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Karl Liebknecht 19100428 Kunst und Wissenschaft für das Volk

Karl Liebknecht: Kunst und Wissenschaft für das Volk

Reden im preußischen Abgeordnetenhaus zum Kultusetat 28. April 1910

[Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, III. Session 1910, 4. Bd., Berlin 1910, Sp. 5125-5140, 4997. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 3, S. 237-264]

I

Meine Herren, es ist richtig, was der Herr Abgeordnete Pachnicke am Schluss seiner Rede sagte: Kunst und Wissenschaft, das sind die Kronen der menschlichen Kultur. Es ist richtig, dass die Wissenschaft in allererster Linie die befruchtende Kraft für alle menschliche Arbeit ist. Es ist richtig, dass die Kunst der höchste Genuss ist, den sich die Menschheit selbst zu verschaffen vermag, dass sie die edelste Blüte aller Kultur darstellt. Es erhebt sich nur die Frage, ob in der heutigen Zeit die Gesamtheit des Volkes an dieser Krone der Menschheit gleichen Anteil hat, ob die Bedürfnisse der gesamten Bevölkerung nach diesen edelsten Blüten der Menschheit in hinreichender Weise erfüllt sind. Das Volk ist nicht ein Ganzes; das Volk ist zersplittert in Klassen, und wenn auch das Volk als Ganzes immerhin einen Organismus mit inneren Gegensätzen darstellt, so ist doch zweifellos, dass sich innerhalb der verschiedenen Klassen eine verschiedene Kulturschichtung vollzogen hat und dass man insbesondere nicht davon reden kann, dass die künstlerische, die wissenschaftliche Höhe für alle Schichten der Gesellschaft die gleiche sei.

Man hat heute gesagt: Die Kulturaufgaben leiden nicht. Wenn wir überhaupt von Kulturaufgaben sprechen, so können wir Sozialdemokraten das jedenfalls stets nur in dem Sinne tun, dass wir nicht die Kultur nur einer kleinen Oberschicht der Gesellschaft, sondern die Kultur der Gesamtheit der Bevölkerung gefördert wissen wollen.

Der geistige Zustand unserer herrschenden Klassen ist für eine günstige und gesunde Fortentwicklung der Kunst und der Wissenschaft durchaus nicht in jeder Beziehung geeignet. Es ist ja richtig, dass sich ein außerordentlich kräftig vorwärts stürmender Geist auch in der bürgerlichen Gesellschaft, in unserm Bürgertum, vielfach geltend macht; aber auf der andern Seite ist nicht zu verkennen, dass schwere geistige und moralische Dekadenzerscheinungen allenthalben und gerade in den höchsten Schichten zu verzeichnen sind. Neben dem ausgeprägten Materialismus haben wir in diesen Schichten eine Neigung zum Mystizismus, zur Theosophie, zum Okkultismus, zum Spiritismus und neuerdings sogar zur Astrologie, die eine besondere Zeitschrift hervorgerufen hat, zur Gesundbeterei usw. zu verzeichnen, Dinge, die als Dekadenzerscheinungen durchaus nicht auf Deutschland beschränkt sind, sondern die ganz international sind, die beispielsweise in Frankreich genauso blühen wie überall und die sich nicht erst in unserer heutigen Kulturperiode gezeigt haben, sondern die eigentümlich und charakteristisch sind für alle niedergehenden Kulturperioden. Ich brauche nur daran zu erinnern, dass vor ungefähr hundert Jahren, zu derselben Zeit, wo die von mir bereits früher charakterisierte Wöllnerei grassierte, auch die Rosenkreuzerei1 grassierte, eine Erscheinung, die den Erscheinungen durchaus verwandt ist, die wir auf dem eben erwähnten Gebiete gegenwärtig besonders in den höheren Schichten der Gesellschaft sehen.

Man hat vielfach das Wort geprägt, dass auch unsere Kunst amerikanisiert sei, dass sie industrialisiert sei. Die Kunst ist in der Tat von dem Mahlstrom des Kapitalismus in einer Weise ergriffen worden, dass alle diejenigen, die wirklich ein Bedürfnis nach einer reinen, unberührten Kunst haben, in tiefstem Maße erschreckt sind und mit den lebhaftesten Bedenken auf die weitere Entwicklung in dieser Beziehung schauen. Ich spreche nicht nur davon, wie die Kunst bei uns in unmittelbare Abhängigkeit vom Kapital tritt und dass das Kapital die Künstler im Interesse seiner Reklame anregt. Ich spreche nicht davon, dass die Theater heute zu einem sehr großen Teil nichts anderes sind als Unternehmungen zu dem Zweck, möglichst viel Geld herauszuschlagen, wie das eben bei allen industriellen, bei allen kapitalistischen Unternehmungen der Fall ist. Ich spreche wesentlich davon, dass die Kunst, indem sie als ein profitables Gewerbe ausgeübt wird, im höchsten Maße Schaden leidet. Meine Herren, von Einzelheiten sei hier abgesehen. In einer Zeit, in der sogar, möchte ich sagen, die Wohltätigkeit vertrustet wird, wird man die Spuren der kapitalistischen Einwirkung allenthalben auch in Kunst und Wissenschaft nachweisen können.

Ich möchte hier auf einen Vorgang hinweisen, der sich vor kurzer Zeit hier in Berlin abgespielt hat und gegenwärtig noch aktuell ist. Vor wenigen Wochen erst wurde in dem „Theater-Courier" auf die bekannte Gründung der Großen Oper, die schon viel Staub aufgewirbelt hat, hingewiesen und berichtet, in welcher Weise die Gründung dieser Oper, für die man den zweifellos sehr tüchtigen und bedeutenden Künstler Angelo Neumann gewonnen hat, zustande gekommen ist. Es heißt darin:

Jetzt vergeht kein Tag, ohne dass die Blätter etwas von der Gründung der ,Großen Oper' in Berlin melden. Sie soll ein Konkurrenzinstitut der Königlichen Oper werden. Ob ein Bedürfnis vorlag? Es gibt viele, die Nein sagen; aber der Wissende schmunzelt. Er weiß, was vorlag: eine Baustelle … Dasselbe Berliner Konsortium, das schon mit der Gründung des ,Eispalastes' eine hübsche Stange Gold verdient hat, verfügte über ein Terrain im Werte von 1,1 Million Mark. Also beschloss man: darauf muss ein Theater! M. w.! Ein paar Kunstenthusiasten sind schnell herbeigeholt. Nun wird ein ,Gründungs-Syndikat' formiert als Basis der Aktiengesellschaft ,Große Oper'. Die Aktien werden öffentlich ausgeschrieben usw. Inzwischen hat jenes Konsortium das Terrain längst an das ,Gründungssyndikat' verkauft, und zwar mit einem Zwischengewinn von 600.000 Mark."

Und es wird konstatiert:

Dieser Zwischengewinn", schreibt „Die Bank" in ihrem zweiten Februarheft, „von 600.000 Mark bildet das eigentliche Motiv der ganzen Gründung."

Sonst wäre man gar nicht auf die Idee gekommen, eine Große Oper für Berlin zu gründen.

Meine Herren, wer in diese Verhältnisse eingeweiht ist, weiß, dass zahlreiche andere Gründungen ähnlicher Art in Berlin existieren oder geplant werden. Die neue Operngründung am Schiffbauerdamm soll einen ganz ähnlichen Charakter tragen. Auch vom Hebbel-Theater hat man – wie mir scheint, mit vollem Recht – berichtet, dass es auf einer ebenso unsicheren Basis aufgebaut sei, dass es lediglich das Produkt einer kapitalistischen Spekulation sei.

Meine Herren, es ist bekannt, wie durch den Snobismus, der sich ganz besonders auf dem Gebiet der bildenden Kunst geltend macht und durch Amerika so sehr gefördert worden ist, besonders die bildende Kunst mehr und mehr auf Abwege gerät und auch die Gefahr wächst, dass künstlerische Schätze, die bisher der Allgemeinheit zugänglich waren, in die Hände von Privatleuten kommen, die mit ungeheuren Summen um sich werfen können, so dass diese künstlerischen Werke dem großen Publikum verlorengehen. Das ist auch eine der Gefahren für die Kunst, die unsere kapitalistische Entwicklung mit sich bringt, ohne dass die Kunstgenießenden aus eigener Kraft etwas dagegen tun können.

