Diese Linksschwankungen der sozialrevolutionären Zentristen, die bisher die erdrückende Mehrheit der Vertreter der Sozialrevolutionären Partei stellten — der Partei, die nach der in den Städten und besonders auf dem Land auf sie entfallenden Stimmenzahl die vorherrschende ist —, beweisen, dass die oben von uns zitierten Äußerungen des „Djelo Naroda", wonach es unter gewissen Umständen für die Demokratie unumgänglich notwendig sein könne, einer rein bolschewistischen Regierung „volle Unterstützung zu garantieren", jedenfalls nicht bloße Phrasen sind.

Solche Tatsachen, wie die Weigerung des sozialrevolutionären Zentrums, die neue Koalition mit Kischkin zu unterstützen, oder das Überwiegen der Koalitionsgegner unter den auf dem Boden der Vaterlandsverteidigung stehenden Menschewiki aus der Provinz (Jordania im Kaukasus usw.), sind ein objektiver Beweis dafür, dass ein gewisser Teil der Massen, der bisher den Menschewiki und Sozialrevolutionären Gefolgschaft leistete, eine rein bolschewistische Regierung unterstützen wird.

Gerade von den lebendigen Kräften der Demokratie ist das Proletariat Russlands heute nicht isoliert.

Das dritte Argument: Das Proletariat „wird nicht imstande sein, sich technisch des Staatsapparats zu bemächtigen". Das ist wohl das gewöhnlichste, das gangbarste Argument. Es verdient die größte Aufmerksamkeit, sowohl aus diesem Grunde als auch, weil es auf eine der ernstesten und schwierigsten Aufgaben hinweist, denen das siegreiche Proletariat gegenüberstehen wird. Zweifellos sind diese Aufgaben sehr schwierig, doch wenn wir, die wir uns Sozialisten nennen, auf diese Schwierigkeit nur hinweisen werden, um uns vor der Lösung solcher Aufgaben zu drücken, so wird in der Praxis kein Unterschied mehr bestehen zwischen uns und den Handlangern der Bourgeoisie. Die Schwierigkeit der Aufgaben der proletarischen Revolution muss die Anhänger des Proletariats zum aufmerksameren und konkreteren Studium der Mittel anspornen, mit deren Hilfe diese Aufgaben bewältigt werden können.

Unter dem „Staatsapparat" wird vor allem das stehende Heer,, die Polizei und die Beamtenschaft verstanden. Wenn die Schreiber der „Nowaja Schisn" davon sprechen, dass das Proletariat sich dieses Apparats technisch nicht bemächtigen könne, so offenbaren sie das äußerste Unvermögen und die Abgeneigtheit, die Tatsachen des Lebens wie auch die Erwägungen, auf die in der bolschewistischen Literatur längst hingewiesen wurde, zu berücksichtigen.

Die Schreiber der „Nowaja Schisn" halten sich alle, wenn nicht gerade für Marxisten, so doch für Kenner des Marxismus, für gebildete Sozialisten. Marx hat aber auf Grund der Erfahrungen der Pariser Kommune gelehrt, dass sich das Proletariat nicht einfach der fertigen Staatsmaschine bemächtigen und sie für seine Zwecke in Gang setzen könne; das Proletariat müsse diese Maschine zerschlagen und sie durch eine neue ersetzen. (Darüber spreche ich ausführlicher in einer Broschüre, deren erstes Heft bereits fertiggestellt ist und demnächst unter dem Titel: „Staat und Revolution. Die marxistische Lehre vom Staate und die Aufgaben des Proletariats in der Revolution" erscheinen wird.) Die Pariser Kommune hat eine solche geschaffen, und einen „Staatsapparat" desselben Typus stellen auch die russischen Räte der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten dar. Auf diesen Umstand habe ich seit dem 4. April 1917 sehr oft hingewiesen, davon ist in den Resolutionen der bolschewistischen Konferenzen wie auch in der bolschewistischen Literatur oft die Rede. Die „Nowaja Schisn" hätte natürlich erklären können, dass sie völlig anderer Ansicht sei als Marx und die Bolschewiki, aber dieser Frage ganz auszuweichen, ist ein geistiges Armutszeugnis für eine Zeitung, die die Bolschewiki wegen ihres angeblich unernsten Verhaltens gegenüber schwierigen Fragen so oft und so hochnäsig beschimpft.

Das Proletariat kann sich des „Staatsapparates" nicht „bemächtigen", ihn nicht „in Gang setzen". Es kann aber alles zerschlagen, was im alten Staatsapparat unterdrückend, routinenhaft, unverbesserlich-bürgerlich ist, und kann an dessen Stelle seinen eigenen, neuen Apparat setzen. Dieser Apparat sind eben die Räte der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten.

Man muss es schon geradezu als ungeheuerlich bezeichnen, dass die „Nowaja Schisn" diesen „Staatsapparat" ganz vergessen hat. Die Leute von der „Nowaja Schisn", die solche theoretische Erwägungen anstellen, tun auf dem Gebiete der politischen Theorie im Grunde das, was die Kadetten in der politischen Praxis tun. Denn wenn das Proletariat und die revolutionäre Demokratie wirklich keinerlei neuen Staatsapparat brauchen, dann verlieren die Räte ja jede raison d'être, jede Existenzberechtigung, dann haben ja die Kadetten-Kornilowisten recht, wenn sie die Räte beseitigen wollen.

Das ist ein ungeheuerlicher theoretischer Fehler, und die politische Blindheit der „Nowaja Schisn" ist um so ungeheuerlicher, als sogar die Menschewiki-Internationalisten (mit denen die Leute der „Nowaja Schisn" bei den letzten Wahlen zur Petrograder Stadtduma einen Block gebildet hatten) in dieser Frage eine gewisse Annäherung an die Bolschewiki gezeigt haben. So lesen wir in der vom Genossen Martow auf der Demokratischen Beratung verlesenen Deklaration der Rätemehrheit:

„… Die Räte der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten, in den ersten Tagen der Revolution von dem mächtigen Ausbruch echter schöpferischer Kraft des Volkes ins Leben gerufen, bilden jenes neue Gewebe der revolutionären Staatlichkeit, die das morsche Gewebe der Staatlichkeit des alten Regimes ersetzt…"10

Das ist etwas zu schön gesagt, d. h. die Gewundenheit des Ausdrucks verdeckt hier die mangelnde Klarheit des politischen Gedankens. Die Räte haben das alte „Gewebe" noch nicht ersetzt, und dieses alte „Gewebe" ist nicht die Staatlichkeit des alten Regimes, sondern die Staatlichkeit sowohl des Zarismus als auch der bürgerlichen Republik. Doch überragt Martow hier auf jeden Fall die Leute von der „Nowaja Schisn" um zwei Köpfe.

Die Räte sind der neue Staatsapparat, der erstens den Arbeitern und Bauern die bewaffnete Macht gibt, wobei diese Macht nicht wie die Gewalt des alten stehenden Heeres vom Volke losgelöst, sondern auf das Engste mit ihm verbunden ist; in militärischer Hinsicht ist diese Macht unvergleichlich stärker als die früheren, in revolutionärer Hinsicht ist sie durch nichts anderes ersetzbar. Zweitens schafft dieser Apparat eine so enge, untrennbare, leicht zu kontrollierende und zu erneuernde Verbindung mit den Massen, mit der Mehrheit des Volkes, wie sie beim früheren Staatsapparat nicht einmal denkbar war. Drittens ist dieser Apparat dank der Wählbarkeit und Absetzbarkeit seines Bestandes durch den Willen des Volkes, ohne bürokratische Formalitäten, um vieles demokratischer als die früheren Apparate. Viertens schafft er eine feste Verbindung mit den verschiedensten Berufen, wodurch er die verschiedensten Reformen von tiefstgehender Bedeutung ohne Bürokratismus erleichtert. Fünftens schafft er eine Organisationsform der Avantgarde, d. h. des klassenbewusstesten, energischsten und fortgeschrittensten Teiles der unterdrückten Klassen, der Arbeiter und Bauern, und stellt auf diese Weise einen Apparat dar, mit dessen Hilfe die Vorhut der unterdrückten Klassen die ganze gigantische Masse dieser Klassen, die bis jetzt völlig außerhalb des politischen Lebens, außerhalb der Geschichte stand, heben, erziehen, lehren und führen kann. Sechstens gibt er die Möglichkeit, die Vorteile des Parlamentarismus zu vereinigen mit den Vorteilen der unmittelbaren und direkten Demokratie, d. h. in der Person der gewählten Volksvertreter die gesetzgebende Funktion mit der die Gesetze ausführenden zu verbinden. Im Vergleich mit dem bürgerlichen Parlamentarismus ist dies in der Entwicklung der Demokratie ein Schritt vorwärts von welthistorischer Bedeutung.

Unsere Räte im Jahre 1905 waren sozusagen nur Embryos, denn sie existierten bloß einige Wochen. Es ist klar, dass von ihrer allseitigen Entwicklung in den damaligen Verhältnissen keine Rede sein konnte. Auch in der Revolution von 1917 kann davon noch keine Rede sein, denn die Zeitspanne von einigen Monaten ist viel zu kurz, und was die Hauptsache ist: die sozialrevolutionären und die menschewistischen Führer haben die Räte prostituiert, sie zu Schwatzbuden, zum Anhängsel der Kompromisspolitik ihrer Führer degradiert. Die Räte faulten und verwesten lebendigen Leibes unter der Führung der Liber, Dan, Zeretelli, Tschernow. Sich wirklich entwickeln, ihre Anlagen und Fähigkeiten voll entfalten können die Räte erst nach der Ergreifung der ganzen Staatsgewalt, denn sonst haben sie nichts zu tun, sonst sind sie entweder einfache Keimzellen (und allzu lange kann man nicht Keimzelle sein) oder Spielzeug. Die „Doppelherrschaft" ist die Paralyse der Räte.

Hätte nicht die schöpferische Volkskraft der revolutionären Klassen die Räte hervorgebracht, so wäre die proletarische Revolution in Russland eine hoffnungslose Sache; denn mit dem alten Apparat würde das Proletariat die Macht zweifellos nicht halten können, ein neuer Apparat aber kann nicht sofort geschaffen werden. Die traurige Geschichte der Zeretelli-Tschernowschen Prostituierung der Räte, die Geschichte der „Koalition" ist zugleich die Geschichte der Befreiung der Räte von kleinbürgerlichen Illusionen, ihrer Wanderung durch das „Fegefeuer" des praktischen Studiums der ganzen Niedertracht und Unsauberkeit aller und jeglicher bürgerlicher Koalition. Wir wollen hoffen, dass dieses „Fegefeuer" den Räten keinen Schaden getan, sondern sie gestählt hat.

Die Hauptschwierigkeit der proletarischen Revolution liegt in der Verwirklichung der genauesten und gewissenhaftesten Rechnungsführung und Kontrolle, der Arbeiterkontrolle der Produktion und Verteilung der Produkte im allgemein-nationalen Rahmen.

Wenn die Schreiber der „Nowaja Schisn" uns entgegenhielten, wir verfielen in Syndikalismus, wenn wir die Losung der „Arbeiterkontrolle" aufstellen, so war dieser Einwand ein Musterbeispiel für die schülerhaft-einfältige Anwendung des nicht durchdachten, sondern nach Struvescher Manier auswendig gelernten „Marxismus". Der Syndikalismus lehnt entweder die revolutionäre Diktatur des Proletariats ab oder verweist sie, wie die politische Macht überhaupt, auf den letzten Platz. Wir stellen sie auf den ersten Platz. Sagt man einfach im Geiste der Leute von der „Nowaja Schisn": Keine Arbeiterkontrolle, sondern staatliche Kontrolle, so kommt eine bürgerlich-reformistische Phrase, eine im Grunde rein kadettische Formel heraus, denn gegen eine Beteiligung der Arbeiter an der „staatlichen" Kontrolle haben die Kadetten nichts einzuwenden. Die Kadetten-Kornilowisten wissen sehr gut, dass eine solche Beteiligung für die Bourgeoisie das beste Mittel ist, die Arbeiter übers Ohr zu hauen, das beste Mittel einer verfeinerten politischen Bestechung diverser Gwosdjew, Nikitin, Prokopowitsch, Zeretelli und dieser ganzen Bande.

Wenn wir sagen: „Arbeiterkontrolle", wobei wir diese Losung immer neben die Diktatur des Proletariats, immer unmittelbar nach ihr, stellen, so machen wir damit klar, von welchem Staate die Rede ist. Der Staat ist das Organ der Herrschaft einer Klasse. Welcher Klasse? Wenn der Bourgeoisie, so ist das eben eine kadettisch-kornilowsche-kerenskische Staatlichkeit, von der dem arbeitenden Volk in Russland schon seit über einem halben Jahre die Augen übergehen. Wenn des Proletariats, wenn vom proletarischen Staat, das heißt von der Diktatur des Proletariats die Rede ist, so kann die Arbeiterkontrolle zur allgemeinen, allumfassenden, allgegenwärtigen, genauesten und gewissenhaftesten Rechnungsführung über die Produktion und die Verteilung der Produkte werden.

