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Karl Liebknecht 19100604 Für sozialen Strafvollzug – gegen die Konkurrenz der Gefangenenarbeit

Karl Liebknecht: Für sozialen Strafvollzug – gegen die Konkurrenz der Gefangenenarbeit

Rede im preußischen Abgeordnetenhaus zu einem Antrag der Konservativen Partei

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, III. Session 1910, 5. Bd., Berlin 1910, Sp. 6477-6480 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 3, S. 381-386]

Meine Herren, auch wir stehen dem Grundgedanken des Antrages Hammer1 nicht ablehnend gegenüber, wenn wir auch in dem Antrage etwas vermissen, was wir hinzuzufügen bitten möchten. Wir meinen, dass man sich nicht darauf beschränken sollte, Vertreter der Handels-, Handwerks- und der Landwirtschaftskammern hinzuzuziehen; ich glaube, dass der Wunsch nicht unberechtigt ist, dass man auch die Arbeiter bei dieser wichtigen Frage mit zu Gehör nimmt. Es ist wohl ganz unbedenklich, dass man, ebenso wie man von einer gefährlichen Konkurrenz für das freie Handwerk sprechen kann, oftmals auch von einer recht bösartigen Konkurrenz gegen die freien Arbeiter sprechen kann, so dass sie wohl berechtigt sind, hier auch gehört zu werden.

Die Frage ist von einer erheblichen Bedeutung und hat bereits sehr häufig die Parlamente beschäftigt. Es ist zweifellos, dass hierbei das Interesse des Strafvollzuges im Vordergrund zu stehen hat. 2Im allgemeinen können die begründenden Worte, die der Abgeordnete Hammer dem Antrage vorausgeschickt hat, zum größten Teile auch von uns unterschrieben werden; er hat nur hier und da zum Widerspruch herausgefordert. Ganz besonders aber möchte ich meinen persönlichen Dank persönlich aussprechen dem Herrn Vertreter des Ministeriums des Innern für die so außerordentlich warmen und humanen Worte, mit denen er den Grundgedanken den Zwecks des Strafvollzuges, die Gefangenen wieder dem sozialen Leben zurückzugeben, hier zum Ausdruck gebracht hat. Ich meine, wenn dieser warmherzig empfundene Grundgedanke als leitender Stern über den Verhandlungen und dem Antrage, der uns eben beschäftigt, schwebt, dass dann etwas herauskommen kann, was der Allgemeinheit im hohen Grade dienlich sein kann. Zweifellos erfordert nicht nur die Humanität, sondern erfordern auch die allgemeinen sozialen Interessen, dass man die Gefangenen beschäftigt. Es wird heute als die größte Brutalität bezeichnet, den Gefangenen die Arbeit zu entziehen. Es ist aber auch eine Angelegenheit der sozialen Erziehung und Pädagogik, die Gefangenen zu beschäftigen. Die Gefangenen können nur auf die Weise, dass man sie während der Gefängniszeit beschäftigt, in einer Art des Lebens erhalten werden, das sie in den Stand setzt, sobald sie wieder in die Freiheit hinausgetreten sind, ordentliche und nützliche Glieder der Allgemeinheit zu werden oder aber zu bleiben. Nur so ist es möglich, solche Personen, die schwer entgleist sind, für die menschliche Gesellschaft zurückzugewinnen. Deshalb ist es unvermeidlich, dass auch qualifizierte Arbeit in den Gefängnissen betrieben wird, dass die Gefangenen nicht benutzt werden zu diesen geisttötenden, rein mechanischen Beschäftigungen, die früher eigentlich den Hauptkern der Gefängnisarbeit gebildet haben. Es ist im höchsten Grade zu begrüßen, dass unsere Gefängnisse vielfach in dieser Richtung außerordentlich wertvolle Einrichtungen besitzen. Ich habe durch meine Anwaltstätigkeit und bei anderen Gelegenheiten Einblick gewonnen in diese Art der Werkstätten, wie sie in den Gefängnissen eingerichtet sind, und ich kann nur sagen, dass hier mindestens die Ansätze für außerordentlich zweckmäßige Einrichtungen vorhanden sind.

