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Wladimir I. Lenin 19170718 Wo ist die Macht und wo die Konterrevolution?

Wladimir I. Lenin: Wo ist die Macht und wo die Konterrevolution?

[Geschrieben am 18. (5.) Juli 1917 Veröffentlicht am 19. (6.) Juli 1917 im „Listok Prawdy"1. Nach Sämtliche Werke, Band 21, Wien-Berlin 1931, S. 5-10]

Gewöhnlich beantwortet man diese Frage sehr einfach: es gibt gar keine Konterrevolution, oder wir wissen nicht, wo sie ist. Die Macht hingegen kennen wir sehr wohl: sie liegt in den Händen der Provisorischen Regierung, die vom Zentralexekutivkomitee (ZEK) des Allrussischen Kongresses der Arbeiter- und Soldatenräte kontrolliert wird. Das ist die übliche Antwort.

Wie die meisten Krisen jeder Art, die alles Konventionelle niederreißen, alle Illusionen zerstören, hat auch die gestrige politische Krise2 nur Trümmer der Illusionen hinterlassen, wie sie in den von uns angeführten, heutzutage üblichen Antworten auf die Grundfragen jeder Revolution zum Ausdruck kommen.

Es gibt auf der Welt ein früheres Mitglied der zweiten Reichsduma, Alexinski, den die Sozialrevolutionäre und Menschewiki, die regierenden Parteien in den Räten der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten, zum Exekutivkomitee des Arbeiter- und Soldatendeputiertenrates zuzulassen sich weigerten, solange er sich nicht rehabilitiert, d. h. solange er nicht seine Ehre wiederhergestellt habe.

Worum handelt es sich? Weshalb hat das Exekutivkomitee Alexinski öffentlich und in aller Form sein Vertrauen versagt, von ihm die Wiederherstellung seiner Ehre verlangt, ihn also für ehrlos erklärt?

Weil Alexinski sich durch Verleumdungen so berühmt gemacht hat, dass ihn in Paris die Journalisten der verschiedensten Parteien als Verleumder bezeichneten. Alexinski versuchte nicht, seine Ehre vor dem Exekutivkomitee wiederherzustellen, sondern zog es vor, sich in der Plechanowschen Zeitung „Jedinstwo"3 zu verstecken, wo er zuerst unter Initialen und dann – dreister geworden – auch offen auftrat.

Am gestrigen Tage, dem 4. Juli, ging mehreren Bolschewiki von Bekannten die Warnung zu, Alexinski habe dem Journalistenkomitee in Petrograd irgendeine neue verleumderische Gemeinheit mitgeteilt. Die Mehrzahl der Benachrichtigten schenkte der Warnung nicht die mindeste Beachtung, da sie für Alexinski und seine „Arbeit" nur Ekel und Verachtung haben. Ein Bolschewik jedoch, Dschugaschwili (Stalin), Mitglied des Zentralexekutivkomitees, der als georgischer Sozialdemokrat den Genossen Tschcheïdse seit langem kennt, erzählte diesem in der Sitzung des Zentralexekutivkomitees von dem neuen niederträchtigen Verleumdungsfeldzug Alexinskis.

Es war spät nachts, doch Tschcheïdse erklärte, das Zentralexekutivkomitee werde die Verbreitung von Verleumdungen durch Leute, die das Gericht und die Untersuchung des Zentralexekutivkomitees scheuen, nicht gleichgültig hinnehmen. In seinem eigenen Namen, als Vorsitzender des Zentralexekutivkomitees, und im Namen Zeretellis, als Mitglied der Provisorischen Regierung, wandte sich Tschcheïdse sofort telefonisch an alle Redaktionen mit dem Vorschlag, von einer Veröffentlichung der Verleumdungen Alexinskis Abstand zu nehmen. Tschcheïdse sagte Stalin, dass die meisten Zeitungen sich bereit erklärt hätten, seine Bitte zu erfüllen, und dass nur das „Jedinstwo" und die „Rjetsch"4 sich eine Zeitlang ausschwiegen (das „Jedinstwo" haben wir nicht zu Gesicht bekommen, die „Rjetsch" hat die Verleumdung nicht veröffentlicht). So landete denn die Verleumdung in den Spalten einer kleinen, gelben, dem größten Teil der Intelligenz vollkommen unbekannten Zeitung „Schiwoje Slowo",5 Nr. 51), als deren Redakteur und Herausgeber ein gewisser A. M. Umanski zeichnet.

