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Karl Liebknecht 19060929 Schafft einen Ausschuss für antimilitaristische Propaganda!

Karl Liebknecht: Schafft einen Ausschuss für antimilitaristische Propaganda!

Diskussionsreden zum Antrag 1141, 29. September 1906

[Nach Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Mannheim vom 23. bis 29. September 1906, Berlin 1906, S. 383 f., 385 und 386 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 1, S. 198-201]

I

Auf dem Pariser Internationalen Kongress von 1900 ist nach einem Referat der Genossin Luxemburg beschlossen worden, den Parteien aller Länder einen besonderen energischen Kampf gegen den Militarismus zur Pflicht zu machen. Dieser Beschluss ist damals einstimmig gefasst worden, also auch mit Zustimmung der deutschen Delegierten.

Wie steht es aber mit der Ausführung des Beschlusses?

Dass der Militarismus nicht identisch ist mit der bewaffneten Macht, dem stehenden Heer, dass er vielmehr – von seiner internationalen Bedeutung ganz abgesehen – eine höchst verwickelte und verzweigte Erscheinung ist, die alle möglichen Gebiete unseres wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lebens durchtränkt, braucht in dem Jahre des Marokkokonflikts, des 1200-Millionen-Militäretats, in dem Jahre, das den 21. Januar, das Nürnberg, Magdeburg und jüngst noch Landau gesehen hat2, am wenigsten betont zu werden. („Sehr gut!")

Ebenso wenig bedarf es der Hervorhebung, dass der Militarismus das wichtigste derjenigen brutalen Machtmittel ist, durch die sich die herrschende Klasse der kapitalistischen Gesellschaft einer organischen Fortentwicklung gewaltsam entgegenzustellen sucht und durch die sie eine solche Entwicklung in einem gewissen Sinne und Umfange zu hemmen vermag gegen die Demokratie, gegen den Willen der Mehrheit des Volkes. Die Bekämpfung dieser komplizierten und gefährlichen Erscheinung ist natürlich auch kompliziert und gefährlich. Ich mache keinen Hehl daraus und täusche mich nicht darüber. Die Empfindlichkeit unseres Klassenstaats in dem Punkte Militarismus ist naturgemäß außerordentlich. Sie steht in direktem Verhältnis zu dem bösen Gewissen der herrschenden Klassen gegenüber dem Proletariat und zu der Angst um den Verlust ihrer Machtstellung. Mit allgemeinen Redensarten und Anfeuerungen ist da nicht genug getan. Die notwendige Agitation ist zu schwierig, eigenartig und verwickelt, als dass sie innerhalb der allgemeinen Agitation genügend wirksam betrieben werden könnte. Sie bedarf eines besonderen Plans, einer besonderen Beweglichkeit und Aktivität. Daher ist eine besondere Agitation nötig, und damit diese besondere Agitation erfolgreich betrieben werde, muss sie durch eine besondere Zentralinstanz geleitet werden.

Es ist Ihnen allen wohlbekannt, in welchem Umfange sich unsere Bruderparteien, besonders in Frankreich und Belgien, mit der antimilitaristischen Propaganda befasst haben und mit welchem Erfolg. In Deutschland sind wir auf diesem Gebiet noch weit zurück und haben zur Ausführung des Pariser Beschlusses so gut wie nichts getan.

Unser Antrag schlägt Ihnen nur die Einsetzung eines Ausschusses vor, über dessen Konstituierung Näheres nicht gesagt zu werden braucht. Ebenso ist es unmöglich und überflüssig, das einzelne seiner Obliegenheiten hier festzulegen; das wird von Fall zu Fall zu entscheiden sein und bedarf einer genauen Überlegung und Prüfung. Selbstverständlich gedenken wir, uns sorgfältig innerhalb des gesetzlichen Rahmens zu halten.

