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Karl Liebknecht 19140000 Die Internationale der Rüstungsindustrie

Karl Liebknecht: Die Internationale der Rüstungsindustrie

Aus einem unvollendeten Manuskript

[Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Zentrales Parteiarchiv, NL 1/22, Bl. 29-32; NL 1/30, Bl. 26-30, 46-51, 63/64,76-78, 96-101,140-144,169-172,173,174/175, 178/179,188-191.und Karl Liebknecht: Reden und Aufsätze. Hrsg. von Julian Gumperz, Hamburg 1921, S. 72-74. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 7, S. 3-33]

Krupp

Wer den Papst zum Vetter hat"

Das Kruppsche Unternehmen ist heute Aktiengesellschaft, aber nur der Form nach; in Wahrheit reiner Familienbesitz. Die Zusammenhänge eines solchen Unternehmens mit anderen kapitalistischen Unternehmungen und mit der Staats- und Militärverwaltung sind nicht so leicht an der Hand des Adressbuches der Direktoren und Aufsichtsräte und des Zahlstellenverzeichnisses, der Geschäftsberichte und Bilanzen erschöpfend zu erkennen. Die geschäftlichen Beziehungen greifen hier leichter ins Persönliche über und umgekehrt; Verwandtschaft und Freundschaft können eine ähnliche Rolle spielen wie in der Diplomatie zur Zeit des Feudalismus und Absolutismus, zur Zeit der Kabinettskriege. Es handelt sich ja schließlich um ein Stück wirtschaftlichen Despotismus, das eine derartige kapitalistische Organisation darstellt. Man ist natürlich mit Offizieren und Staatsbeamten in höheren Stellungen verwandt, sogar nahe verwandt, und befreundet, sogar eng befreundet. Natürlich gilt das gleiche wiederum von den Direktoren und Aufsichtsräten der Firma Krupp, die durch ungeheure Gehälter an der Firma und ihrem Wohlergehen stark interessiert sind. Auch sie, wie an anderer Stelle gezeigt, zum größten Teil dem höheren Beamten- und Offiziersstand entstammend, haben durch Verwandtschaft und Freundschaft und aus früherer Kameradschaft her allerhand Fäden. Zur Bürokratie und der Militärverwaltung kommen noch die intimsten Beziehungen zu den verschiedenen Souveränen und insbesondere zu dem deutschen Kaiser und dem ganzen Kaiserhause hinzu in diesem Falle Krupp; so kann man sich ausmalen, welch ein Grad jener von Herrn Witting so gesegneten und gepriesenen Symbiose zwischen dem Staat und einem solchen Unternehmen sich herausgebildet hat, und die geschäftlichen Beziehungen tragen ihre eigene Konsequenz in der gleichen Richtung in sich. So ist es natürlich kein Wunder, dass sich schließlich die Auffassung festsetzt, Krupp und das Reich sind eins, wenn nicht gar Krupp als ein geheimer Nebenkaiser oder gar Überkaiser empfunden wird. Dieser Zustand bedeutet an und für sich bereits eine schwere Gefahr für die Unabhängigkeit und Pflichtmäßigkeit der Staatsverwaltung. Da heißt es denn nach jenem primitiven Empfinden: Noblesse oblige! Die Stellung einer solchen Firma [ist] schon an und für sich so fabelhaft günstig, so unerhört bevorzugt, dass jeder Versuch, der Firma darüber hinaus noch besondere Erleichterungen im Konkurrenzkampf zu verschaffen, auf einen ganz elementaren Widerspruch allenthalben wird stoßen müssen. Wenn man erfahren musste, wie Krupp das Deutsche Reich im Verhältnis zu dem Ausland bei den Panzerplattenlieferungen überteuerte, auswucherte, so zeigt dies mit erschreckender Deutlichkeit die Gefahr einer solchen Monopolstellung. Als man aber erfuhr, dass sich Krupp nicht schämte, in schmutziger Weise, wie irgendein beliebiger Fabrikant, der ins Geschäft zu kommen sucht, durch Traktamente, Schmiergelder, Bestechungen unter grober Überschreitung des Strafgesetzes systematisch Jahre hindurch durch ganze Generationen von Zeugfeldwebeln und Militärbeamten in der Zentrale der Militärverwaltung Korruption sät, demoralisierend wühlt und bohrt, um sich noch besondere, ungesetzliche Vorteile gegenüber der Konkurrenz zu verschaffen, so musste dies allerdings, um das Wort einer liberalen Zeitung zu gebrauchen, dem Fass den Boden ausschlagen und eine stürmische Empörung hervorrufen. Kernfäule war es, was man hier entdeckte, Kernfäule in der Zentrale der Militärverwaltung, Kernfäule in der Zentrale des trotz alledem gewaltigsten industriellen Unternehmens und der unbedingt riesenhaftesten, in einer einzigartigen, unvergleichlichen Position dastehenden, selbst den Kern der deutschen Rüstungsindustrie, ja die berühmteste Rüstungsfabrik der Welt bildenden Firma Krupp. Nicht Hinz und Kunz ist Krupp, das gilt's zu beachten! Die Kruppsche Korruption mit den geschäftlichen Schmierereien anderer Firmen auf die gleiche Stufe stellen geht um nichts in der Welt an. Hier handelt es sich nicht um die Kleinen von den Meinen, sondern um den Sturz eines Erzengels des Kapitalismus, ja des Abgotts der hochkapitalistischen Welt selbst in den Sündenpfuhl schmutzigen Alltagsgeschäftsgeistes.