Die Verleumder werden sich jetzt vor Gericht zu verantworten haben. Von dieser Seite ist die Angelegenheit einfach und unkompliziert.

Die Sinnlosigkeit der Verleumdung ist augenfällig: irgendein Fähnrich des 16. Sibirischen Schützenregimentes namens Jermolenko „sei am 25. April zu uns hinter die Front der 6. Armee herüber gebracht (?) worden zur Agitation für den raschesten Abschluss eines Separatfriedens mit Deutschland". Es handelt sich offenbar um ein aus der Gefangenschaft entflohenes Subjekt, von dem das im „Schiwoje Slowo" abgedruckte Dokument hinzufügt: „Diesen Auftrag hat Jermolenko auf Drängen der Kameraden angenommen." (!!)

Schon danach kann man ermessen, welches Vertrauen ein Subjekt verdient, das ehrlos genug ist, einen solchen „Auftrag" anzunehmen! Der Zeuge ist ein ehrloser Mann. Das ist eine Tatsache.

Was hat nun dieser Zeuge ausgesagt?

Er sagte folgendes aus: „Die Offiziere des deutschen Generalstabs Schiditzki und Lübers hätten ihm mitgeteilt, dass in Russland eine ebensolche Agitation von dem Agenten des deutschen Generalstabs und Vorsitzenden der Ukrainischen Sektion des ,Bundes zur Befreiung der Ukraine'6 A. Skoropis-Joltuchowski und von Lenin betrieben werde. Lenin habe den Auftrag, mit aller Kraft das Vertrauen des russischen Volkes zur Provisorischen Regierung zu unterwühlen."

Die deutschen Offiziere haben also Jermolenko, um ihn für seine ehrlose Handlung zu gewinnen, in Bezug auf Lenin schamlos angelogen, der – wie alle Welt weiß und wie die gesamte Partei der Bolschewiki offiziell erklärt hat, einen Separatfrieden mit Deutschland stets und bedingungslos auf das Allerentschiedenste ein für allemal abgelehnt hat! Der Schwindel der deutschen Offiziere ist so offensichtlich, so plump, so widersinnig, dass kein einigermaßen intelligenter Mensch auch nur für einen Augenblick auf ihn hereinfallen kann. Und ein politisch geschulter Mensch wird erst recht nicht daran zweifeln, dass es ein Widersinn ist, Lenin mit irgendeinem Joltuchowski (?) und dem „Bund der Befreiung der Ukraine" in Zusammenhang zu bringen, ein Widersinn, der um so klarer zutage liegt, als sowohl Lenin wie alle Internationalisten gerade während des Krieges von diesem verdächtigen sozialpatriotischen „Bund" mehrmals öffentlich abgerückt sind.

Die plumpe Lüge des von den Deutschen gekauften Jermolenko oder der deutschen Offiziere hätte nicht die geringste Aufmerksamkeit verdient, wäre nicht das „Dokument" durch weitere „eben eingetroffene Mitteilungen" – man weiß nicht an wen, wie, von wem, wann – ergänzt worden, wonach „das Geld für die Agitation" durch „Vertrauenspersonen", die Bolschewiki Fürstenberg (Hanecki) und Kozlowski „gehe" (an wen? Das „Dokument" hütet sich, direkt zu sagen, dass Lenin die schuldige oder die verdächtige Person sei!! Das Dokument schweigt sich darüber aus, an wen das Geld „gehe"). Angeblich liegen auch Beweise für Geldüberweisungen durch die Banken vor, und angeblich habe „die Militärzensur einen ununterbrochenen (!) telegraphischen Verkehr politischen und finanziellen Charakters zwischen deutschen Agenten und den bolschewistischen Führern festgestellt"!!