Darin liegt die Hauptschwierigkeit, das ist die Hauptaufgabe der proletarischen, d. h. der sozialistischen Revolution. Ohne die Räte wäre diese Aufgabe, wenigstens für Russland, undurchführbar. Die Räte deuten jene organisatorische Arbeit des Proletariats an, durch die diese Aufgabe von welthistorischer Bedeutung gelöst werden kann.

Damit sind wir bei einer anderen Seite der Frage des Staatsapparates angelangt. Außer dem hauptsächlich „unterdrückenden" Apparat des stehenden Heeres, der Polizei und der Beamtenschaft gibt es im modernen Staat einen Apparat, der besonders eng mit den Banken und Syndikaten verbunden ist, einen Apparat, der eine große Kontroll- und Registrierungsarbeit leistet, wenn man sich so ausdrücken darf. Dieser Apparat darf und soll nicht zerschlagen werden. Man muss ihn seiner Unterordnung unter die Kapitalisten entreißen, die Kapitalisten und alle Fäden ihres Einflusses abschneiden, abschlagen, abhauen, ihn den proletarischen Räten unterordnen und breiter, umfassender, allgemeiner gestalten. Und das kann geschehen, wenn man sich auf die vom Großkapitalismus schon verwirklichten Errungenschaften stützt (wie die proletarische Revolution überhaupt ihr Ziel nur erreichen kann, wenn sie sich auf diese Errungenschaften stützt).

Der Kapitalismus hat Apparate der Rechnungsführung in Gestalt der Banken, der Syndikate, der Post, der Konsumgenossenschaften und der Angestelltenverbände geschaffen. Ohne die Großbanken wäre der Sozialismus nicht zu verwirklichen.

Die Großbanken sind jener „staatliche Apparat", den wir für die Verwirklichung des Sozialismus brauchen und den wir vom Kapitalismus fertig übernehmen. Unsere Aufgabe besteht hier nur darin, alles auszumerzen, was diesen ausgezeichneten Apparat kapitalistisch verunstaltet, und ihn dann noch größer, noch demokratischer, noch allumfassender zu gestalten. Quantität wird in Qualität umschlagen. Eine einzige riesengroße Staatsbank, mit Abteilungen in jedem Amtsbezirk, in jeder Fabrik, das bedeutet schon neun Zehntel eines sozialistischen Apparates. Das bedeutet eine gesamtstaatliche Buchführung, eine gesamtstaatliche Rechnungsführung über die Produktion und die Verteilung der Produkte; das ist sozusagen das Gerippe der sozialistischen Gesellschaft.

Diesen „staatlichen Apparat" (der im Kapitalismus nicht durchwegs staatlich ist, der aber bei uns, im Sozialismus, durchwegs verstaatlicht sein wird) können wir übernehmen und mit einem Schlag, mit einem Befehl „in Gang setzen", denn die tatsächliche Arbeit der Buchführung, der Kontrolle, der Registrierung aller Ein- und Ausgänge, führen hier Angestellte durch, deren Mehrheit in proletarischen oder halbproletarischen Verhältnissen lebt.

Durch einen einzigen Erlass der proletarischen Regierung können und müssen diese Angestellten in die Stellung von Staatsangestellten versetzt werden, genau so wie die Wachhunde des Kapitals von der Art Briands und anderer bürgerlicher Minister die streikenden Eisenbahner durch einen Erlass zu Staatsangestellten machen. Solche Staatsangestellte werden wir in viel größerer Zahl brauchen und schaffen können, denn der Kapitalismus hat die Funktionen der Buchführung und der Kontrolle vereinfacht und auf verhältnismäßig unkomplizierte, jedem lese- und schreibkundigen Menschen zugängliche Eintragungen reduziert.

Unter der Voraussetzung der Kontrolle und der Aufsicht durch die Räte ist es uns sowohl technisch (dank der vorher vom Kapitalismus und Finanzkapital für uns geleisteten Arbeit) als auch politisch durchaus möglich, die Masse der Bank-, Syndikats-, Handelsangestellten und so weiter zu Staatsbeamten zu machen.

Gegen die höchsten Angestellten, deren es nicht sehr viele gibt, die aber zu den Kapitalisten halten, wird man, wie gegen die Kapitalisten, mit „Strenge" vorgehen müssen. Sie werden gleich den Kapitalisten Widerstand leisten. Diesen Widerstand wird man brechen müssen, und wenn der unsterblich-naive Pjeschechonow noch im Juni 1917 wie ein echter „politischer Säugling" lallte, dass „der Widerstand der Kapitalisten gebrochen" sei, so wird das Proletariat diese kindliche Phrase, diese knabenhafte Prahlerei, dieses unreife Gerede im Ernst verwirklichen.

Das können wir tun, denn es handelt sich um die Brechung des Widerstandes einer geringfügigen Minderheit der Bevölkerung, buchstäblich eines Häufleins von Menschen; über jeden von ihnen können die Angestelltenverbände, die Gewerkschaften, die Konsumgenossenschaften und die Räte eine solche Kontrolle ausüben, dass jeder dieser Geldsäcke umzingelt sein wird wie die Franzosen bei Sedan. Diese Herren sind uns mit Namen bekannt: es genügt, die Listen der Direktoren, der Verwaltungsmitglieder, der Großaktionäre usw. in die Hand zu nehmen. Es sind das einige Hundert, höchstens einige Tausend in ganz Russland, und jedem von ihnen wird der proletarische Staat mit Hilfe des Apparates der Räte, der Angestelltenverbände usw., zehn und hundert Kontrolleure zur Seite stellen können, so dass es durch die Arbeiterkontrolle (über die Kapitalisten) wohl gelingen wird, jeden Widerstand nicht nur zu brechen, sondern unmöglich zu machen.

Nicht die Konfiskation des Eigentums der Kapitalisten wird die Hauptsache sein, sondern eben die allgemeine, umfassende Arbeiterkontrolle über die Kapitalisten und ihre möglichen Anhänger. Mit der Konfiskation allein ist es nicht getan, denn diese enthält kein Element der Organisation, der Rechnungslegung, der richtigen Verteilung. Die Konfiskation können wir leicht durch die Erhebung einer gerechten Steuer ersetzen (eventuell nach der Schingarjowschen Staffelung), wenn es uns nur gelingt, jede Möglichkeit einer Umgehung der Rechenschaftslegung, jede Verschleierung der Wahrheit, jede Umgehung des Gesetzes zu verhindern. Diese Möglichkeit wird nur durch die Arbeiterkontrolle des Arbeiterstaates verhindert werden können.

Die Zwangssyndizierung, d.h. die Zwangsvereinigung zu Verbänden unter der Kontrolle des Staates, hat schon der Kapitalismus vorbereitet, sie ist in Deutschland schon durch den Staat der Junker verwirklicht worden, sie wird in Russland von den Räten, von der Diktatur des Proletariats vollkommen verwirklicht werden können und wird uns einen ganz neuen, universellen, unbürokratischen „Staatsapparat" bringen.*

Das vierte Argument der Anwälte der Bourgeoisie: das Proletariat wird den Staatsapparat nicht „in Gang setzen können".

Nach dem Vorhergegangenen sagt dieses Argument nichts Neues. Wir können uns des alten Apparates natürlich weder bemächtigen noch ihn in Gang setzen. Der neue Apparat, die Räte, ist schon durch den „machtvollen Elan der wahrhaft schöpferischen Kraft des Volkes" in Gang gesetzt. Dieser Apparat muss bloß von den Fesseln befreit werden, die ihm durch die Herrschaft der Sozialrevolutionären und menschewistischen Führer angelegt worden sind. Dieser Apparat ist schon im Gange, man muss ihn nur von jenen kleinbürgerlich verunstalteten Anhängseln säubern, die ihn hindern, mit Volldampf vorwärtszukommen.

Zur Vervollständigung des oben Gesagten müssen hier zwei Umstände betrachtet werden: erstens die neuen Mittel der Kontrolle, die nicht von uns, sondern vom Kapitalismus im Stadium des imperialistischen Krieges geschaffen wurden; zweitens die Bedeutung der Vertiefung des Demokratismus in der Verwaltung eines Staates von proletarischem Typus.

Das Getreidemonopol und die Brotkarten haben nicht wir, sondern der kriegführende kapitalistische Staat eingeführt. Er hat schon im Rahmen des Kapitalismus die allgemeine Arbeitspflicht geschaffen, dieses Militärzuchthaus für die Arbeiter. Aber auch hier, wie in seinem ganzen historischen Schaffen, entnimmt das Proletariat seine Waffen dem Kapitalismus, es „erfindet" sie nicht, es schafft sie nicht „aus dem Nichts".

Getreidemonopol, Brotkartensystem, allgemeine Arbeitspflicht sind in den Händen des proletarischen Staates, in den Händen der mit aller Macht ausgestatteten Räte das mächtigste Mittel der Rechnungslegung und der Kontrolle. Ein Mittel, das auf die Kapitalisten und auf die Reichen überhaupt ausgedehnt, von den Arbeitern angewandt, eine in der Geschichte noch nie dagewesene Kraft der „Ingangsetzung" des Staatsapparates, der Überwindung des Widerstandes der Kapitalisten, ihrer Unterwerfung unter den proletarischen Staat bedeutet. Dieses Mittel der Kontrolle und des Arbeitszwanges ist stärker als die Gesetze des Konvents und seine Guillotine. Die Guillotine schüchterte nur ein, brach nur den aktiven Widerstand. Uns genügt das nicht.

Uns genügt das nicht. Wir müssen die Kapitalisten nicht nur in dem Sinne „einschüchtern", dass sie die Allmacht des proletarischen Staates spüren und an einen aktiven Widerstand gegen ihn gar nicht zu denken wagen. Wir müssen auch ihren passiven– zweifellos noch gefährlicheren und schädlicheren – Widerstand brechen. Aber wir müssen nicht nur jeglichen Widerstand brechen, wir müssen sie auch zwingen, in dem neuen staatlich-organisatorischen Rahmen zu arbeiten. Es genügt nicht, die Kapitalisten „fortzujagen", man muss sie (nachdem man die Untauglichen, hoffnungslos Sabotierenden fortgejagt hat) in den neuen Staatsdienst einspannen. Das gilt sowohl von den Kapitalisten als auch von einer gewissen Oberschicht der bürgerlichen Intelligenz, der Angestellten usw.

Und wir haben die Mittel dazu, Mittel und Waffen, die der kriegführende kapitalistische Staat uns selbst in die Hände gedrückt hat. Diese Mittel sind: Getreidemonopol, Brotkarten, allgemeine Arbeitspflicht. „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!" – das ist die grundlegende, allererste und wichtigste Regel, die die Räte der Arbeiterdeputierten nach der Machtergreifung verwirklichen müssen und werden.

Jeder Arbeiter besitzt ein Arbeitsbuch. Dieses Dokument erniedrigt ihn nicht, wenn es auch heute zweifellos ein Dokument der kapitalistischen Lohnsklaverei ist, ein Zeugnis dafür, dass ein Werktätiger diesem oder jenem Schmarotzer hörig ist.

Die Räte werden das Arbeitsbuch für die Reichen und dann allmählich auch für die ganze Bevölkerung einführen (in einem Bauernlande wird das Arbeitsbuch wahrscheinlich auf lange Zeit für die überwiegende Mehrheit der Bauernschaft überflüssig sein). Das Arbeitsbuch wird aufhören, ein Kennzeichen „des gemeinen Volkes", ein Dokument der „untersten" Stände, ein Zeugnis der Lohnsklaverei zu sein. Es wird ein Zeugnis dafür werden, dass es in der neuen Gesellschaft keine „Arbeiter" mehr gibt, dafür aber auch niemanden, der nicht arbeitet.

Die Reichen müssen ihr Arbeitsbuch von dem Arbeiter- oder Angestelltenverband bekommen, dem ihr Tätigkeitsgebiet am nächsten liegt, sie müssen allwöchentlich oder in irgendeiner anderen bestimmten Frist von diesem Verbände darüber eine Bestätigung erhalten, dass sie ihre Arbeit gewissenhaft ausführen; ohne diese können sie keine Brotkarten und überhaupt keine Lebensmittel beziehen. Wir brauchen gute Organisatoren für das Bankwesen und die Betriebszusammenlegungen (darin haben die Kapitalisten mehr Erfahrungen, und mit erfahrenen Leuten geht die Arbeit leichter vonstatten); wir brauchen in immer wachsender Zahl Ingenieure, Agronomen, Techniker, wissenschaftlich gebildete Spezialisten aller Art. Wir werden allen diesen Arbeitern eine angemessene und gewohnte Arbeit anweisen. Wir werden wahrscheinlich erst allmählich die Gleichheit der Entlohnung in ihrem vollem Ausmaße einführen und für die Übergangszeit solchen Spezialisten vorderhand eine höhere Entlohnung lassen. Doch werden wir sie unter eine allseitige Arbeiterkontrolle stellen und den Grundsatz: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!" restlos und unbedingt zur Durchführung bringen. Die organisatorische Form der Arbeit brauchen wir nicht zu erfinden, wir übernehmen sie fertig vom Kapitalismus – die Banken, Syndikate, die besten Fabriken, Versuchsstationen, Akademien usw.; wir werden nur die besten Muster aus der Erfahrung der fortgeschrittenen Länder übernehmen müssen.

