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Karl Liebknecht u.a. 19080900 Das Reichsvereinsgesetz und die proletarischen Jugendorganisationen

Karl Liebknecht u.a.: Das Reichsvereinsgesetz und die proletarischen Jugendorganisationen

Antrag 30 auf dem Parteitag der SPD in Nürnberg1

[Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Nürnberg vom 13. bis 19. September 1908, sowie Bericht über die 5. Frauenkonferenz am 11. und 12. September in Nürnberg, Berlin 1908, S. 172/173. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 2, S. 254 f.]

Potsdam-Spandau: Resolution

Die Leistungen der bisherigen Jugendorganisationen sind bei den heftigen Verfolgungen, denen sie begegneten, und bei der geringen Unterstützung, die sie bisher vielfach gefunden haben, befriedigend; sie sind bei allseitiger freudiger Förderung, auch durch die Gewerkschaften, die anzustreben ist, im hohen Maße steigerungsfähig.

Die Frage der Form und der Aufgaben der Jugendorganisationen war für die Partei bisher erledigt, und zwar im Sinne der Selbständigkeit – die mit Zersplitterung nichts zu tun hat – und, wo angängig, des politischen Charakters.

Durch Erlass des Vereinsgesetzes ist diese Frage wieder aufgerollt; aber nur die Frage: welche Änderungen sind durch die veränderte Rechtslage nötig geworden, insbesondere: sind selbständige Jugendorganisationen hinfort noch möglich, nicht aber die Frage, ob sie, wenn möglich, noch nötig sind, was bereits aus wohlerwogenen Gründen, von den Beschlüssen der internationalen Kongresse 1900 und 1907 abgesehen, durch Beschluss des Mannheimer Parteitages 1906 bejahend entschieden ist.

Da nun für Norddeutschland (besonders Preußen und Sachsen) keine hier wesentliche Änderung im gesetzlichen Zustande eingetreten ist, so ergibt sich die Konsequenz, dass kein Anlass vorliegt, die norddeutschen Organisationen zu zerstören oder die Haltung der Partei zu ihnen zu revidieren. Es ist die Ausdehnung der norddeutschen Organisationsform auf ganz Deutschland zu empfehlen.

Diese Organisationsform hindert weder die gewerkschaftliche Organisation der Jugend noch die Einsetzung von besonderen Komitees für die politische Propaganda unter der Jugend, sondern öffnet ihr den Raum. Die Arbeitsteilung ergibt sich bei allseitigem guten Willen von selbst.

Die selbständigen Jugendorganisationen werden einer gewissen Kontrolle und Oberaufsicht durch erfahrene ältere Personen wie schon bisher auch künftig nicht entraten können, noch wollen; doch muss diese Kontrolle und Oberleitung mit Takt geführt werden.

Unbedingt festzuhalten ist:

1. die fernere Zulassung der im angegebenen Sinne selbständigen Organisationen;

2. gütliche Verständigung mit den bestehenden, von der Partei geduldeten und geförderten Organisationen über die etwaigen Änderungen; keine Vergewaltigungen.

Eine Beratung der Jugendorganisationsfrage auf dem Parteitage ist aus taktischen Gründen zu vermeiden.

Mit der Beratung der nach obigem geeigneten Maßnahmen und der Herbeiführung einer Verständigung zwischen den Beteiligten auch über die Zeitungsfrage wird der Parteivorstand in Gemeinschaft mit der Generalkommission und dem Bildungsausschuss beauftragt.

1 Der Nürnberger Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands befasste sich am 14. und 19. September 1908 mit der Frage der Jugendorganisationen und stimmte dem Antrag Haases zu, sämtliche Anträge über die Jugendorganisation einer Kommission zu überweisen. Vom Wahlkreis Potsdam-Spandau-Osthavelland war dem Parteitag diese unter Karl Liebknechts Einfluss entstandene Resolution zugegangen.

Der von Hermann Müller vorgetragene Vorstandsbericht sowie der Resolutionsentwurf des Parteivorstandes zur Jugendfrage lagen in der Linie des Beschlusses des Hamburger Gewerkschaftskongresses zur Jugendfrage, in dem sie die Selbständigkeit der Jugendorganisationen unter den Bedingungen des Reichsvereinsgesetzes verneinten. Der Beschluss des Parteitages entsprach inhaltlich dem Resolutionsentwurf des Parteivorstandes, er bot jedoch durch die dazu gefügte Deklaration Haases die Möglichkeit, ihn für die Selbständigkeit der proletarischen Jugendorganisationen auszunutzen. Die Deklaration lautete: „Diese Resolution ist so aufzufassen, dass der Betätigung von lokalen Jugendorganisationen unpolitischen Charakters, die unter Mitbestimmung Erwachsener ihre Verwaltung selbst führen, nichts im Wege steht." (Antrag 139.)

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