Wiederum eine plumpe Lüge, deren Widersinn augenfällig ist. Wäre auch nur ein einziges Wort daran wahr, wie ist es dann zu erklären, dass 1. Hanecki noch ganz vor kurzem freie Einreise nach Russland und dann wieder freie Ausreise erhielt; 2., dass weder Hanecki noch Kozlowski verhaftet wurden, bevor die Nachricht über ihre Verbrechen in der Presse erschien? Hätte der Generalstab, wenn er wirklich halbwegs vertrauenswürdige Nachrichten über Geldüberweisungen, Telegramme usw. besaß, die Verbreitung dieser Nachrichten durch die Alexinskis und die gelbe Presse zugelassen, ohne Hanecki und Kozlowski zu verhaften? Ist es nicht klar, dass wir nichts weiter als ein plumpes Machwerk von Zeitungsverleumdern niedrigster Sorte vor uns haben?

Wir fügen hinzu, dass weder Hanecki noch Kozlowski Bolschewiki sind, sondern Mitglieder der Polnischen Sozialdemokratischen Partei, dass Hanecki – Mitglied des ZK dieser Partei – uns vom Londoner Parteitag (1903),7 den die polnischen Delegierten verlassen hatten, bekannt ist. Die Bolschewiki haben weder von Hanecki noch von Kozlowski irgendwelche Gelder erhalten. Das alles ist purer, plumpster Schwindel.

Worin besteht seine politische Bedeutung? Erstens darin, dass die politischen Gegner der Bolschewiki ohne Lüge und Verleumdung nicht auskommen können. Dermaßen niederträchtig und gemein sind diese Gegner.

Zweitens darin, dass wir auf die in der Überschrift dieses Artikels gestellte Frage Antwort erhalten.

Der Bericht über die „Dokumente" ist bereits am 16. Mai an Kerenski abgegangen. Kerenski ist Mitglied sowohl der Provisorischen Regierung als auch des Rates, d. h. beider „Regierungsgewalten". Zwischen dem 16. Mai und dem 5. Juli liegt viel Zeit. Wäre die Regierungsgewalt eine wirkliche Macht, dann könnte sie, dann müsste sie selber die „Dokumente" untersuchen, die Zeugen verhören, die Verdächtigen verhaften.

Die Regierungsgewalt, beide Regierungsgewalten, die Provisorische Regierung wie das Zentralexekutivkomitee, konnten und mussten dies tun.

Beide Regierungsgewalten unternehmen nichts. Der Generalstab aber steht, wie sich herausstellt, in irgendwelchen Beziehungen zu Alexinski, der wegen seiner Verleumdungen zum Exekutivkomitee des Rates nicht zugelassen wurde! Der Generalstab lässt gerade zu der Zeit, wo die Kadetten aus der Regierung austreten – wohl zufällig – seine offiziellen Dokumente Alexinski zur Veröffentlichung in die Hand spielen!

Die Regierung unternimmt nichts. Weder Kerenski noch die Provisorische Regierung noch das Exekutivkomitee des Rates denken auch nur daran, Lenin, Hanecki und Kozlowski, wenn sie verdächtig sind, zu verhaften. Gestern nachts, am 4. Juli, ersuchen Tschcheïdse und Zeretelli die Zeitungen, die offenkundige Verleumdung nicht zu veröffentlichen. Zugleich aber schickt Polowzew etwas später, spät nachts, Junker8 und Kosaken, um die Redaktion der „Prawda" zu demolieren, um deren Erscheinen zu verhindern, ihre Herausgeber zu verhaften, die Geschäftsbücher zu beschlagnahmen (angeblich, um nachzuprüfen, ob nicht Eintragungen über verdächtige Gelder zu finden sind), und zur selben Zeit wird in dem gelben Schmutzblättchen niedrigsten Kalibers „Schiwoje Slowo" eine gemeine Verleumdung losgelassen, um die Leidenschaften aufzupeitschen, um die Bolschewiki mit Dreck zu bewerfen, um eine Pogromstimmung zu erzeugen, um das Vorgehen Polowzews, der Junker und Kosaken, die die „Prawda" demolierten, besser zu rechtfertigen.

Wer seine Augen nicht vor der Wahrheit verschließt, kann nicht im Irrtum bleiben. Wo gehandelt werden muss, da unternehmen beide Regierungsgewalten nichts: das Zentralexekutivkomitee weil es den Kadetten „vertraut" und Angst hat, sie zu kränken, und die Kadetten unternehmen als Regierungsmacht nichts, weil sie es vorziehen, hinter den Kulissen zu agieren.

