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Karl Liebknecht 19090625 Universitäten sind keine Drillanstalten

Karl Liebknecht: Universitäten sind keine Drillanstalten

Rede zu einer Petition1 im preußischen Abgeordnetenhaus

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, II. Session 1908/09. 5. Bd., Berlin 1909, Sp. 7594–7598 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 2, S. 300-307]

Meine Herren, dieser Petition, die erfreulicherweise der gestrigen Petitionshekatombe entgangen ist, messe ich große Wichtigkeit bei. Wer die Verhältnisse der Studenten in anderen Kulturstaaten kennt, weiß, wie sehr viel freier die Studenten dort gestellt sind. Diese Petition charakterisiert sich selbst als eine Petition um die staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Studenten. Meine Herren, hat es nicht etwas Beschämendes, dass unsere akademische Jugend genötigt ist, um die staatsrechtliche Gleichberechtigung besonders zu petitionieren?

Die Studentenschaft wird als eine Art privilegierter Stand bezeichnet. Meine Herren, worin bestehen die Privilegien, die die Studenten gegenwärtig noch besitzen? Den Rechtsverhältnissen der Studierenden liegt das Gesetz vom 29. Mai 1879 zugrunde. Das erste Privileg, das ich dort habe finden können, ist, dass der Student nicht berechtigt ist, aus seiner Minderjährigkeit gegen seine Verpflichtung zur Honorarzahlung einen Einwand herzuleiten. Das ist nun allerdings ein Privileg, das wir Juristen geneigt sein würden, als ein Privilegium odiosum zu bezeichnen. Im Übrigen regelt dieses Gesetz die Verhältnisse der Studentenschaft derart, dass ihnen an Stelle der gewöhnlichen Polizei, von der sie in einem gewissen Umfange eximiert sind, gleich drei verschiedene Instanzen auf den Hals gesetzt werden: der Rektor, der Richter, der Senat. Auch das ist ein eigentümliches „Privileg".

Meine Herren, des Weiteren: Wir haben wiederholt Gelegenheit gehabt – ich spreche nicht von mir persönlich, aber ich spreche von dem Hause –, uns zu befassen mit Petitionen der Militäranwärter, der unteren Beamten usw. um endliche Beseitigung der Arreststrafe, die in Preußen vielfach den unteren Beamten gegenüber noch angewendet wird. Die Arreststrafe wird von diesen Beamten mit Recht als eine Entwürdigung empfunden.

Meine Herren, außer bei den unteren Beamten und beim Militär kommt diese Arreststrafe bei uns in Deutschland nur noch bei den Studenten vor. Bisher ist allerdings – das ist nicht zu bestreiten – die Karzerstrafe ein wenig von dem goldenen Schimmer akademischer Romantik umgeben gewesen. Deshalb ist die Karzerstrafe nicht so gar ernst empfunden worden. Aber die Zeiten haben sich verändert, und es ist kein Zweifel, dass die Studenten heute bei ihrem Bedürfnis nach einer freieren, lebhafteren Betätigung in aller Kürze dazu kommen werden, das Entwürdigende ihrer Stellung zu empfinden, nach der sie einfach ad nutum eines Universitätsbeamten, des Rektors oder des Universitätsrichters, bis auf drei Tage in Arrest gesteckt werden können. Meine Herren, der romantische Schimmer, der über der Karzerstrafe lag, ist heute schon sehr verblasst, und es ist an der Zeit, dieses Privilegium odiosum gleichfalls zu beseitigen.

Meine Herren, weiter! Wo wir sonst auch immer mit Strafen zu tun haben, selbst beim Militär, ist eine gewisse Möglichkeit der Rechtsmittel gegeben. Wie steht es bei den Studenten? Gegen die Strafen, die von dem Universitätsrichter oder von dem Universitätsrichter in Gemeinschaft mit dem Senat verhängt werden, ist jegliches Rechtsmittel ausgeschlossen, es sei denn, dass es sich um die Strafe der Relegation oder um die Strafe des Consilium abeundi handelt. Also selbst gegen eine Bestrafung mit Karzerarrest von 14 Tagen kann kein Student etwas unternehmen. Dann ist zu betonen, dass der Student nicht einmal eine Möglichkeit hat, zu erreichen, dass er in irgendeinem gegen ihn anhängig gemachten Disziplinarverfahren gehört wird, geschweige, dass eine mündliche Verhandlung für ein solches Verfahren vorgeschrieben wäre.