Meine Herren, dass man heute nicht in allen Kreisen die geistige Bildung und die Wissenschaft hochschätzt, brauche ich ja in diesem Hause nicht hervorzuheben. Der Redner der konservativen Fraktion hat zwar die Behauptung aufgestellt, dass die Konservative Partei durchaus zum Fortschritt geneigt sei; aber ich meine, Worte wie: dass der dümmste Arbeiter schließlich doch noch der beste sei – oder das bekannte Wort des Kriegsministers von Einem, dass es ihm weniger darauf ankomme, dass ein Soldat gut schieße, als dass er eine königstreue Gesinnung habe, und viele andere Dinge sprechen deutlich dafür, dass ein wirklich lebendiges Empfinden für die Fortentwicklung von Wissenschaft und Kunst in Ihren Kreisen nicht vorhanden ist.

Meine Herren, abgesehen von dem Einfluss des Kapitals, des Geldes, des Mammons auf die Entwicklung der Kunst ist ein starker Einfluss zu konstatieren, der in die Richtung des Byzantinismus geht. Unsere Kunst ist, wie Berlin als sprechendes Beispiel täglich jedem, der durch die Straßen fährt, zeigt, geradezu künstlerisch verdorben worden bis in den Grund hinein durch unsere byzantinisierte Kunst. Die Siegesallee ist noch nicht verdaut und wird auch niemals verdaut werden, auch wenn sie noch so lange dasteht. Das ist nicht das einzige. Ich brauche Sie nur zu erinnern an den geradezu unglaublichen Bau unserer Königlichen Bibliothek; etwas Geschmackloseres, etwas den einfachsten Kunstverstand mehr Beleidigendes als die Fassaden der Königlichen Bibliothek gibt es meines Erachtens überhaupt in der ganzen Welt nicht. Man hätte eine einfache Scheune hinstellen können, sie hätte sicherlich mehr Stil gehabt als dieses unglaubliche Gebäude. Es ist Kitsch im schlimmsten Sinne des Wortes – ähnlich wie der Berliner Dom.

Meine Herren, sehr charakteristisch ist auch, dass vor kurzer Zeit in Wilmersdorf ein Theater in Aussicht genommen war, das sich dem Publikum besonders dadurch empfahl, dass es auf die Unterstützung und den Besuch patriotischer und der Kriegervereine rechnete. Dieses projektierte Theater ist dann kurzhin bezeichnet worden als das Wilmersdorfer Kriegervereinstheater, das glücklicherweise nun verschollen ist und hoffentlich auch niemals wieder auf der Bildfläche erscheinen wird. Meine Herren, derartige Erscheinungen bedeuten zweifellos eine Herabwürdigung der Kunst. Es heißt in einem Schillerschen Gedicht:

Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben;

Bewahret sie! Sie sinkt mit euch,

Mit euch wird sie sich heben."

Eine Gesellschaft, die nicht imstande ist, ihre Kunst rein zu bewahren, sinkt mit dieser Kunst zugleich.

Es ist kein Zweifel, dass unsere Regierung durchaus nicht unschuldig ist an diesen Zuständen; sie trägt jedenfalls nicht dazu bei, sie zu bessern. Meine Herren, unsere gesetzliche Lage und unsere Verwaltungspraxis sind in vieler Beziehung geeignet, die freie künstlerische Entwicklung zu erschweren. Zunächst einmal haben wir ja immer noch diesen entsetzlichen Unfug, dass einer königlichen Genehmigung, jedenfalls einer obrigkeitlichen Genehmigung, Denkmäler und dergleichen Sachen unterliegen. Dass da der freien Initiative aus der breiten Masse des Volkes heraus, aus den Selbstverwaltungskörpern heraus, von privater künstlerischer Seite, von privater kunstverständiger Seite die Möglichkeit der Betätigung entzogen ist und die Tendenz zur Uniformierung in der Tat außerordentlich stark ist, kann nicht verwundern. Diese Gefahr ist ja bereits vielfältig in die Erscheinung getreten. Ich meine, es wäre wirklich an der Zeit, damit aufzuräumen. Das deutsche und das preußische Volk sind mündig genug, um eine Reglementierung in dieser Beziehung entbehren zu können.

Die Zensur wird bei uns fortgesetzt noch ausgeübt in einer Weise, die wir durchaus nicht billigen können, und es ist ja bekannt, in welcher Weise auch dadurch, dass man künstlerisch wertvolle aber unliebsame Zeitschriften auf den Bahnhöfen, innerhalb des Bereiches der Regierungsgewalt, verbietet, wie den „Simplizissimus" usw., wie dadurch nicht nur die Bahnhofsbuchhändler benachteiligt werden, sondern auch das reisende Publikum einer lästigen künstlerischen Kontrolle unterworfen wird, da es die wertvollsten unserer Zeitschriften auf den Bahnhöfen zu kaufen verhindert wird.

(Heiterkeit.)

Meine Herren, ich darf des weiteren betonen, dass der Kampf gegen die Unsittlichkeit in der Kunst, der jetzt vielfach lebhaft proklamiert wird, durchaus nicht vorbehaltlos als ehrlich in diesem Sinne gemeint von uns hingenommen werden darf. Wir haben gar zu viele Beweise dafür, dass zum Beispiel die Regierung unter dem Vorwande der Bekämpfung der Schmutzliteratur sich bemüht, politische Tendenzen zu verfolgen und politisch missliebige Bücher, Schriften und Kunstwerke anderer Art dem Publikum zu entziehen.

Gerade in der letzten Zeit, im Januar dieses Jahres, wurde aus Hohensalza berichtet, dass der Ortsschulinspektor und Pfarrer die Lehrer fragte, ob ihnen schädliche Wirkungen der Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung bekannt seien; von höherer Stelle werde der Kampf gegen die Schundliteratur jetzt energisch betrieben, und man habe auch auf die erwähnte Gesellschaft ein Auge geworfen; vor allen Dingen handle es sich darum, ob etwa religions- und vaterlandsfeindliche Bücher von ihr verbreitet würden. Da kann ich doch wirklich sagen: Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt. Hier ist das Wort „Schundliteratur" einfach identifiziert mit religions- und vaterlandsfeindlicher Literatur. Man weiß ja, in welcher Weise die Regierung vor wohl drei Jahren vorgegangen ist gegen die wahrhaftig zahme Gesellschaft zur Verbreitung von Volksbildung, wie da hoch wissenschaftliche Werke verfolgt wurden usw.

Meine Herren, dass die Wissenschaft unter diesen Einflüssen leidet, dass sie auch ihren Charakter als einer Tätigkeit, die rein im Suchen nach Wahrheit, im Forschen liegt, in Gefahr steht, aus den Augen zu verlieren, darauf habe ich bei einer früheren Gelegenheit bereits hingewiesen. Weitere Belege für den wetterfahnenartigen Wechsel, den man bei verschiedenen Gelehrten konstatieren kann, will ich mir versagen.

Meine Herren, hierher, durchaus hierher gehört auch die Floraaffäre, die Affäre der unsterblichen Flora, die aber wohl weniger unsterblich sein wird wegen ihres Kunstwertes als wegen des großen Skandals, der sich daran geknüpft hat.

Meine Herren, ich will zunächst mal auf eines hinweisen. Es ist bisher, soviel ich weiß, noch niemals offiziell mitgeteilt worden, welches denn nun wirklich der Preis für diese Büste ist. Die Nachrichten in den Zeitungen haben geschwankt; bald waren es 160.000, bald 180.000 Mark. Man weiß nicht, welche Kosten daneben noch entstanden sind; man ist jedenfalls bisher in einer offiziellen Weise über den Preis, soviel ich weiß, nicht orientiert.

