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Karl Liebknecht 19060928 Partei und Gewerkschaften

Karl Liebknecht: Partei und Gewerkschaften

Begründung des Antrages 1031

[Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Mannheim vom 23. bis 29. September 1906, Berlin 1906, S. 311-313. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 1, S. 194-197]

Es hieße Eulen nach Athen tragen, wollte ich näher darlegen, dass ein Bedürfnis nach Herbeiführung einer engeren Fühlung zwischen Partei und Gewerkschaften besteht; es fragt sich nur, in welcher Weise dieses Ziel zu erreichen ist. Die Vorschläge unseres Antrages zu a, b und c sind nicht von den Osthavelländern entdeckt, sondern von Richard Fischer, von Elm, von Poetzsch und anderen bei verschiedenen Gelegenheiten bereits in Vorschlag gebracht worden. Das einzig Neue in dem Antrag sind die Punkte d und e, d eigentlich auch nicht recht, denn der Sinn dieses Teiles ist auch bereits tausendfältig von den Genossen akzeptiert worden.

Der Gedanke einer organisatorischen Verbindung zwischen Partei und Gewerkschaften ist nicht nur ein Ziel, aufs Innigste zu wünschen, sondern auch in anderen Ländern bereits realisiert. Ich weise nur hin auf Dänemark, Österreich, Belgien, Holland, Schweden. Da sind Partei und Gewerkschaften zu einer höheren Einheit, zu einer Synthese zusammengefasst, und zwar ohne dass dadurch die Bewegungsfreiheit einer der beiden Organisationen gestört wäre. Denn natürlich kann keine Rede davon sein, dass die eine Organisation zugunsten der anderen abdanke, gebunden oder geknebelt oder auch nur in der Ausübung der ihr wesentlichen Funktionen gehemmt werde. Selbst in Frankreich wird trotz des dort verbreiteten antiparlamentarischen Syndikalismus neuestens eine solche Annäherung erstrebt. Wir sehen also die Verwirklichungsmöglichkeit vor uns. Und wir dürfen es nicht bei allgemeinen Sympathiekundgebungen bewenden lassen, sondern müssen den Gedanken der Einheit zwischen Partei und Gewerkschaften organisatorisch, durch Schaffung dauernder Einrichtungen, verwirklichen. Das ist aber nur möglich auf Grundlage der Anerkennung der Gleichberechtigung beider Organisationen. Diese Gleichberechtigung, die gegenwärtig fast ein Dogma in der deutschen Sozialdemokratie ist, muss dazu führen, dass eine Verbindung in Form eines Kartellverhältnisses hergestellt wird. Natürlich bleiben hierbei sowohl Gewerkschaften als auch die Partei im Wesentlichen selbständig, sie dürfen sich nicht gegenseitig verschlucken. Es gilt also, ständige Einrichtungen zur Verbindung zwischen Partei und Gewerkschaften zu schaffen, und an solchen Einrichtungen kommen in Frage zum Beispiel ein Aktionsausschuss, regelmäßige Konferenzen und eine Art Personalunion zwischen beiden Zentralleitungen und schließlich vor allem der vereinigte Partei- und Gewerkschaftskongress als gemeinschaftliche höchste Instanz in gewissen Fragen für beide Organisationen. Wenn wir das nicht beschließen, dann laufen wir einfach auseinander, und unsere ganzen Debatten über das Verhältnis von Partei und Gewerkschaften haben zu keinem klaren Erfolg geführt. In kritischen Zeiten besteht stets eine Konfliktsmöglichkeit. Und wenn dann der Gewerkschaftskongress „hü" und der Parteitag „hott" sagt, dann weiß niemand, wohin er laufen soll.

