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Karl Liebknecht 19070917 Gegen die opportunistische Haltung Noskes

Karl Liebknecht: Gegen die opportunistische Haltung Noskes

Diskussionsreden zum parlamentarischen Bericht

[Nach Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Essen vom 15. bis 21. September 1907, Berlin 1907, S. 245-247 und 252 f. und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 2, S. 65-70]

I

Ich bin durchaus kein Freund von Splitterrichterei und bin auch der Ansicht, dass man bei der Kritik nicht einzelne Worte aus einer Rede herausgreifen soll. So liegt es aber im vorliegenden Falle nicht. Die Rede Noskes war keine x-beliebige Volksversammlungsrede Noske sprach als Vertreter der Sozialdemokratie im Reichstage, und an solche Reden, die doch einen autoritativen Charakter haben, muss selbstverständlich ein scharfer Maßstab angelegt werden.

Ich habe die Auffassung, dass Noske bei seiner Rede ähnlich wie in gewissem Umfange auch Bebel unter dem deprimierenden Einfluss des Wahlausfalls gestanden hat. („Sehr richtig!") Die ganzen Debatten der damaligen Zeit sind nicht gerade besonders rühmlich für unsere Partei gewesen. Und Noske ist am stärksten auf den nationalistischen Rummel hereingefallen, der während der Wahl gemacht worden ist und dem wir ja zweifellos mancherlei Niederlagen zu verdanken haben.

Noske wollte nach seinen einleitenden Worten die Bestrebungen klarstellen, denen wir gegenüber dem Militarismus „nachgehen", und wollte „unbeschreiblich und unbegreiflich falschen Ansichten über diese Bestrebungen" entgegentreten. Was sind das nun für „unbeschreiblich falsche Ansichten"? Noske betont in seiner Rede wiederholt mit Nachdruck, dass die Sozialdemokratie weit davon entfernt sei, die Abschaffung des Heeres zu verlangen. Gleich im Anfang weist er es als eine Unterstellung zurück, als ob wir den Standpunkt des Alles oder Nichts in der Militärfrage vertreten, und fährt fort: Wo ist es jemals einem Sozialdemokraten eingefallen, die plötzliche Abschaffung des Heeres zu fordern? Er betont immer wieder, dass die Sozialdemokratie in ihren Forderungen Rücksicht auf die Aufrechterhaltung der Wehrhaftigkeit der Nation nehme. Das immerwährende Betonen der Notwendigkeit, dass Deutschland wehrhaft bleibe, sollten wir doch den Kriegervereinlern überlassen. („Sehr gut!")

Noske fordert unter anderem eine Einschränkung der Militärkapellen. Selbst dabei hält er es für nötig zu versichern, auch diese Einschränkung solle nur soweit gehen, als es möglich sei, ohne dadurch eine Beeinträchtigung der Schlagfertigkeit des Heeres herbeizuführen. (Heiterkeit.) Weiter weist Noske die Behauptung der Gegner zurück, als wenn die Sozialdemokraten überhaupt keine Soldaten wollten. „Niemals ist von sozialdemokratischer Seite die Aufhebung der Armee gefordert worden!" Er fährt fort: Natürlich könne ein einzelner Staat nicht an Abrüstung denken. Wenn wir anerkennen würden, dass es im Augenblick für Deutschland ganz ausgeschlossen sei, die Abrüstung vorzunehmen, so müssten wir uns doch gegen das ewige Wettrüsten wenden.

Ich gebe gern zu, dass, wenn man sich Mühe gibt, man aus diesen Worten wohl einen richtigen Gedankengang herausfindet, aber das fortgesetzte Betonen der Notwendigkeit, dass Deutschland stark gerüstet sei, gibt der Rede den Grundton. Es kommt nicht auf den logischen Inhalt der Worte an, sondern auf den „ Kriegervereinston", auf den diese Rede gestimmt ist.