Meine Herren, weiter: Im vorliegenden Fall hat die Anschaffungskommission nach bestimmten Nachrichten die Büste vor ihrem Erwerb überhaupt nicht gesehen; es heißt, dass die beiden anderen Mitglieder der Anschaffungskommission außer dem Geheimrat Bode rein auf dessen Gutachten hin den Ankauf der Büste bewilligt haben.

Meine Herren, ich möchte dann mein Erstaunen darüber aussprechen, dass sich die Generalverwaltung unserer Museen bei dieser Gelegenheit, wie leider auch bei anderen Gelegenheiten, in Verbindung gesetzt hat mit einem gewissen Gretor, einem Manne, der in internationalen Kunsthändlerkreisen den denkbar schlechtesten Ruf genießt. Es existiert in Berlin der Brief einer Frau, die Gretor sehr nahesteht und gestanden hat, in dem sie mitteilt, dass Gretor an der Florabüste 40.000 oder 80.000 Mark verdient hat. Eine weitere Aufklärung der Sache wird erforderlich sein; ich will nicht behaupten, dass dieser Brief allein einen vollständigen Beweis liefert.

Meine Herren, selbstverständlich habe auch ich nicht die Absicht, mir ein sachverständiges Urteil über den Ursprung Ihrer Florabüste anzumaßen. Mein persönlicher Eindruck geht dahin, dass es sich nicht um ein Werk Leonardos handelt, sondern um ein klassizistisches Werk neuerer Zeit. Aber das interessiert in der Tat nicht; in dieser Floraaffäre interessiert – da Irrtümer ja jedem passieren – vielmehr das, was drum und dran war, die Art, in der die Florabüste erworben worden ist und wie der Kampf um sie geführt wurde. So gut ich darüber unterrichtet bin, dass Geheimrat Bode ein vorzüglicher Gelehrter, ein sehr feinsinniger Kunstkenner ist, dass er einen internationalen Ruf genießt und allenthalben wegen seiner Qualität Verehrung begegnet, so sehr muss ich daran festhalten, dass Herr Geheimrat Bode aus seinem autokratischen, selbstherrlichen Bewusstsein heraus ein System eingeführt hat, das in weitesten Kreisen peinlich empfunden wird und sich heftige Angriffe von sachkundiger Seite zugezogen hat. Man könnte geradezu, möchte ich sagen, von einer Dynastie Bode sprechen, die sich jetzt über Preußen und ganz Deutschland gelagert hat.

Die Bedenken gegen die autokratische Wirtschaft des Herrn Generaldirektors sind besonders von Professor Voll in München in den „Süddeutschen Monatsheften" in einem wohl auch anderen Mitgliedern dieses Hauses bekannten Aufsatze eingehend auseinandergesetzt worden. Dort wird auch über die Sachkunde des Geheimrats Bode ein etwas kritisches Urteil gefällt. Bei aller Anerkennung seiner Verdienste wird auf ihn doch das bekannte: Qui trop embrasse, mal étreint, angewandt. Zweifellos ist die Art, in der Geheimrat Bode hier verfahren ist, im höchsten Maße bedenklich. Er hat alsbald die ganze Presse in Bewegung gesetzt und hat dabei gearbeitet unter Ausnutzung seiner amtlichen Autorität; er hat sich dabei die schlechtesten Manieren des Offiziösentums angeeignet. Die Pressbearbeitung, die ihm natürlich in seiner amtlichen Stellung leichtfallen musste, ist eine Geschmacklosigkeit ohne alle Grenzen gewesen, sie hat wesentlich dazu beigetragen, diesen Kampf in der von verschiedenen Seiten beklagten Weise zu verschärfen.

Meine Herren, Geheimrat Bode hat aber auch besonders dadurch Anstoß erregt, dass von seiner Seite der Kampf um die Florabüste zu einer Angelegenheit des Patriotismus, des Nationalismus gemacht worden ist. Das ist im höchsten Maße zu beklagen.

Weiter hat gerade diese Partei in durchaus unlauterer Weise versucht, auch den Deutschen Kaiser in die Affäre hineinzuziehen und ihn, noch dazu mit Unrecht, zum Schwurzeugen anzurufen für die Richtigkeit der Auffassung der Bode-Partei. Das sind Manieren und Allüren, die in der Tat wegbleiben müssen, wenn man nicht in der Kritik noch schärfer werden soll, als ich es eben gewesen bin.

Ich verfehle nicht, bei dieser Gelegenheit auf einen Vorwurf einzugehen, den Professor Voll in dem oben genannten Artikel Herrn Geheimrat Bode gemacht hat. Er erwähnt, dass der Generaldirektor die Neigung habe, in etwas abenteuerlicher und flibustierhafter Weise Erwerbungen für das Museum zu machen, indem er verschiedene widersprechende Gutachten, verschiedene widersprechende Kritiken über Kunstwerke abgibt, um andere abzuschrecken oder anzulocken. Herr Geheimrat Bode tut das natürlich in seiner Begeisterung für die Kunst und in seinem lebhaften Bedürfnis, das Kaiser-Friedrich-Museum, das ja im Wesentlichen seine Schöpfung und sicherlich geradezu wundervoll ist, weiter auszugestalten. Aber es sind das doch Auswüchse, die in der Tat beschnitten werden müssen. Es wird aus Süddeutschland darauf hingewiesen, dass vielfältig gerade süddeutsche Sammlungen durch dieses Verfahren geschädigt worden seien und dass es dort eine ernste Missstimmung gegen Norddeutschland geradezu provoziert.

Meine Herren, in der Kommission ist von dem Herrn Minister als ein besonderer Vorzug des Geheimrats Bode gepriesen worden, dass er vielfach Privatpersonen in Bewegung zu setzen vermocht habe, um von ihnen allerhand Schenkungen für die Museen zu erhalten. Ich weiß nicht, ob genügend bekannt ist, dass hierbei wohl recht vielfältig mit allerhand Ordensversprechungen usw. um sich geworfen wird. Mir ist das Material über mindestens einen derartigen Fall gestern bekannt geworden, wo Herr Geheimrat Bode ganz persönlich auch durch Anbieten von Orden Schenkungen von solchen sogenannten Mäzenen für die Museen zu erreichen suchte. Das ist auf alle Fälle zu verurteilen. Ich hoffe, dass sich hier niemand finden wird, der einem solchen Verfahren beistimmen wird.

(Zuruf links: „Ist ja nur eine andere Form der Ordenssteuer!")

Meine Herren, ich darf mir wohl erlauben, bei dieser Gelegenheit mit kurzen Worten auf die Verhältnisse der Angestellten in unseren Königlichen Museen einzugehen. Es liegt da eine Petition vor, die bisher keine Erwähnung gefunden hat, eine Petition vom 10. Januar 1910. Die Verhältnisse der Angestellten der Königlichen Museen weichen insbesondere in einer etwas peinlichen Weise von denen der Angestellten des Zeughauses ab. Während die letzteren eine geringere Arbeitszeit haben, bekommen sie ein Gehalt von 1200 bis 2000 Mark; die Angestellten der Museen bekommen dagegen bei erheblich längerer Arbeitszeit nur ein Gehalt von 1100,bis 1700 Mark. Die Verhältnisse sind auch noch in anderer Beziehung ungünstiger, insbesondere in Bezug auf das Kleidergeld. Die Angestellten der Ruhmeshalle bekommen 100 Mark Kleidergeld im Jahr, die Angestellten der Museen bekommen ihre Kleider geliefert. Nun hat gerade bei dieser Lieferung der Kleidung in letzter Zeit eine außerordentlich starke Herabdrückung der Preise stattgefunden. Ich will die Einzelheiten darüber hier nicht vortragen. Ich darf nur betonen, dass dieses Herabdrücken der Preise natürlich auch geeignet ist, die betreffenden Handwerksmeister zu schädigen und zu einer verstärkten Ausbeutung der von ihnen beschäftigten Arbeiter zu veranlassen. Es wird dadurch das durchschnittliche Kleidergeld pro Jahr von 66 auf 45 Mark herabgedrückt – also ein ungeheurer Prozentsatz!

