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Karl Liebknecht 19140228 Ausgrabungsfunde – kulturhistorische Werte von Allgemeininteresse

Karl Liebknecht: Ausgrabungsfunde – kulturhistorische Werte von Allgemeininteresse

Rede im preußischen Abgeordnetenhaus zum Entwurf eines Ausgrabungsgesetzes, 28. Februar 1914

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 22. Legislaturperiode, II. Session 1914/15, 3. Bd., Berlin 1914, Sp. 3137-3141 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 7, S. 179-185]

Meine Herren, dass das vorliegende Gesetz einem dringenden Bedürfnis zu genügen bestimmt ist, darüber sind wir uns alle einig, das haben wir im vergangenen Jahre schon übereinstimmend hervorgehoben.

Der Herr Abgeordnete Weissermel hat bezüglich der Eingriffe in das Eigentumsrecht, die hier statuiert sind, darauf hingewiesen, dass nach dem germanischen Volksempfinden Eingriffe in das Privateigentum nicht außergewöhnlich seien. Meine Herren, hiernach zu urteilen, muss man dem Herrenhause das germanische Empfinden absprechen; denn die Beschlussfassungen des Herrenhauses, die bedauerlicherweise dazu geführt haben, dass zum Schaden des deutschen Volkes die Erledigung dieser Materie um ein volles Jahr hinausgeschoben worden ist, sind gerade dadurch herbeigeführt worden, dass die „Herren" einen Eingriff in die Privatinteressen, obgleich er öffentlichen, kulturellen Zwecken dienen sollte, nicht dulden wollten, aus engherzigen, egoistischen Gesichtspunkten. Es hat sich hier wiederum gezeigt, wie schädlich für die allgemeinen Kulturinteressen das Bestehen einer derartigen Einrichtung wie das Herrenhaus ist, das so wenig Rücksicht nimmt auf die idealen Güter der Nation und so ausschließlich beherrscht wird von der Rücksichtnahme auf die materiellen Interessen der in ihm vertretenen Kreise.

(Zuruf rechts.)

Das Herrenhaus hat im vergangenen Jahre zugestimmt nach Streichung der Gelegenheitsfunde.

Der jetzigen verschlechterten Vorlage hat es nach einem erneuten Ansturm zugestimmt. Dass diese Verzögerung um ein volles Jahr einen schweren Nachteil bedeutet, hat der Herr Minister zugegeben und schließlich jeder einzelne von Ihnen auch. Im vergangenen Jahre waren wir uns bereits einig, dass die Sache außerordentlich dringlich sei, und auch heute ist die Dringlichkeit mit Recht von jedem Einzelnen betont worden. Es ist wichtig, energisch hervorzuheben, dass die Schuld an dem Nachteil für die Kulturinteressen des deutschen Volkes, der hier unzweifelhaft eingetreten ist, ausschließlich das Herrenhaus trifft.

Meine Herren, die Fassung, die das Gesetz hier gefunden hat, genügt durchaus nicht den berechtigten Anforderungen. Ich habe im vergangenen Jahre gewisse Bedenken gegen die damalige Vorlage erhoben. Diese Bedenken sind noch in vollem Umfange gerechtfertigt. Es ist engherzig, wenn in dem jetzigen Paragraphen 6 gesagt ist:

Der Entdecker, der Eigentümer des Grundstücks sowie der Leiter der Arbeiten haben den entdeckten Gegenstand und die Entdeckungsstätte in unverändertem Zustande zu erhalten, soweit es ohne erheblichen Nachteil oder Aufwendung von Kosten geschehen kann."

Ich weiß nicht ganz bestimmt, was das hier heißen soll. Es soll wohl bedeuten „ohne erheblichen Nachteil und ohne Aufwendung von Kosten". Anders kann ich mir diese Satzfügung nicht erklären. Ich habe im vergangenen Jahre hervorgehoben, dass man den, der einen derartigen Fund gemacht hat, als den Verwahrer eines wichtigen Nationalgutes zu betrachten und ihm dementsprechende Pflichten aufzuerlegen hätte, dass er die Verwahrungspflicht zu erfüllen hätte, selbst wenn Kosten damit verknüpft sind, selbstverständlich mit der Einschränkung, dass ihm nur ein diligentiam quam suis zuzumuten ist. Aber die jetzige Fassung ist entschieden nicht ausreichend, um das öffentliche Interesse zu decken.

Des weiteren habe ich mich gegen den Paragraphen 9 zu wenden, der gleichfalls zu eng gefasst ist. Es heißt da:

Die Ablieferung kann nur verlangt werden, wenn Tatsachen vorliegen, nach denen zu besorgen ist, dass der Gegenstand wesentlich verschlechtert wird oder dass er der inländischen Denkmalpflege oder Wissenschaft verlorengeht."

