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Karl Liebknecht 19071021 Das Proletariat ist friedensfreundlich

Karl Liebknecht: Das Proletariat ist friedensfreundlich

Aus einem Zeitungsbericht über eine Rede in der „Neuen Welt", Berlin, vor dem Haftantritt

21. Oktober 1907

[Vorwärts, Nr. 248 vom 23. Oktober 1907. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 2, S. 221-225]

Parteigenossen und Genossinnen! Sie wissen, dass ich mich seit Jahren bemüht habe, auf unseren Parteitagen einen bestimmten Standpunkt bezüglich der antimilitaristischen Propaganda zu vertreten. Sie wissen, dass mein Standpunkt von der Partei abgelehnt ist. Ich habe indessen in der Auffassung vom Militarismus niemals die Grundsätze verleugnet, die unsere Partei seit ihrer Entstehung vertritt. Nur über eine Frage der Taktik bestehen Differenzen zwischen den bisherigen Parteitagen und mir.

Der Militarismus schafft uns das aufregendste Material für unsere Agitation, das am ehesten geeignet ist, die Köpfe der Arbeiter für uns zu gewinnen. Er ist selbst der beste antimilitaristische Agitator. Aber es ist trotzdem keine Undankbarkeit gegen den Militarismus, dass wir ihn zu beseitigen suchen. Das Proletariat weiß, dass der Militarismus wie ein Alpdruck auf unserer Brust liegt und dass er die friedliche Fortentwicklung unserer Bewegung hindert. Es ist ganz natürlich, dass das Proletariat dem Militarismus feindlich bis ins Innerste gegenübersteht. Das Proletariat ist friedensfreundlich, denn es weiß, dass die Tatsachen, die zum Kriege führen, nichts gemein haben mit den Interessen des Proletariats.

Es ist kein Wunder, dass der Prozess hüben und drüben große Aufregung verursacht hat, denn es handelte sich darum, den Militarismus, diesen Zentralpunkt des Machtkampfes zwischen dem Proletariat und den herrschenden Klassen, gegen jeden Angriff zu sichern. Auch wer nicht Proletarier ist, muss zu der Ansicht kommen, dass der Militarismus eine Gefahr für den Fortschritt ist. Nicht den Krieg zu fördern, sondern Blutvergießen zu vermeiden ist unsere Absicht. Aber es sind die Vertreter der herrschenden Klassen, die seit Bismarcks Zeiten dahin drängen, das Proletariat auf die Straße, vor die Flinten und Kanonen zu treiben …

Der Militarismus muss in erster Linie das Proletariat für seine Zwecke dienstbar machen. Das Proletariat ist der „innere Feind", gegen den die herrschenden Klassen den Militarismus mobil machen. Aber während der zwei Jahre, wo der Proletarier in die Kaserne gesteckt wird, soll er kein innerer Feind, sondern eine Stütze des Staates sein! Dieser unmöglichen Aufgabe gegenüber müssen alle Erziehungskunststücke des Militarismus versiegen. Das ist der wunde Punkt des Militarismus: Wenn die Bajonette anfangen zu denken, können sie nicht mehr als Machtmittel der herrschenden Klassen benutzt werden. Daher die Nervosität der herrschenden Klassen gegenüber der antimilitaristischen Agitation. Wir brauchen nichts weiter: nur Aufklärung zu verbreiten über die Verwendung des Militarismus im Klassenkampf, und jeder Proletarier, der hier klargeworden ist, ist für den Kampf im Interesse der Herrschenden verloren

Weil ich den Militarismus, dieses Prinzip der Gewalt, bekämpft habe, bin ich auf die Anklagebank gekommen unter der Beschuldigung, ich hätte versucht, Gewalt zu üben.

Ich habe es gewusst, dass man auch in Deutschland denselben Weg beschreiten wird, den man in anderen Ländern gegen die anti-militaristische Bewegung eingeschlagen hat. Ich war nicht überrascht über diesen Prozess. Aber ich wusste noch anderes. Auch in anderen Ländern hat die antimilitaristische Bewegung erst festen Boden gefasst, nachdem ihr der Staatsanwalt zu Leibe ging. So wird es auch in Deutschland kommen. Insofern kann man sagen, dass wir, politisch betrachtet, mit diesem Prozess aufs höchste zufrieden sind.

Er hat nicht nur gezeigt, dass die Richter dem Empfinden des Proletariats fremd gegenüberstehen, sondern dass sie auch die bekanntesten Tatsachen aus der Geschichte der Partei nicht kennen. Wie weltfremd die Richter des Reichsgerichts unseren Anschauungen gegenüberstehen, zeigte die Tatsache, dass die Herren unser Erfurter Programm gewissermaßen erst entdecken mussten. Einer der Hauptpunkte der Anklage ist bekanntlich ein Punkt eben dieses siebzehn Jahre alten Programms1.