Die Schlussapotheose oder das Nachspiel im Himmel1

Vom Abgeordneten Schiffer wurden am 12. Dezember 19132 fast blutige Tränen des Mitleids vergossen über den armen, von allen Seiten verlassenen Krupp, von dem kaum ein Hund mehr habe ein Stück Brot nehmen wollen. Die Wahrheit sieht anders aus. Die Schutztruppe Krupps und ihre Hilfsaktion haben wir bereits geschildert. Es waren zwar nicht die anständigsten, aber immerhin die mächtigsten Kreise des deutschen Kapitalismus, die von vornherein sich mit Krupp solidarisch erklärten und mit ihm durch dick und dünn wateten. Wie aber stand es mit der allerhöchsten Gnadensonne? Sie schien über Krupp so warm und leuchtend wie je zuvor. So, wie Herr von Gontard, der eine Held des „Figaro"-Briefes3, nach Bekanntwerden dieses gemeingefährlichen Streichs in das Herrenhaus berufen wurde – aus allerhöchstem Vertrauen –, so blieb Krupp unentwegt Favorit des Kaisers. Krupp, der arme Hiob, der arme Verfemte des Herrn Schiffer, wurde in dieser angeblich so trüben Zeit mit Orden beglückt und durch prinzliche Besuche bei Kindstaufen und anderen Gelegenheiten über die etwas peinliche Zeit hinweggetröstet. Auf einen solchen Mann passen die Unterschriften an Leidensstationen des Kalvarienbergs wahrlich nicht4: Die Wahrheit sieht in der Tat ganz anders aus. Nicht gedrückt und unglücklich und verzweifelt sind die Krupp-Croupiers, eher kann man sagen, dass sie infolge der glorreichen Rüstungskampagne üppig wie Sommerspargel ins Kraut geschossen sind. So üppig wurde Herr Brandt, dass er nach dem oberkriegsgerichtlichen Urteil gegen Tilian und Genossen5 bereits den Plan einer Wiederaufnahme seines Verfahrens6 mit dem Ziel der vollen Freisprechung erwog und verkünden ließ. So üppig war Herr Krupp von Bohlen und Halbach bereits am 27. Januar 1914, dass er seine Festrede auf das kaiserliche Geburtstagskind und die Dynastie Hohenzollern in geziemender Bescheidenheit gleichzeitig zu einem Preislied auf die Dynastie Krupp gestaltete – gleich als seien die Dynastie Krupp und die Dynastie Hohenzollern eine unteilbare Zweieinigkeit. Er wandte sich gegen die Angriffe „der Partei, deren Gegnerschaft uns immer ehrenvoll sein wird". Dieser Gegnerschaft zum Trotz betonte er, dass die kaufmännische Ehrenhaftigkeit der Firma Krupp, die wegen ihrer Leistungen das Ansehen der ganzen Welt genieße, auch heute in ihrem Beamtenkörper noch ebenso lebendig sei wie je zuvor. Eine wertvolle Selbstbezichtigung für die Vergangenheit und ein Geständnis schmählicher Blindheit für die Gegenwart. Der Chef des Hauses Krupp betonte weiter: Nicht den Taten dieser Firma habe der Sturm gegolten, sondern dem Dasein der Firma, „die zugleich Kind und Symbol unserer hart bedrängten individuellen Wirtschaftsordnung" sei. Selbständig und unabhängig, wie die Firma bisher gewesen sei, wolle sie auch bleiben: Das bedeutet die schroffe Abwehr der Absicht auf Verstaatlichung der Rüstungsindustrie und die Verkündung der unantastbaren Souveränität der Dynastie Krupp. In einem Verlegenheitssatze konnte der Festredner schließlich nicht umhin, so nebenher Worte der Verlegenheit von vereinzelten Krankheitserscheinungen zu sprechen, durch die man sich nicht niederdrücken lassen solle. Die Krone aber bildete der Satz: Nicht Profitgier sei die Triebkraft des Unternehmens, sondern das Gefühl voll bewusster Verantwortung für das Gemeinwohl.