Der Kriegsminister hatte eine Stelle aus meiner Broschüre angeführt, wo ich davon spreche, dass die Militärmisshandlungen besonders geeignet seien, um eine grundlegende Kritik am Militarismus zu üben. Durch einen Zwischenruf Bebels – ich weiß nicht, ob er ihn gebraucht hat, der stenographische Bericht verzeichnet ihn – soll diese Stelle desavouiert worden sein, obwohl das doch nur eine Auffassung ist, die unsere Partei, solange sie überhaupt antimilitaristische Propaganda treibt, allenthalben vertreten hat. Natürlich wandte sich auch Noske gegen diese Selbstverständlichkeit.

Noske wies weiter die Behauptung des Kriegsministers zurück, dass wir den Leuten den Heeresdienst verekeln wollten. Zur Widerlegung behauptete er, auf drei Parteitagen sei einmütig der Antrag abgelehnt worden, eine Propaganda in der Kaserne zu betreiben. Ein Antrag, in der Kaserne Agitation zu betreiben, ist aber nie auf einem Parteitag gestellt worden. Noskes Behauptung ist ebenso unrichtig wie unvorsichtig. Im Übrigen wollen wir allerdings dem Proletariat den Kasernendrill verekeln. Es fragt sich nur, wie und in welchem Sinne.

Auch den angeblich schweren Vorwurf des Kriegsministers, wir wollten die Disziplin im Heere untergraben, glaubt Noske ohne jede Einschränkung zurückweisen zu müssen. Er verweist darauf, dass wir auch in der Partei Disziplin fordern. Gewiss, aber wir freuen uns, wenn die Disziplin innerhalb des Heeres nicht so gut ist wie innerhalb der Sozialdemokratie. (Heiterkeit.)

In der Beurteilung von Angriffskriegen, sagt Noske weiter, stimmen wir – das heißt die Sozialdemokratie und der Kriegsminister – „absolut überein". „Da gibt es gar keinen Unterschied" – nämlich zwischen dem Kriegsminister und Noske. (Heiterkeit.) Das ist doch ein Zu-Tode-Hetzen des unglückseligen Ausdrucks Angriffskrieg, wie es Gott sei Dank bis jetzt auch bei uns noch nicht üblich war.

Der Schluss der Rede Noskes lautet: „Wir wünschen, dass Deutschland möglichst wehrhaft ist." So schließt ein Sozialdemokrat eine Rede! In der ganzen Rede Noskes kommt nicht mit einem Worte der Klassenkampfcharakter der Sozialdemokratie zum Ausdruck. Es wird nicht betont, dass wir den Militarismus als ein dem Interesse der herrschenden Klassen dienendes Klasseninstrument bekämpfen. Nicht eine Silbe von internationaler Solidarität, als ob die Aufgaben der Sozialdemokratie an den schwarzweißroten Grenzpfählen aufhörten! Die ganze Rede ist ein fortgesetztes Betonen unseres Patriotismus in einer Art Hurrastimmung. Es fehlt jede Hervorhebung unseres prinzipiellen Standpunktes, und deshalb hat sie mit Recht scharfe Zurückweisung gefunden. (Lebhafter Beifall.)

II

Selbstverständlich ist der unfreundliche Eindruck, den die Debatten vom 24. und 25. April in weitesten Kreisen hervorgerufen haben, nicht nur durch die Rede Noskes veranlasst.1 Immerhin ist der Gesamteindruck seiner Rede, wenn man sie mit der von Bebel und mit anderen Äußerungen Bebels vergleicht, auf die Noske sich bezieht, ein gänzlich anderer. Es kommt nicht darauf an, dass Noske einzelne Redewendungen gebraucht hat, die zu Missverständnissen Anlass geben, sondern es handelt sich darum, dass von Anfang bis zu Ende aus seiner Rede die Melodie von der frommen Kinderstube herausklang, die Melodie: immer langsam voran. Er hat in seiner Rede wohl ein dutzendmal betont: „Wir sind im Grunde patriotisch." Er hat eine Art Konkurrenz von Patriotismus gegenüber dem Kriegsminister veranstaltet und unserer prinzipiellen Stellung zum Militarismus nicht Ausdruck gegeben. Das ist um so wichtiger, weil seine Rede eine Antwort war auf die Reden des Kriegsministers und des Abgeordneten von Oldenburg, die ihre prinzipielle Stellung zum Militarismus in sehr scharfer Weise präzisiert und die Sozialdemokratie zu prinzipieller Stellungnahme provoziert hatten. Unter diesen Umständen musste Noske in seiner Antwort unsere prinzipielle Stellung zum Militarismus besonders scharf betonen. („Sehr richtig!")

