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Karl Liebknecht 19070921 Abrechnung mit den Gegnern des Antimilitarismus

Karl Liebknecht: Abrechnung mit den Gegnern des Antimilitarismus

Rede zu den Anträgen 9 und 891 21. September 1907

[Nach Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Essen vom 15. bis 21. September 1907, Berlin 1907, S. 391-393 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 2, S. 77-80]

Um die antimilitaristische Bewegung hat sich ein ganzer Sagenkreis entsponnen; sie wird in unglaublicher Weise missverstanden und mit Argumenten bekämpft, aus denen hervorgeht, dass diejenigen, die sie bekämpfen, sie gar nicht kennen. Sie bekämpfen einen Popanz, nichts Wirkliches.

Von einigen Seiten ist angekündigt, dass man auf diesem Parteitage mal ein Wörtchen über den deutschen Antimilitarismus reden wolle, man hat besonders gemeint, einen deutschen Hervéismus abfertigen zu müssen. Nun, eine kleine Militarismusdebatte haben wir ja schon bei der Diskussion über den Parlamentsbericht gehabt. Südekum und Vollmar haben da Auffassungen geäußert, die von der Sachkunde gänzlich ungetrübt sind. Südekum meinte, meine Tätigkeit erkläre sich daraus, dass ich ungeduldig sei. Ja, ungeduldig bin ich, und ungeduldig sind wir hoffentlich alle; dass aber meine antimilitaristische Tätigkeit etwa so zu verstehen wäre, als ob ich meinte, wir sollten uns Hals über Kopf in irgendeine Umwälzung hineinstürzen, das steht im Widerspruch zu allem, was ich geredet und geschrieben habe. Wir denken auch nicht im Entferntesten daran, den Militarismus losgelöst vom Kapitalismus zu bekämpfen. Man sollte doch, bevor man über solche Sachen spricht, erst die einschlägigen Publikationen lesen. Wir haben stets den organischen Zusammenhang von Militarismus und Kapitalismus betont.

Vollmar hat mit einer gewissen Ironie von dem „neuen Antimilitarismus" gesprochen. Wie er diesen Begriff definiert, ist mir nicht ganz klargeworden. Er sagte unter anderem, man solle keine großen Redensarten machen, sondern Bildung und Aufklärung verbreiten. Nun, darin stimmt er ganz überein mit der Bewegung, die er zu bekämpfen glaubt. Er hat also einen Lufthieb geführt, der uns nicht getroffen hat. Auch die wiederholt aufgestellte Behauptung, dass wir auf verschiedenen Parteitagen die Kasernenagitation verlangt hätten, muss ich wiederholt zurückweisen. Wir haben stets nur eine nachdrückliche spezialisierte antimilitaristische Propaganda gefordert.

Zur Diskreditierung der antimilitaristischen Bewegung hat Vollmar dann darauf hingewiesen, dass irgendwo – auf der Jugendkonferenz zu Mannheim – mal von irgend jemandem geäußert worden sei, die Rekruten sollten mit einem Trauerflor um den Arm in die Kaserne einziehen. Ich habe mich orientiert. Es handelt sich nicht um einen Vorschlag, der natürlich äußerst töricht wäre, sondern um eine rhetorische Floskel. Es wurde nur gesagt, es wäre besser, wenn die Leute statt mit bunten Bändern geschmückt, mit einem Trauerflor in die Kaserne gehen würden. Dass die Gefahr von Missverständnissen besteht, gebe ich zu. Ich bin durchaus der Meinung, man solle äußerst vorsichtig sein, und ich kann nur sagen: Je mehr die Bewegung sich ausbreitet, desto mehr erkennt sie diese Pflicht zur Vorsicht und erfüllt sie.

Als ich neulich vom Verekeln sprach, habe ich ausdrücklich hinzugefügt, „es fragt sich nur, wie und in welchem Sinne". Dass dieser Nachsatz, den auch der unkorrigierte Baakesche Bericht enthielt, anscheinend überhört worden ist, ist nicht meine Schuld.

Man hat mir weiter vorgeworfen, zum Beispiel in Magdeburg, ich wolle neben der Partei- und Gewerkschaftsbewegung noch eine besondere selbständige antimilitaristische Bewegung. Das ist eine Phantasie. Ich habe stets betont, dass besonders nachdrückliche systematische und spezialisierte antimilitaristische Propaganda innerhalb der allgemeinen Parteitätigkeit zu entfalten sei, und habe stets als Beispiele die Frauenagitation, die Jugendagitation, die Landarbeiteragitation usw. herangezogen. Man darf doch nicht meinen, dass, wenn ein besonderer Nachdruck für einen bestimmten Zweig der Agitation verlangt wird, dies schon ein Attentat auf die heiligen Traditionen der Partei ist. Welcher Zweig besonders zu forcieren ist, das hängt von den Umständen ab. Meinethalben mag es bisher nicht möglich gewesen sein, die antimilitaristische Propaganda in den Vordergrund zu rücken. Aber jetzt ist die Zeit dazu gekommen. Genau dasselbe habe ich übrigens auch in Stuttgart gegenüber Vollmar ausgeführt.

