Karl Liebknecht‎ > ‎1904‎ > ‎

Karl Liebknecht 19041229 Für die Trennung von Schule und Kirche

Karl Liebknecht: Für die Trennung von Schule und Kirche

Diskussionsrede zum Referat und zur Resolution über den Schulgesetzentwurf1

[Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Preußens. Abgehalten zu Berlin vom 28. bis 31. Dezember 1904, Berlin 1905, S. 51-55. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 1, S. 107-111]

Wie sich das persönliche Elend am augenfälligsten in der zerlumpten und zerschlissenen Kleidung offenbart, so das Schulelend in dem jämmerlichen Zustande der Schulgebäude, diesem Bettlerkleid unserer Volksschule. Bedauerlicherweise hat Arons, da er zu viel Material zu bewältigen hatte, nicht auf die Zustände der Schulgebäude eingehen können. Ich möchte aus eigener Erfahrung einen Fall erzählen: In Schöneiche, unmittelbar vor den Toren Berlins, existiert ein für rund 50 Kinder bestimmtes Schulgebäude, das aus einem Raum mit einem Fenster besteht, zirka zwei Meter hoch, vier Meter lang ist und die eine Hälfte des allgemeinen Schnitterhauses bildet. Es ist feucht, der Ofen qualmt, es ist kein Licht darin, und nach ärztlichem Gutachten ist der Aufenthalt in diesem Raum für die menschliche Gesundheit auf die Dauer gefährlich. Einige Personen, die ihre Kinder aus der Schule zurückhielten und vom Staate verlangten, dass er ein ordentliches Gebäude hergibt, wurden mit Strafen belegt. Einer erhob Widerspruch, und die Gerichte, sowohl das Landgericht als das Kammergericht in Berlin, entschieden, dass eine Verpflichtung zum Besuch der Schule nicht besteht, wenn damit eine Gefährdung der Gesundheit verbunden ist. Ich füge hinzu, dass in diesem Falle allerdings die Klage von einem Angehörigen der besitzenden Klassen ausgegangen ist. Ich möchte bezweifeln, ob das gleiche Experiment gelingen würde, wenn es sich um Angehörige der ärmeren Klassen handelte. Wenn zum Beispiel in Trakehnen die Kinder der Hofgänger nicht in die Schule geschickt würden, so würde wahrscheinlich gesagt werden: Für euch ist der Schweinestall immer noch gut genug.

Erwähnenswert ist noch eine Folge des kaiserlichen Erlasses von 1889, den Arons erwähnt hat. Auf Grund dieses Erlasses musste zum Beispiel im Jahre 1890 auf dem Friedrich-Werderschen-Gymnasium, wohlgemerkt: sogar auf einem Gymnasium, in Berlin die Lektüre des bellum civile, jenes berühmten historischen Dokuments von Julius Cäsar über den römischen Bürgerkrieg, plötzlich abgebrochen werden. (Heiterkeit.) Den Kindern wurde eine weniger gefährliche Lektüre gegeben.

Nicht deutlich genug hat Arons hervorgehoben, dass der sogenannte Falksche Liberalismus2 im Grunde genommen nichts weiter ist als ein organischer Teil der deutschen Kulturkampf-Gesetzgebung3, gerichtet gegen den Ultramontanismus.

Wenn heute der Schulkompromiss zustande gekommen ist, so liegt das daran, dass jetzt das Zentrum in Deutschland Trumpf ist. Es hat in gewissem Sinne eine Aussöhnung zwischen Katholizismus und Protestantismus stattgefunden; die früheren Gegensätze sind verschwunden hinter dem allgemeinen Gegensatz der Geschorenen und Gescheitelten gegenüber dem Proletariat. Beide halten die Zeit für gekommen, um die Beute unter sich zu teilen; sie wollen das alte Wort von dem Zähmen der Bestie erfüllen und die Volksschule noch mehr als bisher zu einem Verdummungsinstitut machen. („Sehr richtig!")

Gegen die Resolution habe ich einige geringfügige Einwendungen. Im Absatz 4 ist die Rede von hilfsbedürftigen Schülern. Sollte es sich nicht ermöglichen lassen, den Makel der Hilfsbedürftigkeit zu beseitigen? Ich will keinen positiven Vorschlag machen, vielleicht ändert Arons das selbst. Weiter könnte wohl unter Ziffer 3 die Forderung der Schaffung von Schulärzten aufgenommen werden. Für den Antrag Zepler werden wir selbstverständlich alle stimmen; die gemeinsame Erziehung der Geschlechter entspricht ja unserem allgemeinen sittlichen und kulturellen Standpunkt.