David hat meine Äußerungen in einer Weise missverstanden, wie ich es von einem Parteigenossen nicht erwartet hätte. Ich habe niemals gesagt, dass die Ausführungen von Noske, wonach.wir die Wehrkraft des Volkes nicht vernichten wollen, an sich falsch sind, sondern ich habe nur gerügt, dass er das immer und immer wieder pathetisch betont. Dass ich den Standpunkt einer völligen Wehrlosmachung des Volkes nicht vertrete, das habe ich durch verschiedene Publikationen bewiesen. Wir verstehen unter Wehrkraft aber auch etwas ganz anderes als die Militaristen von Einem und von Oldenburg, die unmittelbar vorher das Wort in ihrem Sinne gebraucht hatten, ohne dass Noske eine prinzipielle Scheidelinie zog.

Das Wort vom Verekeln, das ich vorher gebraucht habe, ist anscheinend von einigen falsch aufgefasst worden. Ich begreife das nicht. Natürlich bin ich nicht der Auffassung, dass wir die Lage der Arbeiter in den Kasernen verschlechtern müssten, damit sie aus ihren ungünstigen materiellen Verhältnissen heraus revolutionieren. Im Gegenteil, in meiner Broschüre habe ich ausdrücklich hervorgehoben, dass wir uns der materiellen Interessen der Soldaten annehmen müssen. Es handelt sich bei dem „Verekeln" um nichts weiter als um die Aufklärung der Massen über den Klassencharakter des Militarismus, über die Rolle, die der Militarismus speziell im Klassenstaat spielt, und die Rolle, die die herrschenden Klassen dem Proletarier im bunten Rock ansinnen, außerdem um die Aufklärung über die sonstigen besonderen Schädlichkeiten des Militarismus. In diesem Sinne wollen wir den Soldaten den Kasernendienst verekeln; in diesem Sinne habe ich offensichtlich das Wort gebraucht, und in diesem Sinne halte ich es aufrecht.

Genauso liegt es mit der „Lockerung der Disziplin". Natürlich heißt das nicht, die Soldaten sollten revoltieren, sondern ausschließlich, dass sich durch die eben erwähnte Aufklärung über den Militarismus das Proletariat, soweit es in den bunten Rock hineingesteckt wird, in einer derartigen psychologischen Situation befindet, dass es nicht mehr dazu benutzt werden kann, wozu unsere herrschenden Klassen in erster Linie den Militarismus gebrauchen wollen. In diesem Sinne ist die Lockerung der Disziplin notwendig. Ich will, nicht die Soldaten auffordern, ihre militärischen Pflichten zu vernachlässigen. Der Prozess, der mir vorschwebt, vollzieht sich ganz von selbst mit der Entwicklung, mit der Aufklärung des Proletariats. In dem Augenblick, wo das gesamte Proletariat zum Klassenbewusstsein erwacht ist, wird der Militarismus zusammenbrechen, wird es den herrschenden Klassen unmöglich geworden sein, die Armee, sei es nach innen, sei es nach außen, als Klasseninstrument gegen das Proletariat zu benutzen. (Beifall.)

1 Dieser Satz bezieht sich auf den Vorwurf Davids, der nach Liebknecht sprach und ihm vorwarf, nur Noskes, nicht aber auch Bebels Rede kritisiert zu haben. Die Red.

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