Und welches Rechtsmittel besteht in denjenigen Fällen, wo überhaupt ein Rechtsmittel gegeben ist, nämlich beim Consilium abeundi und bei der Relegation? Nichts als eine Beschwerde an den Unterrichtsminister. Welcherlei Pflichten der Unterrichtsminister in Bezug auf die Anhörung des Beschwerdeführers hat, darüber schweigt sich das Gesetz aus. Es unterliegt für keinen, der über die Gepflogenheiten unserer Verwaltungsbehörden orientiert ist, irgendeinem Zweifel, dass der Unterrichtsminister auch rein nach der Aktenlage entscheiden und sich niemals dazu bereit finden lassen wird, den betreffenden Petenten persönlich zu hören. Also, ein Verfahren ohne jede Garantie, ein Verfahren, das den Studenten rechtloser stellt als die übrigen Staatsbürger.

Aber, meine Herren, noch mehr. Die ganze Grundlage des geschilderten Verfahrens der Universitätsbehörden ist die sogenannte Universitätsdisziplin. Niemand wird bestreiten, dass die Studenten arbeiten sollen, dass sie nicht bloß zum Vergnügen da sind und nicht die Bevölkerung tyrannisieren sollen, wie das ja in früheren Jahrhunderten zeitweilig der Fall gewesen ist; also eine Disziplin entsprechend dem Zwecke des Aufenthalts der Studenten auf Universitäten ist selbstverständlich notwendig. Nun aber: Wer hat denn über diese studentische Disziplin zu befinden? Das Gesetz erteilt ausdrücklich dem Unterrichtsminister und den Universitätsbehörden die Befugnis, in weitestem Umfange die akademische Disziplin zu regeln und auch die bisher darüber bestehenden Bestimmungen einfach ohne jede Schranke, nach freiem Ermessen und eigenem Belieben, abzuändern. Meine Herren, damit ist in der Tat die ganze Basis der Rechtsstellung der Studenten unter die Willkür der Verwaltungsorgane gestellt, und das ist das Schlimmste an der ganzen Frage.

Also, meine Herren, die Sonderrechte, die sogenannten Privilegien der Studenten, sind längst zu einem Firlefanz geworden. Ich glaube, das einzige Privileg, das der Student noch etwas angenehm empfindet – wenigstens ist es mir so gegangen –, ist, dass man bei einem Konflikt mit einem Polizeibeamten nicht auf die Wache gesteckt, sondern bei Vorzeigung seiner Studentenkarte ohne Weiteres entlassen wird. Also, es gibt keinerlei Sonderrechte für die Studenten, wohl aber Sonderpflichten, und zwar unwürdige Sonderpflichten. Es wird ihnen eine Spezialpolizeikommission auf den Hals gesetzt, und sie sind in Bezug auf das Disziplinarverfahren rechtloser gestellt als irgendein anderer Staatsbürger.

Die Folgen entsprechen dieser Rechtslage: die Vortragsverbote, die Versammlungsverbote, die Vereinsauflösungen, die ohne jegliche nähere Begründung und ohne die Möglichkeit irgendeiner Nachprüfung im Verwaltungsstreitverfahren, das doch in allen übrigen Fällen zulässig ist, stattgefunden haben, haben ja in den weiten Kreisen, die noch ein wenig auf akademische Freiheit halten, Missstimmung verursacht.

Meine Herren, die Studenten, um die es sich hier handelt, sind ja gewiss keine Sozialdemokraten. Aber dennoch trage ich kein Bedenken, hier zu erklären, dass das Verfahren der Universitätsbehörden in dieser Beziehung eine würdige Fortsetzung des mit der Lex Arons2 eingeschlagenen Weges darstellt.

In den Verhandlungen der Kommission findet sich einiges, was erwähnt zu werden verdient. Meine Herren, zunächst ist unter Bezugnahme auf die Schrift eines gewissen Schimansk und dann auch noch besonders von dem Herrn Regierungsvertreter betont worden, der Staat gäbe erhebliche Kosten für die Universitäten aus, es sei selbstverständlich, dass der Staat auch auf Rentabilität dieser Geldanlage sähe, das heißt, dass der Staat dafür sorge, dass diese Kosten auch die in seinem Sinne und seinem Interesse nötigen Früchte trügen. Ferner ist darauf hingewiesen, dass der Staat selbstverständlich nicht ruhig zusehen könne, wenn sich irgendwelche Tendenzen, die das Dasein des Staates untergraben wollen, an den Universitäten zeigen. Meine Herren, ich stehe nicht an zu erklären, dass ich diesen Standpunkt des do ut des in Bezug auf die Wissenschaften für würdelos halte, und es ist in der Tat beschämend, dass man aus dem Tempel der freien Wissenschaft, der die Universität doch sein soll, in dieser Weise in Deutschland eine kapitalistisch-agrarische Wechslerbude

(Lachen rechts.)

oder Börse zu machen sucht. Meine Herren, vielfach sind tatsächlich unsere Universitäten schon heute nichts anderes als dieses. Das ist bedauerlich im Interesse des Kulturzustandes in Deutschland.