Das genügt nicht; es müsste außerdem die Ablieferung dann verlangt werden können, wenn es im Interesse der Wissenschaft und im allgemeinen Interesse zum Beispiel notwendig ist, den Gegenstand an eine andere Stelle, zum Beispiel in ein Museum, zu bringen, um ihn nutzbar zu machen. Es kann unter Umständen einer Wiedervergrabung des Gegenstandes nahekommen, wenn man ihn an irgendeinem weltabgelegenen, schwer zugänglichen Ort belässt, einen Gegenstand, dessen Besichtigung durch die Studierenden, durch die Wissenschaftler, die zum Beispiel in den großen Städten ihre Studien treiben, im allgemeinen Interesse notwendig ist. Es ist also auch diese Bestimmung bei weitem zu begrenzt, als dass alle berechtigten Interessen damit erfüllt werden könnten.

Meine Herren, die Fassung, die der Paragraph 5 gefunden hat, ist ja ein Kompromiss. Die Ausscheidung der naturwissenschaftlichen Funde ist auch der Regierung offenbar nicht ganz angenehm. Sie hat hier nachgegeben, um die Zustimmung des Herrenhauses zu erreichen. Aber diese Nachgiebigkeit gegenüber dem Herrenhaus, die meinethalben – ich will es zugeben – durch den energischen Widerstand des Herrenhauses notwendig geworden ist, hat das Gesetz verschlechtert, auch nach der Auffassung der Regierung verschlechtert, und zwar sehr erheblich, und daran trägt das Herrenhaus die Schuld. Das Abgeordnetenhaus hat im vorigen Jahre seine Zustimmung dazu gegeben, dass auch die naturwissenschaftlichen Funde in gleicher Weise wie die kulturhistorischen und künstlerischen behandelt würden. Das Herrenhaus muss sich also den Vorwurf gefallen lassen, nicht nur das Gesetz um ein Jahr verzögert zu haben, sondern schließlich auch veranlasst zu haben, dass das Gesetz in einer verschlechterten, verböserten Form zur Verabschiedung gelangen wird.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Das ist ein schwerer Vorwurf, den wir dem Herrenhaus machen.

Es ist danach unrichtig, wenn der Abgeordnete Lippmann gesagt hat, dass das Gesetz in der Gestalt, in der es jetzt vorliegt, schon einmal fast einstimmig in diesem Hause gebilligt worden sei. Es sind manche Abweichungen von der früheren Fassung, und diejenige im Paragraphen 5, von der ich eben gesprochen habe, ist wahrlich wesentlich genug.

Sehr wenig erfreulich sind einige andere Bestimmungen des Gesetzes, auf die ich noch zurückkommen muss. Der Bezirksausschuss soll auf Antrag eines Beteiligten beschließen, ob die Voraussetzungen der Ablieferung vorliegen, und wenn das Ablieferungsverlangen von mehreren gestellt wird, soll der Provinzialrat den an erster Stelle Erwerbsberechtigten und die Reihenfolge bestimmen. Diese Bestimmung des Gesetzes kann ich nicht billigen. Der Bezirksausschuss, der hiernach bis auf die etwaigen Anrufungen des Herrn Kultusministers entscheiden soll, ist keine Instanz, zu der wir ein besonderes Vertrauen hätten, dass sie hier die allgemeinen Interessen gebührend wahrnehmen wird; und ebenso wenig können wir den Provinzialrat einer derartig wichtigen Aufgabe gewachsen ansehen. Ich habe im vergangenen Jahre bereits betont, dass es doch wahrlich am Platze wäre, eine andere als eine rein bürokratische Instanz zu schaffen. Ich habe von der Möglichkeit, eine staatliche Kunstdeputation zu schaffen, gesprochen, die bei diesen Fragen, die doch auf dem Gebiete der Kunst und Wissenschaft liegen, am besten entscheiden könnte.

Es war mir natürlich klar, dass die Einsetzung einer solchen nicht-bürokratischen Instanz bei der Regierung und bei den Parteien dieses Hauses auf wenig Gegenliebe stoßen würde, und ich wundere mich natürlich nicht, dass auch in dem neuen Entwurf dieser Anregung nicht nachgegeben ist, sowenig wie im vergangenen Jahr durch dieses Haus.

In dem Paragraphen 14 ist in Bezug auf die Entschädigung festgesetzt, dass der Regierungspräsident den Vorsitzenden der Schätzungskommission zu bestellen hat. Sowenig ich ein Interesse daran habe, die materiellen Interessen der Eigentümer, der Finder usw. dem öffentlichen Interesse gegenüber zu verteidigen, so selbstverständlich scheint mir doch, dass man die privaten Interessen in angemessener Weise schützt, soweit das ohne Schädigung der allgemeinen Interessen möglich ist. Und so dürfte es nicht am Platze sein, dass der Regierungspräsident in dieser rein fiskalischen Frage, wo er doch einfach Parteivertreter des Staatsfiskus ist, den Vorsitzenden ernennen und damit die Majorität der Schiedskommission ohne weiteres nach seinem Belieben bestimmen soll.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Es müsste hier mindestens die Einschränkung getroffen werden, dass der Vorsitzende ein Richter sein müsse, der immerhin eine gewisse Garantie gäbe, nicht irgendein beliebiges gefügiges Werkzeug in der Hand des Regierungspräsidenten. Natürlich gibt es gegen den Bescheid der Schätzungskommission über die Höhe der Entschädigung noch die Klage im ordentlichen Rechtsweg, aber eben doch nur in Bezug auf die Höhe, nicht in Bezug auf andere und prinzipielle Fragen, die unter Umständen wichtiger sein können als die Höhe der Entschädigung. Deshalb kann ich diese Regelung nicht für zweckentsprechend halten.