Das ist erstaunlich. Für diesen Satz gebührt Herrn Krupp allein bereits der Lorbeer. Dieser Höhenrekord kann nur von schwindelfreien Gemütern voll begriffen werden. Die Firma Krupp – Weltlieferantin von Waffen und Kriegsschiffen; die Firma Krupp, die ihre Geschütze Napoleon III. schweifwedelnd anbot und seine Protektion erbettelte; die Firma Krupp, von der Geschütze herstammten, die im Chinafeldzug den deutschen „Panther" beschossen und deutsche Leiber zerfetzten; die Firma Krupp, die das Deutsche Reich an Panzerplatten dreifach stärker bewuchert hat als das Ausland; die Firma Krupp, die allen erdenklichen internationalen Konzernen angehört und für die Stärkung der Rüstungen, auch der Feinde Deutschlands, so viel geleistet hat wie niemand sonst in der Welt; die Firma Krupp, deren Verbindungen auch mit französischem und russischem Kapital und englischem Kapital nachgewiesen sind; die Firma Krupp, die einen raffinierten Mechanismus zur käuflichen Korruption der öffentlichen Meinung durch die Presse eingerichtet hat; die Firma Krupp, die in das Zentrum unserer Heeres- und Marineverwaltung das Gift der Demoralisation systematisch getragen hat; die Firma Krupp, die noch bei dieser ihrer hoch patriotischen Tätigkeit so ungeheure Verdienste speziell auch aus dem Deutschen Reich gezogen hat, dass sie heute fast das kapitalkräftigste industrielle Unternehmen Europas bildet; die Firma Krupp, die in Wahrheit nur eine Familiengründung [ist] und deren Profite ausschließlich in die Tasche der Familie Krupp wandern; die Firma Krupp, die die Familie Krupp zur bei weitem reichsten Familie Deutschlands gemacht hat, deren Reineinkommen im Jahre 1913 nicht weniger als 43 Millionen betrug und die mit allen erdenklichen äußeren Ehren überhäuft wurde und wird, wird beherrscht und geleitet ausschließlich vom Gefühl voll bewusster Verantwortlichkeit für das Gemeinwohl! Jawohl, wenn das Gemeinwohl das Wohl der Firma Krupp ist, wenn die ganze Menschheit als das gottgewollte Ausbeutungsobjekt der Firma Krupp angesehen wird und wenn kriegerischer Mord und Brand und die Herstellung der Instrumente zur Vernichtung von Menschenleib und Gut und aller Kultur als das Gemeinwohl bezeichnet werden. Wir aber meinen, dass diese Firma und mit ihr die ganze Rüstungsindustrie kein Träger des Gemeinwohls, sondern der Gemeingefahr ist. Drum gilt ihr allerdings unser energischer und unermüdlicher Kampf. Und darum stellen wir das Ziel der Verstaatlichung der Rüstungsindustrie auf.

Was Krupp zu seiner Rehabilitation tat

Prompt nach dem Brandt-Eccius-Prozess erfuhr die Öffentlichkeit von dem hochherzigen Entschluss der Firma Krupp, aus dem Reinverdienst für 1912/1913 eine ganz erkleckliche Zahl von Millionen der Arbeiter- und Angestelltenfürsorge zuzustellen. Das war natürlich ein schlauer Schachzug zur Rehabilitation in der öffentlichen Meinung, es hieß die Wurst nach der Speckseite werfen. Die kapitalistische Presse schlug denn auch sofort wie auf Kommando einen kolossalen Tamtam ob dieser glänzenden Betätigung der Selbstlosigkeit und Menschenfreundlichkeit, selbstloser, opfermütiger Menschenliebe. In der Tat haben ja diese Kruppschen Spenden nur einen höchst bedingten Wert. Ein Sechstel des Reingewinnes für die 80.000 Arbeiter und Angestellten zu opfern, die diesen Reingewinn erschanzt haben, will wahrlich nicht viel bedeuten.