Naturgemäß wird hierbei auch der andere Gesichtspunkt nicht außer acht bleiben dürfen, dass man nach Möglichkeit die Konkurrenz gegenüber der freien Arbeit vermeidet, denn man darf sich darüber nicht im Unklaren sein, dass der Gefangenenarbeiter an und für sich, weil er unter abnormen Verhältnissen lebt, unter einem Zwange lebt, geeignet ist, dem freien Arbeiter eine schädliche Konkurrenz zu machen. Außerdem ist seine Lebenshaltung eine bei weitem niedrigere, und er wird infolge der Massenversorgung natürlich billiger verpflegt als der freie Arbeiter. Dadurch ist die Möglichkeit gegeben, die Arbeit des Gefangenen billiger bezahlen zu lassen als die Arbeit eines freien Arbeiters. Diese Gefahr für die freie Arbeit wird gegenwärtig von keiner Seite verkannt, diese Gefahr für die Handwerksmeister sowohl wie für die Arbeiter selbst. Es gilt, Abhilfe zu schaffen. Diese Gefahr ist zunächst nach Möglichkeit dadurch zu vermeiden, dass die Gefangenenarbeit zu Zwecken der Staatsverwaltung selbst verwendet wird. Darauf ist bereits hingewiesen worden. Das ist auch bereits gegenwärtig ein Grundsatz unserer Gefängnisverwaltung, der durchaus zu billigen ist, der auch im Wesentlichen von den Herren Vorrednern als zutreffend anerkannt worden ist. Auf der anderen Seite darf aber gesagt werden, dass hier doch noch in größerem Umfange eingegriffen werden kann und vielleicht auch gerade dem sozialen Grundgedanken, von dem der Herr Vertreter des Ministeriums ausgegangen ist, noch in größerem Umfange genügt werden kann, wenn folgenden Gesichtspunkten mehr Rechnung getragen würde, die vielleicht neu, vielleicht nicht neu sein mögen, die mir seit längerer Zeit am Herzen liegen und die ich mir gestatten möchte, kurz vorzutragen.

Meine Herren, ich meine, es ist nicht zu weitgehend, wenn wir geradezu fordern, dass eine Art von Lehrwerkstätten in den Gefängnissen eingerichtet werde, um die Gefangenen zur Arbeit zu erziehen und anzulernen zu künftigen Berufen, so dass das Gefängnis geradezu zu einer Schule im besten Sinne des Wortes in dieser Richtung, zu einer Arbeitsschule für die betreffenden Arbeiter werden könnte. Im Übrigen, meine ich, wird man, soweit man die Arbeiter beziehungsweise die Arbeiten der Arbeiter an Unternehmer vergibt, an einem Grundsatz festzuhalten haben, der auch von dem Herrn Vertreter des Justizministeriums hier in den Vordergrund gerückt worden ist, ein Beweis dafür, dass dieser Gesichtspunkt in seiner Tragweite bei der Zentralinstanz hier allem Anschein nach durchaus erkannt worden ist. Und dieser ungemein wichtige Gesichtspunkt ist, dass die Unterbietung, die Schmutzkonkurrenz, zu beseitigen ist. Diese Gefahr der Schmutzkonkurrenz ist dadurch zu beseitigen, dass ohne Rücksicht auf die Lebenshaltung der gefangenen Arbeiter die Löhne, die man für sie fordert, von Verwaltungswegen möglichst hoch angesetzt werden, so hoch, dass sie durchaus den Löhnen der freien Arbeiter entsprechen, so dass also jede Schmutzunterbietung vermieden wird.

Es ist richtig, dass dann auf der anderen Seite die Gefahr besteht, dass die Arbeiter nicht mehr beschäftigt, von den Unternehmern nicht mehr angenommen werden. Da muss hin und her laviert, die richtige Mittellinie gefunden werden. Man hat dabei durchaus nicht die Besorgnis zu hegen, dass nun etwa den Arbeitern in den Gefängnissen ein Lohn zufiele, mit dem sie, die Gefangenen, nicht recht etwas anzufangen wüssten, ein Lohn, den man ihnen nicht gut in die Hände geben könne und den sie bei ihrer billigen Lebenshaltung nicht verdient hätten. Da wird man sicherlich Mittel und Wege finden, um das auf diese Weise seitens der Verwaltung überschüssig verdiente Geld in einer nutzbringenden, den in Betracht kommenden Zwecken angepassten Weise zu verwenden. Ich stelle mir zum Beispiel vor, dass man Fonds schafft, die speziell aus überschüssigem Arbeitsverdienst der Arbeiter gebildet werden und die einmal dem Zwecke dienen könnten, die Lehrwerkstätten, die ich vorhin anzuregen mir gestattete, zu unterhalten, und andererseits auch der Fürsorge für die entlassenen Strafgefangenen dienen könnten. Diese Fürsorge für die entlassenen Strafgefangenen ist ja eine soziale Aufgabe von allergrößter Bedeutung, eine Aufgabe, der sich speziell ja auch der Herr Vertreter des Ministeriums des Innern in so dankenswerter Weise außerdienstlich widmet. Diese Aufgabe könnte staatlicherseits auch noch gefördert werden aus dem Gesichtspunkte heraus, von dem ich eben gesprochen habe.

