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Karl Liebknecht 19040919 Die Jugend und der Kampf gegen den Militarismus

Karl Liebknecht: Die Jugend und der Kampf gegen den Militarismus

Diskussionsreden zum Antrag 1051

[Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Bremen vom 18. bis 24. September 1904, Berlin 1904, S. 178/179, 188-190. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 1, S. 76-79]

I

19. September 1904

Einige Worte zur Begründung des Antrages 105. Man wird gegen den Antrag einwenden: Wozu ist eine derartige Agitation notwendig? Der Kampf gegen den Militarismus ist doch in unserm allgemeinen Kampf gegen den Kapitalismus einbegriffen und wird schon seit jeher aufs Schärfste geführt! Und wer nicht außerhalb der Kaserne Sozialdemokrat geworden ist, wird es sicher in der Kaserne; der Militarismus ist der beste Agitator gegen den Militarismus!

Aber ich sehe nicht ein, weshalb wir nicht die besondere Art der Agitation unter der proletarischen Jugend, die ja nebenher schon betrieben wird, spezialisieren sollen – gerade deswegen, weil der Militarismus unser schlimmster Feind ist und weil der Kampf gegen ihn nicht besser geführt werden kann als durch fortgesetzte Vermehrung der Sozialdemokraten unter den Soldaten, natürlich nicht, während sie Soldaten sind. Aber wenn sie Sozialdemokraten sind, bevor sie Soldaten werden, steht's um unsere Sache am besten. Die bedeutendsten Vertreter unsrer Partei sind ja überzeugt, dass der Militarismus in sich zermorschen müsse, bevor der Sieg unsrer Ideen gelingen könne.

Da wir nicht in der Lage sind, wie in anderen Ländern, in der Kaserne Agitation zu treiben, muss die Agitation in die Zeit verlegt werden, wo die Gesetze sie nicht verhindern. Natürlich ist eine solche spezialisierte Agitation in gewissem Sinne gefährlich; es sind überall kriminelle Fußangeln ausgelegt. Aber es genügt, unter der proletarischen Jugend systematisch unsre Ideen zu propagieren, unter ganz besonderer Hervorhebung des Charakters des Militarismus; die sozialdemokratischen Rekruten wissen, wie sie sich beim Militär zu verhalten haben. Der Militarismus stellt die höchste Konzentration der brutalen Gewalt des Kapitalismus dar. Die Armee wird aber auch viel in wirtschaftlichen Kämpfen missbraucht, um Streikbrecherdienste zu leisten. Ich erinnere nur an den Eisenbahnerstreik in Ungarn.2 Ich weiß sehr wohl, dass es eine große Gefahr wäre, wollten wir die Rekruten zum Widerstand auffordern; das würde dazu führen, dass ungezählte Jahre Zuchthaus und Gefängnis verhängt würden. Wohl aber müssen wir dafür sorgen, dass, wenn es einmal zu heftigen Zusammenstößen zwischen der gegenwärtigen Staatsgewalt und dem organisierten Proletariat kommt, sich die Staatsgewalt nicht mehr so stark fühlt wie gegenwärtig, wo sie sicher ist, dass ihr die blindlings gehorchende Armee auch zu Ungesetzlichkeiten zur Verfügung steht. Ich weiß, dass unser Antrag insofern in Deutschland nicht den günstigen Boden hat wie in anderen Ländern, weil uns ein Glied in der Kette der Organisation noch fehlt, nämlich das Glied der sozialdemokratischen Jugendorganisation. Aber wenn wir den Antrag annehmen, so wird das auch für Deutschland nicht fruchtlos sein. Es würde eine spezielle Aufgabe der Gewerkschaften werden, denen ja viele junge Leute angehören, auf sie einzuwirken. Der Zweck des Antrages ist, einen Impuls zu geben zur Verschärfung und Systematisierung eines besonders wichtigen Zweiges der Agitation, der Jugendagitation gegen das Hauptbollwerk des Kapitalismus, gegen den Militarismus.

II

20. September 1904

Haben Sie keine Sorge, dass ich noch lange Erörterungen pflegen werde. Es ist meinem Antrage so gegangen wie einem Opfer in der Schlacht, das erst totgeschossen, dann nochmal totgeschlagen, dann gevierteilt und schließlich ins Wasser geworfen und ersäuft wird. Also vier- bis fünffacher Mord ist von den verschiedensten Parteiautoritäten schon an dem Antrag geübt worden. Es ist sogar behauptet worden, ich hätte Selbstmord an ihm geübt durch meinen neuen Antrag. Das ist nicht zutreffend, und ich habe mich vor allem zu Worte gemeldet, weil Genosse von Vollmar meinen Antrag gänzlich missverstanden hat, jedenfalls infolge eines Hörfehlers. Mein Antrag geht nicht dahin, dass Jugendorganisationen in Deutschland gegründet werden sollen und dass diese Jugendorganisationen die besondere Aufgabe des Kampfes gegen den Militarismus haben sollen. Der Antrag geht vielmehr dahin, den Antrag 105 für erledigt zu erklären, indem der Parteitag anerkennt, dass es notwendig ist, eine besondere Agitation für den Sozialismus in der Jugend zu entfalten und in dieser Agitation den Kampf gegen den Militarismus in den Vordergrund zu stellen. Das ist etwas ganz andres, als was Genosse Vollmar bekämpft hat.