Die Beamten beklagen sich insbesondere – und sie haben ein Recht, sich darüber zu beklagen –, dass ihnen nur alle drei Wochen einmal ein Sonntag zur Verfügung gestellt wird, des weiteren darüber, dass ihre Gehaltsverhältnisse so ungünstig sind, dass sie, wenn sie einigermaßen Familie haben, genötigt sind, sich noch anderweits Verdienst zu suchen. Das ist im Grunde des Staates doch recht unwürdig, dass er seine Angestellten so bezahlt, dass sie noch genötigt sind, sich des Abends irgendwo bei den Theatern usw. beschäftigen zu lassen. Es wird von den Angestellten einer Verlängerung der Arbeitszeit durchaus nicht widerstrebt, wenn zum Beispiel die Museen längere Zeit offen gehalten werden sollten. Aber es muss doch dafür gesorgt werden, dass auch ihre Arbeitszeit – zum Beispiel durch Schichtwechsel – angemessen geordnet und ihre Lohn- und Arbeitsverhältnisse dementsprechend geregelt werden. Die Arbeit, die dort geleistet wird, ist keineswegs eine gering qualifizierte. Die Älteren der Angestellten haben sich sehr eingehend in die Sammlungen hineingearbeitet, und sie bilden gleichzeitig für das Publikum oft sehr willkommene Wegweiser und Führer. Das darf nicht verkannt werden.

Ein besonderer Missstand ist auch der, dass die Angestellten besonders des Kaiser-Friedrich-Museums keine ordentlichen Aufenthaltsräume haben, in denen sie frühstücken, sich umkleiden können usw. Hier müsste vor allen Dingen auch der Forderung Rechnung getragen werden, die ich mir bereits früher für andere Beamtenkategorien vorzutragen gestattet habe, dass nämlich für die Angestellten eine Krankenversicherung eingeführt wird. Wenn die Angestellten nicht irgend etwas zurückgelegt haben, sind sie bei jeder Erkrankung in der Gefahr, in die äußerste Notlage zu geraten. Das ist ein sehr dringlicher Punkt. Ich habe ihn bereits beim Justizetat und neulich bei der Beratung über die Universitäten zur Sprache gebracht und möchte doch bitten, dass die Staatsregierung sich der Wichtigkeit dieser Frage für die Angestellten endlich einmal bewusst werden möge. Mit irgendwelchen Dispositionsfonds, die ja außerdem ganz unzulänglich dotiert sind, kann man da nicht auskommen.

Meine Herren, dass unsere Königliche Bibliothek mancherlei Missstände aufweist, die schwer zu beklagen sind, habe ich neulich bereits angedeutet. Ich will hier nur noch erwähnen, dass die Ventilation in dem Lesesaal außerordentlich zu wünschen übrig lässt. Die Fenster können gar nicht geöffnet werden, und die durch einen Luftschacht einzuführende Luft wird nicht etwa aus der Höhe hergeleitet, wo frische Luft ist, sondern aus einem dunklen engen Hof, der natürlich keine frische Luft gibt. Die Anordnung der Bücher ist sehr unzweckmäßig, und besonders ist es gegenwärtig ein arger Missstand, dass der Leser im Bibliothekslesesaal, während er früher bei Bestellung von Büchern für den Lesesaal sofort, unter Umständen in einer Viertelstunde das Gewünschte bekam, jetzt infolge der Einrichtung eines sehr umständlichen Instanzenzuges sehr lange warten muss; unter zwei Stunden kann man jetzt kaum mehr ein für den Lesesaal bestelltes Buch bekommen.

Meine Herren, unsere Theater sind so ungemein teuer, dass es ein Missstand geworden ist, der nicht tief genug beklagt werden kann. In dieser Richtung ist ja bereits von verschiedenen Seiten in schärfster Weise Remedur verlangt worden. Für die Masse des Volkes ist die Möglichkeit, sich zum Beispiel durch den Besuch des Opernhauses einen künstlerischen Genuss zu verschaffen, überhaupt nicht mehr vorhanden; das ist wegen der hohen Preise überhaupt ausgeschlossen. Insbesondere gilt das für Wagner-Vorstellungen. Das Opernhaus erschwert es durch sein Wagner-Monopol ungemein, Wagnersche Opern zu hören, zumal bei derartigen Vorstellungen die Preise noch besonders in die Höhe geschraubt zu werden pflegen. So ist es nur besonders mit Glücksgütern gesegneten Menschen möglich, sich Zutritt in diese heiligen Hallen zu verschaffen, und man kann die Königliche Oper geradezu als ein für die Massen sogar des Mittelstandes gänzlich verschlossenes Kunstinstitut bezeichnen. Wer da weiß, wie diese Theater auch unter dem Platzmangel leiden, wie die Leute schon am Abend vorher vor dem Theater Posten fassen oder Dienstmänner hinstellen, die auch den Winter hindurch oft die ganze Nacht aushalten, um am Morgen als die ersten Billets zu bekommen, der muss zugeben, dass da auf irgendeine Weise Abhilfe geschaffen werden muss.

Von weiteren Missständen will ich jetzt nicht mehr reden. Das aber muss doch festgehalten werden, dass unser Kultusministerium, überhaupt unsere Regierung, soweit es sich um die Förderung der Schauspielkunst und der Oper handelt, in einer geradezu beschämenden und betrübenden Weise zurückgeblieben ist. Unsere Königlichen Schauspiele in Berlin sind geradezu Null für die Entwicklung der Kunst; sie sind in Zopf und Tradition vollkommen erstarrt,

(Heiterkeit.)

sind nur noch eine kunsthistorische Reminiszenz; jedenfalls riecht schon das Wort Königliches Schauspielhaus nach Moder vergangener Zeit.

(Heiterkeit.)

Meine Herren, wer geht denn noch in das Schauspielhaus, um dort etwas von der Kunst zu sehen? In das Schauspielhaus gehen Leute hinein, die eben nicht wissen, was das Schauspielhaus ist, oder solche, die Freibillets haben, oder solche, die aus irgendeinem ganz speziellen Grunde mal in das Schauspielhaus hineingehen müssen. Aber wenn man von der Berliner Theaterkunst spricht, dann gibt es doch auch nicht einen vernünftigen Menschen, der dabei an eines unserer Königlichen Schauspielhäuser dächte; da denkt doch jeder einzelne an Reinhardt usw. Es ist kein Zweifel, dass die Königlichen Schauspielhäuser nicht das mindeste für die Fortentwicklung der Kunst getan haben und sich gegenwärtig im Zustande absoluter Stagnation befinden.

(Abgeordneter Freiherr von Wolff-Metternich: „Sie sind aber anständig!")

Jawohl, „anständig" sind sie allerdings.

(Zuruf im Zentrum: „Das ist die Hauptsache!")

Diese „Wohlanständigkeit" ist allerdings für gewisse Teile die Hauptsache, das ist richtig, und wenn die größte Blödheit damit verbunden ist, so ist sie Ihnen immer noch lieber als eine gewisse Freiheit der Anschauungen,

(„Aha!" und Lachen im Zentrum und rechts.)

von der Sie, von der gewisse Personen in ihrer eigenen inneren Unfreiheit unangenehm berührt werden

(Lachen im Zentrum und rechts.)

und darauf kommt es doch schließlich hinaus. Alle diese Zotenriecher und Schmutzriecher sind es ganz gewiss nicht, die imstande wären, die Kunst in irgendeiner Weise würdig zu beurteilen.

(„Ah!" im Zentrum.)

Das sind Rückständigkeiten kulturwidriger Art, wenn man der Kunst nicht auch auf dem Gebiete, das Sie (zum Zentrum) am liebsten aus der Kunst ausschließen möchten, auf dem Gebiete der Erotik, eine gewisse Bewegungsfreiheit geben will.

(Rufe: „Ah!" Unruhe im Zentrum und rechts.)

Damit würde die Kunst in ihrem eigensten Lebensnerv unterbunden sein.

(Abgeordneter Freiherr von Wolff-Metternich: „Je nackter die Kunst, um so besser!")

