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Karl Liebknecht 19100425 Für Freiheit der Wissenschaft

Karl Liebknecht: Für Freiheit der Wissenschaft

Rede im preußischen Abgeordnetenhaus zum Kultusetat

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, III. Session 1910, 4. Bd., Berlin 1910, Sp. 4713-4730 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 3, S. 208-236]

Meine Herren, man hat die Universitäten mit dem stolzen Namen bezeichnet, sie seien freie Republiken der Geister, der Lehrer und der Lernenden. Es fragt sich, inwieweit dieses Ideal, in dem wir die tatsächlich bestehenden Universitäten zu messen haben, in der Wirklichkeit erfüllt ist. Wir Sozialdemokraten geben uns keinen Illusionen hin; wir wissen, dass in einem Klassenstaate, in einem kapitalistischen Klassenstaate, ein solches Ideal sich überhaupt nicht verwirklichen lässt.

Wir wissen, dass schon die Dozentur eine Angelegenheit der Klassen ist, nicht eine Angelegenheit der Allgemeinheit. In den Händen des Klassenstaats und des Kapitalismus verkehrt sich alles, was dem Schein nach für die Allgemeinheit gilt, in eine Institution für die herrschenden Klassen. Die Dozentur ist eine Klassensache, denn um eine Dozentur in irgendeiner Form erreichen zu können, bedarf es naturgemäß eines großen Geldbeutels; man muss in der Lage sein, die teuren Studien zu bezahlen, man muss lange Zeit warten können.

Wenn also schon durch die ganze Art, in der die Vorbereitung für die Dozentur stattfindet, dafür gesorgt ist, dass nur Angehörige der herrschenden Klassen Dozenten werden, so ist damit doch den herrschenden Klassen und der Staatsgewalt nicht genügt. Die Beschäftigung mit der Wissenschaft übt die eigentümliche Wirkung, die Köpfe und die Herzen freier und sie dem Idealen zugänglicher zu machen, ihnen große Gesichtspunkte zuzuführen. So kann man sich nicht damit beruhigen, dass die Wissenschaftslehrer den herrschenden Klassen entstammen, man hält es für notwendig, noch in besonders scharfer Weise Vorsorge zu treffen, dass die an und für sich gefährliche Wissenschaft den herrschenden Gewalten nicht gefährlich werden könne.

Meine Herren, das preußische System auf diesem Gebiet ist sicherlich das ausgebildetste auf der Erde. Ich erinnere an die Zeiten der Wöllner; ich erinnere an das Religionsedikt und an das Zensuredikt; ich erinnere an das Prügeledikt; ich erinnere schließlich an den Minister von Raumer und dessen Methode, die Universitäten zu knebeln und die Lehrfreiheit zu schmälern. Ich erinnere daran, wie trotz jenes Wartburgfestes vom 18. Oktober 1817, bei dem die überschäumende Jugend glaubte, mit dem mittelalterlichen Spuk aufräumen zu können, indem sie den Korporalstock, den Haarzopf und den Schnürleib zugleich mit den gefährlichsten Schriften der gefährlichsten Reaktionäre jener Zeit, der Kamptz, Schmalz und Genossen, verbrannte; ich erinnere daran, wie unmittelbar danach die Reaktion in der lebhaftesten Weise gerade auch die Universitäten erfasste und die wenigen Professoren, die noch wagten, auf der Seite der freiheitlichen Bewegung zu stehen, alsbald von den Rädern der Staatsgewalt zermalmt wurden; ich erinnere daran, wie im Jahre 1837 die bekannten Göttinger Sieben gemaßregelt wurden wegen ihrer politischen Haltung; ich erinnere daran, wie in der neueren Zeit das Wort „Althoff" eine geradezu programmatische Bedeutung gewonnen hat und wie jetzt an Stelle des Wortes Althoff das Wort „Schwartzkopff" getreten ist, ein anderes Wort, aber genau dieselbe Nummer.

Meine Herren, ich zweifele nicht, dass diese Zustände in Preußen nicht ewig sein können; sie werden früher hinweggefegt werden, als manche von Ihnen denken und manche von Ihnen wünschen. Aber wenn man auf das letzte Jahrhundert zurückschaut, könnte in der Tat der Eindruck entstehen, als sei alles in der Welt vergänglich, nur nicht die preußische Reaktion auf dem Gebiete des Unterrichts und der Wissenschaft, nur nicht die preußische Wöllnerei.

Meine Herren, das kleine, längst verschollene Intermezzo Falk lohnt kaum mehr der Erwähnung.

In der neuesten Zeit ist die Reglementierung der Universitäten in schärferer Weise ausgebaut als jemals vorher. Vor einigen Jahren ist ja so ein kleines „Universitätsgesetz" erlassen worden, die Lex Arons1. Man hat die Professoren in Preußen systematisch zu Beamten gemacht, man hat ihnen in jeder Beziehung die Pflichten der Beamten auferlegt, und schließlich ist dann im Jahre 1898 jenes unglaubliche Gesetz gegen unseren Parteigenossen Arons emaniert worden, um diesen Lehrer der Physik, weil er Anhänger der sozialdemokratischen Weltanschauung war, vom hiesigen Lehrstuhl der Physik zu entfernen. Das Urteil, durch das Arons von seiner Dozentur ausgeschlossen wurde, ist ungemein wichtig, weil es die grundsätzliche Auffassung formuliert, die der preußische Staat von den Aufgaben der Universitäten hat. Es heißt darin, dass die Pflichten eines Lehrers der Universität unverträglich seien mit der bewussten Förderung sozialdemokratischer Bestrebungen und dass sich für die Dozenten die „Verpflichtung" ergebe,

die jungen Leute, die sich der Universität anvertrauen, zum Eintritt in die verschiedenen Zweige des höheren Staats- und Kirchendienstes tüchtig zu machen.“

Damit ist in schärfster Weise zum Ausdruck gebracht, dass der Zweck der Universitäten ist, Drillanstalten für Funktionäre der gegenwärtigen Staatsgewalt zu sein. In den Kreisen der Universitätsdozenten, in denen noch eine Spur des alten Idealismus übriggeblieben ist, denkt man darüber freilich ganz anders. Ich verweise auf den Hochschullehrertag, der Ende September 1908 tagte. Dort ist geradezu einmütig von den sämtlichen versammelten Hochschullehrern, insbesondere von dem Referenten von Amira, den Gebrüdern Weber und anderen, mit allem Nachdruck betont worden, dass die Universitäten nicht im Sinne von anderen Unterrichtsanstalten aufzufassen seien, sondern dass sie in erster Linie der freien Forschung zu dienen hätten und dass es keineswegs die Aufgabe der Universitäten sei, Staats- und Kirchendiener heranzubilden. Es ist eine Degradation dieser bedeutsamsten wissenschaftlichen Veranstaltung des Staates, die in jenem Urteil gegen meinen Parteifreund Arons zum Ausdruck gebracht ist.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Diese Degradation ist das für Preußen Typische, und die Professoren, von denen ich eben gesprochen habe, die auf dem Hochschullehrertag eine sehr abweichende, weit idealere, Meinung geäußert haben, sind süddeutsche und österreichische Professoren gewesen und keine norddeutschen.

Wer in Preußen etwa an die Freiheit der Wissenschaften auf den Universitäten glaubt, auf den könnte man wohl das Tertullianische Wort anwenden: credo, quia absurdum – ich glaube daran, weil es Unsinn ist. In der Tat gibt es eine weitgehende Freiheit der Wissenschaft in Preußen; aber diese Freiheit hat die Eigentümlichkeit, dass sie nur nach der rechten Seite, nach der reaktionären Seite, zu geht. Es kann in Preußen kein Wissenschaftler so reaktionär, so volksfeindlich, so gemeingefährlich in diesem Sinne des Wortes sein, dass er etwa dadurch von seiner Dozentur ausgeschlossen werden würde oder auch nur im geringsten die Freundlichkeit der Regierung einbüßen würde. In Preußen darf sich ein Sanskritforscher, ein Professor, der sich mit der Erforschung der indischen Mondgöttin befasst, für den Absolutismus begeistern, er darf sich begeistern gegen die Wahlrechtsreform der Regierung und des Abgeordnetenhauses und gerät um deswillen nicht etwa in irgendeinen Konflikt mit der Staatsgewalt; im Gegenteil, er ist persona gratissima und Mitglied des Herrenhauses, Mitglied jener ersten Kammer, die gegenwärtig im Begriff steht, die Wahlrechtsreform noch weiter zu vermöbeln. Natürlich passt er in dieses Haus der Gespenster, dieses Parlament der Gespenster. Würden aber etwa die Gebrüder Weber in Preußen möglich sein? Der Fall Arons beweist auf das deutlichste, dass eine solche freie Anschauung in Preußen nicht geduldet werden würde.

