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Karl Liebknecht 19100629 Die preußische Rechtsprechung und die Gastwirte

Karl Liebknecht: Die preußische Rechtsprechung und die Gastwirte

Zeitungsbericht über eine Rede auf dem 5. Verbandstag der freien Gast- und Schankwirte in Berlin

[Vorwärts Nr. 151 vom 1. Juli 1910. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 3, S. 461-464]

Genosse Dr. Karl Liebknecht, der Verbandssyndikus, spricht über den Entwurf zum Strafgesetz und die Gastwirte.

Einige Verbesserungen bringt der Entwurf, die auch die Gastwirte interessieren, so eine mildere Bestrafung der Zechpreller, der man aus Menschlichkeitsrücksichten zustimmen muss. Eine schwache Besserung wird auch an den Bestimmungen über die Vorstrafen vorgenommen. Die Verschlechterungen sind aber viel zahlreicher. Das kann zu außerordentlichen Härten gerade für die Wirte führen. Mit Gefängnis bis zu einem Jahr soll dann das gewerbsmäßige Dulden von Glücksspielen bestraft werden. Außerdem werden sogar die Einweisung in ein Arbeitshaus und die Aufenthaltsbeschränkung für solche Duldung des Glücksspiels angedroht. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sogar das Vagabundengesetz gegen Redakteure angewandt wird. Die Befürchtung ist deshalb durchaus begründet, dass diese entwürdigenden Strafen auch zur politischen Unterdrückung der Gastwirte benutzt werden. Zur Verschärfung der Vorschriften über die Berücksichtigung der Trunkenheit bei der Strafbemessung hat man das schlimmste Gesetzbuch, das Militärstrafgesetz, benutzt. Auch die Gastwirte haben alle Ursache, den Entwurf entschieden zu bekämpfen. (Lebhafter Beifall.)

Genosse Dr. Liebknecht spricht dann über die Rechtsprechung der deutschen Gerichte und die Gastwirte.

In der Rechtsprechung zeigt sich, wie gerade dem Gastwirt gegenüber die Gesetze nach politischen Grundsätzen gehandhabt werden. Schon bei der Konzessionierung der Wirtschaften zeigt sich eine niederträchtige, beleidigende Judikatur, die nur aus politischer Voreingenommenheit zu erklären ist. Wurde doch (um eins aus der Menge der vom Redner vorgeführten Beispiele wiederzugeben) einem Genossen die Konzession versagt, weil die Wirtschaft zu abgelegen sei und der Gendarm sie nicht leicht kontrollieren könnte, das Lokal infolgedessen seiner baulichen Einrichtungen wegen nicht geeignet sei. Der Militärboykott, die Tanzerlaubnis, die Polizeistunde geben den Behörden die Möglichkeit, in unerhörter Weise unbequeme Wirte zu schikanieren, was oft unter den lächerlichsten Begründungen geschieht. Von den Behörden wird auf die Gläubiger der Wirte eingewirkt, und ähnliche Dinge werden verübt, die Bethmann Hollweg als Nötigung und Erpressung kennzeichnete.

Ein Vortrag über preußisch-deutsche Judikatur muss notwendig ausklingen in den Ruf zum Kampfe gegen die preußische Judikatur und die preußische Polizeiwirtschaft. Sorgen wir dafür, dass alle diese schändlichen Maßregeln bekannt werden, dem kämpfenden Proletariat wird dadurch ein großer Dienst erwiesen. (Stürmischer Beifall.)

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