Und wir werden natürlich nicht im geringsten in Utopismus verfallen, wir werden den Boden der nüchternsten praktischen Berechnung nicht verlassen, wenn wir sagen: die ganze Klasse der Kapitalisten wird hartnäckigsten Widerstand leisten, aber durch die Organisierung der ganzen Bevölkerung in den Räten wird dieser Widerstand gebrochen werden, wobei man selbstverständlich die besonders hartnäckigen und widerstrebenden Kapitalisten mit der Konfiskation ihres ganzen Vermögens und mit Gefängnis wird bestrafen müssen. Dafür aber wird der Sieg des Proletariats solche Fälle häufen, wie z. B. den in den heutigen „Iswestija" berichteten:

Am 26. September erschienen im Zentralrat der Fabrikkomitees zwei Ingenieure mit der Erklärung, dass eine Gruppe von Ingenieuren beschlossen habe, einen Verband der sozialistischen Ingenieure zu gründen. Da der Verband der Ansicht ist, dass die gegenwärtigen Ereignisse ihrem Wesen nach den Beginn der sozialen Revolution darstellen, stellt er sich den Arbeitermassen zur Verfügung und wünscht, bei der Verteidigung der Arbeiterinteressen in voller Übereinstimmung mit den Arbeiterorganisationen vorzugehen. Die Vertreter des Zentralrates der Fabrikkomitees antworteten ihnen, dass der Zentralrat gern in seiner Organisation eine Ingenieursektion bilden werde, die in ihr Programm die Grundthesen der ersten Konferenz der Fabrikkomitees über die Arbeiterkontrolle der Produktion aufnehmen würde. In den nächsten Tagen wird eine gemeinsame Sitzung der Vertreter des Zentralrates der Fabrikkomitees und der Initiativgruppe der sozialistischen Ingenieure stattfinden." („Iswestija des ZEK" vom 27. September 1917.)

Das Proletariat, sagt man uns, wird nicht fähig sein, den Staatsapparat in Gang zu setzen.

Russland wurde nach der Revolution von 1905 von 130.000 Gutsbesitzern regiert mittels hemmungsloser Vergewaltigung, mittels grenzenloser Verhöhnung von 150 Millionen Menschen, deren ungeheure Mehrzahl zu Zuchthausarbeit und Hungerdasein gezwungen wurde.

Und da sollen die 240.000 Mitglieder der Partei der Bolschewiki nicht imstande sein, Russland im Interesse der Armen und gegen die Reichen zu regieren.11 Diese 240.000 Menschen haben schon jetzt nicht weniger als eine Million Stimmen der erwachsenen Bevölkerung hinter sich; ein solches Zahlenverhältnis zwischen Parteimitgliedern und für die Partei abgegebenen Stimmen ist durch die Erfahrungen Europas und Russlands, z. B. bei den Augustwahlen zur Petrograder Duma festgestellt worden. Da haben wir also schon den „Staatsapparat" von einer Million Menschen, die dem sozialistischen Staat ergeben sind, aus freier Überzeugung, nicht weil sie am 20. jeden Monats einen schönen Batzen einstecken.

Darüber hinaus besitzen wir ein „Wundermittel", um sofort, mit einem Schlage unseren Staatsapparat zu verzehnfachen, ein Mittel, über das kein kapitalistischer Staat jemals verfügt hat und nie verfügen kann. Dieses Wundermittel ist die Heranziehung der Werktätigen, die Heranziehung der Besitzlosen zur täglichen Verwaltungsarbeit im Staat.

Um klar zu machen, wie leicht dieses Wundermittel angewendet werden kann und wie sicher es wirkt, wollen wir ein möglichst einfaches und anschauliches Beispiel wählen:

Der Staat muss eine bestimmte Familie zwangsweise aus ihrer Wohnung entfernen, um eine andere darin einzuquartieren. Im kapitalistischen Staat geschieht dies täglich, auch in unserem proletarischen oder sozialistischen Staat wird es geschehen.

Der kapitalistische Staat setzt aus der Wohnung eine Arbeiterfamilie, die ihren Ernährer verloren und nicht die Miete bezahlt hat, auf die Straße. Es erscheinen ein Gerichtsvollzieher, ein Schutzmann oder Milizsoldat oder gar ein ganzes Kommando. Um in einem Arbeiterviertel eine Wohnungsräumung durchzuführen, ist eine Abteilung Kosaken nötig. Warum? Weil der Gerichtsvollzieher und der Milizsoldat sich weigern, ohne sehr starken militärischen Schutz hinzugehen. Sie wissen, dass das Schauspiel der Räumung in der ganzen benachbarten Bevölkerung, in den Tausenden und Abertausenden nahezu zur Verzweiflung getriebener Menschen eine so ungeheure Erbitterung, eine solche Wut gegen die Kapitalisten und gegen den kapitalistischen Staat erzeugt, dass der Gerichtsvollzieher und die Schutzleute jeden Augenblick in Stücke zerrissen werden können. Große militärische Machtmittel sind erforderlich, in die Großstadt müssen einige Regimenter unbedingt aus irgendeinem fernen Randgebiet gebracht werden, damit den Soldaten das Leben der städtischen armen Bevölkerung fremd sei, damit sie nicht vom Sozialismus „angesteckt" werden können.

Der proletarische Staat muss zwangsweise eine äußerste Not leidende Familie in die Wohnung eines Reichen einquartieren. Unsere Abteilung der Arbeitermiliz besteht, nehmen wir an, aus 15 Personen: aus zwei Matrosen, zwei Soldaten, zwei klassenbewussten Arbeitern, von denen nur einer Mitglied unserer Partei oder Sympathisierender zu sein braucht, ferner einem Intellektuellen und acht Personen der werktätigen Armut, darunter zumindest fünf Frauen, Hauspersonal, ungelernte Arbeiter usw. Die Abteilung erscheint in der Wohnung des Reichen, besichtigt sie und findet fünf Zimmer für zwei Männer und zwei Frauen vor: „Bürger, beschränken Sie sich für diesen Winter auf zwei Zimmer, die anderen überlassen Sie zwei Familien, die in Kellern wohnen. Für eine Zeit, bis wir mit Hilfe der Ingenieure (Sie sind, wie uns scheint, Ingenieur?) gute Wohnungen für alle gebaut haben, müssen Sie sich unbedingt einschränken. Ihr Telefon wird zehn Familien zur Verfügung stehen. Das wird etwa 100 Arbeitsstunden an Laufereien in die Geschäfte usw. ersparen. Ferner haben Sie in ihrer Familie zwei unbeschäftigte Halbarbeiter, die imstande wären, eine leichte Arbeit zu verrichten: eine Bürgerin von 55 Jahren und einen Bürger von 14 Jahren.

Sie werden täglich je drei Stunden Dienst machen, um die richtige Verteilung der Produkte für die zehn Familien zu überwachen und die dazu notwendigen Schreibarbeiten auszuführen. Der Bürger Student, der bei unserer Abteilung ist, wird sofort den Text dieser staatlichen Verfügung in zwei Exemplaren ausfertigen, und Sie werden dann die Güte haben, uns eine Bestätigung darüber zu geben, dass Sie sich verpflichten, sie genau auszuführen."

So wäre, meiner Ansicht nach, an einem Beispiel der Unterschied zwischen dem alten bürgerlichen und dem neuen sozialistischen Staatsapparat und der Staatsverwaltung anschaulich gezeigt.

Wir sind keine Utopisten. Wir wissen, dass ein beliebiger ungelernter Arbeiter und eine beliebige Köchin nicht imstande sind, sofort in die Staatsverwaltung einzutreten. Darüber sind wir uns sowohl mit den Kadetten als auch mit der Breschkowskaja und mit Zeretelli einig. Wir unterscheiden uns aber von diesen Bürgern dadurch, dass wir den sofortigen Bruch mit jenem Vorurteil verlangen, wonach nur die Reichen oder die aus reichen Familien stammenden Beamten den Staat zu verwalten und die alltäglichen administrativen Arbeiten zu leisten vermögen. Wir verlangen, dass die Ausbildung für die Arbeit in der Staatsverwaltung von klassenbewussten Arbeitern und Soldaten geleitet und unverzüglich in Angriff genommen werde, das heißt, dass man sofort beginne, alle Werktätigen, die ganze arme Bevölkerung an dieser Ausbildung teilnehmen zu lassen.

Wir wissen, dass die Kadetten ja auch gern dem Volk die Demokratie beibringen wollen. Kadettendamen sind bereit, den Dienstmädchen nach besten englischen und französischen Quellen Vorträge über die Gleichberechtigung der Frauen zu halten. Vielleicht wird man in der nächsten Konzertversammlung, vor Tausenden von Menschen, auf der Tribüne ein öffentliches Geküsse veranstalten: die vortragende Kadettendame wird die Breschkowskaja abküssen, die Breschkowskaja den Exminister Zeretelli, und das dankbare Volk wird auf diese Weise anschaulich lernen, was sie von der republikanischen Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit zu halten hat…

Ja, wir geben zu, dass die Kadetten, die Breschkowskaja und Zeretelli auf ihre Art dem Demokratismus ergeben sind und ihn im Volke propagieren. Was sollen wir aber tun, wenn wir eine etwas andere Vorstellung von der Demokratie haben?

Unserer Meinung nach brauchen wir zur Linderung der unerhörten Lasten und Nöte des Krieges und auch zur Heilung der schrecklichen Wunden, die der Krieg dem Volke geschlagen hat, eine revolutionäre Demokratie, wir brauchen revolutionäre Maßnahmen im Interesse der Armen, eben von der Art wie die oben als Beispiel geschilderte Verteilung der Wohnräume. Ganz genau so muss man in Stadt und Land mit den Lebensmitteln, Kleidern, Schuhen und so weiter verfahren, auf dem Lande mit dem Grund, Boden und so weiter. Zur Verwaltung des Staates in diesem Geiste können wir sofort einen Staatsapparat von zehn, wenn nicht zwanzig Millionen Menschen heranziehen – einen in keinem einzigen kapitalistischen Staate je dagewesenen Apparat. Diesen Apparat können nur wir schaffen, weil uns die restlose, vorbehaltlose Sympathie der ungeheuren Mehrheit der Bevölkerung sicher ist. Diesen Apparat können nur wir schaffen, weil bei uns die klassenbewussten, durch die lange kapitalistische „Lehrzeit" (nicht umsonst waren wir beim Kapitalismus in der Lehre) disziplinierten Arbeiter stehen, die in der Lage sind, eine Arbeitermiliz zu schaffen und sie allmählich (wobei mit ihrer Erweiterung sofort begonnen wird) zu einer Miliz des gesamten Volkes zu machen. Klassenbewusste Arbeiter müssen die Führung haben, sie sind aber in der Lage, die breiten Massen der Werktätigen und Unterdrückten zur Verwaltung heranzuziehen.

Es ist selbstverständlich, dass bei den ersten Schritten dieses neuen Apparats Fehler nicht zu vermeiden sind. Aber machten denn die Bauern keine Fehler, als sie nach Aufhebung der Leibeigenschaft die Freiheit erlangten und ihre Angelegenheiten selbst zu verwalten begannen? Kann denn das Volk überhaupt auf anderem Wege lernen, sich selbst zu regieren und dabei Fehler zu vermeiden, als auf dem Wege der Praxis, durch sofortigen Übergang zu einer wirklichen Selbstverwaltung des Volkes? Das Wichtigste ist jetzt, aufzuräumen mit jenem bürgerlich-intellektuellen Vorurteil, den Staat könnten nur eigens dazu bestellte Beamte verwalten, die ihrer ganzen sozialen Lage nach völlig vom Kapital abhängig sind. Das wichtigste ist, Schluss zu machen mit dem Zustand, dass Bourgeoisie, Bürokratie und „sozialistische" Minister nach alter Manier zu regieren versuchen, aber nicht regieren können, und dass nach sieben Monaten in einem Bauernland ein Bauernaufstand ausbricht!! Das wichtigste ist, den Unterdrückten und Werktätigen Vertrauen zur eigenen Kraft einzuflößen, ihnen praktisch zu zeigen, dass sie selbst die richtige, aufs Strengste geregelte, organisierte Verteilung des Brotes, aller Nahrungsmittel, der Milch, der Kleider, der Wohnungen usw. im Interesse der Armen in die Hand nehmen können und müssen. Es gibt keine andere Rettung Russlands vor dem Untergang und dem Verderben. Dagegen wird die gewissenhafte, kühne, überall gleichzeitig einsetzende Übernahme der Verwaltung durch die Proletarier und Halbproletarier in den Massen einen in der Geschichte nie dagewesenen revolutionären Enthusiasmus wecken und die Volkskraft im Kampfe mit dem Elend so gewaltig vermehren, dass es gelingen wird, viele Aufgaben, die unserem engbrüstigen, alten, bürokratischen Apparat unlösbar erscheinen, durch die Kräfte einer Millionenmasse zu lösen, die zum ersten Mal für sich arbeitet, nicht für den Kapitalisten, nicht für den Herrn, nicht für den Bürokraten, nicht unter der Knute.