Ich habe vorhin von dem Hochschullehrertag vom September 1908 gesprochen. An diesem Hochschullehrertag haben norddeutsche Professoren nahezu nicht teilgenommen, und der Organisation der Professoren, die von Österreich angeregt wurde, haben sich, soviel ich weiß, norddeutsche Professoren wohl nur in verschwindender Anzahl angeschlossen. Ich bin darüber nicht genau orientiert. Mich interessiert, ob die Regierung in irgendeiner Weise einen Druck auf die Professoren, diese Mitglieder der freien Universitäten, dahin ausgeübt hat, dass sie dem Hochschullehrertag nicht beiwohnen und der Organisation der Professoren sich nicht anschließen möchten?

Die preußischen Verhältnisse sind glücklicherweise nicht die deutschen Verhältnisse. Nicht nur, dass es in Süddeutschland erheblich besser bestellt ist, ohne dass deshalb die Grundfesten des Staates ins Wanken geraten sind; in Österreich, unserem so nahen Verbündeten, liegen die Verhältnisse in dieser Beziehung so ganz und gar anders als im Bereiche des kleinlichen preußischen Polizeigeistes. In Wien dürfen Universitätsprofessoren Vorträge in Arbeiterbildungsvereinen und in den sozialdemokratischen Organisationen halten; der außerordentliche Professor Hartmann ist Leiter des von der Sozialdemokratie gegründeten Volksheims und auch Leiter der Volkshochschulkurse, und eine ganze Anzahl anderer Professoren betätigt sich in ähnlicher Weise, und zwar in geradezu sozialdemokratischen Organisationen, ohne dass auch nur im Geringsten maßregelnd gegen sie eingeschritten worden wäre.

In Preußen hat man das Prinzip der Staatsräson auf den Thron gehoben, und nach diesem Prinzip wird auch die Wissenschaft behandelt. Speziell der Herr Abgeordnete Freiherr von Zedlitz ist es, der dieses Prinzip der Staatsräson in der rücksichtslosesten Weise durchzuführen gewillt ist.

Meine Herren, diese scheinbar so konsequente und für die Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung scheinbar so zweckmäßige Politik stellt tatsächlich, weil sie auf einer mechanischen Auffassung beruht, weil sie den organischen Charakter der Entwicklung verkennt, nicht nur einen Beweis dar für eine große innere Unsicherheit und ein böses Gewissen, sondern eine ungemeine Kurzsichtigkeit, eine Gefährdung der künftigen Entwicklung.

Meine Herren, dass in Preußen an den Universitäten zu viel herum reglementiert wird, hörte ich vor einigen Jahren aus dem Munde eines ehemals königlich preußischen Professors, der sich glücklich pries, von einer preußischen Universität nach einer süddeutschen Universität berufen zu sein, und zur Begründung wörtlich hinzufügte: „In Preußen wird mir zu viel reglementiert." Dieser Standpunkt dürfte in denjenigen Kreisen der Hochschullehrer allgemein eingenommen werden, die auf die wirkliche Freiheit der Wissenschaft und auf die Selbständigkeit des Charakters noch irgend etwas geben.

Um das Bild von der Art, wie die Regierung die Universitätslehrer behandelt, zu vervollständigen, müssen wir noch auf die Strafprofessuren, auf den bekannten Fall Bernhard und auch auf den nicht minder bekannten Fall Mahling zurückgreifen, die sich erst vor ganz kurzer Zeit abgespielt haben; das System, das die Staatsregierung gegen die Universitäten anwendet, ist jedenfalls inzwischen nicht besser geworden, das werde ich gleich darlegen.

Die Universitäten hängen aber natürlich nicht nur vom Staate ab, sondern auch andere Mächte machen sich energisch geltend, um ihren Einfluss an den Universitäten durchzusetzen. Ein Nationalökonom hat gemeint, die Universitäten müssten Schutzwälle sein zwischen der Börse und ihren Feinden; und dass ein anderer Professor, ein berühmter Gelehrter, einstens die Universitätsprofessoren als die wissenschaftliche Leibgarde der Hohenzollern bezeichnet hat, ist ja bekannt. Man strebt besondere Professuren an, die nach dem Herzen der Kirche sind; die Flotteninteressenten wollen ihre besonderen Flottenprofessoren haben; die Börse wünscht ihre besonderen Professoren für die Interessen der Börse, und – nicht zu vergessen – die Landwirtschaft möchte ihre ganz besonderen Tendenzprofessoren haben, und zwar recht ausgiebig, um auf diese Weise die Universitäten zu einer Anstalt zu machen, wo ihre materiellen, ihre Geldinteressen unter dem Anschein der Wissenschaft vertreten werden. Dass das eine schnöde Herabwürdigung jeglicher Wissenschaft ist, dass insbesondere diese Tendenzprofessuren etwas höchst Verwerfliches darstellen, was geeignet ist, den Ruf unserer Universitäten in Grund und Boden zu ruinieren, darüber sind wohl nicht nur die Sozialdemokraten einer Meinung.

In Amerika ist man in dieser Beziehung etwas einfacher, etwas mehr geradeaus als in Deutschland. Dort werden einfach von großen Kapitalisten Universitäten oder Lehrstühle gestiftet mit der ganz bestimmten Anweisung, dass auf diesen Lehrstühlen eine ganz bestimmte Meinung gelehrt werden müsse, die gerade dem Interesse der betreffenden Kapitalisten entspricht. Von dieser amerikanisierten Wissenschaft ist, wie eben erwähnt, Deutschland auch heute schon nicht ganz frei. Insbesondere ist das Bestreben der Landwirtschaft, einen Einfluss auf die Universitäten für die Vertretung ihrer schutzzöllnerischen Anschauungen zu gewinnen, durchaus amerikanisch in der Wurzel.

Zu meinem großen Erstaunen, aber als etwas sehr Charakteristisches, habe ich nun gehört, dass der Herr Kultusminister das amerikanische Beispiel als vorbildlich für uns betrachtet und damit rechnet, dass künftig in einem gewissen Umfange Universitäten aus privaten Gründungen geschaffen würden. Ich hoffe, dass der Herr Minister dabei nicht an den geschilderten Charakter gedacht hat, den in Amerika so vielfach die von Großkapitalisten gestifteten Lehrstühle tragen. Ich hoffe, dass die Königliche Staatsregierung nicht wünscht, dass die Universitäten in der eben angedeuteten Richtung noch weiterhin verschlechtert und dem Privatkapital zum Spielball ausgeliefert werden. Sie leiden schon gerade genug unter dem Banne derjenigen Mächte, die gegenwärtig an ihnen herum schurigeln, ihnen das offene Lebenslicht nehmen und jeder freien Forschung nach Möglichkeit das letzte Tor verschließen möchten. Das ist gerade genug, und wir haben wahrlich keine Sehnsucht nach weiteren Schwierigkeiten der Art, nach einem weiteren Einfluss kapitalistischer Mächte auf die Universitäten.