Es kommt aber auch auf die Verwendung dieser Stiftungen an, und in welch unsozialer, ja rigoroser und unsittlicher Weise gerade die Firma Krupp ihre sogenannten Wohlfahrtseinrichtungen zur Korruption ihrer Arbeiterschaft und ihrer Angestellten, zu ihrer Versklavung verwendet, ist ja sogar gerichtlich wiederholt bestätigt. Die gestifteten Gelder arbeiten zudem im Betrieb weiter und bringen der Kanonenfirma weiter hohen Gewinn, so dass insoweit nur die Zinsen dieser Stiftungen der Arbeiterschaft und den Angestellten zugute kommen und zugewendet sind. Soweit aber die Stiftungen in Wohnungsbauten und anderen Anlagen für die Arbeiter und Angestellten investiert werden, tragen sie gleichfalls ihren Nutzen für die Firma in sich selbst, indem sie zur Erhaltung eines dauernden, allzeit ausbeutungsbereiten Stammes von Arbeitern und Angestellten beitragen. Und die Arbeiterschaft sich gefügig zu erhalten scheint besonders in der Zeit des Krupp-Skandals doppelt dringend notwendig. Auch das Halleluja auf die Wohltäter der Menschheit läuft also auf eine Travestie hinaus. Ja, ja, der Krupp, das ist ein Egoist und tut nicht leicht um Gottes willen, was einem Menschen nützlich ist. Dass Herr Krupp von Bohlen und Halbach selbst die Mitwelt ein anderes glauben machen möchte, werden wir allerdings noch sehen.

Die Kruppsche Sozialfürsorge aber charakterisiert sich aus zwei Tatsachen; während auf der einen Seite zur Steigerung der Gefügigkeit der Arbeiterschaft für die Krupp-Veteranen, die sich 25 Jahre lang für das Werk ihre Knochen haben ausschinden lassen, kruppdynastische Jubiläen gefeiert werden mit der Erinnerungsmedaille und Geldgeschenken und herzlichen Dankesworten und mit der byzantinischen Versicherung der Treue zum Hause Krupp, dehnt auf der anderen Seite die Firma die Kleinlichkeit in der Behandlung der Arbeiterschaft bis auf die Abortinspektion aus und benutzt die Gelegenheit, die Lasten des Krupp-Prozesses durch einen Erlass gegen Indiskretion der – Arbeiter und Angestellten auf diese abzuwälzen.

Daneben werden von Zeit zu Zeit Meldungen in die Welt gesetzt über allerhand patriotische Krupp-Spenden für den .Jungdeutschlandbund7, für die Olympischen Spiele und derlei Dinge, was erstens einen guten Eindruck machen soll, zugleich aber auch der Förderung des Chauvinismus dient, den das Rüstungskapital demnächst wieder in klingende Münze für sich umzusetzen hofft. Also auch hier zwei Fliegen mit einer Klappe! Und eine Taktik nach dem schönen Prinzip: Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft.

Bereits an anderer Stelle ist erwähnt, dass Herr Krupp von Bohlen und Halbach freilich auch der Regierung die Zähne zeigen kann und trotz allen äußeren Gebarens des Selbstbewusstseins die Schmach wohl empfunden und noch nicht verwunden hat, mit der die Firma im vergangenen Jahr bedeckt worden ist. Bei den Herrenhausverhandlungen vom Januar 1914 stand „der Prinzregent" des Königreichs Krupp auf Seiten der Frondeure gegen den Reichskanzler. Das war zugleich Rache für die Krupp-Prozesse, für die ungenügende Energie der Reichsregierung beim Eintreten zum Schutze der Firma Krupp; es war zugleich eine Forderung der chauvinistisch-scharfmacherischen Tendenzen, die sich sowohl gegen die Sozialdemokratie, die über alles verhasste, richtete, wie für den Militarismus und Chauvinismus wirkt, die die Nährväter des Rüstungskapitals sind.