Meine Herren, es ist des Weiteren gesagt worden, dass eine politische Betätigung der Studenten überhaupt nicht wohl vereinbar sei mit der Stellung der Studenten. Das ist eine Frage, über die sich diskutieren lässt. Ich will aber darüber nichts weiter sagen. Ich möchte nur die Herren daran erinnern, dass diese Abneigung gegen politische Betätigung der Studenten eine etwas sehr einseitige Abneigung ist. Die Herren haben gewiss noch in der Erinnerung, dass zum Beispiel im Jahre 1887, bei der berühmten Faschingswahl zum Reichstage3, und bei der Wahl, die wir kurz Hottentottenwahl nennen, die Wahl des Jahres 1906/1907, die Studenten unter Billigung der Universitätsbehörden sich im weitesten Umfange an der Agitation für die sogenannten Blockparteien und an der Schlepparbeit beteiligt haben, ohne dass von irgendeiner Seite dagegen Widerspruch erhoben worden ist.

(Zurufe bei den Sozialdemokraten.)

Natürlich haben sie für den Reichsverband gearbeitet.

Meine Herren, wenn hier von den mit den Bedürfnissen der Unterrichtstätigkeit zusammenhängenden Pflichten gesprochen wird, so darf auch auf etwas anderes hingewiesen werden. Meine Herren, bei den jüngsten Reichstagswahlen sind im größten Umfange sogar die Gymnasiasten zur Agitation für den Reichsverband und für die Blockparteien herangezogen worden. Ich kenne das aus Potsdam und Spandau ganz genau. Wer hat sich denn von Seiten der Regierung oder von den herrschenden Parteien dieses Hauses dagegen erklärt, dass auf der Volksschule und auf den Gymnasien eine Flottenvereinsagitation größten Umfanges getrieben worden ist? Meine Herren, Sie werden natürlich sagen – das weiß ich ganz genau: Ja, das ist keine Politik, das ist bloß Patriotismus, nationale Politik usw. Nationale Politik ist für die Herren keine Politik. Wir kennen diese Ausrede, die ja auch in Bezug auf den politischen Charakter der Kriegervereine gebraucht wird. Für Sie ist, wenn es sich um politische Knebelung handelt, Politik nur diejenige Politik, die Ihnen unangenehm ist; alle Ihnen angenehme Politik dagegen erklären Sie dann für keine Politik. Das haben wir bei den letzten Reichstagswahlen gesehen. Da ist den deutschen Gymnasiasten und Studenten, die im größten Umfange eine wüste Agitation gegen die Sozialdemokratie und gegen das Zentrum getrieben haben, und zwar unter Billigung der Behörden, natürlich kein Härchen gekrümmt worden, es ist ihnen hier und da sogar noch der Unterricht freigegeben worden. Aber wenn damals oder jetzt ein ausländischer Student auch nur gewagt hat, in eine oppositionelle Versammlung hineinzugehen, er brauchte nicht einmal Agitation zu treiben, sofort hatte er einen Ausweisungsbefehl in der Hand und wurde brutal über die preußische und deutsche Grenze hinausgeworfen. Das ist deutsche Kultur, das ist die Gleichberechtigung, die bei Ihnen die verschiedenen politischen Richtungen genießen.

(Zuruf rechts.)

Gewiss, wir wissen, dass Sie die russischen Studenten nicht gebrauchen können; gerade deshalb sind sie uns so angenehm.

Es gab einmal eine Zeit, da die bürgerlichen Parteien den Studenten anders gegenüberstanden, als die Studenten die Bannerträger der Ideale des Bürgertums waren. Das war eine Zeit, auf die das deutsche Bürgertum mit dem größten Stolze zurückblicken kann

(Zuruf rechts.)

Es war eine ganz andere Richtung; aber auch diese Männer sind des Hochverrats beschuldigt und zum Tode oder zu Zuchthaus verurteilt worden, wenn sie auch später vielfach in hohe Staatsstellen aufgerückt sind.

(Zuruf rechts.)

Das kann mir gewiss auch noch passieren; ich will durchaus nicht bestreiten, dass diese Möglichkeit besteht; allerdings müsste das Hohe Haus dann ein wenig anders zusammengesetzt sein.