Wenn wir uns den Charakter, den die Universitäten gegenwärtig in Preußen haben, in aller Kürze symbolisch vor Augen führen wollen, so muss ich an etwas erinnern, was ich hier schon einmal erwähnt habe, nämlich an das Mittelbild des Professors Kampf in der Königlichen Bibliothek. Es ist nicht nur eine große Geschmacklosigkeit, in dem Lesesaal dieser Bildungsanstalt die Vertreter der Wissenschaft in gebeugter Haltung, katzbuckelnd vor dem Monarchen darzustellen, an einer Stelle, wo nur die republikanische Freiheit der Geister herrschen sollte, wo nur der eine Gedanke, die voraussetzungslose Forscherfreiheit, alles durchdringen sollte. Es ist wie ein Symbol und für die Zustände in Preußen äußerst charakteristisch. Meine Herren, vielleicht wissen Sie, dass man beim Eintritt in den Lesesaal der Königlichen Bibliothek sofort an der Decke gegenüber zweimal groß das Wort „Theologie" geschrieben sieht. Wenn man sich dann umdreht, erblickt man auf der anderen Seite Friedrich „den Großen" und die katzbuckelnden Gelehrten. Das ist in der Tat wie eine Satire auf die Freiheit der Wissenschaft, aber auch wie ein Gleichnis auf die preußische Wahrheit.

Ich wäre in der Lage, Ihnen an einigen Beispielen, die ich gerade hier an der Hand habe, darzulegen, wie hochangesehene Dozenten der Universität, zum Beispiel ein Philosoph von sehr hohem Ruf – es ist der Professor Windelband, der allerdings nicht an einer preußischen Universität lehrt – unter dem Einfluss der veränderten politischen Verhältnisse geradezu wie Wetterfahnen hin- und her schwanken Ich könnte Ihnen aus dem ersten Bande der „Geschichte der neueren Philosophie …" von Windelband zeigen, wie er da eine Änderung rein politischen Charakters vorgenommen hat, die aber so bezeichnend für die ganze Gestaltung der Tendenz an den deutschen Universitäten ist, dass es etwas Charakteristischeres nicht geben kann. Der Zeitraum, in dem sich diese Umgestaltung vollzogen hat, ist die Zeit von 1878 bis zum Ende der neunziger Jahre. Meine Herren, es hat ja mal tapfere Professoren gegeben, jene vier Jenenser, die an dem Wartburgfest teilnahmen, und die Göttinger Sieben. Aber gegenwärtig ist bei uns die Zahl solcher Dozenten sehr gering, und wir haben wohl mehr Tendenzprofessoren in Preußen als tapfere Göttinger.

Meine Herren, es fragt sich, wie dem abgeholfen werden kann. Wir Sozialdemokraten sind uns vollständig darüber klar, dass Abhilfe nur geschaffen werden kann, wenn absolute Lehrfreiheit gewährt wird, wenn die Universitäten zu Selbstverwaltungskörpern gemacht werden, die sich wirklich als freie Republiken der Geister in ihren Angelegenheiten selbst regulieren können. Man kann fest vertrauen, dass dadurch alles Sinnlose und Gefährliche sich am besten ganz von selbst ausmerzen wird. Man müsste den Dozenten die Möglichkeit geben, durch freie Wahl sich selbst zu ergänzen, andere Dozenten heranzuziehen. Ich bin fest überzeugt, wenn der Staat seine Finger von den Universitäten ganz weglässt, so werden die Universitäten am Besten fahren. Nur auf diese Weise wäre es möglich, die Schäden von der Entwicklung der Wissenschaft fernzuhalten, von denen ich mir eben zu sprechen erlaubt habe.

Meine Herren, der Herr Abgeordnete von Liszt hat ein Universitätsgesetz gefordert. Wir haben an und für sich dagegen natürlich nichts einzuwenden, wenn wir auch überzeugt sind, dass ein solches Universitätsgesetz bei der heutigen Zusammensetzung der maßgebenden gesetzgeberischen Faktoren in Preußen eine höchst bedenkliche Sache sein würde, dass es wahrscheinlich nach dem Muster der Lex Arons ausfallen und dieses nur verbreitern und erweitern würde über den ganzen Bereich des Universitätswesens. Aber, was tatsächlich besteht, wenn es auch dem Scheine nach nicht besteht, das kann ja schließlich auch gesetzgeberisch formuliert werden. Die Aufhebung der Forschungsfreiheit, die Aufhebung der Freiheit der Universitäten, die Aufhebung der Selbständigkeit der Universitäten in Bezug auf die Auswahl der Dozenten und sogar die Aufhebung des Vorschlagrechts der Universitäten in Bezug auf die Dozenten ist bereits jetzt in solchem Umfang durchgeführt, dass es fast zu begrüßen wäre, wenn durch ein Universitätsgesetz endlich klipp und klar zum Ausdruck gebracht würde, dass jener Artikel der Verfassung, wonach die Wissenschaft und ihre Lehre frei sein soll, für Preußen in Wirklichkeit nicht mehr existiert.

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Ewig wird mit dieser Verfassungsbestimmung paradiert. Dieser liberale Schein würde besser heute als morgen beseitigt. Diese Verfassungsbestimmung hat nicht die Spur einer Realität, sie ist nur ein gleißender, aber fadenscheiniger Deckmantel.

Meine Herren, der beste Schutz gegen alles Cliquenwesen ist eine freie Demokratie, die wirklich urteilsfähige öffentliche Meinung eines hochgebildeten und an der Wissenschaft interessierten freien, selbstbewussten Volkes. Wenn Sie das wissenschaftliche Interesse in der breiten Masse des Volkes immer mehr fördern, immer lebendiger gestalten, so werden Sie dadurch bei der freiesten Ausgestaltung der Universitäten, bei ihrer vollkommenen Unabhängigkeit von jeder Kontrolle, durch den Einfluss einer solchen öffentlichen Meinung erreichen, dass sie sich von selbst von allen wirklichen Unlauterkeiten reinigen und alle wirklichen Auswüchse abstoßen. Das wäre auch der beste Schutz gegen alle wissenschaftlichen Entgleisungen, gegen alle wissenschaftlichen Torheiten und Unwürdigkeiten, jedenfalls ein viel besserer Schutz als alle möglichen Disziplinarbestimmungen und Hausknechtsparagraphen, unter denen augenblicklich die Universitäten leiden.

Meine Herren, der Expräsident Amerikas2 hat vor einigen Tagen in der Sorbonne einen Vortrag gehalten; er hat dort das Ideal der Erziehung eines republikanischen Bürgers dem französischen Publikum vorgetragen. Dabei hat er für die Ausbildung des republikanischen Bürgers und jedes freien Mannes die Charakterbildung in den Vordergrund gestellt. Ich glaube, ich gehe nicht fehl, wenn ich behaupte, dass die Art, in der bei uns in Preußen die Wissenschaft, die Dozenturen reglementiert werden, genau das Gegenteil zu erzielen geeignet ist, nicht die Charakterbildung, sondern die Charakterherabwürdigung und die Depravation und die Demoralisation. Meine Herren, der freie Stolz der Wissenschaftler kann in Preußen nicht wohl bestehen. Bezeichnend ist die Feindschaft, die man immer und immer wieder für die Berliner Universität zeigt. Man sieht deutlich in dieser Feindschaft gegen die allzu große Dotation der Berliner Universität die alte Feindschaft gegen den Wasserkopf Berlin auftauchen. Damit ist verbunden die große Besorgnis, dass die Berliner Universität den Studenten durch das weltstädtische Leben, in das sie hineingeführt werden, die Augen weit mehr öffnet als das Studium an einer kleinen Universität. Sie sind sich ja alle darüber klar, dass ein größerer Umblick, den man durch das Leben in einer größeren Stadt bekommt, die größere Weitsichtigkeit, die man dort erwirbt, auch dazu führen muss, überflüssige Klassenengherzigkeiten so gründlich zu beseitigen, dass Ihnen schließlich in Ihrem engherzigen Klassenegoismus selbst daraus allerhand Nachteile entstehen könnten. Die Feindseligkeit gegen den Frankfurter Universitätsplan dürfte zu einem sehr großen Teile ähnlichen Gesichtspunkten entspringen. Die Verhandlungen in der Budgetkommission haben deutlich ergeben, dass man diese Universität vor allen Dingen deshalb nicht wünscht, weil man die Besorgnis hegt, dass dort ein Asyl freier Wissenschaft, die nicht in dem Umfange der Kontrolle der Reglementierung des Staates unterworfen ist, gegründet werden könnte. Es ist auch hier auf die Gefahren des Großstadtlebens hingewiesen, und es sind die Idylle der kleinen Universitäten gepriesen worden, die für die Studenten viel zuträglicher seien. Demgegenüber gilt für Frankfurt genau das, was ich mir für Berlin auszuführen erlaubt habe, wenn auch nicht in demselben Maße.

