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Karl Liebknecht 19140518 Beinahe Kriegsminister und sonst noch was!

Karl Liebknecht: Beinahe Kriegsminister und sonst noch was!

[Vorwärts (Berlin), Nr. 134,18. Mai 1914. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 7, S. 347-352]

Am 23. Februar d. J. meldete die „Post": „Der vor kurzem zum Gouverneur von Metz ernannte Generalleutnant von Lindenau ist zu Trier verstorben. In ihm ist ein begabtes und beliebtes Mitglied des Heeres dahingegangen." In einem warmen Nachruf der „Kreuz-Zeitung" vom gleichen Tage wird über den Verstorbenen berichtet: „Er war am 50. Mai 1850 zu Gotha geboren und wurde 1870 Offizier im Infanterieregiment Nr. 25. 1889 wurde er als Hauptmann zum Großen Generalstab versetzt und war dann als Generalstabsoffizier beim 7. und 14. Armeekorps tätig. Nach weiteren sechs Jahren Frontdienst wurde er 1900 in den Großen Generalstab zurückversetzt und 1901 zum Oberstleutnant befördert. Mehrere Jahre war er dann Chef der ersten Abteilung des Großen Generalstabes … Am 27. Januar 1911 erfolgte seine Beförderung zum Generalleutnant und Kommandeur der 16. Division in Trier, und am 4. Februar d. J. wurde er zum Gouverneur von Metz ernannt, welchen Posten er aber nicht mehr antreten konnte. Wiederholt wurde in diesen letzten Jahren, wenn der Posten des Kriegsministers neu zu besetzen war, v. Lindenau unter den Kandidaten genannt."

Die Meldung, dass v. Lindenau in den letzten Jahren wiederholt unter den Kandidaten für das Kriegsministerium genannt wurde, brachten übereinstimmend fast alle Zeitungen.

Nach dem „Lokal-Anzeiger" vom 25. Februar d. J. hat der Kaiser an die Gattin des Verstorbenen folgendes Telegramm gerichtet: „Zu dem plötzlichen, mich tief betrübenden Tode Ihres Gatten spreche ich Ihnen meine herzlichste Teilnahme aus. Ich habe den Entschlafenen, den ich seit langen Jahren kenne, als Soldaten und Menschen hoch geschätzt und habe noch Großes von ihm erwartet. Sein Tod ist für mich und die Armee ein herber Verlust. Gott sei Ihnen und den Ihrigen mit seinem Tröste nahe."

Nach dem „Lokal-Anzeiger" vom 28. Februar fand am 27. Februar in Altenburg die feierliche Beisetzung des Generals statt. „Nach voraufgegangener Trauerfeier in der Kapelle, wobei der Hof- und Garnisonprediger Reichardt die Gedächtnisrede hielt, bewegte sich der imposante Trauerzug, dem der Herzog von Sachsen-Altenburg inmitten der nächsten Angehörigen voranschritt, zur Gruft, wo die Beisetzung des Verblichenen im Erbbegräbnis der Familie erfolgte. Im Trauergefolge schritten die zahlreichen hohen Militärs von außerhalb, die verschiedenen Abordnungen, darunter eine solche des Großen Generalstabes, die Vertreter des Altenburgischen Staatsministeriums, des Stadtrats zu Altenburg, das gesamte Offizierskorps des 153. Infanterieregiments in Altenburg, Angehörige der Hofgesellschaft usw. Der Sarg wurde von acht Unteroffizieren des Altenburgischen Regiments getragen. Voran schritten zwei Offiziere des Regiments, die auf Kissen die Ordenszeichen des Verstorbenen trugen. Außerordentlich groß waren die Kranz- und Blumenspenden, darunter eine vom Kaiser. Herzog Ernst legte einen großen Lorbeerkranz mit grünweißer Schleife am Sarge nieder."

Und das „Berliner Tageblatt" vom 23. Februar d. J. sagt über den Verstorbenen unter anderem: „Einer der begabtesten Offiziere der Armee und ein Mann, der in allen Kreisen sich außerordentlicher Sympathie erfreute, ist in ihm dahingegangen. Seine umfassende Sachkenntnis, seine Gewandtheit und seine weltmännische Liebenswürdigkeit ließen ihn als geeignet für dieses Amt (des Kriegsministers) erscheinen, und man wusste, dass er die besondere Gunst des Kaisers besaß. Er selbst wünschte sich lieber den Wirkungskreis des kommandierenden Generals, konnte aber auch in der Verleihung des Gouverneurspostens in der wichtigsten Festung einen Beweis des kaiserlichen Vertrauens sehen. Er war ein Soldat von der besten Art, voll hingebender Liebe für seinen Beruf, ebenso pflichttreu auf die Ausbildung wie väterlich auf das Wohl seiner Leute bedacht. Und seiner ganzen Natur nach zu frisch und lebenskundig, um den Heeresdienst zum Gamaschendienst herabzudrücken. Er hatte auch außerhalb der Armee und auch in Berlin viele Freunde, und sein plötzlicher und früher Tod wird von allen, die ihn kannten, schmerzlich empfunden und betrauert werden."

In der Tat, er hatte auch außerhalb der Armee und auch in Berlin viele Freunde, die seinen plötzlichen Tod sehr schmerzlich empfunden haben.