Meine Herren, Sie wollen wohl eine Kunst machen, die stets mit schwarzen Kutten bekleidet ist? Das würde Ihren Wünschen entsprechen. Oder eine Kunst, die stets nur in Badehosen oder im Trikot dargestellt wird. Es ist ja doch geradezu unglaublich, in dieser Weise über die Kunst oder ihr innerstes Wesen aburteilen zu wollen! Es gibt ja doch nicht einen einzigen Künstler und nicht einen einzigen Kunsthistoriker, der nicht darüber orientiert ist, dass allenthalben die lebendigsten Antriebe für die Kunst immer und wieder aus dem Gebiete des Verhältnisses der Geschlechter gewonnen sind, der Erotik im feinsten Sinne des Wortes bis zu der Erotik im derberen Sinne des Wortes, und dass eine Kleinlichkeit in dieser Beziehung in der Tat bedeutet, dass man die Kunst auf einen Teekränzchenstandpunkt hinab schrauben würde. Betrachten Sie doch nur gerade einmal die Zeitalter der größten überschäumenden künstlerischen Kraft, die Renaissance usw., wo Kunstwerte geschaffen sind, an denen wir noch zehren, wie vielleicht gerade auch dasjenige, um das hier so viele Worte selbst von Herren aus dem Zentrum geredet worden sind! Betrachten Sie einmal das erotische Leben der damaligen Zeit, speziell der Künstler, speziell Leonardos und aller dieser Großen! Wie hat gerade damals, weil man eben aus dem unerschöpflichen Quell schöpfte, der aus der Gesamtheit der Lebenskräfte und -betätigungen entströmt – wie hat damals gerade die Kunst in unverwüstlicher Kraft gestrotzt! Und wenn Sie unserer Kunst hier Verbote entgegensetzen wollen, wenn Sie ihr überall den Anstandsrock anziehen und sie mit mimosenhafter Ängstlichkeit fernhalten wollen von allem, was nicht von einem dreizehn- oder vierzehnjährigen wohlanständigen Mädchen gesagt werden kann, da werden Sie allerdings mit der Kunst weit kommen, meine Herren!

Im Übrigen ist ja das Königliche Schauspielhaus, das Sie gerade so sehr preisen, ein vorzüglicher Beweis dafür, was aus der Kunst werden würde, wenn sie unter Ihre Herrschaft geriete,

(Unruhe und Widerspruch im Zentrum und rechts.)

ein lebendiger Beweis dafür, wie sie stagnieren, wie sie gänzlich versanden, wie sie absterben würde.

Meine Herren, das ist sicher kein Wunder. Denn wer kommandiert unsere Schauspielhäuser, ihre Kunst hier in Berlin? In Preußen kann ja ein Offizier alles und eine Hofcharge alles; er kann ohne weiteres Staatssekretär des Reichspostamtes, er kann Landwirtschaftsminister werden, und nebenbei kann er auch noch gleichzeitig ein Kolonialinteressent und ein sehr geriebener Spekulant sein; er kann einen Reichstag unter Umständen mit zehn Mann auseinanderjagen.

(Lachen rechts.)

Warum soll ein preußischer Offizier oder irgendeine preußische Hofcharge nicht auch die preußische Kunst kommandieren können? Und so hat man einen Kunstgeneral oder dergleichen an die Spitze der Königlichen Schauspiele gesetzt – natürlich ist die Kunst auch danach, die dort produziert wird. Dieses System Hülsen bedarf einer eingehenden Kritik, aber ich muss mir im Augenblick diese Kritik versagen.

(Zuruf rechts: „Schade!")

Da will ich doch eins erwähnen, wenn die Herren so begierig sind. Ich darf darauf hinweisen, dass es Hülsen gewesen ist, der es jüngst abgelehnt hat, zusammen mit dem Vorsitzenden der Bühnengenossenschaften, mit Nissen, in der Clara-Ziegler-Stiftung zu sitzen. Gerade dieses Verhalten des Generalintendanten ist ein deutlicher Beweis dafür, wie wenig er imstande ist, in dem Streit zwischen Bühnenverein und Bühnengenossenschaft die Kontenance zu bewahren. Dieser Konflikt zwischen Bühnengenossenschaft und Bühnenverein ist etwas, was unbedingt zur Sprache gebracht werden muss, ein Vorgang, der geeignet ist, das allgemeine Interesse in der lebhaftesten Weise zu erregen, und zwar um deswillen, weil sich hier endlich einmal eine klare Scheidung zwischen den verschiedenen Klassen, die in dem Schauspielerstande verkörpert sind, oder vielmehr eine Scheidung zwischen dem Stande der Theaterdirektoren und dem Stande der Schauspieler und Schauspielerinnen vollzogen hat. Es war die höchste Zeit, dass die Schauspieler und Schauspielerinnen sich auf ihre Interessen besonnen und begonnen haben, sich zu organisieren.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Es ist die höchste Zeit gewesen, weil in der Tat eine Sklaverei schlimmster Art bestanden hat

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

und gegenwärtig gegenüber diesen Künstlern noch besteht, denen wir doch schließlich alle so viele unvergessliche Stunden des Genusses verdanken.

Meine Herren, welche Gagen die Angestellten der Königlichen Bühnen erhalten, ist ja nicht bekannt; ich setze als selbstverständlich voraus, dass sie, besonders die weiblichen, so hohe Gagen erhalten, dass sie dadurch nicht den sittlichen Gefahren ausgesetzt sind, die sonst vielfach den Schauspielerinnen drohen und die besonders in der jüngsten Zeit aus Anlass der bekannten Versammlung der Schauspielerinnen und gewisser Prozesse eine so allgemeine Entrüstung hervorgerufen haben. Meine Herren, wir begrüßen diesen Zusammenschluss der Schauspieler und Schauspielerinnen und die Auseinandersetzung mit dem Direktorenverband, weil sich nur nach einer derartigen reinlichen Scheidung das Klassenbewusstsein in den Schauspielern und Schauspielerinnen in vollem Umfange ausbilden kann und weil sie nur auf der festen Grundlage eines solchen Klassenbewusstseins stehend die nötige Kraft besitzen werden, ihre zumeist so ungemein ungünstigen und beklagenswerten Verhältnisse zu bessern.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, dass hier unter Umständen ein Theatergesetz einzugreifen hat, das ist eine Auffassung, die glücklicherweise nicht nur von der Sozialdemokratie vertreten wird; aber immerhin sind wir Sozialdemokraten sehr zweifelhaft, ob wir von einem solchen Theatergesetz etwas Günstiges erwarten können, weil wir eben den gesetzgebenden Faktoren, in deren Pfänden die Vorbereitung derartiger Gesetze liegt, nicht viel Gutes zutrauen.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, ich habe einige Bemerkungen zu dem Gebiete der Ethnologie zu machen. Ich begrüße es, dass eine Professur für Anthropologie in Berlin eingerichtet werden soll. Aber das ist eigentlich das einzige Erfreuliche, was man, soweit die Initiative der Regierung in Betracht kommt, auf dem Gebiete der Ethnologie hier im Augenblick konstatieren kann.

Dass der Neubau des Museums für Völkerkunde nun seit dem Jahre 1904 nicht weiter gefördert worden ist, dass diese so dringende Frage sich immer noch in dem Stadium der Vorerwägungen befindet, dass hier noch nicht einmal ein Terrain gefunden worden ist, das ist doch in der Tat aufs Äußerste betrübend.