Im Übrigen möchte ich feststellen, dass sich der Herr Minister bei seinen Ausführungen in der Kommission und bei seinen heutigen Ausführungen ein wenig widersprochen hat. In der Kommission hat er mit Nachdruck betont, dass er unter keinen Umständen seine Hand dazu zu bieten gedenke, dass die Universität in Frankfurt am Main auf wesentlich anderen Grundlagen errichtet werde als die übrigen Universitäten. Heute hat der Herr Minister nicht nur der Frankfurter Universität ein viel freundlicheres Wort gewidmet als in der Kommission, sondern er hat außerdem, wie erwähnt, sogar in Erwägung gezogen die Gründung von Universitäten durch Privatpersonen. Der Herr Minister dürfte seinen Standpunkt geändert haben – das ist meine feste Überzeugung – im Wesentlichen aus finanzpolitischen Gründen. Man kann häufig genug konstatieren, dass, wenn auch alle Neigung, einem fortschrittlichen Bedürfnisse zu genügen, versagt, in dem Augenblick, wo die finanzielle Notwendigkeit auf den Nägeln brennt, man plötzlich bereit ist, nachzugeben. So scheint mir auch die Bereitwilligkeit des Herrn Ministers, die sich mit ziemlicher Plötzlichkeit gezeigt hat, dem Plane in Frankfurt und etwa weitergehenden Plänen Förderung angedeihen zu lassen, ein deutlicher Ausfluss der finanziellen Kalamität zu sein, in der man sich augenblicklich befindet.

Der Andrang zu unseren Universitäten steigt unausgesetzt, aber dieser Andrang ist nicht schlimm und nicht verderblich. Man fürchtet allerdings in gewissen Kreisen das Gelehrtenproletariat wie überhaupt die Ausbreitung der Bildung außerordentlich; auch wir sind gewiss nicht so gesonnen, dass wir das Gelehrtenproletariat begrüßen; wir sind uns darüber vollkommen einig, dass dieses große Gelehrtenproletariat, dieses intelligente Proletariat vielfach ein bedauernswerteres Dasein zu fristen genötigt ist als selbst der einfachste Handarbeiter. Aber wir wissen auf der andern Seite, dass man gegen diesen verstärkten Ansturm der Bevölkerung auf die Universitäten und Bildungsanstalten nicht mit irgendwelchen künstlichen Vorrichtungen, mit irgendwelchen Gewaltmaßregeln vorgehen soll. Im Grunde genommen sind die Vorteile, die sich aus einem solchen starken Ansturm ergeben, bei weitem größer als die Nachteile; die Vorteile sind Vorteile für die Allgemeinheit, die Nachteile sind Nachteile für die Einzelnen. Dieser Andrang zu den Hochschulen ist im Grunde eine geradezu wundervolle Erscheinung und charakteristisch für das gewaltige Vorwärtsstreben unserer gegenwärtigen Zeit, das die breitesten Massen der Bevölkerung erfasst hat, die sich nicht mehr damit begnügen wollen, einfach in den Tiefen des Daseins dahinzuleben und für irgendwelche privilegierten Klassen zu fronden, die sich nach den Höhen der Kultur hinauf sehnen und auch unter größten Entbehrungen sich bemühen, diesem Erkenntnisdrange, diesem Bedürfnis nach höherer Bildung nachleben zu können; es ist eine wundervolle Erscheinung, eine Erscheinung, die wir vielleicht als das Schönste und Idealste an unserer gegenwärtigen Zeit beurteilen können. Gerade diese hungernden Intelligenten liefern einen Beweis dafür, dass in dem deutschen Volke trotz der bedauernswerten Zustände auf den Universitäten ein Geist des edelsten Wissensdurstes lebt, ein Geist des Idealismus, an dem Deutschland noch lange zehren kann, der Deutschland durch die Menschenalter andauernde reaktionäre Misswirtschaft noch nicht geraubt ist, die so vielerlei Kulturgüter zerstört hat.

Im Übrigen gilt für die Studenten das gleiche wie für die Dozenten. Auch die Studenten entstammen im Allgemeinen nur der sogenannten höheren Klasse der Bevölkerung. Gewiss, einzelne besonders heroische Naturen sind in der Lage, sich schließlich aus dem tiefsten Niveau in die Höhe zu arbeiten, unter den größten Entbehrungen; aber für den großen Durchschnitt, die große Masse liegt es so, dass sie nur gewissen Gesellschaftsschichten entnommen werden, und zwar annähernd denselben Schichten, denen auch die Dozenten angehören. Schon durch die großen Kosten des Studiums, durch die lange Vorbereitungszeit ist dafür gesorgt, dass es so ist; es ist eine gewaltige Barriere, die der Staat damit aufgerichtet hat gegen alle Wissensdurstigen aus den unteren Schichten der Gesellschaft. Man wünscht eine Einschränkung der Wissenschaft an und für sich, weil die Wissenschaft an und für sich als etwas Gefährliches gilt, von dem man niemals so recht weiß, ob es nicht einmal zu einem staatsgefährlichen Nachteil ausschlagen kann. Auf der andern Seite sollen die Universitäten dem Zweck dienen – vergleichen Sie das Urteil gegen Arons –, Beamte, kirchliche und staatliche, heran zu drillen. Durch die Kostspieligkeit des Studiums, durch jenen automatischen Siebungsprozess, erreicht man mit aller Leichtigkeit das Ziel, dass zu den höheren Staats- und Kirchendienerstellen im Wesentlichen nur Angehörige der höheren Stände Zutritt haben.

Die Universitätsbildung ist im Wesentlichen eine Geldsackfrage. Das haben wir stets mit allem Nachdruck festgestellt. Darüber kann meiner Ansicht nach kein Zweifel überhaupt obwalten, und diese Tatsache war es ja, die das Privilegium, das man in dem Wahlrechtsentwurfe den Abiturienten machen wollte, als ein Privilegium odiosum im schärfsten Sinne des Wortes und auch im doppelten Sinne des Wortes empfinden ließ.

Meine Herren, es gibt nur eine Möglichkeit, hier Abhilfe zu schaffen, indem man nämlich den Unterricht an den Universitäten wie auch an den höheren Lehranstalten, die zu den Universitäten vorbereiten, unentgeltlich gestaltet, dass man überhaupt für den Zutritt zu diesen höheren Lehranstalten und Hochschulen die Frage der Zahlungsfähigkeit gänzlich ausschaltet und im Interesse der Allgemeinheit und in der Erkenntnis, welche ungeheure allgemeine Bedeutung für die ganze Kulturentwicklung eine Auslese der Besten gerade auf wissenschaftlichem Gebiete hat, dafür sorgt, dass überall diejenigen, die als besonders geeignet anzusehen sind, zu diesen höheren Bildungsanstalten Zutritt haben.

Wir haben ja ein Stipendiatssystem, wir haben gelegentlich Freistellen usw., aber alles das, meine Herren, ist ja doch ein Tropfen auf einen heißen Stein. Ich bin Mitglied der Kollegien der Berliner Stadtverwaltung, welche mit der Vergebung der Stipendien zu tun haben, und bei allen diesen Vergebungen kann man feststellen, dass trotz der reichen Dotierung der Berliner Universität nur ein paar Prozent der Bedürftigen mit diesen Stipendien versorgt werden können.

Man darf auch nicht vergessen, dass in Preußen das Studieren an und für sich überhaupt ungemein teuer ist. Während in Österreich das Studium pro Stunde und Semester nur 2,10 Kronen kostet, ist es in Deutschland bei weitem mehr als das Doppelte. Auch im Übrigen sind die Gelder, die an den österreichischen Universitäten zu zahlen sind, bei weitem geringer als an den deutschen und ganz speziell an den preußischen Universitäten. Man sollte daraus den besonderen Anlass schöpfen, schleunigst an einen Ausbau von Einrichtungen zu gehen, die es den geeigneten Angehörigen minderbemittelter Stände ermöglichen, auch ohne finanzielle Aufwendungen die Universität zu absolvieren.