Sehr wenig erfreulich ist auch die Bestimmung des Paragraphen 19, wonach im Schätzungsverfahren gegenüber dem Fiskus nur Auslagen berechnet werden können und alle übrigen Kosten und Nachteile, die entstanden sein können, nicht liquidiert werden dürfen. Ein solcher Fiskalismus ist nicht zu rechtfertigen.

Am allerbedenklichsten aber ist, dass nach Paragraph 23 gegen die Beschlüsse des Bezirksausschusses nur binnen zwei Wochen die Beschwerde an den Provinzialrat zugelassen ist und keinerlei Klage, nicht einmal im Verwaltungsstreitverfahren. Meine Herren, der Provinzialrat wird von Ihnen zwar dann und wann ostentativ als eine Selbstverwaltungskörperschaft bezeichnet. Nun, selbst wenn er eine Selbstverwaltungskörperschaft wäre, würde er noch kein geeignetes Richterkollegium sein. Der Provinzialrat ist aber kein Selbstverwaltungskörper in dem Sinne, in welchem dieses Wort allein verständigerweise aufgefasst werden kann. Jedenfalls ist er aber keine richterliche Instanz, und die bloße Beschwerde an ihn gibt keine Spur von Garantie, jedenfalls keine höhere Garantie als die Anrufung des Bezirksausschusses. Es wäre meiner Ansicht nach dringend erforderlich, dass hier wenigstens noch die Klage im Verwaltungsstreitverfahren zugelassen würde.

Die Missstände, die sich auf dem Gebiete der Ausgrabungen, der Funde natur- und kulturhistorischer und künstlerischer Bedeutung entwickelt haben, sind in der verdienstlichen Schuchardtschen Schrift, die bereits einer der Herren Vorredner erwähnt hat, eindringlich dargelegt. Der Appell, den diese Schrift bildet, ist sicherlich auch auf das Herrenhaus nicht ohne Eindruck geblieben. Meine Herren, wir müssen uns vergegenwärtigen, in welcher revolutionären Weise die Menschheit heutzutage mit der Erdoberfläche wirtschaftet, wie alles von unten nach oben gewühlt wird, wie auch die Landwirtschaft durch die tief grabenden Pflüge eine immer wachsende Gefährdung der unter der Erdoberfläche befindlichen Altertümer und sonstigen Wertobjekte herbeiführt. Die Industrie tut das übrige, und die Vermehrung der Ansiedlungen, die Kanalbauten, die Regulierungen, die Meliorationen großen Stils – alles das trägt zu dieser Gefährdung bei. Dazu kommt, dass sich die kapitalistische Profitgier systematisch auf die Altertümer und was sonst ausgegraben werden kann gestürzt hat und dass die Ausgrabungen bereits zu einem einträglichen Erwerbsgeschäft gemacht worden sind. Das Privatkapital hat so dem öffentlichen Interesse schon gar manches entzogen, und der Staat, der bei einer rascheren Verabschiedung dieses Gesetzes und bei einer früheren Inangriffnahme dieser Materie schon die wertvollsten Dinge zu relativ geringen Preisen in seinen Museen haben könnte, hat das Nachsehen oder muss sie wenigstens unendlich teurer anschaffen, als es ihm früher möglich gewesen wäre. Wenn man diese Situation betrachtet, so kommt man, wenn man den einzelnen Bestimmungen des Gesetzes so kritisch gegenübersteht wie ich, in eine schwierige Lage. Ich möchte gern, dass dieses Gesetz noch in einzelnen Punkten verbessert werde. Ich hege aber die Besorgnis, wenn in diesem Hause Verbesserungen stattfinden, dass dann das Herrenhaus trotzdem seinen kulturfeindlichen Standpunkt aufrechterhält und das Gesetz wiederum scheitern lässt, so dass die Erledigung der Materie von Neuem verhindert wird.

Wir sind infolgedessen durch die Schuld des Herrenhauses in einer gewissen Zwangslage, uns mit den unzureichenden Bestimmungen des Gesetzes abzufinden. Ich will deshalb den Antrag auf Kommissionsberatung nicht stellen; wir würden, wenn der Antrag auf Kommissionsberatung von anderer Seite gestellt wird, diesem Antrage zustimmen, allerdings in der sicheren Hoffnung, dass die Verabschiedung des Gesetzes jedenfalls ohne nennenswerten Aufschub erfolgen wird.

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

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