Zur Frage des Staatsapparats gehört auch die Frage des Zentralismus, die vom Genossen Basarow in Nr. 138 der „Nowaja Schisn" vom 27. September in dem Artikel: „Die Bolschewiki und das Problem der Staatsmacht" besonders energisch und besonders unglücklich aufgeworfen wurde.

Der Gedankengang des Genossen Basarow ist folgender: Die Räte stellten keinen Apparat dar, der allen Gebieten des Staatslebens angepasst ist, denn die siebenmonatige Erfahrung hat gezeigt und „Dutzende und Hunderte dokumentarischer Beweise, die sich in der Wirtschaftsabteilung des Petrograder Exekutivkomitees befinden", haben bestätigt, dass die Räte, obwohl sie an vielen Orten tatsächlich über die „ganze Macht" verfügten,

im Kampfe gegen die wirtschaftliche Zerrüttung keine auch nur einigermaßen befriedigenden Resultate haben erzielen können."

Es sei ein Apparat erforderlich, der

nach Produktionszweigen gegliedert, innerhalb jedes Zweiges streng zentralisiert und einem einzigen gesamtstaatlichen Zentrum untergeordnet ist". „Es handelt sich – man höre nur – nicht um die Ersetzung des alten Apparates, sondern nur um seine Reformierung… mögen die Bolschewiki die Planmenschen auch noch so sehr verhöhnen."

Alle diese Betrachtungen des Genossen Basarow sind geradezu erstaunlich unbeholfen, ein Abklatsch der Gedanken der Bourgeoisie eine Widerspiegelung ihres Klassenstandpunktes.

In der Tat. Zu behaupten, dass die Räte in Russland jemals irgendwo über die „ganze Macht" verfügten, ist einfach lächerlich (wenn es nicht bloße Wiederholung des klasseneigennützigen Schwindels der Kapitalisten ist). Die „ganze Macht" umfasst die Macht über den ganzen Grund und Boden, über alle Banken, über alle Fabriken; kein Mensch, der die Lehren der Geschichte und das wissenschaftliche Tatsachenmaterial über den Zusammenhang zwischen Politik und Wirtschaft auch nur einigermaßen kennt, hätte diesen „unwesentlichen" Umstand „vergessen" können.

Die verlogene Methode der Bourgeoisie besteht darin, dass sie den Räten die Macht nicht übergibt, jeden ernsten Schritt der Räte sabotiert, die Regierung und die Macht über den Boden, die Banken usw. in ihren Händen behält, und trotzdem die Schuld an der wirtschaftlichen Zerrüttung den Räten zuschiebt! Gerade darin besteht eben die ganze traurige Erfahrung mit der Koalition.

Niemals haben die Räte die ganze Macht besessen. Ihre Maßnahmen konnten außer Palliativmittel nichts geben und steigerten nur die Verwirrung.

Die Bolschewiki, die der Überzeugung, dem Programm und der ganzen Taktik ihrer Partei nach Zentralisten sind, von der Notwendigkeit des Zentralismus überzeugen zu wollen, heißt wahrlich offene Türen einrennen. Wenn die Schreiber der „Nowaja Schisn" sich mit solchem Strohdreschen abgeben, so geschieht das nur deshalb, weil sie den Sinn und die Bedeutung unseres Spottes über ihren „gesamtstaatlichen" Standpunkt nicht verstanden haben. Verstanden haben das die Leute von der „Nowaja Schisn" aber deshalb nicht, weil für sie die Lehre vom Klassenkampf nur ein Lippenbekenntnis und nicht Sache der Überzeugung ist. Sie wiederholen die auswendig gelernten Phrasen vom Klassenkampf, verirren sich dabei alle Augenblicke auf den theoretisch ergötzlichen und praktisch reaktionären Standpunkt des „Über-den-Klassen-Stehens" und nennen dann diese Liebedienerei vor der Bourgeoisie einen „gesamtstaatlichen" Plan.

Der Staat, ihr lieben Leute, ist ein Klassenbegriff. Der Staat ist ein Organ oder Instrument der Unterdrückung einer Klasse durch eine andere. Solange er ein Instrument der Vergewaltigung des Proletariats durch die Bourgeoisie ist, solange kann es nur eine einzige proletarische Losung geben: Zerstörung dieses Staates. Wird aber der Staat proletarisch, wird er zum Instrument der Unterdrückung der Bourgeoisie durch das Proletariat, dann sind wir unbedingt für eine starke Regierung und für den Zentralismus.

Um populärer zu sprechen: wir machen uns nicht über die „Pläne" lustig .sondern über das Unvermögen der Basarow und Co., zu begreifen, dass sie durch ihre Ablehnung der „Arbeiterkontrolle", durch ihre Ablehnung der „Diktatur des Proletariats" die Diktatur der Bourgeoisie verfechten. Einen Mittelweg gibt es da nicht, ein solcher existiert nur in der Wahnvorstellung der kleinbürgerlichen Demokraten.

Gegen den Zentralismus der Räte, gegen ihre Zusammenfassung, hat kein Zentrum, kein Bolschewik jemals etwas eingewendet. Gegen die Zusammenfassung des Fabrikkomitees nach Produktionszweigen, gegen ihre Zentralisierung hat keiner von uns etwas einzuwenden. Basarow schießt daneben.

Wir spotten, wir haben gespottet, wir werden spotten, nicht über den „Zentralismus" und nicht über die „Pläne", sondern über den Reformismus. Denn euer Reformismus ist nach den Erfahrungen mit der Koalition doppelt lächerlich. Und erklärt man: „Nicht ersetzt soll der Apparat werden, sondern reformiert", so heißt das Reformist sein, heißt: nicht zum revolutionären, sondern reformistischen Demokraten werden. Der Reformismus ist nichts anderes als Zugeständnisse der herrschenden Klasse, nicht aber ihr Sturz, Zugeständnisse der herrschenden Klasse, die die Macht in ihren Händen behält.

Gerade das ist es, was die halbjährige Koalition erwiesen hat. Und darüber spotten wir. Ohne die Lehre vom Klassenkampf zu Ende gedacht zu haben, lässt sich Basarow von der Bourgeoisie einfangen, die im Chor singt: „Das ist es ja eben, wir sind ja gar nicht gegen das Reformieren, wir sind für die Teilnahme der Arbeiter an der gesamtstaatlichen Kontrolle, wir sind vollkommen einverstanden", und der gute Basarow spielt dabei objektiv die Rolle eines Nachbeters der Kapitalisten.

So war es immer und so wird es immer sein mit Leuten, die in der Situation des verschärften Klassenkampfes eine „mittlere" Position einzunehmen versuchen. Eben, weil die Schreiber der „Nowaja Schisn" nicht imstande sind, den Klassenkampf zu begreifen, ist ihre Politik ein so lächerliches ewiges Hin- und Herschwanken zwischen Bourgeoisie und Proletariat.

Heran an die „Pläne", liebe Mitbürger; das ist keine Politik, das ist keine Sache des Klassenkampfes, hier könnt ihr dem Volke nützen. In eurer Redaktion wimmelt es von Volkswirtschaftlern. Tut euch mit Ingenieuren und anderen zusammen, die bereit sind, an den Fragen der Regulierung der Produktion und Verteilung zu arbeiten, widmet das Beiblatt eures großen „Apparats" (eurer Zeitung) einer sachverständigen Bearbeitung genauer Daten über Produktion und Verteilung der Produkte in Russland, über Banken und Syndikate usw. Damit werdet ihr dem Volke nützen, gerade hier wird sich euer Sitzen zwischen zwei Stühlen nicht allzu schädlich auswirken. Eine solche Ausarbeitung von „Plänen" wird euch nicht den Spott, sondern die Dankbarkeit der Arbeiter eintragen.

Das Proletariat wird, wenn es gesiegt hat, folgendermaßen handeln: Es wird die Volkswirtschaftler, die Ingenieure, die Agronomen usw. unter der Kontrolle der Arbeiterorganisationen zur Ausarbeitung und Prüfung eines „Plans" verwenden, wird sie Mittel ausfindig machen lassen, um durch Zentralisation Arbeit zu ersparen, und wird sie Maßnahmen und Methoden zur einfachsten, bequemsten, billigsten und umfassendsten Ausübung der Kontrolle suchen lassen. Wir werden die Volkswirtschaftler, Statistiker, Techniker dafür gut bezahlen, aber… wir werden ihnen nichts zu essen geben, wenn sie ihre Arbeit nicht gewissenhaft und voll und ganz im Interesse der Werktätigen leisten.

Wir sind für den Zentralismus und für einen „Plan", aber für einen Zentralismus und für einen Plan des proletarischen Staates, der proletarischen Regulierung der Produktion und Verteilung im Interesse der Armen, Werktätigen und Ausgebeuteten, gegen die Ausbeuter. Als „gesamtstaatlichen Plan" sind wir nur das anzuerkennen gewillt, was den Widerstand der Kapitalisten bricht, was die gesamte Macht in die Hände der Mehrheit des Volkes legt, d. h. in die Hände der Proletarier und Halbproletarier, der Arbeiter und ärmsten Bauern.

Das fünfte Argument besteht darin, dass die Bolschewiki die Macht nicht halten werden, denn „die Situation ist außerordentlich kompliziert" …

O, die Neunmalweisen! Sie sind wohl bereit, sich mit der Revolution abzufinden – nur ohne diese „außerordentlich komplizierte Situation".

Solche Revolutionen gibt es nicht, und hinter den Stoßseufzern nach einer solchen Revolution steckt nichts anderes als die reaktionären Lamentationen eines Intellektuellen. Selbst wenn eine Revolution in einer scheinbar nicht allzu komplizierten Situation begonnen hat, so schafft die Revolution selbst in ihrer Entwicklung immer eine außerordentlich komplizierte Situation. Denn eine wirkliche, eine tiefgreifende, eine „Volks"-Revolution, um mit Marx zu sprechen, das ist der unglaublich komplizierte und schmerzvolle Prozess des Absterbens einer alten und der Geburt einer neuen Gesellschaftsordnung, einer neuen Lebensweise Dutzender Millionen von Menschen. Die Revolution ist der schärfste, wildeste, verzweifeltste Klassenkampf und Bürgerkrieg. Keine große Revolution der Geschichte spielte sich ohne Bürgerkrieg ab. Dass der Bürgerkrieg aber ohne eine „außerordentlich komplizierte Situation" denkbar sei, können nur Menschen mit Scheuklappen annehmen.

Wenn es keine außerordentlich komplizierte Situation gegeben hätte, dann hätte es auch keine Revolution gegeben. Wer Wölfe fürchtet, der meide den Wald.

In dem fünften Argument ist nichts zu analysieren, denn es enthält weder einen wirtschaftlichen noch einen politischen noch überhaupt irgendeinen Gedanken. Es enthält nur die Stoßseufzer von Menschen, die durch die Revolution betrübt und erschreckt sind. Zur Charakteristik dieser Stoßseufzer gestatte ich mir die Anführung von zwei kleinen persönlichen Erinnerungen.

Eine Unterredung mit einem reichen Ingenieur kurz vor den Julitagen. Der Ingenieur war früher einmal Revolutionär, Mitglied der sozialdemokratischen, sogar der bolschewistischen Partei. Jetzt ist er voller Entsetzen, voller Erbitterung über die rabiaten und nicht zu bändigenden Arbeiter. Wenn es wenigstens solche Arbeiter wären, wie die deutschen! – meinte er (ein gebildeter Mann, der das Ausland kennt) – ich verstehe selbstredend im Allgemeinen die Unvermeidlichkeit der sozialen Revolution, doch bei uns, bei dem tiefen Niveau der Arbeiter, das der Krieg gebracht hat ist das keine Revolution, es ist – ein Abgrund.

Er wäre bereit, die soziale Revolution anzuerkennen, wenn die Geschichte uns ebenso friedlich, ruhig, glatt und akkurat an die Revolution heranführte, wie ein deutscher Schnellzug in die Bahnhofshalle einfährt. Der brave Schaffner öffnet die Waggontüren und ruft: „Haltestelle – soziale Revolution. Alle aussteigen."12 Warum sollte man dann nicht von seiner Stellung als Ingenieur bei den Herren Kapitalisten übergehen zur Stellung eines Ingenieurs bei den Arbeiterorganisationen?

Dieser Mann hat Streiks gesehen. Er weiß, welchen Sturm der Leidenschaften immer, selbst in der friedlichsten Zeit, der einfachste Streik hervorruft. Er versteht natürlich, wie millionenfach stärker dieser Sturm sein muss, wenn der Klassenkampf das ganze werktätige Volk eines Riesenreiches aufgewühlt hat, wenn Krieg und Ausbeutung Millionen Menschen, die durch Jahrhunderte von den Grundbesitzern, durch Jahrzehnte von den Kapitalisten und zaristischen Beamten ausgeplündert und geprügelt wurden, fast zur Verzweiflung getrieben haben. Das alles begreift er „theoretisch", er gibt dies alles mit dem Munde zu, er ist einfach eingeschüchtert durch die außerordentlich komplizierte Situation.

