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Karl Liebknecht 19101202 Abschiedsrede in den USA

Karl Liebknecht: Abschiedsrede in den USA

Aus dem Bericht der New Yorker Volks-Zeitung über die Rede in der Abschiedskundgebung in New York

[Vorwärts, Wochenblatt der New Yorker Volkszeitung, Nr. 49 vom 3. Dezember 1910. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 3, S. 510-513]

Erhebender Abschluss. Genosse Liebknecht verabschiedet sich von Vereinigten Staaten. Glänzende Versammlung.

Unser scheidender Gast berichtet in packender Anschaulichkeit über die Eindrücke auf seiner Tournee.

In enthusiastisch verlaufener Versammlung, die im neuen Saale des Trommerschen Etablissements an der Bushwick Avenue, Brooklyn, stattfand und trotz des anhaltenden Regens in den Abendstunden von über tausend Personen besucht war, verabschiedete sich gestern Genosse Karl Liebknecht von den Parteigenossen Groß-New Yorks …

Große und wunderbare Worte klangen unserem Genossen, wie er einleitend ausführte, auf der ganzen Reise in die Ohren, denn an diesem Artikel, wenn an irgendeinem, ist Amerika nicht arm, und zu diesen sprachlichen Schätzen, die wie das Allerheiligste in der Kirche den Verstand der dumpfen Menge gefangen nehmen sollen, gehört das hierzulande allgegenwärtige Wort „Dreamland".

Ein Traumland ist dieses Amerika, traumhaft und großartig ist hier die Natur, wo sie sich noch in ihrer Wildheit erhalten hat, wie im Felsengebirge oder in den schimmernden Goldgefilden Kaliforniens. Aber fast überall wird das Traumland der herrlichen amerikanischen Natur bedrängt und bedroht von der kapitalistischen Naturverwüstung, und was der Redner da gesehen, hat ihn im Innersten empört. Wahrlich höchste Zeit ist es, rief Genosse Liebknecht aus, dass Amerika anfängt, Naturkonservation zu treiben. Das Wort von Amerika als dem Lande der unbegrenzten Möglichkeiten ist ein törichter Wahn. Die Tage, da die Bewohner dieses Landes nur die Schätze zu heben und sich anzueignen brauchten, die eine für unerschöpflich gehaltene Natur darbietet, sind auch hier bereits unwiederbringlich dahin.

Besonders im Süden tritt dies zur traurigen Evidenz hervor, stößt der Reisende doch dort allenthalben auf Spuren verlassener menschlicher Ansiedlungen, deren ehemalige Bewohner nun in anderen Landstrichen in harter Arbeit eine kümmerliche Existenz zu gewinnen suchen. Und selbst Pioniere alten Stils sind ausgestorben. Der einzelne arbeitende Mensch ist heute in der Regel ohnmächtig, auf amerikanischem Boden sein Leben zu erobern. An die Stelle des individuellen Pioniers sind die Produktivkräfte des Kapitals getreten, und zwar des Kapitals in seiner stärksten Form, des Monopols, das das Land einer Tyrannei unterwirft, wie sie selbst in den entwickeltsten europäischen Staaten unerhört ist. Und alles, alles in diesem Lande wird von den eisernen Klammern der Trusts umfasst, auch seine gepriesenen Freiheiten …

Genosse Liebknecht verweilte besonders bei den Zuständen in den pennsylvanischen Gruben- und Eisendistrikten, und ein packendes und zugleich erschütterndes Bild entwarf er von der „unbedeckten Hölle" Pittsburgh und der über alle Maßen traurigen Lage der dortigen industriellen Arbeiter, aber auch von ihrer unsäglichen Brutalisierung durch die Organe des amerikanischen Klassenstaates, der nur noch, was der Redner früher nie für möglich gehalten hätte, mit dem finsteren Russland verglichen werden könne.