Meine Herren, was den Geist der Studentenschaft in Deutschland anbelangt, so hat sich ja jeder von uns noch gewisse große Worte aus seiner Studentenzeit im Gedächtnis bewahrt, in denen das hehre Ziel der Freiheit der Wissenschaft usw. in überschäumenden Tönen zum Ausdruck gelangt. Die freie, voraussetzungslose Wissenschaft, die man begeistert aus den Brüsten der Alma mater saugen soll usw., wie man da zu sagen pflegt, gibt es leider nicht und in Preußen am wenigsten. Man darf im Allgemeinen bei unserer Studentenschaft, sowenig sie ein homogenes Gebilde ist und sowenig man alle Studierenden über einen Kamm scheren kann – man darf im Allgemeinen bei unserem akademischen Nachwuchs fragen: Wo sind die großen befreienden, alles umfassenden Gedanken, wo ist der Idealismus der begeisterten Wahrheitssucher, die man in erster Linie an den Universitäten erwarten sollte? Der wirkliche Geist an den Universitäten ist ein ganz anderer, als jene idealen Reminiszenzen aus der akademischen Jugendzeit andeuten.

Ich erinnere daran, wie weite Kreise der Studentenschaft – wie übrigens auch schon die Gymnasiasten – zugunsten der reaktionären, wissenschaftsfeindlichen Parteien in die Politik eingriffen; so erst ganz allgemein noch bei den Wahlen vom Jahre 1906/07. Jüngst hat die Universität Halle auf diesem Gebiete ein Beispiel gegeben, das der schärfsten Missbilligung und Brandmarkung bedarf. Dort ist durch einen Anschlag am schwarzen Brett offiziell vom Rektor der halleschen Universität bekannt gemacht worden, dass der 26. November 1909, an dem die Nachwahl in Halle stattfand, ein Dies academicus, ein freier Tag, sei, und dann heißt es weiter:

Es werden an diesem Tage keine Vorlesungen abgehalten.

Indem der Rektor dies zur Kenntnis bringt, gibt er zugleich der Überzeugung Ausdruck, dass die Kommilitonen gerne, wie bei der letzten Reichstagswahl, alle Kräfte einsetzen werden, um auch diesmal wieder im Interesse unseres Vaterlandes und Volkstums zu einem so schönen Wahlsieg beizutragen wie bei den letzten Wahlen zum Reichstage."

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, wenn das nicht ein Missbrauch der Rektoratsgewalt ist,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

so weiß ich nicht, wie je ein Missbrauch konstruiert werden könnte. Dem Herrn Rektor sind allerdings glücklicherweise die Felle weggeschwommen; unsere Parteigenossen haben ihm eine wohlverdiente Blamage bereitet, indem sie dafür sorgten, dass der Sozialdemokrat gewählt wurde.

Das Lied vom freien Burschen gilt für Preußen in der Tat nicht mehr, meine Herren; wir haben an den preußischen Universitäten eine Neigung zum Utilitarismus, zum Strebertum, und viel charakteristischer als alle freiheitlichen Regungen in der preußischen Studentenschaft sind jene Korps und ist jener Korpsgeist, die nun auch von den herrschenden Klassen vielfach als etwas Lästiges und Gefährliches endlich empfunden werden, nachdem auch die herrschenden Klassen zum Teil gesehen haben, dass ihnen hier die Geister über den Kopf wachsen, die Geister, die sie selbst gerufen haben, von ihnen nicht mehr gebändigt werden können.

Meine Herren, ich habe nicht nötig, näher auf die Affäre des Korps Borussia und des Korps Palatia in Bonn einzugehen. Es ist bekannt, welch unerhörte Exzesse sich dort abgespielt haben, die glücklicherweise ziemlich allseitige Missbilligung gefunden haben; und es ist freudig zu begrüßen, dass sich in Bonn ein Rektor gefunden hat, der den Mut gehabt hat, in dieses Wespennest hineinzugreifen und diese Korps zu suspendieren. Ich weiß nicht, ob an allen Universitäten die Rektoren diesen Mut gehabt haben würden. Es ist ein sehr erfreuliches Zeichen, dass dieser Mut in diesem Fall vorhanden war. Wir begrüßen das mit voller Freude, umso mehr, als nach unwidersprochenen Zeitungsmeldungen zwei Tage, nachdem das Korps Borussia suspendiert war, zwei Mitglieder des königlichen Hauses bei eben diesem selben aufgelösten und randalierenden Korps Borussia zu Gaste waren.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Aber etwas, was minder erfreulich ist als diese mannhafte Haltung – man muss wahrhaftig, möchte ich sagen, von einer heldenhaften Haltung des Rektors reden, dass er es wagte, gegen diese allmächtigen Korps einzugreifen –, also weniger erfreulich als das ist die Haltung, die andere Staatsbehörden gegenüber diesem tapferen, heldenhaften Rektor eingenommen haben. Es ist bekannt, dass dieser Rektor genötigt war, ich möchte sagen, in die Öffentlichkeit zu flüchten, weil ihn nicht nur die höheren Staatsbehörden, sondern auch die Militärbehörden gesellschaftlich boykottierten,

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

weil er es gewagt hat, diese randalierenden jungen Burschen gebührend zur Ordnung zu rufen. Das ist ein ernster, deutlicher Hinweis, dass trotz des Versuches, mit Energie die Autorität des Rektorats gegenüber den übermächtigen Korps aufrechtzuerhalten, dennoch aller Wahrscheinlichkeit nach im Schlussresultat der Sieg nicht auf Seiten des Rektors sein wird, sondern auf Seiten eben derjenigen Mächte, die hinter den Korps stehen und die viel mächtiger sind als alle Universitäten und alle Rektoren Preußens zusammen.

(Abgeordneter Hoffmann: „Leider wahr!")

Meine Herren, trotz dieser sorgfältig abgemessenen und beschnittenen Freiheit der Studenten sehen wir noch dann und wann, dass es die akademische Aufsichtsbehörde für nötig hält, in politischer und sozialpolitischer Beziehung gegen die Studenten einzuschreiten. Wir haben mit größtem Bedauern festzustellen, dass in Berlin und Marburg derartige Maßregelungen von Studentenorganisationen vorgekommen sind; die Freie Studentenschaft, der Sozialwissenschaftliche Studentenverein usw. sind aufgelöst, Vorträge sind verboten worden, die von irgendwelchen sozialpolitisch missliebigen Personen oder von Frauen gehalten werden sollten – kurzum Vorgänge, die in der Tat geeignet sind, Beschämung wachzurufen, wenn man sie misst an dem großen Ideal einer wirklich freien Universität.

Meine Herren, Sie sehen auch hier wieder, dass es nicht das Ziel unserer Universitätspädagogik ist, den Charakter der Studenten zu bilden; das Ziel ist vielmehr auch hier, den Charakter zu brechen, das Rückgrat nach allen Richtungen zu biegen, um auf diese Weise zu erreichen, dass willige Diener der herrschenden Klassen und der Staatsgewalt heran dressiert werden.

(Abgeordneter Hoffmann: „Sehr richtig!")

Dass die Freiheit der Studenten, wenn sie in dem von uns geforderten Umfange gewährt wird, nicht etwa die Grundlagen des Staates untergräbt, das beweist auch hier wiederum Österreich. Ich möchte Sie daran erinnern, meine Herren, dass die Wiener Universität dem sozialdemokratischen Sozialwissenschaftlichen Studentenverein und einer anderen Organisation, der Freien Vereinigung, die unverblümt sozialdemokratisch ist, keinerlei Schwierigkeiten in den Weg legt. Und was besonders charakteristisch ist: Der Wiener Rektor, der Wiener Senat haben dem Sozialwissenschaftlichen Studentenverein und der Freien Vereinigung im vergangenen Jahre zu einer Marx-Feier – zu Ehren des sozialdemokratischen Denkers und Vorkämpfers Marx! – den großen Hörsaal der Universität zur Verfügung gestellt

(Abgeordneter Hoffmann: „Hört! Hört!“)

und zwar in voller Kenntnis des Programms. Und die Wiener Universität, der österreichische Staat bestehen noch; und Sie können versichert sein, dass die Regierung da drüben sich infolge dieses ihres Vorgehens auch in den Kreisen der Arbeiterschaft, bei der breiten Masse des Volkes einer weit freundlicheren Gesinnung gewärtigen kann als unsere preußische Regierung. Es ist ja bekannt, dass drüben in Österreich die Sozialdemokratie vielleicht die „staatserhaltendste" von allen Parteien ist.