Ich musste nach den Julitagen, dank der besonders fürsorglichen Aufmerksamkeit, mit der mich damals die Regierung Kerenski beehrte, illegal leben. Ich wurde natürlich von einem Arbeiter verborgen gehalten. In einem abgelegenen Arbeitervorort Petrograds, in einer kleinen Arbeiterwohnung wird das Mittagessen gereicht. Die Hausfrau bringt das Brot. Der Hausherr sagt: „Schau dir das ausgezeichnete Brot an. ,Sie' wagen es jetzt wohl nicht, schlechtes Brot zu geben. Wir hatten fast vergessen, dass es in Petrograd auch gutes Brot geben kann."

Mich überraschte diese klassenmäßige Einschätzung der Julitage. Meine Gedanken bewegten sich um die politische Bedeutung der Ereignisse, schätzten ihre Rolle im allgemeinen Gang der Ereignisse ab, untersuchten, welcher Situation dieser Zickzackweg der Geschichte entsprungen sei und welche Situation er schaffen werde, wie wir unsere Losungen und unseren Parteiapparat ändern müssen, um ihn den veränderten Verhältnissen anzupassen. An das Brot hatte ich, ein Mensch, der nie Not gekannt hatte, nicht gedacht. Das Brot stellte sich für mich irgendwie von selbst ein, etwa wie eine Art Nebenprodukt der schriftstellerischen Arbeit. Zu dem, was allem zugrunde liegt, zum Klassenkampf ums Brot, gelangt das Denken durch die politische Analyse auf einem ungewöhnlich komplizierten und verwickelten Wege.

Aber ein Vertreter der unterdrückten Klasse, wenn auch einer der gut bezahlten und sehr intelligenten Arbeiter, packt den Stier direkt bei den Hörnern, mit jener bewundernswerten Einfachheit und Geradheit, mit jener festen Entschlossenheit, mit jener erstaunlichen Klarheit des Blicks, von der wir Intellektuelle himmelweit entfernt sind. Die ganze Welt zerfällt in zwei Lager: „wir", die Werktätigen, und „sie", die Ausbeuter. Keine Spur von Verlegenheit aus Anlass des Geschehenen: es ist eine der Schlachten im langen Kampf der Arbeit gegen das Kapital. Wo Holz gehackt wird – fliegen Späne.

Wie qualvoll ist doch diese „außerordentlich komplizierte Situation" der Revolution – so denkt und fühlt der bürgerliche Intellektuelle.

Wir haben „sie" fest angepackt, „sie" wagen nicht frech zu sein, wie früher. Packen wir noch fester zu, erledigen wir sie ganz – so denkt und fühlt der Arbeiter.

Das sechste und letzte Argument: Das Proletariat „wird nicht fähig sein, dem gewaltigen Druck der feindlichen Kräfte zu widerstehen, der nicht nur die Diktatur des Proletariats, sondern mit ihr die ganze Revolution hinwegfegen wird."

Bemüht euch nicht, ihr Herren, ihr werdet uns nicht einschüchtern. Wir haben diese feindlichen Kräfte und ihren Druck schon in der Kornilowiade gesehen (von der sich die Kerenskiade durch nichts unterscheidet). Wie das Proletariat und die ärmsten Bauern die Kornilowiade hinweggefegt haben, in welch erbärmliche und hilflose Lage die Anhänger der Bourgeoisie und die wenigen Vertreter der besonders wohlhabenden und besonders revolutions-„feindlichen" örtlichen Schichten der Kleingrundbesitzer geraten sind, das haben alle gesehen, das vergisst das Volk nicht. Das „Djelo Naroda" vom 30. September redet den Arbeitern zu, die Kerenskiade (das heißt die Kornilowiade) und die verfälschte Zeretellische Bulygin-Duma bis zur Konstituierenden Versammlung (deren Einberufung unter dem Schutz „militärischer Maßnahmen" gegen die aufständischen Bauern erfolgt!) „zu dulden". Das „Djelo Naroda" wiederholte unaufhörlich und außer Atem gerade das sechste Argument der „Nowaja Schisn" und schreit bis zur Heiserkeit: „die Regierung Kerenskis wird sich in keinem Falle unterwerfen" (nämlich der Macht der Arbeiter und Bauern, der Macht der Räte, die das „Djelo Naroda", um den Pogromhelden und Antisemiten, den Monarchisten und Kadetten nicht nachzustehen, die Macht „Trotzkis und Lenins" nennt: selbst solche Mittel sind den Sozialrevolutionären nicht zu schlecht!!).13

Doch weder die „Nowaja Schisn" noch das „Djelo Naroda" werden die klassenbewussten Arbeiter einschüchtern. Die Regierung Kerenski – sagt ihr – wird sich in keinem Falle unterwerfen, d. h. um es klarer, einfacher, offener zu sagen, sie wird die Kornilowiade wiederholen. Und die Herren vom „Djelo Naroda" wagen zu behaupten, dass das einen „Bürgerkrieg" mit „schrecklichen Perspektiven" bedeuten würde!

Nein, ihr Herren, ihr werdet die Arbeiter nicht betrügen! Das wird kein Bürgerkrieg sein, sondern eine völlig aussichtslose Meuterei eines Häufleins von Kornilowisten. Oder wünschen sie sich dem Volke „nicht zu unterwerfen" und es um jeden Preis zu einer erweiterten Wiederholung dessen zu provozieren, was in Wiborg den Kornilowisten widerfahren ist? Wenn die Sozialrevolutionäre das wünschen, wenn das Mitglied der Sozialrevolutionären Partei, Kerenski, das wünscht – so kann er wohl das Volk bis zur Raserei treiben. Doch damit werdet ihr Herren die Arbeiter und Soldaten nicht einschüchtern.

Was für eine maßlose Unverschämtheit: sie haben die neue Bulygin-Duma verfälscht, sich durch Schiebungen reaktionäre Genossenschafter, Dorfkulaken zu Hilfe geholt, ihnen Kapitalisten und Gutsbesitzer (die sogenannten Zensus-Elemente) beigegeben, und wollen mit dieser Bande von Kornilowisten den Willen des Volkes, den Willen der Arbeiter und Bauern sabotieren.

Sie haben es in einem Bauernland so weit gebracht, dass eine Welle von Bauernaufständen das Land überflutet! Man bedenke nur: in einer demokratischen Republik mit einer zu 80 Prozent bäuerlichen Bevölkerung haben sie diese in einen Bauernaufstand getrieben… Dasselbe „Djelo Naroda", die Zeitung Tschernows, das Organ der Partei der „Sozialrevolutionäre", das am 30. September die Schamlosigkeit besitzt, den Arbeitern und Bauern „Geduld" anzuraten, war im Leitartikel vom 29. September gezwungen, zuzugeben:

Fast nichts wurde bisher getan zur Beseitigung jener Hörigkeitsverhältnisse, die noch immer im Dorfe, besonders Zentralrusslands herrschen."14

Dasselbe „Djelo Naroda" sagt in demselben Leitartikel vom 29. September, dass „die Stolypin-Methode" kräftig weiterlebe „in den Methoden der revolutionären Minister". Das bedeutet, um es klarer und einfacher zu sagen: das Blatt bezeichnet die Kerenski, Nikitin, Kischkin und Co. als Stolypinisten.

Die „Stolypinisten" Kerenski und Co., die die Bauern in den Aufstand getrieben haben, ergreifen jetzt „militärische Maßnahmen" gegen die Bauern und vertrösten das Volk mit der Einberufung der Konstituierenden Versammlung (Kerenski und Zeretelli haben zwar schon einmal das Volk betrogen, als sie am 8. Juli feierlich erklärten, dass die Konstituierende Versammlung fristgemäß am 17. September zusammentreten würde, dann aber ihr Wort brachen, und die Konstituierende Versammlung entgegen den Ratschlägen sogar des Menschewiks Dan verschoben, und zwar nicht bis Ende Oktober, wie es das damalige menschewistische Zentral-Exekutive-Komitee wollte, sondern bis Ende November). Die „Stolypinisten" Kerenski und Co. vertrösten das Volk mit der nahen Einberufung der Konstituierenden Versammlung, als ob das Volk Leuten glauben könnte, die in solchen Dingen schon einmal gelogen haben, als könnte das Volk an eine richtige Einberufung der Konstituierenden Versammlung durch eine Regierung glauben, die in den entlegensten Dörfern zu militärischen Maßnahmen greift, d.h. die willkürlichen Verhaftungen der aufgeklärten Bauern und die Verfälschung der Wahlen offenkundig deckt.

Man treibt die Bauern in den Aufstand und hat die Schamlosigkeit, ihnen zu sagen: man muss „dulden", man muss abwarten, sich einer Regierung anvertrauen, die mit „militärischen Maßnahmen" die aufständischen Bauern zur Ruhe bringt!

Man lässt die Dinge treiben bis zum Untergang Hunderttausender russischer Soldaten bei der Offensive nach dem 19. Juni, bis zur Verlängerung des Krieges, bis zu einem Aufstand der deutschen Matrosen, die ihre Vorgesetzten ins Wasser warfen; bis zu alledem lässt man die Dinge kommen, schwätzt während der ganzen Zeit vom Frieden, ohne allen kriegführenden Staaten einen gerechten Frieden vorzuschlagen, und hat die Schamlosigkeit, den Arbeitern und Bauern, den Soldaten, die man ins Verderben schickt, zu sagen: „Ihr müsst Geduld haben", vertraut euch der Regierung des „Stolypinisten" Kerenski an, vertraut euch noch einen Monat den Kornilow-Generalen an, vielleicht werden sie in diesem Monat noch einige zehntausend Soldaten auf die Schlachtbank schicken . . . „Ihr müsst Geduld haben."

Ist das keine Schamlosigkeit??

Nein, ihr Herren Sozialrevolutionäre und Parteikollegen Kerenskis, ihr werdet die Soldaten nicht betrügen!

Keinen einzigen Tag, keine einzige überflüssige Stunde werden die Arbeiter und Soldaten die Regierung Kerenskis dulden, denn sie wissen, dass eine Räte-Regierung sofort allen Kriegführenden einen gerechten Frieden vorschlagen wird, dass sie somit aller Wahrscheinlichkeit nach den sofortigen Waffenstillstand und einen raschen Frieden bringen wird.

Keinen einzigen Tag, keine einzige überflüssige Stunde werden die Soldaten unserer Bauernarmee es dulden, dass entgegen dem Willen der Räte die Kerenski-Regierung, die mit militärischen Maßnahmen den Bauernaufstand unterdrückt, an der Macht bleibt.

Nein, ihr Herren Sozialrevolutionäre und Parteikollegen Kerenskis, ihr werdet die Arbeiter und Bauern nicht länger betrügen.

Das Argument der zu Tode erschreckten „Nowaja Schisn", dass der Druck der feindlichen Kräfte die Diktatur des Proletariats hinwegfegen werde, enthält noch einen ungeheuerlichen logischen und politischen Fehler, den nur Leute übersehen können, die sich fast bis zur Unzurechnungsfähigkeit einschüchtern ließen.

Der Druck der feindlichen Kräfte wird die Diktatur des Proletariats hinwegfegen," sagt ihr. Gut. Ihr, verehrte Mitbürger, seid doch aber alle Ökonomen und gebildete Leute. Ihr alle wisst, dass es Unsinn ist und von Unwissenheit zeugt, die Bourgeoisie der Demokratie gegenüberzustellen, dass es dasselbe ist, als wollte man Pfunde und Meter einander gegenüberstellen. Denn es gibt eine demokratische Bourgeoisie und es gibt undemokratische einer Vendée fähige) Schichten des Kleinbürgertums.

Feindliche Kräfte", das ist eine Phrase. Ein Klassenbegriff aber ist die Bourgeoisie (hinter der auch die Gutsbesitzer stehen).

Die Bourgeoisie mit den Gutsbesitzern; das Proletariat; das Kleinbürgertum, die kleinen Besitzer, in erster Linie die Bauernschaft – das sind die drei grundlegenden „Kräfte", in die Russland, wie jedes kapitalistische Land, zerfällt. Das sind die drei grundlegenden „Kräfte", die seit langem in jedem kapitalistischen Land (auch in Russland) nicht nur durch die wissenschaftliche ökonomische Analyse, sondern auch durch die politische Erfahrung der ganzen neuzeitlichen Geschichte aller Länder, durch die Erfahrung aller europäischen Revolutionen seit dem 18. Jahrhundert, durch die Erfahrung der beiden russischen Revolutionen von 1905 und 1917 aufgezeigt worden sind.

Ihr droht also den Proletariern, dass der Druck der Bourgeoisie ihre Macht hinwegfegen werde? Diesen und nur diesen Sinn hat eure Drohung, irgendeinen anderen Inhalt hat sie nicht.

Gut. Wenn die Bourgeoisie zum Beispiel imstande ist, die Macht der Arbeiter und der ärmsten Bauern hinwegzufegen, dann bleibt nichts anderes übrig als die „Koalition", das heißt ein Bündnis oder Kompromiss der Kleinbürger mit der Bourgeoisie. Etwas anderes ist nicht denkbar!!

Die Koalition ist aber ein halbes Jahr lang ausprobiert worden, sie hat zum Zusammenbruch geführt, und ihr selbst, verehrte, aber unlogische Bürger von der „Nowaja Schisn" habt euch von der Koalition losgesagt.