Im Anschluss hieran geißelte Genosse Liebknecht die Skrupellosigkeit und Gemeinheit der Justiz in diesem Lande, wobei er speziell auf die frechen Attentate auf das Streik- und Boykottrecht, auf das Schandurteil gegen Genossen Warren vom „Appeal to Reason"1 und auf die korrupten Praktiken exemplifizierte, womit das Unternehmertum zur Zeit in Los Angeles bemüht sei, dort wieder Chicagoer Galgen für die proletarischen Kämpfer aufzurichten.

Auch die schuftige Rolle der Polizei in den Vereinigten Staaten wurde gebührend beleuchtet, und zwar teilweise im Zusammenhange mit der berühmten puritanischen „Moralität" des bürgerlichen Amerikas. Diesen Zusammenhang illustrierte der Redner an dem Beispiel eines Bordells in der mit dem reinen, stolzen Namen Washingtons bezeichneten Avenue San Franciscos. Zwölf- und dreizehnjährige Mädchen in Bordellkleidern stellen da ihrer Glieder Reize zur Schau, und der Polizist, bei dessen Eintreten in das Lokal der naive Europäer glaubt, er werde nun mit eiserner Hand dazwischenfahren, erscheint hier bloß, um dafür zu sorgen, dass auch alle andrängenden Kunden Platz finden.

Drastisch waren Liebknechts Ausführungen über die Stellung der Kirche in Amerika, von der er überall fand, dass sie hier eine viel gefährlichere Macht bilde als in dem alten Europa. Auch Giesberts, der deutsche Zentrumsjesuit, den sich die amerikanischen Pfaffen jüngst herüberholten, sowie die „New Yorker Staatszeitung", die Giesberts unter ihre Fittiche nahm und gegen Liebknecht eine törichte Polemik führte, wurden nicht übergangen. Unter den „Auspizien" des Herrn Ridder von der „New Yorker Staatszeitung" fand jenes Bankett für den deutschen Zentrumsmann und Arbeiterzersplitterer statt, und zwischen Fisch und Braten wurden nicht nur Giesberts' „Verdienste" um die katholische Kirche herausgestrichen, Herr Ridder empfahl den Arbeitern auch, den Unions beizutreten. Das Blatt des Herrn Ridder tadelte es aber an Liebknecht, dass seine erste Rede in New York so ausschließlich politisch gewesen sei und nichts von den Gewerkschaften und den wirtschaftlichen Kämpfen in Deutschland gemeldet habe, die viel wichtiger seien. Die Unions, die Ridder und die „Staatszeitung" empfehlen, während sie zugleich die politische Betätigung der Arbeiter verkleinern oder verdammen, sagte Genosse Liebknecht, sollen keine Kampfesorganisationen, sondern nur Veranstaltungen zur Korrumpierung der Arbeiterschaft sein. Sie sind der Knochen, den man der erwachenden „Bestie" vorwirft, als die jene Leute sich das Proletariat vorstellen.

Es ist ein eigentümliches Traumland, das Genosse Liebknecht, wie er zum Schlusse zusammenfassend sagte, in Amerika gefunden hat. Nicht der Traum vom Paradiese, eher der Traum von einer Hölle ist es, der hier geträumt wird.

Mit Genugtuung stellte Genosse Liebknecht indessen fest, dass es überall im Lande vorwärtsgehe, und die deutschen Arbeiter ermahnte er dabei, in der Arbeit für unsere erhabene Sache alle ihre anderssprachigen Mitkämpfer zu übertreffen. Speziell galt diese Mahnung dem deutschen Proletariat New Yorks, das beispielsweise seine Pflicht gegenüber der so trefflich geleiteten „New Yorker Volkszeitung" noch in so bedauerlicher Weise verabsäume.

Brausenden Nachhall fand es, als Genosse Lore unserem Liebknecht nach Beendigung seines Vortrags die Verpflichtung auferlegte, im Jahre 1912 wiederzukommen.

Eine Resolution, die gegen Fred. Warrens Verurteilung protestiert, gelangte einstimmig zur Annahme.

1 Bedeutende sozialistische Wochenschrift in den USA. Die Red.

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