Unberechtigt ist auch der hier mit besonderer Pointierung erhobene Vorwurf, dass hier eine neue Methode versucht werde. Es ist ja besonders pikant, diesen Vorwurf aus dem Munde Vollmars zu hören, er ist aber unzutreffend. Ich will nichts, als dass die alte Methode – meinetwegen, um die Phrase zu gebrauchen, die altbewährte Methode – angewandt werde mit besonderem Nachdruck auf einem besonderen Gebiete, nämlich dem der Agitation in der Jugend gegen den Militarismus.

Genosse Vollmar meinte meine Ausführungen schon durch den Hinweis darauf abtun zu können, dass ich den Militarismus als das ärgste Übel bezeichnet hätte. Das habe ich nicht getan. Ich nehme es ja niemand übel, wenn er vergisst, was ich gestern gesagt habe. Ich habe begonnen: Ich vermutete, die Gegner würden sagen: Dieser Antrag rennt offene Türen ein. Das ist ganz richtig. Er rennt, was die Prinzipien unsrer Taktik anbelangt, offene Türen ein, aber die Prinzipien der Taktik werden nicht immer mit gleichem Nachdruck durchgeführt. Ich habe den Militarismus als das wichtigste Bollwerk des Kapitalismus bezeichnet – das ist doch selbstverständlich. Ebenso selbstverständlich ist die Notwendigkeit, ja die Pflicht, die Jugend, ihren besonderen Interessen, ihrer besonderen Lebenslage entsprechend, zu packen in der Agitation für den Sozialismus und insbesondere gegen den Militarismus.

Man hat darauf hingewiesen, dass der Kampf gegen den Militarismus besonders bei den Wahlen mit großem Nachdruck geführt worden sei. Da zeigt sich gerade ein Hauptmangel der Agitation. Bei den Wahlen, die gewissermaßen den Grundstock unsrer großzügigen Agitation bilden, wendet man sich naturgemäß hauptsächlich an die Leute, die bereits über das militärpflichtige Alter hinaus sind; es handelt sich aber gerade darum, schon vorher die Jugend zu packen. Das sind natürlich abgetretene Sachen, dass die Jugend durch die Zustände von selbst zum Sozialismus erzogen wird, dass sozialistische Eltern ihre Kinder sozialistisch erziehen. Aber so richtig es ist, dass unsre Partei die Agitation nötig hat und dass wir dann und wann auch spezielle Agitation bei den Landarbeitern, bei den Frauen usw. entfalten, genauso erwägenswert ist die Frage, ob es sich nicht empfiehlt, unter der Jugend eine besondere prinzipielle Agitation in Angriff zu nehmen. Von einer neuen Methode ist keine Rede.

Dass der Antrag 105 unglückselig gefasst ist, darüber sind wir uns alle einig; ich habe jedoch von vornherein selbst verschiedene Vorbehalte gemacht. Alles, was hier angeführt ist, um zu deduzieren, dass ich ein Mensch wäre, der nicht über seine Nasenspitze hinaussehen kann, habe ich gestern selbst ausgeführt. Aber durch meinen heutigen Antrag sind alle Bedenken beseitigt. Es ist für keinen Sozialdemokraten zweifelhaft, dass wir verpflichtet sind, die Jugenderziehung in Angriff zu nehmen, und Jugenderziehung heißt Erziehung gegen den Militarismus. Diesem Antrag stehen keinerlei juristische und politische Schwierigkeiten gegenüber, ich bitte Sie um seine Annahme.

1 „Parteigenossen Elbing und Potsdam-Spandau-Osthavelland:

Die Partei möge unter den Proletariern, die zur Armee einberufen werden, vor dem Eintritt in dieselbe in geeignetster Weise Propaganda für die Ideen des Sozialismus machen. Insbesondere sind die künftigen Soldaten durch Broschüren über ihre Pflicht gegenüber dem sogenannten ,inneren Feinde' aufzuklären. In diesen Broschüren ist den Soldaten auch Rat zu erteilen, wie sie sich angesichts der zahlreichen Soldatenmisshandlungen zu verhalten haben." (Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Bremen vom 18. bis 24. September 1904, Berlin 1904, S. 151.)

Die ablehnende Haltung eines Teiles der Delegierten, unter ihnen auch August Bebels, zu dem Antrag veranlasste Karl Liebknecht, seinen Antrag zurückzuziehen und statt dessen folgenden Antrag einzubringen: „In Anerkennung der Notwendigkeit, unter der proletarischen Jugend eine systematische Agitation für die sozialdemokratischen Lehren zu entfalten; in Anerkennung weiter der Notwendigkeit, bei dieser Jugendagitation den Kampf gegen den Militarismus in den Vordergrund zu stellen, hält der Kongress den Antrag 105 für erledigt." (Ebenda, S. 182.)

Nach heftigen Angriffen der Rechten auf diesen Antrag ging der Parteitag auf Antrag Südekums zur Tagesordnung über.

2 Gemeint ist der Generalstreik der Beamten und Arbeiter der Staatseisenbahnen in Ungarn vom 19. bis 25. April 1904. Die österreichisch-ungarische Regierung ließ zahlreiche Führer der Streikenden verhaften und Militär als Fahr- und Abfertigungspersonal einsetzen.

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