Da haben wir sie, die hinter den Kulissen agierende Konterrevolution: es sind die Kadetten, gewisse Kreise des Generalstabs (die „Kommandospitzen der Armee", wie es in der Resolution unserer Partei heißt) und die verdächtige, halb-schwarzhundertlerische Presse. Sie sind es, die nicht untätig bleiben, die einmütig „zusammenarbeiten"; das sind die Kreise, in denen die Pogromstimmungen, Pogromversuche, Schüsse auf Manifestanten und so weiter und so weiter genährt werden.

Wer nicht absichtlich seine Augen vor der Wahrheit verschließt, kann nicht länger im Irrtum bleiben.

Es gibt keine Regierungsmacht und es wird keine geben, solange nicht ihr Übergang in die Hände der Räte den Grund zur Errichtung einer solchen Macht gelegt hat. Die Konterrevolution nutzt den Zustand der Regierungslosigkeit aus, indem sie die Kadetten mit gewissen Kommandospitzen der Armee und der Schwarzhundertpresse vereinigt. Das ist die traurige Wirklichkeit, aber es ist die Wirklichkeit.

Arbeiter und Soldaten! An euch ist es jetzt, konsequent, standhaft und wachsam zu sein!

1 „Listok Prawdy" – erschien am 19. (6.) Juli 1917 im Umfange von nur zwei Seiten an Stelle der „Prawda", deren Druckerei von den Junkern zerstört worden war.

2 Die „Julitage" waren durch den ganzen Verlauf der russischen Revolution vorbereitet worden. Seit der zweiten Hälfte des Juni 1917 war die Unzufriedenheit der Massen mit der reaktionären Politik der Provisorischen Regierung im steten Ansteigen begriffen. Zur Demonstration am 30. (18.) Juni erschienen die Massen mit den Losungen: „Nieder mit den zehn Kapitalisten-Ministern", „alle Macht den Räten". Der Misserfolg der von Kerenski unternommenen Offensive am 30. (18.) Juni und die Opfer, die den Verbündeten zuliebe gebracht wurden, wirkten ebenfalls revolutionierend auf die Massen. Die Petrograder Regimenter befanden sich in Aufregung, weil die Regierung sich entgegen dem am 12. März (27. Februar) mit dem Exekutivkomitee des Petrograder Rates abgeschlossenen Vertrag mit der Absicht trug, sie an die Front zu schicken, um die Hauptstadt von den der Revolution treu ergebenen Truppen zu räumen. Die konterrevolutionären Generale drohten, die Hauptstadt den Deutschen auszuliefern. Der bereits begonnenen Bewegung gab der Rücktritt der Kadetten-Minister einen weiteren Antrieb.

Dem Bericht zufolge, den J. Stalin auf dem 6. Parteitag der SDAPR erstattete, war der Verlauf der Ereignisse folgender: am 16. (3.) Juli rebellierte als eines der ersten das Maschinengewehr-Regiment, dessen Delegierte in der Stadtkonferenz der Bolschewiki erschienen und mitteilten, dass das Regiment an alle Truppenteile Delegierte entsandt habe, um sie zum Aufstand aufzurufen; sie baten um die Unterstützung der Bolschewiki. Die Konferenz antwortete ablehnend, weil sie die Bewegung für verfrüht hielt. Das um 10 Uhr abends zu einer Sitzung einberufene Zentralkomitee gab mit Rücksicht auf die Stimmung der Massen die Losung einer friedlichen Demonstration heraus. Die Arbeitersektion des Petrograder Rates trat mit zwei Dritteln der Stimmen für die Aktion ein und wählte als Leitung ein provisorisches Komitee aus 15 Mitgliedern. Lenin war am 16. (3.) Juli nicht in Petrograd, und er konnte, nachdem er die Nachrichten über die Ereignisse erhalten hatte, erst am nächsten Tag in die Stadt zurückkehren. Am 17. (4.) Juli nahmen über eine halbe Million Arbeiter und Soldaten an der Bewegung teil. In der Stadt herrschte mustergültige Ordnung. Institutionen wurden nicht besetzt, und nirgends wandten die Massen Gewalt an. An der Ecke des Newski-Prospektes und der Sadowaja wurde auf die Demonstranten geschossen, worauf die Arbeiter und Soldaten das Feuer erwiderten. Das Zentralexekutivkomitee der Räte, das sich in Händen der Menschewiki und Sozialrevolutionäre befand, lehnte die Forderung, die Staatsgewalt in die eigene Hand zu nehmen, ab. Die Bewegung geriet in eine Sackgasse. Ein Teil der Soldaten kehrte in die Kasernen zurück, ein anderer Teil blieb auf der Straße. Am 18. (5.) Juli wurden von der Spionage-Abteilung der Regierung fabrizierte „Dokumente" veröffentlicht, die die Unterschriften Alexinskis und Pankratows trugen und den Zweck hatten, die Massen zu demoralisieren: in ihnen wurde behauptet, Lenin handle im Auftrag des deutschen Generalstabs. Am Abend trafen die von Kerenski von der Front herangezogenen konterrevolutionären Truppenteile und die Junker aus der Umgegend von Petrograd ein; sie besetzten die Stadt, die Brücken und gingen dann zu Verhaftungen, Haussuchungen und Pogromen über. Die Bewegung wurde unterdrückt.