Wie die Akten betreffend den Konkurs über seinen Nachlass N. 8, 14 es Königlichen Amtsgerichts Trier ergeben, trauern um ihn – abgesehen von seinen gleichfalls als Gläubiger angemeldeten Söhnen – rund 101 Gläubiger. Vom kleinen Handwerker und Kaufmann bis zur Weingroßhandlung, vom Musiklehrer und Automobilhändler bis zum Börsenmakler, vom Kunsthändler bis zum Hofdekorateur, vom Apotheker bis zum Sanitätsrat, vom Bürovorsteher bis zum Rechtsanwalt und Hofrat, vom Rentner bis zum Privatbankier und der Provinzbank, vom Kommerzienrat und Geheimen Kommerzienrat bis zum Geheimen Regierungsrat, vom Referendar und Assessor bis zum Oberrechnungsrat, vom Rittergutsbesitzer bis zum General, dazu ein halbes Dutzend Frauen und Witwen aus allen Gauen Deutschlands. Sie trauern um ihn oder richtiger um ihr verlorenes Geld, um Summen von 7,25 M angefangen bis hinauf zu 3000, 5000, 8000, 10.000 und so weiter, ja bis 30.000, 45.000, 150.000 M. Insgesamt um rund 1 Million. Dabei sind gar manche Summen mancher allerbesten „Freunde" noch nicht eingeschlossen. Sie trauern um ihr schönes Geld, denn es ist auf Nimmerwiedersehen verloren. Bei dem Konkurstermin vom 3. April dieses Jahres wurde von dem Konkursverwalter, Justizrat Dr. Schwarz in Trier, den trauernden Hinterbliebenen eröffnet, dass die Konkursdividende „höchstens einige Prozent betragen werde". – Trotz des kaiserlichen Vertrauens und des kaiserlichen Beileidstelegramms und all der schönen Kränze.

Die Gnade Seiner Majestät des Königs und Kaisers hat immerhin zu Lebzeiten des Herrn Generals sichtbarlich Früchte für ihn getragen. In unseren kapitalistischen Tagen wird ja alles zur Ware, die Liebe und die Religion, die künstlerische Inspiration und die politische Überzeugung, die monarchische Gesinnung der Agrarier und die monarchische Gesinnung der Kriegshetzer und Rüstungskapitalisten. Warum nicht auch die monarchische Gnade?

Da General v. Lindenau kein weltfremder Gamaschenknopf war, ist es kein Wunder – kein kapitalistisches Wunder wenigstens –, dass er bei gewissen geschäftstüchtigen und „hochangesehenen" geheimen Vermittlern „betr. Ehrung" gar wohlbekannt war als jemand, der bedürftigen Staatsbürgern bei Titelschmerzen und dergleichen hilfreich unter die Arme griff. Wie diese Hilfe geleistet wurde, wie Titel und kaiserliche Gnade in den Händen des wackeren Kriegsmannes „in Ware sich verwandelten", zeigt folgendes Dokument, dessen Original in unseren Händen liegt: „Ich bestätige hierdurch, heute von Herrn Dr. … x-tausend Mark in bar empfangen zu haben mit der Maßgabe, dass dieser Betrag verfallen ist, sobald Herr Dr. … durch die Gnade S. M. des Königs bis spätestens 1. Juli 1914 zum preußischen Medizinalprofessor ernannt worden ist.

Ist bis zu diesem Termin die Ernennung des Herrn Dr. … nicht erfolgt, so zahle ich den Betrag von x-tausend Mark in bar ohne jeden Abzug zinsfrei sofort an Herrn Dr. … zurück.

Die Rückzahlung erfolgt durch die Depositenkasse P der Deutschen Bank zu … Straße … für mein Konto gegen Rückgabe dieses Scheines und zweier heute von mir gegebener Wechsel in Höhe von je x-tausend Mark, und zwar dieses Scheines an mich.

Berlin, den 20. April 1913

gez. Kurt von Lindenau“

Ein „Soldat von der besten Art" – in der Tat. Und sicherlich ebenso „voll hingebender Liebe für seinen Beruf" wie sein Konto P voll guten Geldes, wobei nur zweifelhaft sein kann, welches der Beruf war, dem er sich voll hingebenderer Liebe widmete, der Soldatenberuf oder -? Und „lebenskundig" in der Tat. Und nicht nur dem Gamaschendienst gewidmet – in der Tat. Und „väterlich auf das Wohl seiner Leute bedacht" – in der Tat.

Wie wird Ihnen, Herr Wild von Hohenborn? Vor welchem Abgrund haben Sie gestanden! Setzen wir den Fall, Herr v. Lindenau wäre Kriegsminister geworden und diese Tatsachen wären ans Licht gekommen, während er den Sessel des Kriegsministers zierte – den Teufel auch!

Wir sollen keinen Toten angreifen! – Man hat ja auch noch niemals einen toten Führer der Sozialdemokratie angegriffen. Wir sollen keinen Toten angreifen – du lieber Gott! Wir sollen ja auch keinen Lebendigen angreifen, nicht die Goerz und die Siemens-Schuckert, nicht die Waffen- und Munitionsfabriken und nicht Krupp. Wir sollen ja auch keinen Generalkonsul in Jokohama, kein Auswärtiges Amt, keinen Staatsanwalt Simon angreifen wegen ihrer Haltung bei den Bestechungsmanövern der Siemens-Schukkert. Kurzum, wir sollen ja niemanden angreifen, ob tot oder lebendig, dessen Nimbus zum Strahlenkranz der heutigen kapitalistischen Gesellschaft – dreimal sei sie heilig! – gehört.

Ach, wir greifen hier in der Tat keinen Toten an, sondern ein Symptom der lebendigen, allzu lebendigen kapitalistischen Korruption.

Nun mögen sie weiter tanzen, die Schiffer, Erzberger, Schultz-Bromberg und Genossen, tanzen den Tanz ums goldene Kalb, Arm in Arm mit den Krupp-Direktoren und anderen Genossen, tanzen den Tanz ums goldene Kalb, der, heute noch Jubeltanz, morgen sein wird die Introduktion zum Totentanz der kapitalistischen „Ordnung".

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