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Karl Liebknecht 19050212 Der Kampf im Ruhrrevier und die Revolution in Russland

Karl Liebknecht: Der Kampf im Ruhrrevier und die Revolution in Russland

Zeitungsbericht über eine Rede in Leipzig-Plagwitz

[Leipziger Volkszeitung, Nr. 36 vom 13. Februar 1905. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 1, S. 127-131]

Wie groß das Interesse ist, das die Arbeiterschaft für jene beiden gewaltigen politischen Ereignisse der Gegenwart bekundet, mit welcher Spannung sie namentlich die Vorgänge in Russland verfolgt, davon legte gestern Vormittag wiederum die großartige Demonstration im „Felsenkeller" in Leipzig-Plagwitz Zeugnis ab, wo weit über 2500 Personen erschienen waren, um aus dem Munde unseres Genossen Dr. Karl Liebknecht, Berlin, über die weltgeschichtliche Bedeutung der beiden Ereignisse weiteres zu hören.

In begeisternder Rede schilderte Liebknecht noch einmal die Ursachen und den Verlauf des nun plötzlich zu Ende gegangenen Kampfes im Ruhrrevier und geißelte dabei in schärfster Weise das traurige Verhalten der Herren Bülow und Möller im Reichstage gegenüber dem rücksichtslos-brutalen Gebaren der Zechenbesitzer, die auf die Regierung pfeifen und sie noch in dreister Weise verhöhnen. Welches der Zweck des Vorgehens der Grubenbarone ist, das hat sich namentlich in den letzten Tagen mit aller Deutlichkeit offenbart: Sie wollen die völlige Niederschmetterung der Arbeiterorganisationen, was sie in dem bisherigen Kampfe nicht erreicht haben, aber jetzt dadurch zu erreichen hoffen, dass sie die Wiedereinstellung der Arbeiter einfach ablehnen, damit diese in ihrer Verzweiflung zu Gewalttätigkeiten gereizt werden. Das ist ihr Ziel. Von dem angekündigten preußischen Berggesetz ist, vorausgesetzt, dass überhaupt ein solches kommt, nichts zu erwarten. Die preußische Regierung ist nicht Herr in Preußen; dort regiert das Kraut- und das Schlotjunkertum. Übrigens ist die preußische Regierung selbst an dem Grubenkapital beteiligt. Wenn also ein Berggesetz eingebracht wird, dann ist es sicherlich so beschaffen, dass es neben einem Quäntchen Arbeiterschutz zentnerschweren Arbeitswilligenschutz enthält.

Genosse Liebknecht rühmte sodann das große Maß Selbstüberwindung und die Einmütigkeit der Bergarbeiter in diesem Riesenkampfe, der, wenn er auch den Kämpfenden selbst keinen materiellen Erfolg, so doch einen gewaltigen moralischen Erfolg gebracht hat, und zwar für die gesamte Arbeiterschaft. Ihr sind die Augen aufgegangen. Tief hat sich in ihr die Überzeugung fest gewurzelt, dass die Regierung weiter nichts als ein Ausschuss der Kapitalisten ist, und das Märchen vom sozialen Königtum hat heute seinen Platz in der Rumpelkammer.

Angesichts des fest koalierten Unternehmertums warf der Redner die Frage auf, welche Möglichkeit die Arbeiter überhaupt noch haben, den Übermut des Kapitalismus und seiner Regierung zu brechen. Diese Frage berühre sich mit der des Generalstreiks. Die Möglichkeit des politischen Generalstreiks sei jetzt mehr als je in die Erscheinung gerückt. Er bilde eine wichtige Frage für die Fortentwicklung der Arbeiterbewegung nicht nur Deutschlands, sondern für die ganze zivilisierte Welt. Und von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, habe der Kampf im Ruhrrevier weltgeschichtliche Bedeutung, denn er zeige, welche Taktik in Zukunft die Arbeiterbewegung einzuschlagen habe.

Aber bei aller Wichtigkeit dieses Kampfes für die Arbeiterbewegung, so fuhr der Redner fort, sind die gegenwärtigen Vorgänge in Russland von unendlich größerer Bedeutung, sie sind ein Wendepunkt für die Geschicke der Völker Europas. In ausführlicher Weise verbreitete sich der Vortragende alsdann über die Geschichte der revolutionären Propaganda in Russland, besonders über die Dekabristenbewegung, die bekanntlich von der Blüte des russischen Adels ausging und mit einem grausamen Hinschlachten der Teilnehmer endete. Weiter schilderte er den „Zar-Befreier" Alexander (II. Die Red.), der mit den Geschworenengerichten und der sogenannten Bauernbefreiung die revolutionäre Bewegung aus der Welt zu schaffen hoffte; die brutale Unterdrückung aller Nationalitäten in Russland, der Letten, der Polen, der Finnen, der Juden usw.; die beispiellose Korruption unter den Beamten, die Hungersnöte, die darauffolgende Periode der „Propaganda der Tat", in der auch der Zar Alexander II. durch die Bombe endete. Langsam aber stetig verbreitet sich von dieser Zeit ab die Industrie, die eigentliche Triebkraft des Proletariats. Mit dem Fortschreiten der Industrie erscheint aber auch die Sozialdemokratie auf dem Plan, die die Fahne des Marxismus entfaltet, überall, im Westen, im Norden, im Süden. Zu der gewaltsamen Unterdrückung jeder freien Regung im Volke gesellten sich die Brutalitäten der Russifizierungspolitik, die besonders Finnland stark zu kosten bekommen hat, Finnland, dem gegenüber der Zar Nikolaus (II. Die Red.) einen glatten Meineid geleistet hat, wie das auch Tolstoi unwiderleglich nachweise.