Meine Herren, die Resultate, die auf diese Weise durch unsere sogenannte Hochschulbildung erzielt werden und werden müssen, sind naturgemäß vielfach außerordentlich betrübend. Ich darf an die bekannte Enquete erinnern, die vor kurzer Zeit der Magistratsrat Dr. Kremski inszeniert hat; dieser Herr hat festgestellt, dass Angehörige der verschiedensten gebildeten Stände, Juristen, Philologen, Offiziere usw., eine geradezu unglaubliche Naivität über die grundlegenden Bestimmungen unserer Verfassung bekundet haben. Von einem Studenten der Jurisprudenz wurde ihm auf die Frage, ob er denn mit der deutschen und preußischen Verfassung Bescheid wisse und speziell darüber unterrichtet sei, ob die bekannten freundlichen Wünsche des Herrn von Oldenburg gesetzwidrig seien, etwa erwidert: „Ich bin ja erst im zweiten Semester, und Verfassungsrecht hört man erst – wenn ich recht unterrichtet bin – im vierten Semester, und deshalb kann ich darüber noch nichts wissen." Und von Offizieren, die zum Teil auch studiert haben mögen, wurde bekanntlich auf die Frage, ob ein Leutnant mit zehn Mann den Reichstag auseinandertreiben dürfe, in fröhlicher Unbefangenheit erklärt: selbstverständlich, und hinzugefügt: Es würde für sie kein größeres Vergnügen geben, als mal tüchtig in die Quatschköpfe rinzupfeffern.

(Heiterkeit.)

Das ist Geist von Ihrem Geist, und Ihr behagliches Lachen zu dieser Bemerkung beweist mir, wie angenehm Ihnen dieses der Reichsverfassung hohnsprechende Wort ist.

(Abgeordneter Graf Clairon d'Haussonville: „Zur Sache!")

Das Gegenstück zur Behandlung der deutschen Studenten bildet die Behandlung der ausländischen Studenten. Ich will hier nicht noch einmal auf ein Gebiet eingehen, das ich bei Gelegenheit des Etats des Ministeriums des Innern ausgiebig erörtert habe, nämlich auf die Art, wie man die ausländischen Studenten unter Polizeiaufsicht stellt, namentlich die russischen; wie die Universität sich nicht scheut, die Papiere der russischen Studenten der russischen Regierung zugänglich zu machen, um sich auf diese Weise ein Attest über das politische Wohlverhalten und die politische Wohlanständigkeit der Studenten zu verschaffen von dieser korrupten russischen Polizei, deren Atteste für die Behörden eines Kultur-Staates an und für sich schon überhaupt nicht maßgebend sein können. Ich erinnere an die Praxis mit den russischen Studenten, die ausgewiesen sind: Wenn sie sich auch rechtzeitig zum Semesterschluss gemeldet hatten, wurde in die Exmatrikel das Stigma hineingesetzt, dass sie ausgewiesen seien. Das ist eine Kleinlichkeit der Schikane, die nichts zu wünschen übrig lässt und geeignet ist, die größte Empörung hervorzurufen.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Im Übrigen hat ja der Herr Kultusminister erfreulicherweise heute, wie ja auch schon in der Kommission, den Standpunkt vertreten, dass man die Ausländer nach Möglichkeit nicht erhöhten Studiengebühren unterwerfen soll. Wenn der Herr Kultusminister aber weiter heute, wie schon in der Budgetkommission, gemeint hat, dass es möglich sei, besondere Gebühren für besonders teure, kostspielige Veranstaltungen zu erheben, so weiß ich nicht, wie er das Pathos, das er bei der Zurückweisung des Verlangens nach höheren Gebühren anwandte, aufrechterhalten kann. Im Grunde genommen ist es doch nichts anderes als eine Erhöhung der Studiengebühren für bestimmte Kategorien der Studenten, wenn ihnen für die Benutzung solcher Einrichtungen erhöhte Gebühren abgenommen werden. Wir müssen auch dem energisch widersprechen. Wir können es nicht für eine Deutschlands Ehre würdige Art der Lösung dieser Frage halten, wenn so verfahren wird, wie der Herr Kultusminister angekündigt hat. Nächstens findet die Jubiläumsfeier der hiesigen Universität statt. Der Herr Minister hat freundliche Worte, gewissermaßen Worte der Begrüßung im Voraus, gefunden für die auswärtigen Delegationen, die nach Berlin kommen werden; und im selben Atemzuge kündigt er an, dass Preußen im Begriff steht, etwas einzuführen, was sonst nirgends in der ganzen Kulturwelt existiert, die gastlich zu ihm kommenden fremden Wissenschaftler und Wissensdurstigen durch die Erhöhung der Gebühren zu treffen. Mir scheint, das ist eine eigentümliche Art der Begrüßung der Mitfeiernden an der Berliner Universitätsfeier.

Meine Herren, es sind vielfach Wünsche nach neuen Vorlesungskategorien und neuen Ordinariaten aufgestellt worden: Das Genossenschaftswesen soll stärker vertreten sein, das Kolonialrecht usw. Wir haben gegen all das nichts einzuwenden. Mag alles dies, mag auch das Recht der Luftschifffahrt eingehender Erörterung unterworfen werden. Es ist zu begrüßen, wenn alle diese Gebiete zum Gegenstand möglichst gründlicher Studien gemacht werden. Aber auch wir haben kleine Wünsche. Wir haben dabei im Auge, dass der Ministerialdirektor Althoff, dessen Geist ja heute noch lebt, wenn er auch persönlich nicht mehr im Ministerium sitzt, es einst als eine besondere Aufgabe der Regierung bezeichnet hat, zu sorgen, dass auch die Minoritäten auf den Universitäten ihre wissenschaftliche Vertretung haben sollen. Eine solche Minorität innerhalb der wissenschaftlichen Welt – bald wird es ja wohl eine Majorität sein – bildet die marxistische Schule der Nationalökonomie und der Geschichtsphilosophie. Wir möchten dem Herrn Kultusminister oder seinem Vertreter anheimgeben, ob nicht auch in dieser Richtung ein Entgegenkommen möglich wäre. Dabei möchte ich mich besonders auf Ausführungen stützen, die auf dem Deutschen Hochschullehrertag gemacht worden sind. Dort wurde es von verschiedenen Dozenten als geradezu unwürdig und beschämend bezeichnet, dass sie gegen eine Lehre polemisieren müssen, der man grundsätzlich die Vertretung auf den Universitäten verweigert. Dass das in der Tat ein Zustand ist, der dem Begriff der Universität im besten Sinne des Wortes auf das schroffste widerstreitet, bedarf keiner Erörterung.

Meine Herren, freilich, die Königliche Staatsregierung hat auf diesem Gebiete ihren ernstlichen Willen, unsere Wünsche nicht zu erfüllen, bereits oft genug deutlich kundgegeben. Wir brauchen nur an den Fall Arons zu erinnern, der ja nicht einmal Physik lehren durfte, weil er Marxist war; weiter an die Fälle Conrad Schmidt und Dr. Michels. Aber immerhin, da wir hier Forderungen zu stellen berechtigt sind – wenn sie die heutige Regierung nicht erfüllt –, auch in Preußen werden sich die Verhältnisse einmal so bessern, dass eine Regierung ans Ruder kommt, die auch unseren berechtigten Wünschen nachkommt.

Weiter müsste auf unsern Universitäten auf das Arbeiterrecht mehr Rücksicht genommen werden. Besondere Lehrstühle für Arbeiterrecht sind meiner Überzeugung nach ein dringendes Bedürfnis unserer Zeit. Das Arbeiterrecht ist so kompliziert geworden, dass es nicht mehr so nebenher in andern Vorlesungen behandelt werden kann, und es gibt so außerordentlich viele Interessenten für dieses Rechtsgebiet auf den Universitäten, dass dem Bedürfnis durch unsere Universitäten gegenwärtig in gar keiner Weise genügt ist.

