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Karl Liebknecht 19060513 Zur Affäre Schöne - von Brockhusen

Karl Liebknecht: Zur Affäre Schöne - von Brockhusen

[Vorwärts, Nr. 111 vom 15., Nr. 112 vom 16. und Nr. 115 vom 19. Mai 1906. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 1, S. 172-180]

I

Zuschrift an den „Vorwärts" 13. Mai 1906

Als Vertreter des russischen Kaufmanns, der in die Affäre Schöne – von Brockhusen verwickelt ist, weise ich die am 12. dieses Monats im preußischen Abgeordnetenhause von dem Minister des Innern gegen meinen Klienten erhobene Verdächtigung, mein Klient scheine sich dem Kriminalkommissar Schöne zuerst zur Spionage gegen sein Vaterland angeboten zu haben und erst später anderen Sinnes geworden zu sein, nachdrücklich zurück. Diese Verdächtigung ist erweislich unzutreffend. Ich werde das in aller Kürze eingehend darlegen, bitte Sie aber, diese Zeilen schon heute zu veröffentlichen, damit die Auslassungen des Ministers nicht einen Tag länger unwidersprochen bleiben.

Berlin, den 13. Mai 1906

K.Liebknecht

Rechtsanwalt

II

Zuschrift an die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung", 15. Mai 1906

Sehr geehrter Herr Redakteur!

Als Bevollmächtigter des in die Affäre des Kriminalkommissars Schöne verwickelten russischen Kaufmanns ersuche ich Sie ergebenst und dringendst, in Ihrer morgigen Nummer folgender Richtigstellung Raum zu geben. Ich gründe dieses Ersuchen darauf, dass die Ausführungen des Ministers auch in Ihre Zeitung Eingang gefunden haben.

Der preußische Minister des Innern hat nach dem stenographischen Bericht des heutigen „Reichsanzeigers" am 12. dieses Monats im preußischen Abgeordnetenhause folgendes ausgeführt:

Wie es scheint – ich muss mich dieses vorsichtigen Ausdrucks bedienen, weil der russische Kaufmann inzwischen eine längst geplante Geschäftsreise nach Russland angetreten hat und noch nicht hat gehört werden können –, wie es scheint, hat diese dritte Person den russischen Kaufmann bestimmt, um die Erlaubnis zum längeren Verweilen hier zu erhalten, seinerseits dem Kriminalkommissar Schöne das Angebot zu gewissen Diensten zu machen. Kurz darauf ist – das will ich ausdrücklich hervorheben – der russische Kaufmann anderen Sinnes geworden und hat einen hiesigen Rechtsanwalt beauftragt, seinen Wunsch um Erlaubnis zu dauerndem Verweilen im geordneten Beschwerdeweg zu verfechten."

Als Bevollmächtigter des erwähnten russischen Kaufmanns bemerke ich dazu:

Die obige Darstellung ist in allen wesentlichen Punkten unrichtig. Nach einer mir vorliegenden sehr ausführlichen eidesstattlichen Versicherung des genannten Kaufmanns vom 22. April dieses Jahres hat der Privatier von Brockhusen, der meinem Klienten geschäftlich bekannt war und stets mit seinen hohen Verbindungen geprahlt hatte, am 18. April dieses Jahres abends meinen Klienten in der Weinprobierstube Wilmersdorf, Kaiserplatz 5, mit dem Kriminalkommissar Schöne, den er als eine höchst einflussreiche Persönlichkeit, als die „beste Quelle" zur Verhinderung der Ausweisung bezeichnet hatte, zuerst zusammengebracht. Kriminalkommissar Schöne äußerte hierbei zunächst: Es sei furchtbar schwer, etwas für meinen Klienten zu tun. Ein Geheimer Justizrat habe sich für einen russischen Doktor der Chemie beim Berliner Polizeipräsidium in gleicher Angelegenheit ins Mittel gelegt und dennoch eine abschlägige Antwort erhalten. Immerhin hoffe er, meinem Klienten helfen zu können, da er (mein Klient) von Herrn von Brockhusen so warm empfohlen sei; ihm (Schöne) stehe so viel und so mancherlei zur Verfügung. Er werde meinen Klienten, wenn dieser in Petersburg sein werde, vielleicht um ein paar Kleinigkeiten bitten, doch werde er darauf später zurückkommen.