3 „Jedinstwo" („Einheit") hieß die von Georg Plechanow 1917 in Petrograd herausgegebene Zeitung. Die Richtung des Blattes war extrem-sozialchauvinistisch: es predigte den Sieg über Deutschland und die Unterstützung der Provisorischen Regierung. Das „Jedinstwo" trieb eine wütende Agitation gegen die Bolschewiki und befürwortete die Koalition mit den Kadetten. Später beteiligte sich die „Jedinstwo"-Gruppe zusammen mit den anderen bürgerlichen Parteien an den konterrevolutionären Organisationen und wirkte zugunsten von Denikin und Koltschak.

4 „Rjetsch" – große Tageszeitung, erschien von 1906 bis 1917 in Petersburg unter der Redaktion Miljukows; Zentralorgan der Kadettenpartei.

5 „Schiwoje Slowo" (das „Lebendige Wort") – eine in Petrograd im Jahre 1916 herausgegebene kleine Boulevardzeitung, die auf die rückständigsten Schichten der Stadtbevölkerung berechnet war. Erschien nach der Februarrevolution mit dem Untertitel: „Zeitung der parteilosen Sozialisten". In den Julitagen trieb das Blatt schwarzhundertlerische Agitation. Im August wurde es verboten und erschien noch mehrere Wochen hindurch unter dem Namen „Slowo" (das „Wort") und „Nowoje Slowo" (das „Neue Wort").

Die verleumderische Behauptung Alexinskis und Pankratows war veröffentlicht in Nr. 51 (404) vom 18. (5.) Juli 1917 unter dem Titel „Lenin, Hanecki und Konsorten sind Spione". Der Wortlaut dieser Erklärung, die unter Mithilfe des Generalstabs und der Spionage-Abteilung fabriziert worden war, war folgender: „Dem Komitee der Journalisten bei der Provisorischen Regierung wurde folgender Brief zugestellt, der die eigenhändigen Unterschriften des Mitgliedes der zweiten Reichsduma G. Alexinski und des ehemaligen Schlüsselburggefangenen W. Pankratow trägt:

Wir, die Unterzeichneten, Grigorij Alexejewitsch Alexinski, ehemaliger Abgeordneter der Arbeiter der Stadt Petrograd in der zweiten Reichsduma, und Wassilij Semjonowitsch Pankratow, Mitglied der Partei der Sozialrevolutionäre, der 14 Jahre im Schlüsselburger Zuchthaus zugebracht hat, betrachten es als unsere revolutionäre Pflicht, Auszüge aus soeben erhaltenen Dokumenten zu veröffentlichen, aus denen die russischen Bürger ersehen werden, welche Gefahr und von welcher Seite her der russischen Freiheit, der revolutionären Armee und dem revolutionären Volke, die mit ihrem Blute diese Freiheit erkämpft haben, droht. Wir fordern die sofortige Untersuchung. G. Alexinski, W. Pankratow, 4. Juli 1917, Petrograd."