Natürlich durften auch gewisse positive Maßregeln gegen die „Kornwalzerei"8 nicht ausbleiben; so wurde Brandt, schon weil er verhaftet war, durch einen anderen Beamten, und zwar – nach einer Meldung der „National-Zeitung" – durch den Major Steinmetz ersetzt.

Ganz anders zu beurteilen ist aber entgegen gewissen Auffassungen in der Presse eine andere Tatsache. Anfang 1914 wurde weiter bekannt, dass mit den im Monatsgehalt stehenden Krupp-Beamten ein neuer Dienstvertrag geschlossen war, der diesen Krupp-Beamten Verschwiegenheit auf allen Gebieten auferlegt und schon Gespräche über geschäftliche und dienstliche Angelegenheiten mit Unbeteiligten verfemt, selbst auch schriftstellerische Tätigkeit nur mit Genehmigung der Firma gestattet und verbietet, Vergütungen, Geschenke oder Aufmerksamkeiten von Wert anzunehmen, wenn sie unmittelbar oder auch nur mittelbar von Personen ausgehen, die mit der Firma in Geschäftsverbindung stehen. Diese Bestimmungen sind offensichtlich rein im Interesse der Firma getroffen. Sie will verhindern, dass ihre Geheimnisse Dritten bekannt werden, was bei dem Charakter dieser Geheimnisse nur zu erklärlich ist. Es soll verhindert werden, dass durch Indiskretion von Kruppschen Angestellten etwas herauskommt, was die Firma bloßstellen könnte. Davon aber, dass die Kruppschen Angestellten mit derselben Peinlichkeit auch vermeiden sollen, andere zu Indiskretionen zu verleiten, zu traktieren, zu bestechen, davon steht in diesem Vertrag kein Sterbenswörtchen. Möglich, dass auch Bestimmungen dieser Art anderweit vorgesehen sind; das Papier ist ja geduldig. Und gegenwärtig wäre unter dem frischen Eindruck der Krupp-Prozesse und der Lehre des vergangenen Jahres eine gewisse, wenn auch nur vorübergehende Einkehr nicht gerade bewundernswert. Jedenfalls enthält aber der bekannt gewordene Dienstvertrag keine Bestimmungen, die zeigten, dass die Firma Krupp aus der Vergangenheit gewisse notwendige Konsequenzen gezogen hat.

Der Vertrag zeigt aber immerhin, wie gut man bei der Firma Krupp den gefährlichen Charakter unlauterer Manipulationen, wie sie bei der Firma bislang Gang und Gäbe waren, kennt und zu würdigen weiß. Und wenn die Firma derartige hochnotpeinliche Bestimmungen in dem Vertrage mit ihren Angestellten in ihrem dringenden Interesse für erforderlich hält, so ergibt sich daraus, wie bedeutsam auch nach ihrer eigenen Auffassung trotz aller Ableugnungen und Beschönigungen vom Standpunkt der Heeresverwaltung und des Deutschen Reiches die Missstände der Brandtschen „Kornwalzerei" sind.

Die Wirkungen der Krupp-Enthüllungen im Auslande

Die Reichstagsverhandlungen vom April 1913 erregten allenthalben auch im Auslande lebhafte Beunruhigung, einmal, soweit diese Staaten mit Krupp in geschäftlicher Verbindung gestanden hatten, ob nicht auch bei ihnen der rollende Krupp-Taler Demoralisation verbreitet habe, sodann, weil allenthalben die nur allzu begründete Ansicht auftauchte, dass die Kruppsche Geschäftsmoral keine Einzelerscheinung, sondern nur ein Symptom sein könne, ein Symptom der allgemeinen Korruption des Rüstungskapitals. In England, Frankreich, Belgien, Holland, Italien und den Vereinigten Staaten von Amerika fanden lebhafte Erörterungen in dieser Richtung statt, die fast überall in den Ruf nach einer Verstaatlichung der Rüstungsindustrie ausklangen. In England und in Frankreich wurden von kundigen und tüchtigen Männern Untersuchungen über die dortige Rüstungskorruption angestellt, die die Internationalität der in Deutschland konstatierten Erscheinungen ergaben. Die Veröffentlichungen Andre Morizets in Frankreich und Newbolds in England unterstrichen die Tragweite der Angelegenheit.