Am 20. April abends fand am gleichen Orte wiederum eine Zusammenkunft meines Klienten mit Schöne und von Brockhusen statt. Schöne berichtete: Es sei eine sehr schwierige Sache, er habe sich bei seinem Vorgesetzten ins Mittel gelegt, sei aber abschlägig beschieden worden, da diesmal keine Ausnahme möglich sei. Schließlich habe er, Schöne, eingeworfen: Ja, aber wenn sich der Herr Verdienste in staatlichen und kommunalen Angelegenheiten erwirbt? Darauf habe der Vorgesetzte erwidert: Ja, dann ist eine Ausnahme wohl möglich, dann soll der Herr bei uns gut aufgehoben sein. Von Brockhusen fügte hinzu: Dann werden Sie sogar besser als ein preußischer Untertan gestellt sein.

Ihr Anschluss hieran unterbreitete Schöne meinem Klienten den hier nicht zu erörternden Vorschlag, der deutschen Regierung hoch- und landesverräterische Spionagedienste gegen sein Vaterland Russland zu leisten. Dieser Vorschlag setzte meinen Klienten sofort in die größte Erregung, die er allerdings bei der Zwangslage, in der er sich befand, zunächst bemeisterte. Er betonte, dass ihm nichts daran liege, dem Staate Dienste zu leisten; er habe nur den Wunsch, sich Schöne für seine Gefälligkeit erkenntlich zu zeigen. Er fragte Schöne, was dieser tun würde, wenn ihm ein solcher Vorschlag gemacht werden würde. Schöne entgegnete, nach Mitteilung von Brockhusens gedenke sich mein Klient naturalisieren zu lassen, er habe ja an seinem Vaterlande sowieso nichts zu verlieren; er solle naturalisiert werden, wenn er die gewünschten Dienste geleistet habe. In seiner Rat- und Hilflosigkeit hat mein Klient dann zunächst nichts weiter eingewendet, sich aber unmittelbar nach diesem Gespräch an mehrere Freunde und an den Unterzeichneten um Rat gewandt. Natürlich hat er die Angelegenheit auch sofort mit seiner Frau besprochen. Nicht einen Augenblick hat er auch nur daran gedacht, der ihm von dem Kriminalkommissar Schöne gemachten schmählichen Zumutung zu entsprechen.

Mit Fug und Recht besorgte er aber, sofern er jetzt sofort einfach mit der gebührenden Schroffheit ablehne, um so sicherer ausgewiesen und noch überdies bezichtigt zu werden, er sei bereit gewesen oder habe sich gar angeboten, Verräterdienste gegen sein Vaterland zu leisten, der Plan habe sich nur aus niedrigen Gründen zerschlagen, zum Beispiel weil er mit der Entlohnung nicht zufrieden gewesen sei. So bestand für ihn die Gefahr, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Russland unmöglich gemacht zu werden und seinen ehrlichen Namen zu verlieren. Um dieser Gefahr sicher zu begegnen, wurde von meinem Klienten und seinen Beratern für durchaus nötig gehalten, dritten Personen vorab Einblick in die Angelegenheit zu verschaffen. Der Unterredung vom 22. April, die sodann in der Wohnung meines Klienten stattfand, wohnten mehrere unbeteiligte Personen bei. In dieser Unterredung kam es wiederum klar zum Ausdruck, dass es sich nicht um ein Angebot meines Vollmachtgebers handelte. Es wurde diesem, sofern er bis zum Ablauf der ihm von der Polizei gesetzten Frist von drei Monaten die verlangten Dienste nicht werde leisten können, vom Kriminalkommissar Schöne eine Prolongation in Aussicht gestellt, die Herr Schöne leicht durchbringen zu können betonte. Ferner wurde meinem Bevollmächtigten Geld angeboten, das dieser aber ablehnte.

Beim Beginn der Unterredung vom 22. April wurde meinem Klienten der bekannte falsche Pass auf den Handlungsreisenden Ernst Fiedler, versehen mit dem Visum des russischen Konsuls, vom Kriminalkommissar Schöne ausgehändigt, ebenso die Bescheinigung, dass er christlicher Konfession sei.

Wenn der Minister des Innern am 12. dieses Monats bemerkte, der russische Kaufmann habe wegen seiner Abwesenheit nicht gehört werden können, so vermisse ich den Zusatz, dass seine – schwer kranke – Ehefrau von einem höheren Beamten des hiesigen Polizeipräsidiums gehört worden ist und die obige Darstellung ihres Mannes bestätigt hat.