Dann ist behauptet worden, der Antimilitarismus sei für mich ein Steckenpferd. Das ist richtig; ich habe mich selbst schon so ausgedrückt. Ich bin aber der Meinung, dass hier ein wesentliches Manko unserer Parteitaktik vorliegt. Vollmar meinte neulich ironisch, die antimilitaristische Bewegung, wenn sie auch noch so klein sei, bestehe doch noch aus mehr Personen als aus mir. Das beweist wieder, wie wenig er hier unterrichtet ist. Hätte er nur einer der zahlreichen Versammlungen beigewohnt, in denen dies Thema behandelt wurde, dann hätte er erfahren, dass für die antimilitaristische Agitation, wie ich sie meine, in Deutschland der denkbar beste Boden vorhanden ist. Auch auf der Jugendkonferenz in Stuttgart hätte Vollmar erfahren können, dass der Antimilitarismus, wie ich ihn verstehe, eine große Anhängerschaft besitzt. Und ich versichere Sie, die Zahl der Versammlungen über Antimilitarismus, die von den Genossen im Lande dringend gewünscht werden, aber nicht stattfinden können, ist sehr groß.

Das Gebiet, in dem wir hier tagen, spielt eine bedeutende Rolle in der Geschichte des deutschen Militarismus. Die Denkschrift des Genossen Hué schildert, wie die preußische Armee schon vor Jahrzehnten wiederholt gegen das Proletariat in Bewegung gesetzt wurde. Hier war es, wo 1889 von den Flinten und Säbeln deutscher Soldaten deutsches Bergarbeiterblut vergossen wurde. Hier hing es 1905 bei dem großen Bergarbeiterstreik an einem Haar, und die Truppen wären gegen die Arbeiterschaft marschiert. Hier ist das Hauptquartier der Marine-, Kolonial- und Kriegstreiber. Hier ist das Gebiet des Kanonenkönigs Krupp. Der genius loci, der Geist dieses Ortes, sollte uns auch veranlassen, die antimilitaristischen Aufgaben der Partei um so stärker zu betonen.

Der internationale Kongress in Stuttgart hat eine Resolution angenommen, wonach die Bestrebungen der Arbeiter gegen den Militarismus und Krieg möglichst gestärkt und in Zusammenhang gebracht werden sollen. Diese Stellungnahme ist von uns auf das Allerfreudigste begrüßt worden.

Ich gebe zu, dass der Antrag 89, der eine besondere Propaganda unter den in die Kaserne einberufenen Mannschaften verlangt, in dieser Form nicht angenommen werden kann. Es empfiehlt sich jedoch, den Grundgedanken dieses Antrages ad notam zu nehmen.

Was den schon mehrfach früher abgelehnten Antrag 9 anlangt, so ziehe ich ihn zurück in der Überzeugung, dass der Stuttgarter Beschluss auch in Deutschland gute Früchte tragen wird. Ich bitte Sie, die Grundgedanken der antimilitaristischen Propaganda mit Ihrer Sympathie zu unterstützen und auf diese Weise dafür zu sorgen, dass es vielleicht niemals mehr notwendig sein wird, auf einem Parteitage den Antimilitarismus zu behandeln, denn es ist besser, dass wir ihn betreiben, als dass wir darüber reden. („Bravo!")

1 Antrag 9 — „Velten: Eine besondere antimilitaristische Propaganda ist systematisch zu entfalten. Zu diesem Zweck ist ein ständiger Ausschuss einzusetzen." (Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Essen vom 15. bis 21. September 1907, Berlin 1907, S. 161.)

Antrag 89 — „Dortmund: Die Generalversammlung stellt den Antrag zum deutschen Parteitag, dass unter den zum Militär einrückenden Mannschaften die antimilitaristische Agitation einsetzt, und zwar ist schon während der Musterungen oder Militäraushebung durch geeignete Flugblätter in diesem Sinne zu wirken." (Ebenda, S. 171.)

Auf Antrag von Wels ging der Parteitag über den Antrag 89 zur Tagesordnung über.

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