Wenn der Standpunkt des Oberreichsanwalts unbegreiflich ist, so ist das Urteil des Gerichts unendlich ernster zu nehmen, denn es ist viel klüger, viel durchdachter, viel gefährlicher für unser politisches Leben als alles, was der Oberreichsanwalt unternommen hat. In seinen Konsequenzen bedroht das Urteil jede freie Meinungsäußerung mit dem Strick des Paragraphen 862.

Aber freilich: Auch dieses Urteil trägt seinen dialektischen Widerspruch in sich selbst. Es wird durch jenes Sprichwort charakterisiert: Allzu scharf macht schartig. Nach den Konsequenzen dieses Urteils müsste, ebenso wie ich, jeder Sozialdemokrat verurteilt werden. Und dazu würden selbst in Deutschland die Gefängnisse nicht ausreichen. Dieses Urteil kann einfach nicht durchgeführt werden, sowenig wie etwa ein Urteil, das jedem Sozialdemokraten das Atmen verböte. Es muss ein Schlag ins Wasser bleiben, und deshalb brauchen wir uns keine grauen Haare wachsen zu lassen. (Beifall.)

Der Prozess musste propagandistisch wirken. Das wusste ich von Anfang an, und es hat mich innerlich beglückt zu sehen, wie der Funke, den man durch den Prozess ersticken wollte, zur hellen Flamme empor gelodert ist. (Stürmischer Beifall.)

Es geht in Deutschland ein Geist der brutalen, engherzigen Gewaltsamkeit um, der sich vermisst, in ebenso plumper wie gewalttätiger Weise den inneren Feind niederzuwerfen. Es gellt der Geist jenes Herrn Romen3 um. Dieser kleinlich-rohe Geist durchweht die Politik, die man gegenwärtig anwendet, um der Sozialdemokratie an den Kragen zu gehen. Wenn aber schon der Streich des Hauptmanns von Köpenick ein ausgezeichnetes Agitationsmittel gegen den Militarismus gewesen ist, so sind es noch mehr die Streiche des Herrn Romen. Herr Romen kann Arm in Arm mit dem Hauptmann von Köpenick sein Jahrhundert in die Schranken fordern. (Lebhafter Beifall.)

Ich habe nun die Order, schon in den nächsten Tagen die freundliche Festung Glatz zu besuchen. Tragisch ist die Sache nicht zu nehmen. Ich bitte, nicht auf den Gedanken zu verfallen, der schon in bürgerlichen Blättern ausgesprochen ist, ich sei ein Parteimärtyrer. Davon kann keine Rede sein. Denken Sie, ich habe mich nach Ruhe gesehnt und werde auf der Festung das nachholen an meiner inneren Ausbildung, was ich bisher habe zurückstellen müssen. Hier sollen keine traurig-wehmütigen Abschiedsworte gesprochen werden. So ist mir nicht ums Herz, und so darf es Ihnen nicht ums Herz sein. Keine Wehmut, sondern Kampfstimmung.

Die gewaltige Begeisterung, die freudige Kampfesstimmung, welche dieser Prozess ausgelöst hat, müssen festgehalten werden. Sorgen Sie, dass sie kein Strohfeuer sei.

Die nächsten Jahre werden schwere Kämpfe bringen. Verwenden Sie alle Kraft und Energie im Kampfe für das Recht der freien Meinungsäußerung, für die Stärkung der Jugendorganisation, im Kampf gegen den Militarismus. Erhalten Sie diese Begeisterung, so dass wir von Sieg zu Sieg fortschreiten und ich in der Festung von immer neuen Erfolgen der Sozialdemokratie Nachricht bekomme. (Lebhafter Beifall.)

Gefängnis, Festung und Zuchthausmauern können den Vormarsch der Sozialdemokratie nicht aufhalten und ihren Sieg nicht hindern. Die Begeisterung und Wucht, die Besonnenheit und Zielklarheit, mit der das Proletariat seinen Kampf führt, machen es unüberwindlich, trotz Zuchthaus und Festung, trotz Kriegsminister und Romen. (Stürmischer, anhaltender Beifall.)

1 Karl Liebknecht meint Punkt 5 des auf dem Erfurter Parteitag 1891 beschlossenen Programms der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands: „Erziehung zur allgemeinen Wehrhaftigkeit. Volkswehr an Stelle der stehenden Heere. Entscheidung über Krieg und Frieden durch die Volksvertretung. Schlichtung aller internationalen Streitigkeiten auf schiedsgerichtlichem Wege." (Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten in Erfurt vom 14. bis 20. Oktober 1891, Berlin 1891, S. 5.)

2 „Jede andere, ein hochverräterisches Unternehmen vorbereitende Handlung wird mit Zuchthaus bis zu drei Jahren oder Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft von sechs Monaten bis zu drei Jahren ein."

3 Der Geheime Kriegsrat von Romen war einer der Initiatoren des Hochverratsprozesses 1907 gegen Karl Liebknecht. Die Red.

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