Auch sei betont, dass mein Klient, um sich vollends zu decken, dem hiesigen russischen Konsulat Mitteilung von dem Geschehenen gemacht hat.

Ich trete daher der eingangs zitierten Bezichtigung, die der Minister in der denkbar breitesten Öffentlichkeit gegen meinen wahrlich bedauernswerten Klienten erheben zu dürfen geglaubt hat und deren vorsichtige Form an ihrem Charakter nichts ändert, um der Ehre und Existenz meines Klienten und seiner Familie willen und auch im Auftrage seiner Ehefrau mit dem größten Nachdruck entgegen und fasse mich dahin zusammen:

Unwahr ist, dass mein Klient dem Kriminalkommissar Schöne jemals „gewisse Dienste" angeboten hat, unwahr ist, dass er erst nachträglich andern Sinnes geworden ist.

Tatsache ist, dass ihm Kriminalkommissar Schöne und Privatier von Brockhusen die Inhibierung der angedrohten Ausweisung als Gegenleistung für verbrecherische und gemeine Spionagedienste in Aussicht gestellt und ihn zu solchen Diensten zu gewinnen versucht haben. Tatsache ist, dass er vor die Wahl gestellt, solche Dienste zu leisten oder seine Existenz zu verlieren, nicht einen Augenblick geschwankt hat.

Berlin, den 15. Mai 1906

Ergebenst

Dr. K. Liebknecht

Rechtsanwalt

III

Zuschrift an den „Vorwärts", 17. Mai 1906

Ich bitte gegenüber der offiziösen Erwiderung, die die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" am Mittwoch Abend auf meine für den russischen Kaufmann abgegebene Erklärung vom 15. Mai gebracht hat und die auch als Antwort auf ein gleichzeitig von mir an den Minister gerichtetes Schreiben anzusehen ist, folgendes bemerken zu dürfen:

Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" wirft mir vor, in meiner Erklärung den wichtigsten Satz aus der Rede des Ministers weggelassen zu haben.

Tatsächlich handelt es sich – die Markierung ist übrigens nur infolge eines Diktatfehlers unterblieben – um einen für meine Erklärung ganz nebensächlichen Satz.

Ich habe die Erklärung im Namen des russischen Kaufmanns erlassen. Für mich als den Vertreter dieses Kaufmanns kam es nur auf die gegen meinen Klienten erhobene Bezichtigung an, und diese Bezichtigung ist buchstäblich richtig und erschöpfend wiedergegeben.

Dieselbe „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" aber, die mir aus der Weglassung eines Satzes aus der Rede des Ministers einen Vorwurf machen will, verschweigt meine Erklärung, gegen die sie polemisiert, vom ersten bis zum letzten Wort, übergeht die schweren kriminellen Beschuldigungen gegen Kommissar Schöne und von Brockhusen mit völligem Stillschweigen und wiederholt damit die Taktik des Ministers des Innern, der sich, wie gerade die Auslassung der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" erweist, im Abgeordnetenhause nicht zur Aufgabe gemacht hatte, dem russischen Kaufmann, der unstreitig unter Mitwirkung preußischer Beamten hier in schwere Bedrängnis geraten ist, Genugtuung und Sühne zu verschaffen, sondern den Kriminalkommissar Schöne, dessen strafbare Handlungen erwiesen sind, nach Möglichkeit zu decken.

Dieselbe „Norddeutsche Allgemeine Zeitung", die mir jenen Vorwurf machen zu dürfen glaubt, erwähnt auch nicht mit einem Wort, dass meine Erklärung, wenn auch ohne ausdrückliche Polemik gegen den Minister, den Kommissar Schöne gerade noch einer viel schlimmeren Handlung als jener nie behaupteten Verleitung zum Spionageangebot überführt, nämlich eines eigenen entsprechenden Angebots an den Kaufmann, einer unmittelbaren Anstiftung des Kaufmanns durch Schöne. Sie sucht durch vier Worte jede Schuld Schönes an der Spionageaffäre einfach aus der Welt zu leugnen.

Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" fährt fort: „Der Minister habe es unterlassen, über das Hineintragen der Spionageaffäre Mitteilungen zu machen, und sich darauf beschränkt, in der vorsichtigsten Weise eine Vermutung über die von der Privatperson hierbei gespielten Rolle aufzustellen."