Die Zustände in dem Museum sind unhaltbar, und das Abhilfsmittel, mit dem die Regierung gegenwärtig vorgeht, scheint mir doch eine echte Eisenbartkur zu sein. Einmal will man das, was man nicht unterbringen und dem Publikum zugänglich machen kann, abtrennen; man will die Schausammlungen von der besonderen wissenschaftlichen Sammlung trennen. Andererseits hat man die Absicht, Überflüssiges in die Provinz hinaus zu schicken Nun, meine Herren, dagegen wäre an sich nichts einzuwenden, dass eine Trennung von Schausammlungen und wissenschaftlichen Sammlungen stattfindet, wenn nur die letzteren Sammlungen auch dem Publikum zugänglich gemacht werden, soweit es sich für die Einzelheiten eingehender interessiert. Aber, meine Herren, gegenwärtig wird offenbar ja doch nur geplant, in einer auch für wissenschaftliche Zwecke ganz unzureichenden Weise das überschüssige Material irgendwo wegzupacken. Man kann sich unter keinen Umständen mit einer derartigen Regelung zufriedengeben; auch für wissenschaftliche Zwecke muss genügend Raum im Museum vorhanden sein; das Abhilfsmittel ist also ein durchaus unzureichendes.

Meine Herren, wir müssen fordern, dass die Regierung den Bau des Museums für Völkerkunde nicht hinter die Bebauung der Museumsinsel zurückstellt. Ich persönlich bin der Ansicht, dass der Bau des Museums für Völkerkunde viel dringlicher ist als der Bau der Museen auf der Museumsinsel. Ich erkenne durchaus an, dass es sich im letzten Fall um sehr großzügige und bedeutsame Pläne handelt, denen wir in keiner Weise Schwierigkeiten in den Weg legen wollen, aber man kann nicht behaupten, dass ein auch nur annähernd gleicher Missstand für die Unterbringung unserer Kunstgegenstände, die für diese Museen in Betracht kommen, besteht wie gerade für die Sammlungen des Museums für Völkerkunde.

Meine Herren, die Regierung hat auf dem Gebiete der Ethnologie nach meiner Meinung noch außerordentlich viel zu tun. Ich würde dringend wünschen, dass die ethnologische Forschung mit Hilfe der Regierung in weit über das bisherige Maß hinausgehender Weise systematisiert werde. Es kann gar nicht zu viel Geld ausgegeben werden gerade auf dem Gebiete der Ethnologie, dem Gebiete der Völkerkunde. Es ist hier die große Gefahr vorhanden, dass unter dem rapiden Eindringen der europäischen Kultur, der kapitalistischen Kultur, die letzten Reste von Volksgebräuchen, von alten Sitten, Reminiszenzen, auch künstlerischen Reminiszenzen, verlorengehen. Gerade vor kurzem haben wir gehört, wie bei den Eskimos die Kunst ihrer alten Lieder in den Gegenden, wohin das Christentum gedrungen ist und die europäischen Einflüsse sich geltend machen, vergessen worden ist oder dass wenigstens die Eskimos sich scheuen, die Erinnerungen, die sie noch daran haben, Fremden mitzuteilen, weil sie meinen, dass ihnen das Gefahr bringen könne, während in dem unberührten Teile diese alten Gebräuche, die alten Melodien noch erhalten sind. Es besteht die große Sorge, dass unberührtes Material bald überhaupt nicht mehr zu finden ist. Jedenfalls ist, was überhaupt noch zu retten ist, nur zu retten, wenn schnell vorgegangen wird. Es handelt sich hier um Dinge, die von demselben Werte sind wie die Hauserschen Skelette, um Dinge, die auch als Überreste, als Skelette früherer Kulturstufen zu betrachten sind und deren Erhaltung für unsere Wissenschaft von größter Bedeutung ist, für die Anthropologie, für die Erforschung der Entwicklung des Menschengeschlechts.

Dadurch, dass man in neuester Zeit so viel technische Hilfsmittel zur Verfügung hat, den Phonographen, den Fotografen usw., ist man in der Lage, in viel besserer Weise als bisher die Forschung exakt zu gestalten. Das Bäßlersche Institut wird hoffentlich in einem gewissen Umfange in dieser Richtung ausgenutzt werden. Jedenfalls wäre es dringend zu wünschen, dass in dieser Richtung energisch vorgegangen wird.

Meine Herren, was unsere Museen im Allgemeinen anbelangt, so möchte ich mich auf einige allgemeine Bemerkungen beschränken. Es ist sehr bedauernswert, dass unsere bildende Kunst heute vielfach geradezu für den Museumsbedarf arbeitet; das bedeutet notwendig eine Verflachung, eine Veräußerlichung der Kunst, eine Gefährdung der inneren Unberührtheit und Heiligkeit des künstlerischen Schaffens. Es ist natürlich hier nicht kurzerhand Abhilfe zu schaffen; es handelt sich – wie bei der ganzen Wurzellosigkeit unserer heutigen Kunst – um eine gesellschaftliche Erscheinung, die zu beklagen, gegen die aber Abhilfe zu schaffen außerordentlich schwer ist. Aber jedenfalls dürfen wir sagen, dass unsere Museen, wie sie gegenwärtig gestaltet sind, im Grunde genommen doch nur Leichenkammern von Kunstwerken darstellen. Die Kunstwerke, wenigstens die größten Kunstwerke aller Zeiten, sind nicht dazu bestimmt gewesen, mit anderen zusammen in einem großen Stapelraum aufgespeichert zu werden, ein Bild neben dem anderen, eine Statue neben der anderen. In den Zeiten, wo die Kunst lebendig und wurzelhaft ist, schafft der Künstler aus einem eigenen oder einem sozialen Bedürfnis heraus Kunstwerke, und jedes Kunstwerk erfüllt seinen ganz besonderen intimen, individuellen oder sozialen Zweck, nicht aber den Zweck, in einem Museum aufgehängt zu werden und der Öffentlichkeit zu zeigen, was irgendein Künstler vermag. Es ist wünschenswert, dass unsere Museen ihre gegenwärtige Form wesentlich reformieren. Es muss möglich sein, ich möchte sagen, eine Art Gesamtkunstwerk darzustellen, auch auf diesem Gebiete; es muss möglich sein, das Milieu, in dem die Kunstwerke, Bilder usw. ursprünglich waren und für das sie geschaffen sind, zu reproduzieren und da hinein wenigstens als belehrendes und belebendes Beispiel einzelne Bilder zu hängen, einzelne Kunstwerke zu stellen, da man nur auf diese Weise eine wirklich lebendige Vorstellung von der Kunst vergangener Zeiten gewinnt. Anfänge zu einer derartigen Museumsgestaltung sind ja bereits vorhanden, besonders auf dem Gebiete des Kunstgewerbes. Dort bemüht man sich allenthalben, die einzelnen kunstgewerblichen Stücke nicht einfach nebeneinander zu stellen, sondern sie zu geschlossenen Einheiten zusammenzustellen, um auf diese Weise wirklich ein geschlossenes Gesamtbild von irgendeiner charakteristischen Kunstgewerbeperiode zu vermitteln.

Mit der Trennung in schau- und fachwissenschaftliche Abteilungen kann man in einem gewissen Umfange einverstanden sein, man kann damit einverstanden sein, wenn die Museen besondere Schausammlungen zum Zwecke der Popularisierung der Kunst und des sonstigen Bildungsstoffs vorsehen, und auch damit, dass diejenigen Gegenstände, die minder geeignet sind, bei der Masse der Bevölkerung das Verständnis der Kunst und die sonstige Bildung zu befördern, etwa nach der bisherigen Methode – aber übersichtlich und geräumig – aufbewahrt werden. Man soll aber den Zutritt zu diesen fachwissenschaftlichen Sammlungen dem Publikum ja nicht verschließen. Das würde ein großer Schade sein, und wenn derartiges beabsichtigt ist, würde man sich fragen müssen, ob nicht der gegenwärtige Zustand diesem künftig einzuführenden Zustande vorzuziehen wäre.