Meine Herren, was das Bibliothekswesen anlangt, so sind durch die Untersuchungen des Direktors Dr. Erman die beschämenden Zustände in Preußen in dieser Beziehung gerade jüngst wieder enthüllt worden. Dr. Erman hat festgestellt, dass, während im Durchschnitt des ganzen Deutschen Reiches auf 1000 Einwohner 388 Bände öffentlichen Bibliotheksbesitzes kommen, nur je 260 Bände auf Preußen entfallen, während auf die nichtpreußischen Staaten 587 kommen. In ähnlicher Weise verhält es sich mit den Kosten für die Bibliotheken usw. Preußen steht hier in einer ganz eklatanten Weise nicht in Deutschland voran, sondern hinter allen andern deutschen Bundesstaaten zurück.

Meine Herren, wenn wir die auswärtigen Bibliotheken, besonders die englischen Bibliotheken, betrachten, so sehen wir noch deutlicher, wie Preußen seinen Kulturpflichten in der Fortentwicklung der Universitätsbibliotheken, in der Ausstattung und Ergänzung der Königlichen Bibliothek aus dem Wege geht. Die Königliche Bibliothek soll eine Reichsbibliothek, eine Zentralbibliothek für ganz Deutschland sein; sie ist bisher nur sehr unvollkommen dazu geeignet. Die Subsidien, die ihr gegeben werden, können noch nicht einmal hinreichen, die allerdringendsten Lücken auszufüllen. Meine Herren, ich möchte dabei erwähnen, dass zum Beispiel in der hiesigen Universitätsbibliothek ein Buch, das als ein Standardwerk für die Biologie zu bezeichnen ist: Lamarcks „Philosophie zoologique", überhaupt nicht zu haben ist, ein Buch, das sonst wirklich an jeder auch nur mittelmäßig dotierten Universitätsbibliothek zu haben sein dürfte. Ich bemerke weiter, dass ich jüngst den Versuch unternahm, Windelbands „Geschichte der neueren Philosophie", Band I, zu bekommen. Der Herr Bibliotheksdirektor Professor Dr. Wolfstieg hat sich die größte Mühe gegeben, in allen Berliner Bibliotheken nur ein Exemplar dieser Geschichte der Philosophie ausfindig zu machen. Alle Zettel sind mit dem Vermerk: „verliehen" zurückgekommen; wahrscheinlich existieren von diesem viel gelesenen Buch nur zwei Exemplare in allen Berliner Bibliotheken.

Meine Herren, auf weitere Einzelheiten will ich hier nicht eingehen. Die Bibliotheksgebühren aber müssen wir mit allem Nachdruck ablehnen. Wir können uns nur den scharfen Worten anschließen, die in dieser Richtung bereits von anderer Seite gebraucht worden sind; wir hätten aber gewünscht, dass Herr Professor von Liszt in seinen Schlussbemerkungen nicht eine Art Brücke gebaut und gesagt hätte, dass mindestens doch nun auch die Professoren herangezogen werden müssten. Nein, diese Gebühren sind eine kulturwidrige Einrichtung, sie bedeuten eine Verteuerung des Studiums, man mag die Sache drehen und wenden, wie man will, sie bedeuten eine Erschwerung des Zugangs zu den höheren Berufen für die minderbemittelten Kreise. Es mag sein, dass das gerade die Absicht ist, die die Königliche Staatsregierung mit dieser Maßnahme verfolgt hat, denn man kann sich doch eigentlich kaum vorstellen, dass die Regierung eines so gewaltigen Staates wie Preußen, eines Staates mit einem solch ungeheuren Etat wie Preußen, dass diese Regierung, die allein für Ordensinsignien jährlich 220.000 Mark ausgibt, nicht in der Lage sein sollte, die paar Zehntausend oder Hunderttausend Mark aufzubringen, die notwendig sind, um die verschiedenen Bibliotheken in wirklich angemessener Weise zu dotieren. Das ist ein beschämendes Zeichen von Knauserei an einer Stelle, wo wahrhaftig nicht geknausert werden sollte, wenn man das Ansehen Preußens nicht in der schlimmsten Weise herabsetzen will.

Meine Herren, nach alledem lehnen wir die Bibliotheksgebühren ab. Wir halten es aber außerdem für eine sehr bedenkliche Sache, dass die Königliche Staatsregierung nicht gewartet hat, bis das Hohe Haus die Frage der Bibliotheksgebühren entschieden hat. Am 1. April ist mit Einführung der Bibliotheksgebühren vorgegangen worden, ohne dass eine Bewilligung dieser Etatposten diesseits stattgefunden hatte.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Das scheint mir ein Verfahren zu sein, das die schroffste Missbilligung einfach vom Standpunkte des Parlaments, des Budgetrechts aus verdient.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, ich komme sofort zum Schluss. Ich hätte gerade in Bezug auf die Königliche Bibliothek noch eine ganze Reihe von lebhaften Wünschen und Bedenken vorzutragen. Ich möchte aber nur noch darauf hinweisen, wie schlecht unsere Bibliotheken mit auswärtiger, ausländischer, außerdeutscher Literatur versehen sind. Vielleicht kann ich mir hier weiter eine Anregung gestatten: Es wird jedem Besucher der Bibliothek die Benutzung der Bestände im höchsten Maße dadurch erschwert, dass das Bücherregister so ungemein unhandlich und wirklich nur nach einem besonderen Studium brauchbar ist. Sollte nicht die Möglichkeit bestehen, die Ausarbeitung eines zu druckenden Bücherverzeichnisses der Königlichen Bibliothek in die Wege zu leiten? Das ist natürlich eine kostspielige Arbeit, und es wird eine ungemein zeitraubende Arbeit sein; ein solches Verzeichnis würde aber nicht nur für die Besucher der Bibliothek in Zukunft sehr nützlich sein, sondern auch ein ungemein wertvolles wissenschaftlich-bibliographisches Werk darstellen.

Meine Herren, ich will auf die verschiedenen technischen Mängel der Königlichen Bibliothek, wie gesagt, nicht eingehen. Die Einzelheiten werden vielleicht bei einem andern Etat noch vorgetragen werden können. Ich will es mir im Augenblick auch ersparen, auf die materiellen Verhältnisse der Angestellten der Königlichen Bibliothek näher einzugehen, die sehr zu wünschen übriglassen, besonders insofern, als auch diese Angestellten, wenn sie irgendwie erkranken, ja selbst bei Dienstbeschädigungen, genauso wie die Gerichtsangestellten, für die ich es gelegentlich einmal beim Justizetat vorgetragen habe, keinen Zuschuss erhalten, sondern einfach auf ihr Gehalt angewiesen sind und dadurch in Krankheitsfällen in die Gefahr der größten Not kommen, schlimmer, als das bei den versicherungspflichtigen freien Arbeitern und sonstigen Angestellten der Fall ist. Es müsste hier wirklich Remedur geschaffen werden und von der Königlichen Staatsregierung ein Gesetz ausgearbeitet werden, wonach auch für die staatlichen Angestellten eine Krankenunterstützung in ähnlicher Weise stattfindet, wie das für die freien Arbeiter der Fall ist.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Ich kenne gar zu viele Fälle aus der niederen Beamtenschaft, wo durch einen einzigen Unglücks- oder Krankheitsfall in der Familie eine Schuldenlast schlimmster Art eingetreten ist. Die zur Verfügung stehenden Dispositionsfonds sind so klein, dass damit nichts anzufangen ist.

