Karl Liebknecht: „Post"-Lügen

Erklärung an „Die Post"

[Leipziger Volkszeitung Nr. 140 vom 21. Juni 1906. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 1, S. 181-184]

In Ihrer Nr. 277 vom 16. dieses Monats berichten sie unter der Stichmarke „Neue Tatsachen gegen neue ,Vorwärts'-Lügen" über ein Verfahren gegen einen Briefträger vom Postamt 25 wegen Vergehens gegen Paragraph 554 des Reichsstrafgesetzbuches und die Rolle, die ich in diesem Verfahren angeblich gespielt haben soll. Ich bemerke dazu:

1. Während der Briefträger bereits am 25. März in Untersuchungshaft genommen ist, bin ich von ihm erst Ende April mit der Verteidigung betraut worden. Ich habe ihn das erste Mal Anfang Mai besucht, konnte also nicht schon Ende März Anträge beim Gericht stellen.

2. Es ist ferner unwahr, dass ich „unmittelbar nach der Verhaftung des Mannes meinerseits eine eingehende Untersuchung eingeleitet und alle bei der Sache irgendwie beteiligten Personen verhört hätte". Vielmehr habe ich in dieser Angelegenheit weder kurz nach der Verhaftung noch zu irgendeiner anderen Zeit eine eingehende oder auch nicht eingehende Untersuchung eingeleitet. Ebenso wenig habe ich bis zum heutigen Tage in dieser Sache irgendeinen Zeugen vernommen oder gehört oder meines Wissens auch nur zu Gesicht bekommen. Auch habe ich eine solche Untersuchung oder solche Verhöre oder auch nur irgendein Inverbindungtreten mit den etwaigen Zeugen niemals direkt oder indirekt veranlasst, noch weiß ich, dass etwas derartiges von irgendeiner dritten Seite geschehen wäre.

3. Am 29. Mai ist der Briefträger aus der Untersuchungshaft entlassen. Die Anschuldigung, dem „Vorwärts" Briefe übermittelt zu haben, ist von der unter dem 2. Juni gegen den Briefträger erhobenen Anklage ausdrücklich fallengelassen. Der Briefträger ist nur angeklagt, ein paar Drucksachen von Konfektionsgeschäften „aus Bequemlichkeit" nicht abgeliefert zu haben. (Vergehen gegen Paragraph 354 StGB.)

Hochachtungsvoll

Dr. K. Liebknecht

Rechtsanwalt