Zusammen mit einem vom 16. Mai 1917 datierten Brief des Stabs-Chefs des Höchstkommandierenden wurde dem Kriegsminister das Protokoll einer Vernehmung des Fähnrichs des 16. Sibirischen Schützenregiments Jermolenko, die am 28. April dieses Jahres stattgefunden hat, übersandt. Aus den Angaben, die er dem Chef der Erkundungsabteilung im Stab des Höchstkommandierenden machte, geht folgendes hervor: Er ist am 25. April d. J. zu uns hinter die Front der 6. Armee geschickt worden, um dort für den raschen Abschluss eines Sonderfriedens mit Deutschland Agitation zu treiben. Auf Drängen der Genossen übernahm Jermolenko diesen Auftrag. Die Offiziere des deutschen Generalstabs, Schiditzki und Lübers, teilten ihm mit, dass in Russland eine ebensolche Agitation von dem Agenten des deutschen Generalstabs, dem Vorsitzenden der Ukrainischen Sektion des ,Bundes zur Befreiung der Ukraine', A. Skoropis-Joltuchowski, und von Lenin getrieben werde. Lenin hätte den Auftrag erhalten, aus allen Kräften danach zu streben, dass das Vertrauen des russischen Volkes zur Provisorischen Regierung untergraben werde. Das Geld für die Agitation ginge über einen gewissen Swedson, einen Angestellten der Deutschen Botschaft in Stockholm. Das Geld und die Instruktionen werden durch Vertrauensleute übermittelt.

Aus soeben erhaltenen Mitteilungen ist ersichtlich, dass diese Vertrauensleute folgende sind: in Stockholm der Bolschewik Jakob Fürstenberg, bekannter unter dem Namen Hanecki, und Parvus (Doktor Helphandt); in Petrograd: der bolschewistische Rechtsanwalt M. J. Kozlowski und eine Verwandte Haneckis – Sumenson, die sich ebenso wie Hanecki mit Spekulationen befassen, und andere. Kozlowski ist der Hauptempfänger deutscher Gelder, die aus Berlin durch die Diskonto-Gesellschaft an die Stockholmer Via-Bank und von dort an die Sibirische Bank in Petrograd gesandt werden, wo sein laufendes Konto jetzt über zwei Millionen Rubel beträgt. Die Militärzensur hat einen ununterbrochenen Austausch von Telegrammen politischen und finanziellen Inhalts zwischen den deutschen Agenten und den bolschewistischen Führern (Stockholm-Petrograd) festgestellt."

Der Brief trägt folgende Anmerkung G. Alexinskis und W. Pankratows: „Aus technischen Gründen werden wir die Originaldokumente später veröffentlichen."

6 Der „Bund zur Befreiung der Ukraine" war eine ukrainische ultranationalistische Organisation deutscher Orientierung, die zu Beginn des imperialistischen Krieges aus Gruppen entstanden ist, die vorher der ukrainischen Sozialdemokratie angehört hatten. An der Spitze des Bundes standen Bassok-Melenewski und Skoropis-Joltuchowski, die früheren Führer der „Spilka", des ukrainischen sozialdemokratischen Verbandes, der der SDAPR angehört hatte und seinen allgemeinen Tendenzen nach den Menschewiki nahestand; ferner A. Issuk, W. Doroschenko und P. Bensi, ehemalige Mitglieder der ukrainischen sozialdemokratischen Arbeiterpartei (einer von der „Spilka" getrennten Organisation). Der „Bund zur Befreiung der Ukraine", der die mit Hilfe des deutsch-österreichischen Imperialismus zu erwerbende Unabhängigkeit der Ukraine zu seiner Losung gemacht hatte, war im Grunde genommen nur eine Agentur dieses Imperialismus. Der Bund wurde von der deutschen Regierung weitgehend subsidiert, trieb mit ihrer finanziellen Unterstützung in Deutschland unter den gefangenen Ukrainern Propaganda und versuchte – übrigens ohne nennenswerte Erfolge – in der Ukraine eine entsprechende nationalistische Bewegung in Gang zu bringen.

7 Gemeint ist der 2. Parteitag der SDAPR, der in Brüssel eröffnet, aber infolge polizeilicher Verfolgungen nach London verlegt wurde.

8 Offiziersschülerformationen. Die Red.

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