Dass der Ausschuss, wenn er klar und verständig ist, keine nennenswerten Gefahren zu besorgen hat, unterliegt für mich kaum einem Zweifel. Der Antrag 114 ist so vorsichtig gefasst, dass ihm gegenüber alle Ängstlichkeiten und Besorgnisse, die in Deutschland gegenüber dem Antimilitarismus geradezu traditionell sind, in die Luft verfliegen müssen. Sie haben gestern die Einsetzung eines Bildungsausschusses beschlossen, der im Kampf gegen den Unverstand der Massen, den Feind, den wir am meisten hassen, ein Generalstab sein soll. („Sehr gut!") Beschließen Sie, so bitte ich Sie jetzt noch, die Schaffung dieses antimilitaristischen Ausschusses als eines Generalstabs gegen den Militarismus, das heißt gegen das stärkste Bollwerk des Kapitalismus, das uns noch lange widerstehen kann, wenn wir den Unverstand der großen Masse längst überwunden haben werden (Lebhafte Zustimmung) – gegen den Militarismus, durch den der Kapitalismus sich vor der demokratischen Entwicklung verschanzt, sie verfälscht und der unser Volk aufs Schlimmste brutalisiert und barbarisiert. Wenn Sie den Antrag annehmen, erfüllen Sie damit nicht nur Ihre Pflicht gegenüber dem Pariser Internationalen Kongress, sondern Sie tun damit für die deutsche Arbeiterbewegung auch einen guten Schritt vorwärts. Ich bitte Sie, ihm möglichst einmütig zuzustimmen. (Beifall.)

II

Die Bedenken von Bebel sind nicht stichhaltig. Ich habe nicht bestritten, dass die Partei ihre Schuldigkeit im Kampfe mit dem Militarismus in Parlament und Presse tut. Aber das genügt gegen diesen Feind nicht. Selbstverständlich soll der Ausschuss unter Kontrolle der Parteileitung stehen. Die Interessen der Partei dürfen durch seine Wirksamkeit in keiner Weise geschädigt werden. Er soll nur ein besonderes Organ sein, das eine besondere Funktion innerhalb der Propaganda auszuführen hat, und ein solches Organ brauchen wir, wenn wir unsere Schuldigkeit tun wollen. Dabei bleibe ich, trotz aller Ausführungen Bebels.

III

Wir haben noch niemals verkannt, dass der Militarismus eine Begleiterscheinung des Kapitalismus ist und dass es keine bessere Bekämpfung des Militarismus gibt als den Kampf gegen den Kapitalismus. Wir dürfen aber nicht verkennen, dass das Wesen des kapitalistischen Militarismus wandlungsfähig ist. Ebenso wie wir unsere Agitation in Bezug auf die Verhältnisse derer, die nicht im bunten Rock stecken, vielfach spezialisieren, ebenso berechtigt ist eine besondere Bekämpfung des Militarismus. Ich gebe zu, dass wir vorzügliches Material für diesen Kampf haben, aber dieses Material wird nicht an die richtige Stelle gebracht. (Widerspruch.) Die Schwierigkeit der Agitation liegt nicht so sehr in der Beschaffung des Materials, als vielmehr in der Zuleitung dorthin, wohin es in erster Linie gehört. Sollten Sie diesen Antrag ablehnen, so wird Potsdam-Osthavelland trotz alledem alle Jahre damit wiederkommen. Nach den Worten Molkenbuhrs darf ich aber wohl darauf rechnen, dass Sie beide Anträge annehmen und damit ein Werk vollenden, das den Parteitag würdig abschließt.

1 „Potsdam-Osthavelland: Eine besondere antimilitaristische Propaganda ist systematisch zu entfalten. Zu diesem Zwecke ist ein ständiger Ausschuss zu bilden." (Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Mannheim vom 23. bis 29. September 1906, Berlin 1906, S. 129.) Der Antrag wurde abgelehnt.

2 Am 21. Januar 1906, am Jahrestage des Blutsonntags in Petersburg, fanden in ganz Preußen machtvolle Protestversammlungen der Sozialdemokratischen Partei gegen das Dreiklassenwahlrecht statt. In Nürnberg führte die Polizei am 23. und 24. August 1906 blutige Überfälle auf die dortige Bevölkerung durch, die gegen die Haftentlassung eines Streikbrechers, der einen Arbeiter erschossen hatte, protestierte. In Magdeburg hatte Ende März 1906 ein Kutscherstreik stattgefunden, dem wegen „Nötigung" von Streikbrechern ein „Aufruhrprozess" folgte. Das Urteil wurde am 28. September, also einen Tag vor der Rede Karl Liebknechts, veröffentlicht. In Landau waren Anfang September 1906 Soldaten zum Eingreifen in den Streik des Eisenwerkes in Kaiserslautern bereitgestellt worden.

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