Was ergibt sich nun?

Ihr habt euch so verwickelt, ihr Bürger von der „Nowaja Schisn", ihr habt euch so einschüchtern lassen, dass ihr mit der einfachsten Überlegung nicht fertig werdet, dass ihr kaum bis drei, geschweige denn bis fünf zählen könnt.

Entweder die ganze Macht der Bourgeoisie – das verteidigt ihr seit langem nicht mehr, und die Bourgeoisie selbst wagt nicht einmal, derartiges auch nur anzudeuten, da sie weiß, dass das Volk eine solche Macht am 20. und 21. April schon einmal mit einem einzigen Ruck seiner Schultern gestürzt hat und sie jetzt dreimal entschiedener, schonungsloser stürzen würde. Oder die Macht dem Kleinbürgertum, das heißt seine Koalition (Bündnis, Kompromiss) mit der Bourgeoisie, denn die Macht selbständig und unabhängig übernehmen will und kann das Kleinbürgertum nicht, wie die Erfahrung aller Revolutionen gezeigt hat, wie auch die ökonomische Wissenschaft zeigt, die auseinandersetzt, dass man in einem kapitalistischen Lande für das Kapital eintreten, dass man für die Arbeit eintreten, dass man aber nicht dazwischen stehen kann. Diese Koalition hat in Russland ein halbes Jahr lang mehr als ein Dutzend Methoden ausprobiert und hat Bankrott gemacht.

Oder schließlich die ganze Macht den Proletariern und ärmsten Bauern, gegen die Bourgeoisie, um deren Widerstand zu brechen. Das wurde noch nicht ausprobiert, und davon ratet ihr Herren von der „Nowaja Schisn" dem Volke ab, das ihr mit eurer eigenen Angst vor der Bourgeoisie zu schrecken versucht.

Ein Viertes ist nicht denkbar.

Wenn also die „Nowaja Schisn" die Diktatur des Proletariats fürchtet und sie wegen der angeblich möglichen Niederwerfung der proletarischen Macht durch die Bourgeoisie ablehnt, so ist diese Haltung gleichbedeutend mit einer heimlichen Rückkehr zur Position des Paktierens mit den Kapitalisten!!! Es ist sonnenklar, dass, wer einen Widerstand fürchtet, wer an die Möglichkeit einer Überwindung dieses Widerstandes nicht glaubt, wer das Volk lehrt: „fürchtet den Widerstand der Kapitalisten, ihr werdet mit ihm nicht fertig werden", – dass der dadurch von neuem zum Paktieren mit den Kapitalisten auffordert.

Hilflos und jämmerlich hat sich die „Nowaja Schisn" verstrickt, wie sich jetzt alle kleinbürgerlichen Demokraten verstrickten, die den Bankrott der Koalition sehen, sie nicht mehr offen zu verteidigen wagen, und gleichzeitig, von der Bourgeoisie geschützt, die Allmacht des Proletariats und der ärmsten Bauernschaft fürchten.

Den Widerstand der Kapitalisten fürchten und sich gleichzeitig Revolutionär nennen und zu den Sozialisten gehören wollen – welche Schmach! Welch ideologischer Niedergang des vom Opportunismus zerfressenen internationalen Sozialismus war notwendig, damit solche Stimmen aufkommen konnten!

Die Widerstandskraft der Kapitalisten haben wir, hat das ganze Volk bereits erkannt, denn die Kapitalisten sind klassenbewusster als die anderen Klassen und haben sofort die Bedeutung der Räte erfasst; sie haben sofort alle ihre Kräfte bis zum äußersten angespannt, sie haben alles Menschenmögliche versucht, alle Hebel in Bewegung gesetzt, haben zu den unerhörtesten Mitteln der Lüge und der Verleumdung, zu militärischen Verschwörungen gegriffen, um die Räte zu sprengen, sie zu einem Nichts zu machen, sie (mit Hilfe der Menschewiki und Sozialrevolutionäre) zu prostituieren, in Schwatzbuden zu verwandeln und die Bauern und Arbeiter mit monatelangem leeren Geschwätz und Revolutionsspielerei zu ermüden.

Die Widerstandskraft der Proletarier und der ärmsten Bauern haben wir aber noch nicht gesehen, denn diese Kraft wird sich erst dann in ihrer ganzen Größe aufrichten, wenn die Macht in den Händen des Proletariats liegen wird, wenn Dutzende Millionen von Menschen, die jetzt von der Not und der kapitalistischen Sklaverei erdrückt werden, aus eigener Erfahrung sehen und fühlen, dass die Macht im Staate den unterdrückten Klassen zugefallen ist, dass die Macht die Armen in ihrem Kampfe gegen die Gutsbesitzer und Kapitalisten unterstützt, dass sie deren Widerstand bricht. Erst dann werden wir sehen können, welch unverbrauchte Widerstandskraft gegen die Kapitalisten im Volke schlummert, erst dann wird das zum Vorschein kommen, was Engels den „latenten Sozialismus" nennt, erst dann wird sich gegen jedes Zehntausend offener oder versteckter, aktiv handelnder oder passiven Widerstand leistender Feinde der Macht der Arbeiterklasse eine Million neuer Kämpfer erheben, die bis dahin politisch geschlafen, in der Qual ihres Elends und in ihrer Verzweiflung dahinvegetiert, den Glauben daran verloren hatten, dass auch sie Menschen sind, dass auch sie ein Recht auf Leben haben, dass die ganze Macht des modernen zentralisierten Staates auch ihnen dienen kann, dass die Abteilungen der proletarischen Miliz auch sie vertrauensvoll zur unmittelbaren, engen, täglichen Beteiligung an der Verwaltung des Staates auffordern.

Die Kapitalisten und die Gutsbesitzer haben unter wohlwollender Beteiligung der Plechanow, Breschkowskaja, Zeretelli, Tschernow und Co. alles getan, um die demokratische Republik zu besudeln, sie durch Liebedienerei vor dem Reichtum so zu besudeln, dass das Volk in Apathie und Gleichgültigkeit verfällt, dass ihm alles gleich ist, denn ein Hungriger kann die Republik nicht von der Monarchie unterscheiden, der frierende, barfüßige, abgehetzte Soldat, der für fremde Interessen zugrunde geht, kann die Republik nicht lieb gewinnen.

Wenn aber der letzte Arbeiter, jeder beliebige Arbeitslose, jede Köchin, jeder ruinierte Bauer sehen wird – nicht aus den Zeitungen, sondern mit eigenen Augen sehen wird –, dass die proletarische Macht nicht vor dem Reichtum kriecht, sondern der armen Bevölkerung hilft, dass diese Macht vor revolutionären Maßnahmen nicht zurückschreckt, dass sie den Schmarotzern die überflüssigen Produkte wegnimmt und den Hungrigen gibt, dass sie Obdachlose zwangsweise in die Wohnungen der Reichen einquartiert, dass sie die Reichen zwingt, für die Milch zu zahlen, ohne ihnen einen Tropfen Milch zu geben, solange nicht die Kinder aller armen Familien in genügendem Maße damit versorgt sind, dass die Ländereien in die Hände der Werktätigen, die Fabriken und Banken unter die Kontrolle der Arbeiter kommen, dass die Millionäre für jede Verheimlichung des Reichtums sofortige und strenge Strafe trifft, dann, wenn die arme Bevölkerung alles das sieht und fühlt, wird keine Macht der Kapitalisten und Kulaken, keine Macht des über hunderte Milliarden gebietenden internationalen Finanzkapitals die Volksrevolution mehr besiegen können, sondern diese wird im Gegenteil die ganze Welt besiegen, denn in allen Ländern reift der sozialistische Umsturz heran.

Unsere Revolution ist unbesiegbar, wenn sie keine Furcht vor sich selber hat, und die ganze Fülle der Macht dem Proletariat übergibt, denn hinter uns stehen die noch unermesslich größeren, weiter fortgeschrittenen, besser organisierten Weltkräfte des Proletariats, die durch den Krieg vorläufig zwar niedergehalten, doch nicht vernichtet, im Gegenteil, durch ihn nur gestärkt worden sind.

Angst haben, dass die Herren Kapitalisten die Macht der Bolschewiki, das heißt die Macht des Proletariats, dem die uneingeschränkte Unterstützung der ärmsten Bauernschaft sicher ist, „hinwegfegen" werden! Welche Kurzsichtigkeit, welche schmachvolle Angst vor dem Volke, welche Heuchelei! Leute, die diese Angst offenbaren, gehören jener „höheren" (nach kapitalistischen Begriffen höheren, in Wirklichkeit aber verfaulten) Gesellschaft an, die das Wort „Gerechtigkeit" im Munde führt, ohne selbst daran zu glauben, gewohnheitsmäßig, phrasenhaft, ohne irgendeinen Inhalt hineinzulegen.

Hier ein Beispiel:

Herr Pjeschechonow ist ein bekannter Halbkadett. Einen gemäßigteren Trudowik, Gesinnungsgenossen der Breschkowskaja und Plechanow könnte man kaum finden. Einen der Bourgeoisie gefügigeren Minister hat es nicht gegeben. Einen glühenderen Anhänger der „Koalition", des Kompromisses mit den Kapitalisten hat die Welt noch nicht gesehen!

Und nun musste dieser Herr in seiner Rede auf der „Demokratischen" (lies Bulygin-) Beratung, laut Bericht der den Standpunkt der Vaterlandverteidiger vertretenden „Iswestija", folgendes Geständnis machen:

Es gibt zwei Programme. Das eine ist das Programm von Gruppenforderungen, von Klassen- und nationalen Forderungen. Am aufrichtigsten verteidigen dieses Programm die Bolschewiki. Aber auch anderen Teilen der Demokratie fällt es durchaus nicht leicht, auf dieses Programm zu verzichten Ist das doch die Anerkennung der werktätigen Massen, sind das doch die Forderungen der missachteten und unterdrückten Nationalitäten Und darum ist es für die Demokratie nicht so leicht, mit den Bolschewiki zu brechen, diese Klassenforderungen abzulehnen, vor allem weil diese Forderungen im Grunde gerecht sind. Doch dieses Programm, für das wir bis zur Revolution gekämpft, um dessentwillen wir die Revolution durchgeführt haben und das wir unter anderen Verhältnissen alle völlig einmütig unterstützen würden, birgt unter den gegebenen Verhältnissen eine ungeheure Gefahr in sich. Die Gefahr ist gegenwärtig um so stärker, als diese Forderungen in einem Augenblick gestellt werden, in dem ihre Befriedigung für den Staat unmöglich ist. Man muss zuerst einmal die Gesamtheit – den Staat – schützen, ihn vor dem Untergang retten, und dazu gibt es nur einen Weg – nicht die Erfüllung der Forderungen, wie gerecht und verständlich sie auch scheinen mögen, sondern im Gegenteil, Beschränkungen, Opfer, die von allen Seiten unbedingt gebracht werden müssen." („Iswestija des ZEK" vom 17. September.)

Herr Pjeschechonow begreift nicht, dass er, solange die Kapitalisten an der Macht sind, nicht die Gesamtheit, sondern die eigennützigen Interessen des russischen und des „verbündeten" imperialistischen Kapitals schützt. Herr Pjeschechonow begreift nicht, dass der Krieg erst nach dem Bruche mit den Kapitalisten, mit ihren Geheimverträgen, mit ihren Annexionen (dem Raub fremder Gebiete), mit ihren finanziellen Bankschwindeleien aufhören würde, ein Eroberungskrieg, ein imperialistischer, ein räuberischer Krieg zu sein. Herr Pjeschechonow begreift nicht, dass erst nach diesem Bruch, und wenn der Gegner einen ihm formell vorgeschlagenen gerechten Frieden zurückgewiesen hätte, der Krieg ein Verteidigungskrieg, ein gerechter Krieg sein würde. Herr Pjeschechonow begreift nicht, dass die Verteidigungsfähigkeit eines Landes, das das Joch des Kapitals abgeworfen, den Boden den Bauern gegeben, die Banken und die Fabriken unter die Kontrolle der Arbeiter gestellt hat, um ein Vielfaches größer wäre als die Verteidigungsfähigkeit eines kapitalistischen Landes.

Und die Hauptsache, Herr Pjeschechonow begreift nicht, dass er, wenn er die Berechtigung der bolschewistischen Forderungen anerkennt, wenn er anerkennt, dass diese Forderungen die Forderungen der „werktätigen Massen", das heißt der Mehrheit der Bevölkerung sind, damit seine ganze Position, die ganze Position der gesamten kleinbürgerlichen Demokratie aufgibt.

Darin liegt unsere Kraft. Darum wird unsere Regierung unbesiegbar sein: denn selbst unsere Gegner sind gezwungen, anzuerkennen, dass das bolschewistische Programm das Programm der „werktätigen Massen" und der „unterdrückten Nationalitäten" ist.

Herr Pjeschechonow steht doch politisch den Kadetten, den Kreisen um das „Jedinstwo" und das „Djelo Naroda", den Breschkowskaja und Plechanow nahe, er ist der Vertreter der Kulaken und solcher Herrschaften, deren Frauen und Schwestern morgen den noch nicht ganz erschlagenen Bolschewiki die Augen mit ihren Schirmen ausstechen würden, wenn es zu ihrer Niederwerfung durch die Truppen Kornilows oder (was ganz dasselbe ist) durch die Armee Kerenskis käme.