Im Übrigen möchte ich meinerseits keinen Anstand nehmen, auch die Möglichkeit anzuregen, ob man nicht, soweit in der Tat die Beschäftigung der Gefangenen durch die Unternehmer wegen des hohen Lohnes, den man ansetzen müsste, um die Schmutzkonkurrenz zu vermeiden, erschwert oder verhindert werden sollte, dann für die Gefangenen geradezu kleine Musterbetriebe einrichten und in eigener Regie versuchen könnte, die dort produzierten Gegenstände an den Mann zu bringen. Das wäre ein Art kaufmännischen Unternehmens, welches aber nach sozialpolitischen Gesichtspunkten zu leiten wäre, und ich glaube, es ist etwas, was durchaus nicht außerhalb des Bereiches einer verständigen, geschickten, gewandten, den Verhältnissen sich anpassenden Gefängnisverwaltung liegen würde. Damit würde man meines Erachtens allen Gefahren der Schmutzkonkurrenz, die wir im höchsten Maße bedauern und vermieden wissen möchten, am ehesten in der Lage sein, aus dem Wege zu gehen.

Es ist von Herrn Abgeordneten Hammer auf einen Gesichtspunkt hingewiesen worden, den ich nicht unwidersprochen sein lassen möchte. Der Herr Abgeordnete Hammer hat hier auf eine Verfügung Bezug genommen, die nach seinen Angaben wohl von den Gefängnisbehörden erlassen sein soll, wonach bei den Gefängnisarbeiten Kraftmaschinen möglichst nicht verwendet werden sollen. Ich weiß aus eigener Kenntnis, dass das Bedenken des Herrn Abgeordneten Hammer, dass in der Tat Kraftmaschinen doch verwendet werden, zutrifft. Ich freue mich darüber, dass man dem Gedanken, von dem der Herr Abgeordnete Hammer hier ausgeht, nicht Rechnung trägt, und ich hoffe, dass ihm auch künftig keine Rechnung getragen werde. Gerade der Gesichtspunkt der Ausbildung der Gefangenen für das Leben, der Gesichtspunkt, dass man ihnen möglichst solche Arbeitsgelegenheit geben muss, die sie nachher, wenn sie wieder in die Freiheit hineinkommen, fortsetzen können, muss dazu führen, dass wir in den Gefängnissen nicht künstlich zurückgedrängte Techniken aufrechtzuerhalten, sondern die Arbeit möglichst so zu gestalten suchen, wie sie in der Freiheit gestaltet ist. Nur dann kann der soziale Grundgedanke, den der Herr Vertreter des Ministeriums des Innern in den Vordergrund gerückt hat, in vollem Umfang seine Geltung finden.

Wir werden dem Antrag der Abgeordneten Hammer und Genossen unsere Zustimmung geben, aber, wie gesagt, unter dem Vorbehalt, dass auch Vertreter der Arbeiterschaft mitgehört werden, und in der Erwartung und Hoffnung, dass die Verhandlungen über diesen Antrag von dem Geist getragen werden, der uns erfreulicherweise heute vom Regierungstisch aus entgegen geschallt ist.3

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

1 Der konservative Abgeordnete Hammer hatte den Schutz des Handwerks vor der Konkurrenz der Gefangenenarbeit und die Errichtung eines Beirates aus den Kreisen des Handwerks, des Handels und der Landwirtschaft gefordert. Die Red.

2Die folgenden Sätze bis „dienlich sein kann.“ fehlen in den „Reden und Schriften“

3 Der Antrag Hammer wurde angenommen. Die Red.

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