Ich möchte Sie für die Art, wie man ethnographische Sammlungen zusammenstellen kann, um sie wirklich lebendig zu machen, auf ein glänzendes Vorbild hinweisen, das vielleicht einige der Herren kennen, nämlich auf das sogenannte Freiluftmuseum Skansen auf dem Djurgärden bei Stockholm. Dort ist ein großes Terrain, eine große Insel, dem Zwecke gewidmet, ganze Ansiedlungen, und zwar schwedische Ansiedlungen, Baulichkeiten und alle möglichen Produkte der skandinavischen Kulturentwicklung und auch die Tier- und Pflanzenwelt in einer ihrer natürlichen Umgebung möglichst entsprechenden Weise herzustellen. Man hat durchaus nicht das Gefühl, etwas künstlich Zusammengestelltes zu sehen; man bekommt einen so lebendigen Eindruck von dieser ethnographischen Sammlung, dass man nur auf das Dringendste wünschen kann, dieses glänzende Vorbild möge von unserer Museumsverwaltung nachgeahmt werden. Die Verlebendigung der künstlerischen und wissenschaftlichen Schätze, das sollte in allererster Linie neben der Sammlung und Sichtung die Aufgabe unserer Museen sein.

Das Kunstinteresse unserer Arbeiterschaft ist ungemein groß. Es handelt sich hier nicht um eine Angelegenheit, die das Volk im Sinne der herrschenden Klassen allein angeht. Unsere Arbeiterklasse, das Proletariat, ist von einem so lebhaften Bedürfnis nach Vorwärtsbildung auf künstlerischem und wissenschaftlichem Gebiet beseelt, dass die Veranstaltungen, die auch in dieser Beziehung aus eigener Initiative der Arbeiterschaft geschaffen worden sind, vielfach geradezu als mustergültig gelten können. Ich habe nicht nötig, Sie zu erinnern an die Freien Volksbühnen, an die Volkschöre, die zum Beispiel in Berlin gegründet worden sind, an die Bestrebungen, auch in literarischer Beziehung für eine möglichst gute künstlerische Versorgung des Proletariats einzutreten, Jugendliteratur und andere Literatur zu bieten, Ausstellungen zu veranstalten usw. Auch der Wandschmuck für das Proletarierheim ist neuestens zum Gegenstand einer ganz besonderen Ausstellung gemacht worden, die im vergangenen Jahre in den Räumen der Parteischule und des Bildungsausschusses der Sozialdemokratischen Partei stattgefunden hat.

Während innerhalb der Arbeiterschaft dieses lebendige Bedürfnis nach Fortbildung und Teilnahme an den Genüssen der Kunst und an den Errungenschaften der Wissenschaft sich immer und immer lebenskräftiger regt, haben wir auf die Frage, wie die preußische Regierung sich gegenüber diesen Bestrebungen der Arbeiterschaft verhält, nur einen Stoßseufzer und ein lebhaftes Bedauern. Meine Herren, überall hier Hemmung statt Förderung der Volksbildung, überall als Inschrift: „Der gehemmte Fortschritt und der beförderte Rückschritt". Schon die Gesellschaft zur Verbreitung von Volksbildung hat ja, wie ich vorhin erwähnte, das Missfallen der Regierung erregt und zum Einschreiten Veranlassung gegeben. Meine Herren, es wird nötig sein, dass mit immer schärferem Nachdruck die Regierung auf ihre Pflicht hingewiesen wird, die Machtstellung, die sie besitzt, nicht im Auftrage der herrschenden Klassen zu missbrauchen, um die Bildung zu militarisieren und die Kunst zu einer Kriegervereinsangelegenheit zu machen, um die künstlerischen Darbietungen für das Volk so zu gestalten, dass das Volk in einer der Regierung genehmen, guten Gesinnung erzogen werde. Meine Herren, die Regierung sollte mindestens ihre Finger von diesen Veranstaltungen weglassen; sie sollte an das Beispiel Österreichs denken, das ich Ihnen neulich vorgehalten habe, Österreichs, wo die Regierung der Wiener Freien Volksbühne eine jährliche Subvention von 2000 Markt gibt, obwohl diese Freie Volksbühne eine durchaus mit der Sozialdemokratie im engsten Konnex stehende Institution ist. Bei uns dagegen: Sie erinnern sich ja all der schweren Schikanen, die die Freie Volksbühne in Berlin durchzumachen hatte.

Meine Herren, wir fordern, dass auch die Regierung in energischer Weise dafür Sorge trägt, dass die Kunst unserem Volke wirklich zugänglich gemacht werde. Die Arbeitervorstellungen, die in letzter Zeit hier und da an den Königlichen Schauspielen stattgefunden haben, können nicht einmal als ein Anfang auf diesem Wege bezeichnet werden. Denn die Art, wie die Billets zu diesen Arbeitervorstellungen an den Mann gebracht worden sind, fordert zu der schärfsten Kritik heraus: Sie wurden einfach an den Verein zur Förderung der arbeitenden Klassen vergeben, und dieser Verein hat sie zum großen Teil an irgendwelche Arbeitgeber abgegeben. Unseren Leuten, den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern Berlins und den politisch organisierten Arbeitern Berlins, diesen gewaltigen Arbeiterorganisationen, die dabei doch in erster Linie in Betracht kommen sollten, ist es nicht möglich gewesen, auch nur einmal ein einziges Billet zu einer derartigen Vorstellung zu erwischen. „Man merkt die Absicht und wird verstimmt." Diese Arbeitervorstellungen sollen offenbar nicht dem Zwecke dienen, wirklich dem Volk die Kunst in unparteiischer, wohlwollender, großzügiger, großmütiger Weise zugänglich zu machen, sondern mit diesen Veranstaltungen wird ein schmutziger und schmieriger Nebenzweck verbunden, der Nebenzweck nämlich, die Arbeiter dadurch, dass man sie auf die Leimrute der künstlerischen Veranstaltungen lockt, zu möglichst bequemen Objekten der Ausbeutung und Gesetzgebung zu machen. Gegen ein solches Verfahren muss auf das Schärfste Protest erhoben werden. Es ist eine Herabwürdigung der Kunst, wenn sie als Köder benutzt wird für die Arbeiterschaft, für die breite Masse des Volkes, um sie für die herrschenden Klassen einzufangen, um sie in der Verfolgung ihrer eigenen Interessen zu verwirren.

Wir sind Feinde aller derjenigen Wünsche, die sich darauf richten, dass man die künstlerischen Institute, die Museen usw., und die wissenschaftlichen Institute Berlins in irgendeiner Weise beschneidet und beschränkt. Andererseits können wir aber auch durchaus nicht die Berechtigung der Forderungen von der Hand weisen, die dahin gehen, dass auch die Provinzen mit Kunst und Wissenschaft ausgiebig versorgt werden. Wir wünschen sogar, dass das in größtem Stile geschehen möge, und werden niemals irgendwelche Mittel, die in dieser Richtung gefordert werden, versagen. Es müssten Wandertheater in größtem Umfang gegründet werden, ebenso auch Wanderbibliotheken, wie sie ja zum Teil schon existieren, und Wanderausstellungen, wie sie gleichfalls schon in dem gegenwärtigen Etat und in den Verhandlungen der Budgetkommission erwähnt worden sind. Aber selbstverständlich alles nur in der Voraussetzung, dass diese Maßnahmen in wirklich unparteiischer, in wirklich selbstloser Weise von der Regierung im Interesse der Förderung der Kunst, der Förderung der wissenschaftlichen Interessen, im Interesse der kulturellen Hebung der breiten Massen des Volkes, aber nicht zu dem Zweck durchgeführt werden, die Klassenherrschaft auch durch solche Mittel zu stabilisieren. Eine „wohlgesinnte" Kunst wollen wir auf den Theatern nicht sehen; Bibliotheken nach dem Herzen des Herrn Ministerialdirektors Schwartzkopff wollen wir auch nicht haben, und ebenso wenig wollen wir Ausstellungen, die etwa nur mit allerhand Hohenzollern-Bildern und ähnlichen byzantinischen Produkten ausgestattet sind. Solches Zeug wird übrigens auch bei der Bevölkerung auf dem Lande, die ja vielfach auch bereits schon weit genug ist, um derartigen Genüssen zu widerstreben, immer weniger Anklang finden.