Das ist in doppelter Hinsicht unrichtig. Der Minister hat nach dem Stenogramm gesagt: „Wie es scheint, hat diese dritte Person den russischen Kaufmann bestimmt, … dem Kriminalkommissar Schöne das Angebot zu gewissen Diensten zu machen. Kurz darauf ist… der russische Kaufmann anderen Sinnes geworden." Wenn das keine Verdächtigung ist, dann ist es auch keine Verdächtigung, wenn man äußert: „Wie es scheint, hat Müller die Uhr gestohlen, er hat sie aber später zurückgegeben."

Was würde die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" meinen, wenn ich sagen würde: Wie es scheint, hat die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" meine Erklärung, die ich auch ihr übermittelt habe, nur um deswillen verschwiegen, um ihre Leser und die Öffentlichkeit bequemer irreführen zu können nach dem Grundsatze: „Semper aliquid haeret", und was würde der Minister des Innern dazu sagen, wenn es hieße: „Wie es scheint, hat sich! der Minister im Abgeordnetenhause über die Passaffäre und die Hochverratsfrage ausgeschwiegen, um sie zu vertuschen und seine Beamten unter Preisgabe des russischen Kaufmanns nach Möglichkeit zu schützen" oder: „Wie es scheint, arbeitet die Polizei jetzt hinter den Kulissen mit Hochdruck auf die Frau des russischen Kaufmanns ein, um Verwirrung in die klare Sache zu bringen."

Die Äußerung des Ministers bedeutet auch nicht bloß, wie der Offiziosus behaupten will, eine Vermutung über die von der Privatperson hierbei gespielte Rolle, sie trifft vielmehr in allererster Linie ausdrücklich meinen Vollmachtgeber. Der zweite Satz: „Kurz darauf ist der russische Kaufmann anderen Sinnes geworden" enthält sogar eine direkte und bestimmte Bezichtigung meines Vollmachtgebers.

Wenn die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" weiter bemerkt: Innere Vorgänge derart, wie die ursprüngliche Willensrichtung des russischen Kaufmanns, „entziehen sich naturgemäß der absoluten Feststellung", so ist zu entgegnen, dass hier nicht absolute, sondern praktische Feststellungen in Frage kommen. Der Offiziosus mag sich im Kriminalgericht oder im Justizministerium Belehrung darüber holen, dass unsere ganze Justiz auf Feststellung auch subjektiver Tatbestände beruht. Eine klarere Feststellung aber der positiven Unschuld des russischen Kaufmanns, als sie hier gerade getroffen ist, ist nicht wohl denkbar.

Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" sucht schließlich die ministerielle Auslassung durch vorhandene „Erklärungen beteiligter Personen" zu entschuldigen. Diese beteiligten Personen sind natürlich der Kriminalkommissar Schöne und Freiherr von Brockhusen. Kriminalkommissar Schöne, dessen kriminelles Sündenregister in der Presse schon breit aufgerollt ist; Kriminalkommissar Schöne, der, auch wenn er niemals den Kaufmann direkt angestiftet hätte, gerichtet wäre; Kriminalkommissar Schöne, der in der erwähnten Konferenz vom 22. April die jetzt von ihm anscheinend geübte Taktik durch die an den Kaufmann gerichteten Worte ausdrücklich ankündigte: „Merken Sie sich, Sie haben mit mir nichts zu tun, wir kennen uns nicht, Sie stehen nur mit Herrn von Brockhusen in Verbindung"; Kriminalkommissar Schöne, der schließlich, als der Kaufmann zu einer späteren Konferenz nicht wieder erscheinen wollte, ihn durch die telefonische Drohung: „Dann werden wir andere Schritte ergreifen" in höchste Angst versetzt hat.

Und Herr von Brockhusen, der an alledem mitschuldig ist, der vielleicht sogar bei alledem der böse Geist des Herrn Schöne war, Herr von Brockhusen, der bereits 50 Mark Vorschuss auf sein Teil an dem Judaslohn erhalten hat und der jetzt freilich diese Silberlinge gleich dem biblischen Judas anscheinend gern wieder los sein möchte.

Ich konstatiere: Die Erklärungen dieser Herren haben dem Minister, der die Aussage der Ehefrau des Kaufmanns bereits in Händen hatte oder haben konnte, genügt, den hilflosen russischen Kaufmann, einen unbescholtenen verzweifelten Familienvater, von der Tribüne des Landtags herab der Bereitwilligkeit zum gemeinsten Verbrechen zu zeihen.

Berlin, den 17. Mai 1906

Hochachtungsvoll

Dr. K. Liebknecht

Rechtsanwalt

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