Wir müssen den Mut haben, die Konsequenzen aus der gegenwärtigen Lage zu ziehen, und insbesondere eine gemeinschaftliche höchste Instanz schaffen. Es bestehen gegen unseren Vorschlag, wie die internationalen Kongresse beweisen, weder juristische noch praktische Bedenken. Dass Zweckmäßigkeitsgründe dafür sprechen, ist selbstverständlich. Jedes Argument, das man etwa gegen die von uns vorgeschlagenen gemeinschaftlichen Partei- und Gewerkschaftskongresse vorbringen könnte, könnte sofort totgeschlagen werden mit dem Hinweis auf die internationalen Kongresse. („Sehr richtig!")

Molkenbuhr meinte: Ja, ihr wollt über den Kopf der Gewerkschaften hinweg resolvieren, dass Organisationen geschaffen werden, die doch nur unter Mitwirkung der Gewerkschaften geschaffen werden können. Das stimmt nicht. In der Einleitung unseres Antrages ist ausdrücklich davon die Rede, dass der Parteivorstand nur als unser Beauftragter die organisatorischen Vereinbarungen mit den zuständigen Gewerkschaftsinstanzen herbeiführen soll. Ebenso hinfällig ist der andere Einwand Molkenbuhrs. Er hat Punkt d nicht beachtet. Nur in Fragen, in denen sich ihre Zuständigkeit kreuzt, sollen beide Organisationen nicht selbständig vorgehen. Damit erledigt sich also ohne Weiteres das zweite und letzte Argument Molkenbuhrs.

Ich wiege mich keineswegs in dem Köhlerglauben, dass man durch organisatorische Bestimmungen alles machen kann. Solche Einrichtungen können ebenso wertlos sein wie Beschlüsse; aber der Kitt zur Verbindung zwischen Partei und Gewerkschaften ist dann doch vorhanden, es ist nur nötig, ihn richtig anzuwenden.

Wir müssen dem unerträglichen Übergangsstadium, in dem sich augenblicklich die deutsche Arbeiterbewegung befindet, so schnell wie möglich ein Ende machen. Alle Beschlüsse, die wir bisher auf diesem Gebiet gefasst haben, werden ein Schlag ins Wasser sein, wenn wir nicht die Konsequenzen ziehen, wie sie der Antrag 103 zieht. Nehmen Sie den Antrag an; er bietet die beste Grundlage zur Herbeiführung der Einigkeit zwischen Partei und Gewerkschaften, die wir alle erstreben.

1 „Potsdam-Spandau-Osthavelland:

Im Anschluss an die vom Jenaer Parteitage dem Parteivorstand überwiesene Resolution 143 beschließt der Parteitag:

Der Parteivorstand bat unverzüglich in Verhandlungen mit der Generalkommission der Gewerkschaften zu treten zur Herbeiführung einer dauernden Fühlung und Verbindung zwischen der politischen und der Gewerkschaftsbewegung. Insbesondere ist anzustreben:

a) die Ergänzung des Parteivorstandes durch einige Mitglieder der Generalkommission und die Hinzuziehung einiger Mitglieder des Parteivorstandes zur Generalkommission;

b) Bildung eines aus Vertretern beider Organisationen bestehenden Aktionsausschusses;

c) regelmäßige gemeinschaftliche Sitzungen des Parteivorstandes und der Generalkommission;

d) beiden Organisationen wird zur Pflicht gemacht, in Fragen, in denen sich ihre Zuständigkeit kreuzt, nicht selbständig, sondern nur unter gegenseitiger Verständigung oder nach dem vergeblichen Versuch einer solchen Verständigung vorzugehen;

e) in solchen Fragen ist auch erforderlichenfalls die Abhaltung gemeinschaftlicher Partei- und Gewerkschaftskongresse – nach Art der internationalen Kongresse – zu erwägen." (Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Mannheim vom 23. bis 29. September 1906, Berlin 1906, S. 127.) Durch Annahme des Antrages Fischer, Berlin, der den Parteivorstand beauftragte, bis zum nächsten Parteitag in Verbindung mit der Generalkommission der Gewerkschaften zu versuchen, die Frage der lokal organisierten Gewerkschaften zu regeln, wurde der Antrag erledigt.

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