Und dieser Herr ist gezwungen, die „Gerechtigkeit" der bolschewistischen Forderungen anzuerkennen.

Für ihn ist die „Gerechtigkeit" nur eine Phrase. Doch für die Massen der Halbproletarier, für die Mehrheit der durch den Krieg zugrunde gerichteten, gequälten, abgehetzten Kleinbürger in Stadt und Land ist es keine Phrase, sondern die akuteste, brennendste, wichtigste Frage: des Hungertodes, des Stückchens Brot. Darum kann keine Politik auf die „Koalition", auf das „Kompromiss" zwischen den Interessen der Hungrigen und Verelendeten und denen der Ausbeuter aufgebaut werden. Darum ist die Unterstützung einer bolschewistischen Regierung durch die erdrückende Mehrheit dieser Massen sicher.

Gerechtigkeit sei ein leeres Wort, sagen die Intellektuellen und jene Schufte, die sich gern für Marxisten ausgeben, mit der großartigen Begründung, dass sie das Hinterteil des „ökonomischen Materialismus" erschaut haben.15

Ideen werden zur Macht, sobald sie die Massen ergreifen. Und gerade jetzt verkörpern die Bolschewiki, das heißt die Vertreter des revolutionären, proletarischen Internationalismus, in ihrer Politik jene Idee, die ungezählte Massen der Werktätigen in der ganzen Welt bewegt.

Gerechtigkeit allein, das Gefühl der durch die Ausbeutung empörten Massen allein hätte diese nie und nimmer auf den richtigen Weg des Sozialismus geführt. Nachdem aber mit der Entwicklung des Kapitalismus der materielle Apparat der Großbanken, der Syndikate, der Eisenbahnen usw. entstanden ist, nachdem in den fortgeschritteneren Ländern die außerordentlich reiche Erfahrung immer neue Wunder der Technik geschaffen hat, deren Anwendung der Kapitalismus hemmt, nachdem die klassenbewussten Arbeiter sich zu einer Partei mit einer Viertelmillion Mitgliedern zusammengeschlossen haben, um diesen Apparat mit der Unterstützung aller Werktätigen und Ausgebeuteten planmäßig in ihre Hand zu nehmen und in Gang zu setzen – nachdem diese Voraussetzungen einmal da sind, wird es auf der ganzen Erde keine Macht geben, die die Bolschewiki aufhalten könnte, wenn sie sich nicht einschüchtern lassen, wenn sie es verstehen, die Macht zu ergreifen und sie bis zum Siege der sozialistischen Weltrevolution zu halten.

Nachwort

Die obigen Zeilen waren bereits geschrieben, als uns der Leitartikel der „Nowaja Schisn" vom 1. Oktober eine neue Perle des Stumpfsinns bescherte, der um so gefährlicher ist, als er sich hinter der Maske der Sympathie für die Bolschewiki und unter dem Mantel der Philisterweisheit versteckt: „Lasst euch nicht provozieren" (lasst euch nicht einfangen von dem Geschrei über Provokation, das dem Zwecke dient, die Bolschewiki einzuschüchtern und sie von der Machtergreifung abzuhalten).

Hier diese Perle:

Die Lehren der Vorgänge vom 3. bis 5. Juli einerseits und der Kornilow-Tage anderseits haben mit voller Klarheit gezeigt, dass eine Demokratie, die über die in der Bevölkerung einflussreichsten Organe verfügt, unbesiegbar ist, wenn sie im Bürgerkrieg eine defensive Stellung einnimmt, dass sie eine Niederlage erleidet und alle schwankenden Zwischenschichten verliert, wenn sie die Initiative zur Offensive ergreift."16

Würden die Bolschewiki dem philisterhaften Stumpfsinn, der in diesem Gedankengang zum Ausdruck kommt, auch nur das geringste Zugeständnis in irgendeiner Form machen, so würden sie damit die eigene Partei und die Revolution zugrunde richten.

Denn der Verfasser des zitierten Artikels, der sich anmaßt, vom Bürgerkriege zu sprechen (das richtige Thema für die „in jeder Hinsicht angenehme Dame") hat die Lehren der Geschichte in dieser Frage bis zur unwahrscheinlichen Komik entstellt.

Über diese Lehren, über die Lehren, die uns die Geschichte in dieser Frage gibt, dachte der Vertreter und Begründer der proletarisch-revolutionären Taktik, Karl Marx, folgendermaßen:

Nun ist der Aufstand eine Kunst, ebenso wie der Krieg oder andere Künste, und gewissen Regeln unterworfen, deren Vernachlässigung zum Verderben der Partei führt, die sich ihrer schuldig macht. Diese Regeln, logische Folgerungen aus dem Wesen der Parteien und der Verhältnisse, mit denen man in solchem Fall zu tun hat, sind so klar und einfach, dass die kurze Erfahrung von 1848 die Deutschen mit ihnen ziemlich bekannt gemacht hat. Erstens darf man nie mit dem Aufstand spielen, wenn man nicht entschlossen ist, allen Konsequenzen des Spieles Trotz zu bieten. Der Aufstand ist eine Rechnung mit höchst unbestimmten Größen, deren Wert sich für jeden Tag ändern kann; die Streitkräfte, gegen die man zu kämpfen hat, haben den Vorteil der Organisation, Disziplin und der herkömmlichen Autorität ganz auf ihrer Seite. (Marx meint hier den ,schwierigsten' Fall des Aufstandes: nämlich den Aufstand gegen die ,unerschütterte' alte Macht, gegen eine unter dem Einfluss der Revolution und der Regierungsschwankungen noch nicht zersetzte Armee); kann man nicht große Kräfte dagegen aufbringen, so wird man geschlagen und vernichtet. Zweitens, ist der Aufstand einmal begonnen, dann handle man mit der größten Entschiedenheit und ergreife die Offensive. Die Defensive ist der Tod jeder bewaffneten Erhebung; diese ist verloren, ehe sie sich noch mit dem Feinde gemessen hat. Überrasche die Gegner, solange ihre Truppen zerstreut sind, sorge täglich für neue, wenn auch kleine Erfolge; halte das moralische Übergewicht fest, das die erste erfolgreiche Erhebung dir gebracht; ziehe jene schwankenden Elemente an dich, die immer dem stärkeren Anstoß folgen und sich immer auf die sichere Seite schlagen; zwinge deine Feinde zum Rückzug, bevor sie ihre Kräfte gegen dich zusammenfassen können; kurz, handle nach den Worten Dantons, des größten bisher bekannten Meisters revolutionärer Taktik: ,de I'audace, de I'audace, encore de l'audace!'" (Karl Marx: „Revolution und Konterrevolution in Deutschland." Auflage 1907, S. 118.)17

Wir haben all das geändert – können die „Auch-Marxisten" von der „Nowaja Schisn" von sich sagen –, wir besitzen statt der dreifachen Kühnheit zwei Eigenschaften: „Mäßigkeit und Genauigkeit".18 „Uns" gilt die Erfahrung der Weltgeschichte, die Erfahrung der großen französischen Revolution nichts. Für „uns" ist die durch die Brille Moltschalins19 verzerrte Erfahrung der beiden Bewegungen von 1917 wichtig.

Sehen wir uns diese Erfahrungen ohne diese nette Brille an:

Den 3.-5. Juli vergleichen sie mit dem „Bürgerkrieg", denn sie haben den Alexinski, Perewersew und Co. Glauben geschenkt. Es ist für die Herrschaften von der „Nowaja Schisn" bezeichnend, dass sie solchen Leuten Glauben schenken (ohne das Geringste zur Einholung eigener Informationen über den 3.-5. Juli zu unternehmen, obwohl ihnen der gewaltige Apparat einer großen Tageszeitung dazu zur Verfügung steht).

Nehmen wir sogar für einen Augenblick an, dass der 3.-5. Juli nicht bloß ein Auftakt zum Bürgerkrieg, den die Bolschewiki in den Grenzen eines Auftaktes gehalten haben, sondern ein wirklicher Bürgerkrieg gewesen sei. Nehmen wir das an.

Was beweist in diesem Fall diese „Lehre"?

Erstens, dass die Bolschewiki nicht zur Offensive übergegangen sind, denn es ist unbestreitbar, dass sie in der Nacht vom 3. auf den 4. Juli und selbst am 4. Juli durch eine Offensive sehr viel hätten gewinnen können. Die Defensive war ihre Schwäche – wenn man von einem Bürgerkrieg spricht (wie es die „Nowaja Schisn" tut) und nicht von der Umwandlung eines elementaren Ausbruchs in eine Demonstration wie die vom 20. und 21. April (wie es den Tatsachen entspricht).

Also spricht die „Lehre" gegen die Weisen von der „Nowaja Schisn".

Zweitens, wenn die Bolschewiki einen Aufstand am 3. und 4. Juli sich nicht einmal als Ziel gesetzt hatten, wenn keine einzige Körperschaft der Bolschewiki eine solche Frage auch nur gestellt hat, so liegt der Grund dafür außerhalb unseres Streites mit der „Nowaja Schisn". Denn wir streiten über die Lehren des „Bürgerkrieges", d. h. des Aufstandes, nicht aber darüber, wann die Erkenntnis, dass man nicht die Mehrheit auf seiner Seite hat, eine revolutionäre Partei vom Gedanken an einen Aufstand zurückhält.

Da alle wissen, dass die Bolschewiki die Mehrheit sowohl in den Räten der Hauptstädte als auch in den übrigen Räten des Landes (über 49 Prozent der Stimmen in Moskau) erst sehr lange nach dem Juli 1917 bekommen haben, sind also die „Lehren" schon wieder ganz und gar nicht, absolut nicht so, wie sie die in jeder Hinsicht angenehme Dame „Nowaja Schisn" zu sehen wünscht.

Nein, nein, lasst lieber die Finger von der Politik, ihr Bürger von der „Nowaja Schisn"!

Hat eine revolutionäre Partei keine Mehrheit in den Vortrupps der revolutionären Klassen und im Lande, so kann von einem Aufstand keine Rede sein. Außerdem ist dazu notwendig: 1. das Anwachsen der Revolution im gesamtnationalen Maßstab; 2. der völlige moralische und politische Bankrott der alten, zum Beispiel der „Koalitions"-Regierung; 3. große Schwankungen im Lager aller Zwischenschichten, d. h. der Leute, die nicht voll und ganz hinter der Regierung stehen, obwohl sie gestern noch voll und ganz hinter ihr standen.

Warum hat die „Nowaja Schisn", die von den „Lehren" des 3.-5. Juli zu sprechen begonnen hat, diese außerordentlich wichtige Lehre nicht einmal bemerkt? Weil dort nicht Politiker, sondern durch die Bourgeoisie eingeschüchterte Intellektuelle sich mit politischen Fragen befassen.

Weiter. Drittens: die Tatsachen beweisen, dass gerade nach dem 3.-4. Juli, gerade infolge der Entlarvung der Herren Zeretelli durch ihre Juli-Politik, gerade im Zusammenhang damit, dass die Massen die Bolschewiki als ihre eigenen Vorkämpfer und die Sozialblockisten als Verräter erkannten, der Zerfall der Sozialrevolutionäre und Menschewiki beginnt. Die Petrograder Wahlen vom 20. August, die einen Sieg der Bolschewiki und die Zertrümmerung der Sozialblockisten brachten, haben diesen Zerfall noch vor dem Kornilow-Putsch einwandfrei bewiesen. (Das „Djelo Naroda" versuchte dies unlängst zu widerlegen, indem es die Abstimmungsergebnisse aller Parteien verheimlichte; das ist Selbstbetrug und Betrug des Lesers. Nach den Angaben des „Djen" vom 24. August, die sich nur auf die Stadt beziehen, erhöhte sich der Prozentsatz der für die Kadetten abgegebenen Stimmen von 22 auf 23, während ihre absolute Stimmenzahl um 40 Prozent fiel; der Prozentsatz der für die Bolschewiki abgegebenen Stimmen stieg von 20 auf 23, während ihre absolute Stimmenzahl sich bloß um 10 Prozent verminderte; der Prozentsatz der für alle „Mittelparteien" abgegebenen Stimmen fiel von 58 auf 44, und die absolute Zahl ihrer Stimmen um 60 Prozent!!)

Den Zerfall der Sozialrevolutionäre und Menschewiki nach den Juli- und vor den Kornilow-Tagen beweist auch das Anwachsen des „linken" Flügels beider Parteien, der fast 40 Prozent erreichte: die „Rache" für die Verfolgungen der Bolschewiki durch die Herren Kerenski.

Die proletarische Partei hat ungeachtet des „Verlustes" von einigen Hundert ihrer Mitglieder durch den 3.-4. Juli ungeheuer gewonnen, denn gerade in diesen schweren Tagen sahen und begriffen die Massen ihre Treue und den Verrat der Sozialrevolutionäre und Menschewiki. Die „Lehre" ist also ganz und gar nicht im Sinne der „Nowaja Schisn", sondern eine andere: gehe nicht von den gärenden Massen zur Philisterdemokratie, und wenn du den Aufstand willst, so ergreife die Offensive, solange die Kräfte des Feindes zersplittert sind, überrumpele ihn.