Wenn wir das Verlangen nach einer weiteren Förderung der Kunst und Wissenschaft für das Volk an den Staat richten, so tun wir es nicht an die gegenwärtige Regierung, denn zu dieser haben wir eben kein Vertrauen. Wir stellen dieses Verlangen in der Hoffnung, dass es in Preußen bald eine bessere Regierung geben wird. Dadurch, dass wir die großen Mängel der wirklichen Zustände, die in Preußen auf diesem Gebiet bestehen, immer weiteren Kreisen beleuchten und bekannt machen, hoffen wir zu erreichen, dass die Lebenszeit der gegenwärtigen preußischen Regierung noch weiter verkürzt werde und bald eine Besserung der Verhältnisse eintritt. Unser Wunsch und unsere Forderung gehen dahin, dass man Kunst und Wissenschaft als die Wegbereiter der Menschheit und als die höchsten Genüsse und die höchsten Werte, die überhaupt die Menschheit zu schaffen vermag und die von der Gesamtheit und nicht bloß Einzelnen – jedenfalls von Einzelnen in viel geringerem Maße als von der Gesamtheit – geschaffen sind, dem ganzen Volke in großer Liberalität zur Verfügung stellt, und zwar allenthalben unentgeltlich. Wir fordern, dass mit jener durchaus unangemessenen „Do-ut-des-Politik", die mit unseren Museen und Theatern getrieben wird, aufgeräumt wird. Die Kunst sollte uns und jedem geläuterten Geschmack zu hoch und zu heilig sein, als dass man sie mit Geld erkaufen könnte. Sie bleibt sonst ein kapitalistischer Luxusgegenstand, den sich die herrschenden Klassen leisten können, während die besten Erzeugnisse des menschlichen Geistes dem Volk durch den Wall der allzu hohen Kosten unzugänglich gemacht sind.

Sagen Sie nicht, dasjenige, was wir fordern, sei unerfüllbar! Es ist mir und meinem Freunde Ströbel gegenüber gerade in letzter Zeit mehrfach der Vorwurf erhoben worden, in der Theorie höre sich das alles ganz gut an, aber in der Praxis sei das unmöglich; es scheitere insbesondere an den Finanzverhältnissen. Meine Herren, an den Finanzverhältnissen dürfte so etwas nicht scheitern, wenn die Kunstbegeisterung wirklich so groß wäre, wie man sie dann und wann zur Schau zu tragen beliebt. Der Kunst- und Wissenschaftsetat ist verhältnismäßig wahrlich sehr gering, und der Nutzen, der durch eine Erhöhung der Ausgaben auf diesem Gebiete geschaffen werden könnte, ist so ungemein groß, dass Sie ganz sicherlich keine leichtfertigen und keine verschwenderischen Ausgaben machen würden, wenn Sie diesen Etat weit über sein gegenwärtiges Maß hinaus erhöhten. Es wäre ein wahrhaft populärer Schritt, den das preußische Abgeordnetenhaus täte, wenn es in dieser Richtung einmal energisch vorwärts triebe. Wir vermissen leider eine solche Haltung und können nur mit Bedauern feststellen, dass die meisten Herren mit der bisherigen Dotierung dieses Etatstitels sehr zufriedengestellt sind, obwohl sie ganz unzureichend ist.

Was es mit jener allgemeinen Bemerkung gegenüber unseren Forderungen auf sich hat, darf ich wohl durch den Hinweis darauf erledigen, dass kein geringerer als Kant einen seiner bedeutendsten und interessantesten Aufsätze zur Widerlegung des in der Praxis so vielfach gebrauchten Wortes geschrieben hat: Dies mag in der Theorie richtig sein, ist es aber nicht in der Praxis. Meine Herren, dieser Satz: in der Theorie mag es richtig sein, in der Praxis aber nicht – ist stets nur eine Ausflucht der Verlegenheit, eine Ausflucht, die wir nie und nimmer gelten lassen werden. Wo der Wille ist, ist auch der Weg, meine Herren. Und das Geld ist allenthalben da. Es wird heute von den herrschenden Klassen so viel Geld verdient, die Lebensverhältnisse haben sich so gewaltig gebessert, unsere kapitalistische Entwicklung ist so riesenhaft in die Höhe gewachsen, und allenthalben können wir einen so ungemeinen Aufschwung des gesellschaftlichen Reichtums sehen, dass es einem in der Tat – wie soll ich sagen? – wie vollkommene Weltfremdheit oder brutaler Egoismus erscheint, wenn behauptet wird, dass das Geld für derartige Kulturaufgaben nicht vorhanden sei.

Ein Redner hat gemeint, der Etat zeige wiederum, dass die Kulturaufgaben in Preußen nicht leiden. Ich bin ganz entgegengesetzter Auffassung. Wir anerkennen durchaus, dass viel Gutes geschaffen ist; wir schätzen den Wert der Berliner Sammlungen außerordentlich hoch. Wir wissen, dass bei diesen Sammlungen Gelehrte von glänzendem Rufe und größter Lauterkeit und Tüchtigkeit beschäftigt sind. Wir wissen den Wert dieser Veranstaltungen auch insofern zu schätzen, als wir nicht verkennen, dass gegenwärtig viele Institute, besonders Museen, von der Masse des Volkes benutzt werden können und dass man hier und da Ansätze gemacht hat, um diese künstlerischen und wissenschaftlichen Veranstaltungen der Masse des Volkes zugänglich zu machen. Es ist aber in der Beziehung noch lange nicht genug geschehen. Wenn hier Vorwürfe erhoben werden, so werden sie nie und nimmer gegen die Vertreter der Kunst und der Wissenschaft erhoben, die hier schöpferisch tätig sind, sondern diese Vorwürfe werden in erster Linie und namentlich, soweit ich sie zuletzt präzisiert habe, ausschließlich gegen eine Regierung, gegen eine Verwaltung erhoben, die nicht die nötige offene Hand für derartige Kulturaufgaben hat. Meine Herren, Freiheit der Kunst und der Wissenschaft ist eine der prinzipiellsten Forderungen, die aufgestellt werden müssen. Es gilt, alle Fenster und Türen für die Wissenschaft und die Kunst, für die freie Luft der geistigen Fortentwicklung und für ein frisches künstlerisches Empfinden und Schaffen zu öffnen. Es gilt auch, dem ganzen Volke offene Bahn zu schaffen, damit es in den Mitbesitz all der künstlerischen Herrlichkeit gelange, die sich jetzt gar so vielfältig noch im Alleinbesitz der herrschenden Klassen befinden.

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

II

Der Herr Minister hat die Behauptung aufgestellt, dass ich in allen möglichen Kunstangelegenheiten hier mit einem apodiktischen Urteil aufgetreten sei. Ich begreife in der Tat nicht, wie der Herr Minister zu dieser Auffassung gekommen ist. Ich habe mich besonders in der Floraangelegenheit mit meinem kunsthistorischen Urteil vollkommen zurückgehalten und habe ein sachliches Urteil über den Wert der Büste überhaupt nicht gefällt.

Wenn der Herr Minister des weiteren meint, dass ich den Herrn Geheimrat Bode wegen des Erwerbs der Büste in besonders lebhafter Weise angegriffen hätte, so ist das eine vollständige Verkennung meiner Ausführungen. Ich habe mit keinem einzigen Wort den Herrn Geheimrat Bode in dieser Hinsicht angegriffen. Ich habe ausdrücklich bemerkt, dass der Irrtum, dem Herr Geheimrat Bode hier unterlegen sein mag, jedem Menschen passieren könnte und seine ungemeine Bedeutung durchaus nicht beeinträchtigt. Meine Angriffe haben sich gerichtet gegen die besonderen Gepflogenheiten und Unarten, mit denen die Diskussion späterhin und speziell von Seiten des Herrn Geheimrat Bode geführt worden ist. Das war das einzige. Ein maßgebliches Urteil über Kunstangelegenheiten, vor allem kunsthistorische Dinge, maße ich mir ganz gewiss nicht mehr an als andere Herren hier im Hause.

1 Rosenkreuzer wurden die Mitglieder einer theosophischen Geheimgesellschaft genannt, die im 18. Jahrhundert in Preußen eine Rolle spielte. Symbol: Rose und Kreuz. Der preußische Reaktionär J. C. von Wöllner gehörte ihr an.

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