(Heiterkeit.)

Meine Herren, das ist es eben, dass Ihnen Ihre eigene Jugend, die Jugend des Bürgertums, der herrschenden Klassen, nicht ganz koscher ist.

(Große Heiterkeit.)

Sie wissen von sich selber, dass man gerade in der Jugend den Idealen zugänglicher ist, und Sie trauen Ihrem eigenen Standpunkt nicht mehr. Sie wissen, dass Ihre eigenen politischen, sozialen und ökonomischen Ansichten berannt werden von allen Seiten, auch von der Wissenschaft, die durchaus nicht sozialdemokratisch ist, und deshalb tragen Sie Besorgnis, die eigene Jugend diesen Gefahren einer auch nur relativ voraussetzungslosen Wissenschaft ohne Obhut auszusetzen. Das ist der tiefere Grund, warum Sie nicht wünschen, dass ihr eine größere Freiheit an den Universitäten zuteil wird.

Ich meine, die Erfüllung der Petition läge wirklich im Interesse aller Parteien, und die Parteien brauchten nicht darüber in Hader zu geraten, soweit sie sich auf Ihrem Standpunkt wohl fühlen. Die Akademie, die Universität ist der Ort, wo die Anhänger der verschiedensten Richtungen sollten frei diskutieren, ihre Meinungen frei austauschen können. Das wäre zum Heile für das gesamte deutsche Volk – in anderen Staaten ist es so –, das würde allen Parteien nützlich sein, soweit sie Prinzipien von Ewigkeitswert vertreten. Aber für die frisch sprudelnde Jugend haben Sie kein Verständnis, weil Sie nur für das Altertum und Mittelalter schwärmen.

(Heiterkeit.)

Ja, meine Herren, das alte Lied „Burschen heraus!" dürfen Sie im Ernst nicht mehr singen,

(Widerspruch.)

Sie dürfen nicht mehr singen:

Ruft um Hilfe die Poesei

gegen Zopf und Philisterei.

Sie sind ja selbst Zopf und Philisterei in Personifikation!

(Heiterkeit.)

Meine Herren, Sie möchten die Universitäten zu Drillanstalten machen. Wir sind natürlich anderer Ansicht, wir werden uns dazu nicht herbei lassen Wir haben infolgedessen den Antrag gestellt, diese Petition der Regierung nicht bloß zur Erwägung, sondern zur Berücksichtigung zu überweisen.

Ich kann Ihnen nur das eine sagen: Wir Sozialdemokraten freuen uns über jede freie Regung, die wir irgendwo sehen, über jede freie Regung auf dem Gebiete der Wissenschaft, weil wir wissen, dass alles, was Idealismus heißt, alle Bewegungs- und Betätigungsfreiheit, alle freie und frische Regsamkeit auf dem Gebiete einer – wenn auch nur dem ernsten Bestreben nach – vorurteilsfreien, voraussetzungslosen Wissenschaft nur der Sozialdemokratie zugute kommen kann.

(Lachen rechts.)

1 Die Petition des stud. phil. Eberbach und Genossen in Steglitz forderte die Reform der längst überholten Disziplinarordnung an Universitäten, der Bestimmungen aus dem Jahre 1879 zugrunde lagen. Diese Petition war der Unterrichtskommission übergeben worden, die dem Plenum den Übergang zur Tagesordnung empfahl. Die sozialdemokratische Landtagsfraktion beantragte demgegenüber, die Petition der Staatsregierung zur Berücksichtigung zu überweisen. Dieser Antrag wurde abgelehnt.

2 Betraf die Unterstellung der unbezahlten und bisher nicht als Beamte geltenden Privatdozenten unter die Disziplinargewalt des preußischen Staates seit dem Jahre 1898. Diese Gesetzesänderung richtete sich besonders gegen die Sozialdemokratie und wurde zuerst gegen den sozialdemokratischen Physikdozenten Arons angewandt. Arons wurde am 20. Januar 1900 wegen seiner Zugehörigkeit zur Sozialdemokratie von der Universität Berlin gewiesen.

3 Neuwahlen zum Deutschen Reichstag im Februar 1887, nachdem dieser in seiner Mehrheit gegen das Septennat, die auf sieben Jahre festgelegte Friedensstärke des deutschen Heeres, gestimmt hatte und durch Bismarck aufgelöst worden war. Die Sozialdemokratie hatte ihren Wahlkampf unter den Bedingungen des Sozialistengesetzes und gegen eine wilde chauvinistische Hetze zu führen.

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