Meine Herren, ich überschlage mancherlei und wende mich jetzt der Volkshochschulbewegung zu, die ja bekanntlich vor nunmehr 37 Jahren ihren Ausgang in England genommen und auch hier in Deutschland sich zu entwickeln begonnen hat, in Bezug auf die wir aber noch durchaus dasjenige Maß von Förderung und Wohlwollen bei der Königlichen Staatsregierung vermissen, das wir für eine derartige Veranstaltung beanspruchen können. Ich möchte Ihnen auch hier wiederum das außerordentlich günstige Vorbild der Wiener Universität vor Augen führen. Es haben sich dort die volkstümlichen Universitätskurse, wie sie dort genannt werden, unter Leitung eines Kollegiums von Universitätsprofessoren herausgebildet. Diese Universitätskurse sind keineswegs von der hier üblichen mimosenhaften Ängstlichkeit gegenüber der Sozialdemokratie und der organisierten Arbeiterschaft befangen, sondern sie haben geradezu feste Vertragsverhältnisse mit den proletarischen Bildungsorganisationen. Dem Wiener Bildungsausschuss der Sozialdemokratie werden die Billets abgegeben, die außerordentlich billig sind: Nur 50 Heller kostet der Kursus für sechs Vorträge. Es dürfte schon daraus hervorgehen, dass die Förderung des Volksbildungswesens von Seiten der Universitäten und damit indirekt auch von Seiten der österreichischen Reichsregierung viel weiter geht, als es in Preußen der Fall ist, dass ein Vergleich nicht möglich ist. Um das Maß an Vorurteilslosigkeit zu demonstrieren, das sich in Österreich zeigt, darf ich noch hervorheben, dass das Volksheim, eine sozialdemokratische Veranstaltung für Bildungszwecke, wo Vorträge gehalten werden und ausgezeichnete Laboratorien eingerichtet sind, kurzum, das eine vollständige Universität darstellt, die ich Sie bitte, bei einem Besuch in Wien in Augenschein zu nehmen; Sie würden Ihr blaues Wunder erleben! – dass dieses Volksheim von der österreichischen Regierung subventioniert wird, wie denn auch eine jährliche Subvention von 20.000 Mark zu der im Wesentlichen von sozialdemokratischer Seite organisierten Freien Volksbühne geleistet wird.

So verfährt die österreichische Regierung, und sie steht noch auf festem Boden und ist noch nicht ins Wanken geraten.

Auch das schwedische Volkshochschulwesen darf als vorbildlich bezeichnet werden. Wenn es die Herren interessiert: Ich bin in der Lage, Ihnen das Jahrbuch der Volkshochschule zu Brunsvig von 1908 vorzulegen. Es handelt sich da um Veranstaltungen, die noch viel weiter gehen als anderwärts, Veranstaltungen, die mit Internaten verbunden sind. Es werden dort Arbeiter und überhaupt Angehörige minderbemittelter Stände auf ein halbes oder ein Jahr gänzlich übernommen; sie verbleiben dort und leben in kleinen Orten in Wald und Gebirge außerordentlich gesund. Es ist ein Leben und Treiben auf diesen Hochschulen, das im höchsten Maße erfreulich wirkt.

Auf dem Gebiete des Volkshochschulwesens müsste bei uns weit mehr getan werden von Seiten der Universitäten und von Seiten der Königlichen Staatsregierung. Die Staatsregierung hat vor allen Dingen die Pflicht, ihren schädlichen Einfluss fallen zu lassen, den sie dadurch auf die vielleicht ganz gern zur Hilfe bereiten Universitätsdozenten ausübt, dass sie ihnen die nähere Berührung mit der Sozialdemokratie als unverzeihliche Todsünde anrechnet. Auch in Süddeutschland steht's hier weit besser als in Preußen, und auch daran sollten Sie erkennen, dass es auch ohne die preußische Engherzigkeit, ohne den kleinlichen preußischen Polizeigeist und ohne die machiavellistische Staatsräsontheorie des Herrn Freiherr von Zedlitz geht.

Es ist notwendig, dass die Verhältnisse auf unseren Universitäten eine grundstürzende Änderung erfahren. Wenn der Herr Minister sich dagegen sträubt, dass ein Universitätsgesetz erlassen werden soll, so begreifen wir das vollständig, denn einen bequemeren Zustand als den gegenwärtigen kann sich der Herr Minister einfach überhaupt nicht denken. Wenn der Herr Minister zur Begründung seiner ablehnenden Haltung sagt, dass es bisher auch ohne Universitätsgesetz gegangen sei, so erinnert das in lebhaftester Weise an das bekannte Argument des Grafen Wartensleben im Herrenhause – und auch manche Herren von den Parteien der Rechten in diesem Hause haben ähnliche Argumente gebraucht –: Es ist in Preußen mit dem Dreiklassenwahlrecht bisher gegangen, weshalb wollen wir es abändern? Eine Abänderung der Verhältnisse auf den Universitäten ist notwendig, und sie wird kommen, wenn der preußische Kultusminister sich auch noch so sehr dagegen sträubt, und die „Eisenbahnentwicklung" unserer Zeit wird über einen derartigen reaktionären Widerstand hinweggehen. Ich begreife, dass der Herr Kultusminister die jetzige bequeme Situation nicht aufgeben will. Wie ich mir bereits an anderer Stelle auszuführen erlaubte, ist ja jetzt glücklich das ganze Ressort der Unterrichtsverwaltung jeglicher gerichtlichen Nachprüfung, jeglicher geordneten Kontrolle, jeglichem Gerichtsverfahren entzogen; wie kann man sich da vorstellen, dass es der Herr Kultusminister freudig begrüßen würde, wenn ihm das Stück Absolutismus, das Preußen in dieser Beziehung noch ganz nach den Wünschen des Herrenhauses besitzt, entrissen würde! Ich meine aber, wenn die preußische Regierung nicht bald energisch Hand legt an eine Besserung dieser Verhältnisse, an eine Besserung der Rechtsverhältnisse der Dozenten, an eine Besserung der Rechtsverhältnisse der Studenten, an eine Besserung auf dem ganzen Gebiete der wissenschaftlichen Forschung überhaupt, dass dann wohl alsbald die gewaltige Strömung auf eine Besserung unserer Verhältnisse, auf eine Beseitigung der mittelalterlichen Ruinen und Gerumpel, die in Preußen einer derartigen wichtigen Vorwärtsbewegung noch entgegenstehen, einen solchen Umfang und eine solche Kraft annehmen wird, dass die Königliche Staatsregierung und auch die hier im Hause etwa widerstrebenden Parteien nicht in der Lage sind, erfolgreich weiter Widerstand zu leisten. Meine Herren, wenn man unsere gegenwärtigen Universitätsverhältnisse in Preußen betrachtet, so kommt man in der Tat dazu, nach einem neuen Wartburgfest für Preußen zu rufen, das mit all den Schnürleibern, all den Korporalstöcken und all den anderen Kleinlichkeiten preußischer Unkultur endlich aufräumen möchte.

Die Bevölkerung, die an den Universitäten in Preußen Interesse hat, besteht nicht, wie Sie meinen möchten, nur aus Angehörigen der herrschenden Klassen; nein, das Interesse an den Universitäten ist bis in die weitesten Kreise auch der Arbeiterschaft hinein lebendig, und gerade deren Bildungsbestrebungen sind so mächtig, dass jeder, der seine Augen öffnet, sieht, wie aus der freien Initiative des Proletariats unendlich Wichtiges fortwährend geschaffen wird. Ich erinnere an die Parteischulen, an die Gewerkschaftsschulen, an die Arbeiterbildungsschulen, an die Arbeiterbildungsvereine, die überall aus dem Erdboden herauswachsen, und an andere Bildungsanstalten der Arbeiterschaft.

Ein Volk, das in dieser Weise sein lebendiges Bedürfnis nach dem Lichte der wissenschaftlichen Freiheit, nach dem Lichte der Bildung betätigt, dem wird auf die Dauer das Licht der Wissenschaft durch keine Kutten verhängt werden, und es wird auf die Dauer durch keine noch so gewalttätige herrschende Klasse gehindert werden, endlich auch zur Sonnenhöhe der Kultur aufzusteigen.

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

1Die Lex Arons bedeutete die Unterstellung der unbezahlten und bisher nicht als Beamte geltenden Privatdozenten unter die Disziplinargewalt des preußischen Staates seit dem Jahre 1898. Diese Gesetzesänderung richtete sich besonders gegen die Sozialdemokratie und wurde zuerst gegen den sozialdemokratischen Physikdozenten Arons angewandt. Arons wurde am 20. Januar 1900 wegen seiner Zugehörigkeit zur Sozialdemokratie von der Universität Berlin gewiesen.

2 Theodore Roosevelt, Präsident der USA 1901–1909. Die Red.

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