Gegen die Ausführungen von Heine muss auch ich mich wenden, obwohl ich glaube, dass Erdmann ihm Unrecht tut. Heine hat kein Entgegenkommen zeigen wollen, er sagt, wir wollen unsere Kinder nicht dem Klerikalismus überantworten. Aber ich glaube, Heine geht absolut fehl, wenn er meint, dass man diese Überantwortung dadurch vermeiden könne, dass man in der Schule Moralunterricht, Kunstunterricht und dergleichen erteilt. Wir sehen hier auf das deutlichste, wie sich das Schulproblem berührt mit dem allgemeinen Bildungsproblem. Es ist ganz unmöglich, mit der Volksschule das zu erreichen, was wir erreichen wollen: den Unterricht so zu gestalten, wie es notwendig ist für eine fortgeschrittene Gesellschaft, wenn nicht das allgemeine Kulturniveau gehoben wird, wenn nicht die Kinder im Hause auch eine freie Gesinnung finden. Hier vermischt sich das Problem der Volksschule mit dem Problem der allgemeinen geistigen Befreiung des Menschengeschlechtes. Das von Heine vorgeschlagene Gegengift gegen den Klerikalismus ist durchaus nicht wirksam. Heine sagt: Das religiöse Bedürfnis ist tief in der Kinderseele begründet. In gewissem Sinne ist das richtig. Mir ist indes der Ausdruck religiöses Bedürfnis unsympathisch, verschwommen. Religiöse Äquivalente sind freilich unentbehrlich. Die Kunst und in noch viel höherem Maße die Natur können sehr wohl ein Äquivalent für die Religion bieten. („Sehr richtig!") Es kann nichts Glücklicheres geben, als wenn man dem naturwissenschaftlichen Unterricht den größten Raum in dem Lehrplan einräumt. („Sehr richtig!") Unmöglich erscheint es mir, hier einige Gegenstände herauszugreifen, die als religiöse Äquivalente dienen sollen, die Gesamtheit des Unterrichts kann und muss in diesem Sinne wirken.

Was die Forderung der Einführung des Moralunterrichts betrifft, so wollen wir doch unsere Volksschule, die gegenwärtig ein Instrument ist zur Schaffung der den herrschenden Klassen angenehmen Moral, gerade aus dieser Moralisierungstendenz herausholen. Solange nicht der Begriff der Moral in unserem sozialistischen Sinne festgelegt ist, können wir unter keinen Umständen einen Moralunterricht gebrauchen. Ganz unerträglich an dem Antrag Heine ist die Wendung, dass er einen Ersatz schaffen will für den „religiösen" Unterricht. Was Heine uns vorschlägt, soll ja auch nach seiner Ansicht kein Ersatz, sondern ein Gegensatz zur Religion im jetzigen schulmäßigen Sinne sein; es soll zur Bekämpfung der Religion dienen, und deshalb ist seine Formulierung eine Verschleierung. Wir müssen mit scharfen Worten die Trennung der Schule von der Kirche fordern, wie es in der Resolution geschieht. (Lebhafter Beifall.)

1 Der Parteitag beschäftigte sich unter anderem mit einem dem preußischen Landtag vorliegenden, durch ein Kompromiss zwischen den bürgerlichen Parteien zustande gekommenen Schulgesetzentwurf, der die Schule der Kirche völlig auslieferte. Dr. Leo Arons, der die Debatte einleitete, legte im Auftrage des Parteivorstandes eine Resolution vor, in der als Mindestmaß zur Hebung der Volksschule in Preußen folgendes gefordert wurde:

1. Die Trennung der Schule von der Kirche, d. h. die gänzliche Beseitigung des Einflusses der Geistlichkeit in der Schule und die Ausscheidung jedes religiösen Unterrichts aus dem Lehrstoff der Schule. Die religiöse Unterweisung der Kinder ist für diejenigen Eltern, die sie für wünschbar halten, deren Privatangelegenheit.

2. Die Einheitsschule für alle der Schulpflicht unterworfenen Schüler: neben der Unentgeltlichkeit des Unterrichts auch die Unentgeltlichkeit der Lehrmittel; Beschränkung der Schülerzahl auf ein Maß, das dem Lehrer die volle Unterweisung seiner Schüler ermöglicht. Bessere Ausbildung und Besoldung der Lehrerschaft.

3. Schaffung von Schulräumen und Lehrmitteln, die den Anforderungen der Hygiene und der vorgeschrittensten Pädagogik entsprechen.

4. Ernährung und Bekleidung aller hilfsbedürftigen Schüler." (Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Preußens. Abgehalten zu Berlin vom 28. bis 31. Dezember 1904, Berlin 1905, S. 126/127.)

Die Resolution wurde mit einigen Ergänzungen angenommen.

2 Adelbert Falk (1827–1900), preußischer Politiker, Liberaler, 1872–1879 Kultusminister, im sogenannten Kulturkampf engster Mitarbeiter Bismarcks, arbeitete die Maigesetze aus und führte einige Reformen im Schulwesen durch.

3 Anfang der siebziger Jahre versuchte Bismarck, durch die sogenannte Kulturkampfgesetzgebung den Einfluss der katholischen Kirche in Deutschland zurückzudrängen und dadurch die Vormachtstellung Preußens zu festigen. Die katholische Kirche, die ihre Macht, die sie in den vorwiegend katholischen Ländern, zum Beispiel in Bayern, besaß, durch das protestantische Preußen bedroht sah, schuf sich in Deutschland eine vom Vatikan beherrschte eigene Partei, das Zentrum, die sich auf die mit der Vorherrschaft Preußens unzufriedenen Teile des katholischen Adels, der Bourgeoisie, des Kleinbürgertums und der Bauern, vor allem in Süddeutschland, stützte, auch gewissen Einfluss unter den katholischen Arbeitern hatte und zum Sammelbecken partikularistischer Tendenzen wurde. Die Bismarckschen Gesetze richteten unter anderem die staatliche Schulaufsicht ein, unterstellten die Besetzung der Kirchenämter der Kontrolle des Staates, führten die Zivilehe ein und verwiesen die Jesuiten des Landes. Zahlreiche Geistliche, die sich der Durchführung der Gesetze widersetzten, wurden verhaftet. Ende der siebziger Jahre kam es zur Annäherung zwischen Bismarck und den Katholiken und zu ihrem gemeinsamen Kampf gegen die Sozialdemokratie.

Kommentare