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Karl Liebknecht 19101213 Einige Feststellungen zur Amerikareise

Karl Liebknecht: Einige Feststellungen zur Amerikareise

Zuschrift an den „Vorwärts"

[Vorwärts Nr. 201 vom 13. Dezember 1910. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 3, S. 516-518]

Genosse Karl Liebknecht, der kürzlich von seiner amerikanischen Agitationstour zurückgekehrt ist, schreibt uns:

Ich muss nun doch meinem Vorsatz untreu werden, all die Tatarennachrichten über meine amerikanischen Reden unbeachtet ihres Weges laufen zu lassen.

Man hat mir eine schauerliche Revolutionsprophezeiung in den Mund gelegt: Über Nacht werde den Deutschen Kaiser ein portugiesisches Geschick heimsuchen; wer weiß, vielleicht schon morgen. Dreimal schrecklich!!

Gesagt habe ich etwa: Niemand in Deutschland glaube mehr an das Gottesgnadentum. „Gottes Gnade" sei auch gar wandelbar. Beweis: Der portugiesische Wirbelsturm über Nacht, ein neues Menetekel für alle, die sich lächerlich einbilden, ein aufgeklärtes Volk à la Schafherde oder Rekrutenkompanie in alle Ewigkeit terrorisieren zu können. Jede Kaiserrede à la Königsberg sei ein Stück jenes merkwürdigen historischen Selbstmordes der Monarchie, dem wir natürlich kein Hindernis in den Weg legen. Im Übrigen sei das deutsche Kaisertum nicht von „Gottes Gnaden", sondern von „Kapitalismus' Gnaden", von Gnaden aller Fraktionen des Kapitalismus, einschließlich der junkerlich-agrarischen, und mit ihnen auf Gedeih und Verderb verbunden.

Gegenüber den Illusionen auch mancher amerikanischer Proletarier habe ich die grandios-rücksichtslosen Exzesse des amerikanischen Kapitalismus, seine fast völlige Schrankenlosigkeit, seine unerhörte Gleichgültigkeit gegen Leben und Gesundheit der Arbeiter und die unverhüllte kapitalistische Korruption der öffentlichen Gewalten scharf gekennzeichnet und betont, dass viele dieser wüsten Ausschreitungen in Deutschland nicht möglich seien; nicht möglich seien vor allem, weil sich das organisierte, klassenbewusste Proletariat eine entscheidende Machtstellung erobert habe und an vielen gefährdeten Stellen Schutzdämme aufgerichtet habe. Ironisierend fügte ich noch hinzu:

Die amerikanischen Arbeiter hätten gewiss keinen Grund, sich vom Hafer stechen zu lassen; ich käme in diesem amerikanischen Hexensabbat fast in Versuchung, deutscher „Patriot" zu werden. Wenn es aber in Deutschland möglich geworden ist zu leben, ja wenn es heute eine wahre Lust ist, in Deutschland zu leben, so dank dem frischen und kühnen Kampf der stets mächtiger und zielklarer voran marschierenden Sozialdemokratie: Auf dieses Heilmittel verwies ich die amerikanische Arbeiterschaft.

Auch von „Heimweh" habe ich drüben gesprochen: in Philadelphia, in New York, in Chicago, in Pittsburgh, in Detroit, wo die „Kosaken" der Republik ganz à la Rheinfelden und Mansfeld, à la Hannover, Frankfurt, Halle, Neumünster, Braunschweig e tutti quanti und à la Moabit gehaust haben; in Los Angeles, wo soeben eine Klassenjustiztragödie im Gange ist, die ein neues Chicago zu werden droht; angesichts der Kasernen und Gefängnisse, die ich auf meinem Zickzackwege allenthalben in der Neuen Welt traf.

Wie ich aber über gewisse Personen denke, die Deutschland zwar beileibe nicht regieren, aber doch regieren möchten, sich vielleicht sogar zu regieren einbilden, das habe ich in Amerika wahrlich auch deutlich genug gesagt, und da der Herr Reichskanzler das zu zitieren vergessen hat, will ich es nachholen, wenn es auch etwas grob ist: „Von Herrn von Bethmann Hollweg gilt, was jenes römische Sprichwort besagt: Si tacuisses philosophus mansisses; wenn er doch geschwiegen hätte! Vielleicht hätte man ihn dann wirklich – wegen des Schweigens – für einen „Philosophen" gehalten. Er wirtschaftet in der Politik wie ein gewisses Tier im Porzellanladen. Die internationale Solidarität der deutschen Sozialdemokratie ist groß, aber eins würden wir euch amerikanischen Genossen doch um nichts in der Welt abgeben: unsere Perle von Reichskanzler. Gott erhalte uns deutschen Sozialdemokraten unseren Bethmann Hollweg in alle Ewigkeit. Amen!"

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