Bei der gänzlichen Rechtlosigkeit der russischen Arbeiterschaft war schließlich der Streik die einzige Waffe. Aber auch gegen diese Waffe der Arbeiterschaft ging man rücksichtslos vor, indem man den Streik als Majestätsbeleidigung qualifizierte. Die ständigen Begleiter von Streiks wurden deshalb die Kosakensäbel und die Kosakenpeitschen. Der Redner erinnerte hierbei an die Auspeitschung der Teilnehmer der letzten Maidemonstration auf Befehl des Gehilfen Plehwes, des Gouverneurs Wahl. Ist es nicht natürlich, meinte er weiter, dass unter solchen Umständen der Gewalt ebenfalls Gewalt entgegengesetzt wird? Dort, wo man kein Recht kennt, kein legitimes Vorgehen? Wäre es nicht so, wie würde dann eine Kundgebung denkbar sein wie die des Bundes der Eisenindustriellen in Warschau? Nein, keine Schicht, keine Klasse besitzt in Russland irgendwie ein Recht. Nur eine Clique hat es, die Großfürsten, diese Mörder und Großgauner. Gesetzlich ist in Russland nichts als die Brutalität und der Schnaps!

Die gegenwärtige Revolution in Russland ist kein Strohfeuer, das mit einigen Gewaltstreichen zu vernichten wäre. Sie wird sich über das ganze Reich ausdehnen, bald hier verlöschen, bald dort wieder empor lodern, bis in ganz Russland der Brand allgemein ist. Und wem habe man das zu danken?

Noch vor einigen Jahren erklärten selbst diejenigen russischen Revolutionäre, die zu den kühnen Vorwärtsstürmern gehörten, dass es noch jahrzehntelanger Arbeit bedürfe, ehe das russische Volk zur Revolution vorbereitet sei. Aber es ist anders gekommen: Die Kanonenschüsse vor Port Arthur im Februar vorigen Jahres haben die Wendung gebracht. Sie haben die Geburt der Revolution verkündet, wie etwa in Preußen Kanonenschüsse die Geburt eines Prinzen verkünden. Japan hat daher der Zivilisation einen gewaltigen Dienst geleistet. Jetzt wird die Bewegung in Russland nicht mehr mit Kartätschen zu vernichten sein. Mögen auch Bülow und seine Helfershelfer emsig bemüht sein, Steine herbeizuschleppen, um den schwankenden Bau des Zarismus wieder zu festigen, es wird ihnen nichts nützen. Wir haben alle Veranlassung zu wünschen, dass Japan der russischen Armee weitere und gründliche Niederlagen in Ostasien bereitet; denn je schmählicher, empfindlicher das Fiasko in Ostasien, desto größer die Erfolge der Revolution in Russland. Glaube man ja nicht, dass das gesamte Militär dem Zarismus sicher sei. Eine Menge Anzeichen beweisen das Gegenteil. Der Redner erinnerte hierbei an die meuternden Matrosen und an die bis jetzt wohl noch nicht bekannte Tatsache, dass an dem blutigen 22. Januar in Petersburg Offiziere, vor der Front liegend, mit dem Revolver in der Hand, alle Soldaten daraufhin beobachteten, ob sie etwa falsche Schüsse abgeben würden.

Der 22. Januar wird in der Geschichte Russlands einen Wendepunkt bedeuten. An dem Blute, das an jenem Tage vergossen wurde, wird auch der Zarismus verbluten. Nicht einzelne sind es, die etwa künstlich die Bewegung entfacht haben, sondern das ganze russische Volk hat sich erhoben, um sein Menschenrecht zu fordern, und es ist kein Zweifel, dass mit der Vernichtung der Landarmee Kuropatkins auch die Bastille des Zarismus zusammenstürzt. Die Freiheit, die für Russland anbricht, ist aber auch die Freiheit für Preußen, für Sachsen, für Deutschland. Die Freiheit kann sich auch im Westen nie entfalten, solange das Barbarentum und der Zarismus im Osten herrschen. Deshalb die elende Kriecherei der deutschen Regierung vor dem Zarismus, deshalb die Bereitwilligkeit zu jeder Unterstützung, die der Zarismus wünscht. Wir haben, so schloss der Redner, also alle Ursache, zur Fahne der russischen Revolution zu halten. Die russische Revolution ist unsre Sache, die Reaktion die Sache des Zaren und der preußischen Regierung. Die deutsche Sozialdemokratie weiß sich eins mit dem russischen Proletariat, seine Freiheit ist auch unsere Freiheit. Darum nieder mit dem blutbefleckten Zarismus! Es lebe die russische Revolution!

Minutenlanger, stürmischer Beifall folgte dem Vortrage. Ihr Einverständnis mit dem Referenten bekundete die Versammlung noch durch einstimmige Annahme einer Resolution, worin sowohl den heldenmütigen Kämpfern im Ruhrrevier als auch denen in Russland volle Anerkennung zum Ausdruck gebracht wurde. Nachdem die Versammelten das Andenken der gefallenen russischen Freiheitshelden noch durch Erheben von den Plätzen in pietätvoller Weise geehrt hatten, wurde die Versammlung geschlossen.

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