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Karl Liebknecht 19040225 Antwort an Herrn von Hammerstein

Karl Liebknecht: Antwort an Herrn von Hammerstein

Zuschrift an den „Vorwärts"

25. Februar 1904

[Vorwärts Nr. 47 vom 25. Februar 1904. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 1, S. 61-63]

Werter Genosse!

Nachdem es der Herr Minister des Innern für angezeigt gehalten hat, mich im preußischen Abgeordnetenhaus öffentlich anzugreifen, wird er sich gefallen lassen müssen, dass ich mich öffentlich gegen diese Angriffe wehre. Ich will durch diese Abwehr aber keineswegs anerkennen, dass die Ausfälle und Darlegungen des Ministers auf kritische und unbefangene Menschen irgendwelchen Eindruck machen können.

1. Herr von Hammerstein behauptet, ich hätte „geantwortet, dass ich jede Auskunft verweigere und mich nicht vernehmen lassen wolle; wenn der Minister aber irgendeinen höheren Beamten zu mir schicken wolle, dann würde ich vielleicht bereit sein, dem nähere Auskunft zu geben".

Das ist unwahr, ich habe dem Minister überhaupt nicht „geantwortet", weil ich von ihm nicht gefragt worden bin. Ich habe mich niemals geweigert, irgendeine Auskunft zu geben oder mich vernehmen zu lassen, sondern mich ausdrücklich bereit erklärt, und zwar durch den Mund des Herrn Dr. Wetscheslow, jede erforderliche Auskunft zu geben. Wenn der Regierung an einer Aufklärung des Sachverhalts gelegen wäre, hätte sie wohl den Weg zu mir gefunden. Das Reichspostamt hat diesen Weg, der allein sachgemäß war, aus eigenem Antrieb gewählt und beschritten. Es mag eine Naivität von mir gewesen sein, zu glauben, dass, was einer obersten Reichsbehörde recht ist, einem preußischen Minister billig sei.

Dass ich zu einer näheren Aufklärung der Sache wohl imstande gewesen wäre, dürfte inzwischen publik geworden sein.

2. Der Minister behauptet, der Vorgang, bei dem mir auf dem Heimweg vom Gericht von einem Spitzel über die Achsel in meine Akten hineingesehen wurde, habe sich vor Jahr und Tag abgespielt und sei erst jetzt, nachdem nähere Feststellungen wegen der Länge der Zeit nicht mehr möglich seien, der Öffentlichkeit unterbreitet worden.

Das ist unwahr. Der Vorgang hat sich Ende Oktober 1903, das heißt vor nunmehr knapp vier Monaten, ereignet und ist am Tage danach sofort im „Vorwärts" eingehend besprochen worden. Dort ist auch der Grund angegeben, aus dem ich des Burschen leider nicht habhaft werden konnte.

3. Der Minister behauptet, ich hätte ohne jede nähere Begründung den Besuch eines Unbekannten in meinem Büro als russisches Polizeimanöver bezeichnet.

Das ist unwahr. Die ausführliche Begründung meiner Auffassung ist in dem von dem Minister besprochenen Artikel wiedergegeben. Der Minister hat offenbar den Artikel überhaupt nicht gelesen und sich von seinem Geheimrat unzutreffend unterrichten lassen. Sonst wüsste er, dass der betreffende Gentleman den mich aufsuchenden russischen Studenten, bevor er unter einem nachgewiesenen Vorwand mein Büro betrat, schon durch die ganze Stadt auf Schritt und Tritt verfolgt hatte. Nur in einem Punkte könnte der Herr Minister recht behalten. Es ist nämlich durchaus nicht ausgeschlossen, ja selbst wahrscheinlich, dass in den Fällen 2 und 3 die Spitzel keine russischen, sondern deutsche Polizeiagenten waren. Der Minister mag wählen.

4. Der Minister des Innern behauptet, im Falle Krassikow und Schekoldin1 sei die Straftat, nämlich die Führung falscher Pässe und falscher Namen, erst nachträglich ermittelt worden, und unmittelbar nach ihrer Ermittelung seien die Russen dem Richter vorgeführt worden.

Das trifft nicht zu. Mir ist, als ich unmittelbar nach der Verhaftung den Dirigenten der VII. Abteilung des hiesigen Polizeipräsidiums aufsuchte, von diesem bereits der Tatbestand der den beiden Russen zur Last gelegten strafbaren Handlung mitgeteilt worden, und zwar gerade zur Motivierung der polizeilichen Haft. Auf meine Frage, ob denn ein Strafverfahren eingeleitet werden solle, wurde mir von demselben Herrn eröffnet, das sei nicht beabsichtigt, man werde die Verhafteten festhalten, bis man über ihre Persönlichkeit im Klaren sei, und sie dann, wenn sie nicht einen Anlass zur Auslieferung geben würden, aus Preußen ausweisen. Erst später, also mehrere Tage nachdem ein hinreichender Verdacht der erwähnten Straftaten begründet war, ist das Strafverfahren eingeleitet worden.

Übrigens hat nach ausdrücklicher Mitteilung des erwähnten Dirigenten der Minister selbst diese ganze Angelegenheit geleitet.

5. Der Minister hat behauptet, die Ausweisung des Dr. Wetscheslow sei „in der allerhumansten Form" erfolgt.

Diese allergrößte Humanität des Herrn von Hammerstein bestand darin, dass Dr. Wetscheslow am 31. Dezember vorigen Jahres die Ausweisungsorder für sich, seine Frau, die krank war, und seine Kinder, von denen eines gleichfalls bettlägerig war, mit einer Frist von sechs Tagen (sage und schreibe: sechs Tage) bei Vermeidung der „zwangsweisen Beförderung nach der russischen Grenze" erhielt. Dr. Wetscheslow wohnte seit zirka vier Jahren in Berlin und Hermsdorf; eines seiner Kinder besuchte die Schule. Die Beschwerde gegen die Ausweisungsorder ist vom Landrat zurückgewiesen. Allerdings hat Dr. Wetscheslow am 22. dieses Monats eine neue, die frühere aufhebende Ausweisungsorder mit einer Frist von 28 Tagen erhalten, in der jene Androhung zwangsweiser Beförderung fehlt.

Ich würde Ihnen für den Abdruck obiger Zeilen verbunden sein.

Ihr

Dr. K. Liebknecht

1 Zwei russische Staatsbürger, die nach einer Haussuchung grundlos verhaftet und nach Verbüßung einer Gefängnishaft ausgewiesen worden waren. Karl Liebknecht hatte sie 1903 verteidigt.

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