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Karl Liebknecht 19120827 Vor dem Chemnitzer Parteitag

Karl Liebknecht: Vor dem Chemnitzer Parteitag

Aus einem Zeitungsbericht über die Generalversammlung des Sozialdemokratischen Wahlvereins des VI. Berliner Reichstagswahlkreises

[Vorwärts Nr. 201 vom 29. August 1912. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 5, S. 394-398-400]

Liebknecht sagte, er gebe zu, dass in dem vorliegenden Antrag des Genossen Schiemann1 ein gesunder Gedanke liege. Man wolle nicht Parteigenossen verschiedenen Grades haben, es sollen sich auch unter keinen Umständen irgendwelche Sonderbestrebungen geltend machen können, die gefährlich für die Partei werden könnten. Es sei also an und für sich für den Gedanken der Zusammengehörigkeit der Partei notwendig, dass der vorliegende Antrag gestellt worden sei. Es gebe auch keinen, der dieses Gefühl mehr besäße als der Genosse Ledebour und er, Redner, wie auch die übrigen Parteigenossen, die an der Eisenacher Konferenz2 teilgenommen haben.

Redner erklärt, dass er nicht daran teilgenommen habe, aber nicht weil er sich davor scheute, sondern weil er durch eine unaufschiebbare Sitzung in seinem Wahlkreis daran gehindert worden sei. Die Eisenacher Konferenz habe auch keinen geheimen Charakter getragen, der Vorsitzende seines Wahlkreises zum Beispiel sei davon unterrichtet gewesen. Die Bezeichnung der Konferenz als eine geheime beruhe auf Stimmungsmache und sei eine Legende, die beseitigt werden müsse. Richtig sei allerdings, dass mit den Parteigenossen in den einzelnen Kreisen vorher darüber nicht gesprochen worden ist, und es sei auch zugegeben, dass dies ein Fehler war. Aber die Vorgänge müssten aus dem ganzen Zusammenhang verstanden werden. Wenn man sah, dass solche Zusammenkünfte unter Billigung der gesamten Fraktion und auch des Parteivorstandes vor sich gingen, dann mussten dieselben von den Beteiligten als etwas Selbstverständliches empfunden werden. Die Eisenacher Konferenz war nichts weiter als die Fortsetzung der Besprechungen eines Teils der Fraktion, wie sie bisher immer geduldet waren, von denen auch die revisionistisch gesinnten Genossen immer Kenntnis hatten und die nur durch den schnellen Schluss des Reichstags unterbrochen worden war.

Bevor diese Konferenz stattgefunden habe, sei durch die Presse die Nachricht gegangen, dass Genosse Dr. Frank eine Konferenz von süddeutschen, österreichischen und Schweizer Genossen zusammenberufen habe. Darüber regte sich niemand auf. Als aber die Eisenacher-Konferenz bekannt wurde, sei durch die ganze Parteipresse ein Tamtam gegangen. Dies sei ein demagogischer Kniff, wie er dem ganzen Kampf der revisionistischen Seite zugrunde liege. Man habe einfach den Spieß umgekehrt und die Radikalen als die Sündenböcke hingestellt.

Es seien in der Tat innerhalb der Partei verschiedene Anschauungen vertreten, man mag dies nun als ein Glück oder ein Unglück ansehen. Diese verschiedenen Anschauungen versuchen sich nun geltend zu machen. Es ist das Bedürfnis unter den Gleichgesinnten vorhanden, sich zusammenzutun. Wenn man nun solche Sonderkonferenzen als einen Krebsschaden betrachte, dann seien die, welche an besonderen Organen und Zeitschriften mitwirken, zehnmal schärfer zu verurteilen. Da empfehle es sich, erst einmal reinen Tisch zu machen mit den „Sozialistischen Monatsheften"3. Redner erklärt, zwar nicht dafür zu sein, dass man jemand die Feder aus der Hand schlage, aber in der einseitigen Verurteilung der Konferenzen liege eine gewisse Inkonsequenz. Solange aber verschiedene Richtungen bestehen, werde es nicht anders sein, als dass diese sich untereinander verständigen. Man könne nicht die Sonderkonferenzen beseitigen, solange man nicht die verschiedenen Richtungen beseitigt habe. Der Kampf gegen Auswüchse habe also an einer ganz anderen Stelle einzusetzen. Wenn der Parteitag einen Beschluss in dieser Hinsicht fasst, dann wird die andere Seite die Konferenzen ruhig weiter betreiben, es werden dann eben Zusammenkünfte der „süddeutschen" Genossen werden, welche dort süddeutsche Angelegenheiten besprechen. Den Radikalen würde dann aber die Abwehrwaffe aus der Hand geschlagen werden. Es sei aber doch wünschenswert, dass sich der diesjährige Parteitag mit den Fragen der inneren Schwierigkeiten in der Partei befasse. Er solle Mittel und Wege suchen, um die Unsitte der Sonderkonferenzen zu beseitigen, er dürfe aber keine Eisenbart-Kur vornehmen.

1 In dem Antrag wurden jegliche Sonderkonferenzen verurteilt. Die Red.

2Auf dem Jenaer Parteitag 1911 hatte eine Diskussion über eine Reorganisation der Parteiführung begonnen. Der linke Flügel trat für eine Erweiterung des Vorstands, der rechte für die Schaffung eines zusätzlichen Parteiausschusses ein. Letzteres wurde auf dem Chemnitzer Parteitag beschlossen. Vor dem Parteitag hatte es auf Einladung von Georg Ledebour ein Treffen zur Abstimmung radikaler sozialdemokratischer Abgeordneter in Eisenach gegeben. Der rechte Flügel antwortete mit einer Kampagne, obwohl er Ähnliches schon längst praktizierte

3 Zeitschrift, wichtigstes Organ der Opportunisten in der deutschen Sozialdemokratie und eines der Organe des internationalen Opportunismus. Während des imperialistischen Weltkrieges 1914 bis 1918 nahm sie eine sozialchauvinistische Haltung ein. Die Zeitschrift erschien in Berlin von 1897 bis 1933.

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