Ist es nicht so – ihr Herren „Auch-Marxisten" von der „Nowaja Schisn"?

Oder besteht der „Marxismus" darin, dass man seiner Taktik nicht die genaue Berechnung der objektiven Lage zugrunde legt, sondern sinn- und kritiklos den „Bürgerkrieg", den „Rätekongress und die Konstituierende Versammlung" in einen Topf wirft?

Das ist doch aber einfach lächerlich, ihr Herren, das ist doch ein Hohn auf den Marxismus und überhaupt auf jede Logik!

Wenn in der objektiven Lage der Dinge ein Grund für die Verschärfung des Klassenkampfes bis zum „Bürgerkrieg" nicht vorhanden ist, warum habt ihr dann vom „Bürgerkrieg" zu sprechen begonnen im Zusammenhang mit dem „Rätekongress und der Konstituierenden Versammlung" (so ist der hier in Frage stehende Leitartikel der „Nowaja Schisn" betitelt)? Dann müsste man dem Leser deutlich sagen und beweisen, dass in der objektiven Lage kein Boden für den Bürgerkrieg gegeben ist und dass man daher friedliche, konstitutionell-legale, juristisch und parlamentarisch „einfache" Dinge, wie z. B. den Rätekongress und die Konstituierende Versammlung, zur Grundlage der Taktik machen kann und muss. Dann kann man der Meinung sein, dass ein solcher Kongress und eine solche Versammlung wirklich zu Entscheidungen fähig sind.

Wenn aber in den objektiven Verhältnissen des Augenblicks die Unvermeidlichkeit oder auch nur die Wahrscheinlichkeit des Bürgerkrieges enthalten ist, wenn ihr vom Bürgerkrieg nicht nur so „in den Tag hinein" zu sprechen begonnen habt, sondern weil ihr das Vorhandensein einer Bürgerkriegsatmosphäre klar gesehen, gefühlt, gespürt habt, wie kann man dann den Rätekongress oder die Konstituierende Versammlung zur Grundlage der Taktik machen? Das ist ja eine Verhöhnung der hungernden und gequälten Massen! Wird der Hungrige vielleicht zwei Monate „warten" wollen? Oder wird die wirtschaftliche Zerrüttung, von deren Fortschritten ihr selbst täglich schreibt, bis zum Rätekongress oder bis zur Konstituierenden Versammlung „warten" wollen? Oder wird die deutsche Offensive, ohne ernste Friedensschritte (d. h. ohne ein an alle Kriegführenden gerichtetes formelles Friedensangebot) unsererseits, auf den Rätekongress oder die Konstituierende Versammlung „warten" wollen? Oder habt ihr Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Geschichte der russischen Revolution, die vom 28. Februar bis zum 30. September ungemein stürmisch, in einem unerhört raschen Tempo verlaufen ist, vom 1. Oktober bis zum 29. November20 in einem ganz ruhigen, friedlichen, legal-gleichmäßigen, alle Ausbrüche, Sprünge, militärische Niederlagen, wirtschaftliche Krisen ausschließenden Tempo weitergehen wird? Oder wird die Armee im Felde, von der ein Nicht-Bolschewik, der Offizier Dubassow, offiziell im Namen der Frontsoldaten erklärt hat, dass sie „nicht kämpfen werde", bis zum „angesetzten" Datum ruhig hungern und frieren? Oder wird der Bauernaufstand wenn ihr ihn „Anarchie" und „Pogrom" nennt, wenn Kerenski „militärische" Kräfte gegen die Bauern schickt, dadurch aufhören, ein Element des Bürgerkrieges zu sein? Oder ist eine ruhige, geregelte, unverfälschte Arbeit der Regierung zur Einberufung der Konstituierenden Versammlung in einem Bauernlande möglich oder denkbar, wenn gleichzeitig ein Bauernaufstand durch dieselbe Regierung unterdrückt wird?

Lacht nicht über „die Verwirrung im Smolny-Institut",21 ihr Herren! Eure Verwirrung ist nicht geringer. Auf die unerbittlichen Fragen des Bürgerkrieges antwortet ihr mit konfusen Phrasen und jämmerlichen konstitutionellen Illusionen. Darum sage ich, dass die Bolschewiki, wenn sie solchen Stimmungen nachgäben, sowohl ihre Partei als auch ihre Revolution zugrunde richten würden.

1. Oktober 1917

1 „Prosweschtschenije" war eine bolschewistische, monatlich erscheinende Zeitschrift, die unter dem Zarismus in den Jahren der Reaktion in Petersburg als „sozialpolitische und literarische Zeitschrift marxistischer Richtung" legal herausgegeben wurde. Nr. 1 erschien im Dezember 1911, die letzte Nummer im Sommer 1914, am Vorabend des Krieges. Im Jahre 1917 wurde die Herausgabe des „Prosweschtschenije", als eines „theoretischen Organs der SDAPR" wiederaufgenommen. Es erschien jedoch nur eine Doppelnummer mit Artikeln von Lenin, Miljutin, Sinowjew, Mehring, Lomow, Arski, Glebow, Salewski und Newski.

2 In der Sitzung des ersten Rätekongresses am 21. (4.) Juni während einer Rede Zeretellis, in der dieser erklärte: „Heute gibt es in Russland keine politische Partei, die sagen würde: gebt die Macht in unsere Hände, geht weg, wir werden eure Plätze einnehmen. Eine solche Partei gibt es in Russland nicht", – machte Lenin von seinem Platz aus den Zwischenruf: „Doch, es gibt eine solche Partei" („Rjetsch", Nr. 130 vom 19. [6.] Juni 1917).

3 Lenin zitiert den Leitartikel aus Nr. 218 (3960) der „Rjetsch" vom 29. (16.) September 1917, der der Demokratischen Beratung gewidmet war.

4 Lenin zitiert den Leitartikel aus Nr. 160 des „Djelo Naroda" vom 4. Oktober (21. September) 1917, der betitelt war „Wege zur Verständigung".

5 Die Resolution der Demokratischen Beratung über die Organisierung der Macht, die Zeretelli am 3. Oktober (20. September) 1917 eingebracht hatte, forderte „die Bildung einer starken revolutionären Regierung", „die Verwirklichung des Programms vom 27. (14.) August, eine aktive Außenpolitik, gerichtet auf die Herstellung des allgemeinen Friedens, und die Verantwortlichkeit der Regierung vor der Repräsentativkörperschaft, die den Willen des Volkes zum Ausdruck bringt, bis diese von der Konstituierenden Versammlung abgelöst sein wird". Weiter war in der Resolution die Schaffung des „Vorparlaments" (des Provisorischen Rates der Russischen Republik) durch die Beratung vorgesehen, – als eines Organs, das die „Bildung der Regierung auf der obengenannten Grundlage fördern soll, wobei dieses Organ, wenn der Provisorischen Regierung auch Zensus-Elemente angehören sollten, durch Delegierte von bürgerlichen Gruppen ergänzt werden kann und muss", jedoch so, dass die demokratischen Schichten das Übergewicht behalten. Die Regierung muss dem Vorparlament gegenüber verantwortlich sein.

Die „Plattform vom 27. (14.) August" wurde von Tschcheïdse im Namen der „revolutionären Demokratie" auf der Moskauer Staatsberatung verlesen.

6 Lenin zitiert den Leitartikel aus Nr. 135 der „Nowaja Schisn" vom 6. Oktober (23. September) 1917, der betitelt war „In den Klammern der Regierungsgewalt".

7 „Snamja Truda" – eine vom Petrograder Komitee der Sozialrevolutionären Partei im Jahre 1917 herausgegebene Zeitung. Nach der 7. Stadtkonferenz, die am 23. (10.) September stattfand, ging das Komitee in die Hände der Linken über. An der Zeitung arbeiteten mit: Kamkow, Kalegajew, Mstislawski, Iwanow-Rasumnik u. a.

Lenin meint die Notiz aus Nr. 25 des „Snamja Truda", die betitelt war „Die Stimme der Bauernschaft in der Frage der Koalition".

8 Die Konferenz der Bauerndeputiertenräte, die vom Exekutivkomitee des Allrussischen Rates der Bauernräte einberufen wurde, tagte in Petrograd vom 29. (16.) bis zum 31. (18.) September 1917. Außer den von Lenin aufgezählten Gouvernementsbauernräten stimmten noch die Bauernräte der Gouvernements Bessarabien, Ufa und Cherson gegen die Koalition mit der Bourgeoisie und für die Räte als Quelle der Macht.

9 Im September 1917 nahmen Tschernow und seine Anhänger in der Sozialrevolutionären Partei eine zentristische Stellung ein; links von ihnen stand der starke Flügel mit Kamkow und der Spiridonowa an der Spitze, der im November 1917 die selbstständige Partei der linken sozialrevolutionären Internationalisten gründete; rechts stand die große Masse der ultrarechten Sozialrevolutionäre, die Genossenschafter, die Narodniki liberaler Schattierung usw. Nach dem Oktoberaufstand hat sich die Tschernowsche zentristische Richtung sehr rasch in der Masse der rechten Sozialrevolutionäre aufgelöst.

10 Martow verlas seine Deklaration im Namen der „Mehrheit der Rätedelegation" auf der Demokratischen Beratung am 1. Oktober (18. September) 1917 In der Deklaration hieß es unter anderem: „ … Die ganze politische Selbstverwaltung des großen Volkes, das die Fesseln der zaristischen Sklaverei abgeworfen hat, vollzog und vollzieht sich über die Räte: dadurch sind die Rate in ganz Russland zu den unmittelbaren Trägern der Ideen der Volksmacht geworden, zu Organen, die die demokratische Republik in der Tat verwirklichen und faktisch überall in der Provinz die Staatsgewalt in ihren Händen konzentrieren"… Dann weiter: „Während dieses lebendige Gewebe der neuen revolutionären Staatlichkeit sich allerorts entwickelte und festigte funktionierte im Zentrum eine Regierungsgewalt, die auf der Grundlage der Koalition mit den nicht-demokratischen besitzenden Klassen aufgebaut war" „Dieser Umstand war die Ursache dafür, dass die Zensus-Gruppen sich bei der Durchführung der unaufschiebbaren wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Reformen als Bremsklotz erwiesen." „Die Regierung wurde in der Tat immer unverantwortlicher, immer unabhängiger von der Kontrolle der organisierten Demokratie und dadurch faktisch immer abhängiger von den kapitalistischen Klassen." Darum hielt die Deklaration es für notwendig „jede Verständigung mit den Zensus-Elementen entschieden abzulehnen"- sie schlug vor, „alle Kräfte für die Schaffung einer wahrhaft-revolutionären Regierungsgewalt anzuspannen", bis die Konstituierende Versammlung gesprochen haben würde.

* Ausführliches über die Bedeutung der Zwangssyndizierung siehe in meiner Broschüre „Die drohende Katastrophe, und wie man sie bekämpfen soll."

11 Das Wachstum der Partei in der Zeit der Revolution wird durch folgende Zahlen charakterisiert: auf der Allrussischen Aprilkonferenz der SDAPR (Bolschewiki) im Jahre 1917 waren 76.000 Mitglieder vertreten; auf dem 6. Parteitag im Juli 1917 (auf Grund der Protokolle) – über 177.000.

12 „Alle aussteigen" bei Lenin deutsch. Die Red.

13 Lenin meint den Leitartikel aus Nr. 168 des „Djelo Naroda" vom 13. Oktober (30. September) 1917, der betitelt war „Eine neue Revolution oder die Konstituierende Versammlung?".

14 Lenin zitiert den Artikel aus Nr. 167 des „Djelo Naroda" vom 12 Oktober (29. September) 1917, der betitelt war „Zuerst Beruhigung, dann Reform".

15 Eine Paraphrasierung der Worte Plechanows: „Unsere Ökonomisten betrachten das Hinterteil der Arbeiterklasse" (Vorwort zum „Vademecum für die Redaktion des ,Rabotscheje Djelo'". Sammlung von Materialien, herausgegeben von der Gruppe der Befreiung der Arbeit in Genf im Februar 1900).

16 Zitat aus dem Leitartikel in Nr. 142 der „Nowaja Schisn" vom 14 (1 ) Oktober 1917, der betitelt war „Der Rätekongress und die Konstituierende Versammlung".

17 Das Buch ist nicht, wie man lange Zeit annahm, von Marx, sondern von Engels geschrieben

18 „Wir haben zwei: Mäßigkeit und Pünktlichkeit" – Worte Moltschalins aus der Komödie Gribojedows „Vernunft bringt Leiden".

19 Eine Figur aus Gribojedows Lustspiel „Verstand bringt Leiden"; ein Schleicher und Kriecher vor den Mächtigen. Die Red.

20 Der 12. Dezember (29. November) 1917 ist der Tag, auf den die Provisorische Regierung die Einberufung der Konstituierenden Versammlung verschoben hatte.

21 Das Smolny-Institut war im Jahre 1917 der Sitz des Petrograder Rates der Arbeiter- und Soldatendeputierten, der sich vom 8. Oktober (25 September) an in den Händen der Bolschewiki befand.

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