Dem Verfasser ist zum Vorwurf gemacht worden, er habe die Interessen der deutschen Industrie an das Ausland verraten. Und als angeblich rumänischen Politikern die Reichstagsrede des Verfassers9 Anfang 1914 anonym übersandt wurde, so wurde dies wiederum von dem offiziösen Wolffschen Büro zur Schmähung des Verfassers als eines Agenten des Auslandes benutzt. Selbst der „Berliner Börsen-Courier" musste dieser Treiberei entgegenhalten: Diese offiziöse Weisheit sei töricht genug zu übersehen, dass damit jede, auch die berechtigtste Kritik an Missständen im eigenen Lande unterbunden sei, weil sich stets das Ausland daraus Waffen schmieden könnte. Im Übrigen lohnt es sich nicht, auf derartiges Gerede, auch wenn es offiziös oder gerade wenn es offiziös verbreitet wird, sich näher einzulassen.

Umfang des rüstungskapitalistischen Schmiergelderwesens

Das Schmiergelderwesen ist in Deutschland zu einer allgemeinen Einrichtung geworden. Auch Deutschland schwitzt die kapitalistische Korruption aus allen Poren.

Die „Deutsche Tageszeitung" vom 23. Januar [1914] warnt resigniert, sich nicht über „die tatsächliche Ausbreitung" dieser „krankhaften Erscheinung" „hinwegzutäuschen". „Es wird im In- und Ausland viel mehr ,geschmiert', als der Laie sich träumen lässt und als die Beteiligten zugeben wollen." „Die Direktoren und Angestellten großer Firmen, die über Vergebung bedeutenderer Lieferungen, Arbeiten usw. zu entscheiden haben, werden vielfach mit offenen oder anonymen Liebenswürdigkeiten in greifbarer Form überhäuft und können sich solcher Zudringlichkeit zuweilen kaum erwehren. Würden solche Schmierversuche überhaupt unternommen werden, wenn sie nicht doch in vielen Fällen zum Ziele führten?" Gerade diese Allgemeinheit der Erscheinungen wurde ja schließlich als Entschuldigung der Kruppschen Manöver angeführt. Man bekannte sich plötzlich in majoram kruppi gloriam zu der Lehre von der Notwendigkeit und Selbstverständlichkeit des Schmierens als einer wohlbegründeten kapitalistischen Einrichtung, an der nicht nur niedere Sterbliche, sondern auch die Könige im Reiche des Kapitals zu partizipieren berechtigt seien. Warum auch nicht?

Von der Polizeikorruption in Köln, Frankfurt, Berlin, Myslowitz, Forst, die als Symptom der Allgemeinheit des Übels wesentlich ist, kann hier nicht näher gehandelt werden. Wenn im Jahre 1913 rund 30 000 Mark Geldgeschenke unbekannter Geber der Reichskasse zugeführt worden sind, Geldgeschenke, die in der Hauptsache Schmiergelder für staatliche Behörden und Beamte, von Lieferanten zugewendet, darstellen, so lässt sich daraus nur ein schwacher Anhalt gewinnen, wie viel solcher Schmiergelder den einzelstaatlichen und sonstigen Nichtreichsbeamten zugegangen sein mögen. Dass bei weitem nicht der größte Teil der Schmiergelder abgeliefert wird, kann man an den fünf Fingern abzählen, und Schmiergelder bekannter Geber sind dabei ja auch nicht berücksichtigt. Von den abgelieferten Schmiergeldern wird gemeldet, dass ihre Beträge zwischen 3 und mitunter 1000 M und mehr schwanken. Man darf annehmen, dass derartige Beträge in den in die Öffentlichkeit gedrungenen Fällen nur gegeben wurden, weil sie in anderen Fällen, ja wohl in der Regel angenommen worden sind. Auf eine allgemeine Praxis darf aus den bekannt gewordenen [Fällen] geschlossen werden.

Am häufigsten kommen nach der Meldung der „Berliner Neuesten Nachrichten" vom 27. Januar 1914 derartige Schmiergelder im Bereich der Militärverwaltung vor. „Vor allem werden", so berichtet die genannte Zeitung, „Zahlmeister, Bezirksfeldwebel, Frontfeldwebel, seltener Offiziere durch Schmiergelder zu beeinflussen gesucht." Das gilt natürlich nur von den bekannt gewordenen, gemeldeten Bestechungen. Die gesamte Ausdehnung dieses Unwesens lässt sich nicht klar überblicken. Man darf aber wohl für richtig halten, was im Magdeburger Prozess bekundet wurde, dass ohne Schmieren kein Geschäft möglich sei, weil eben alles schmiert, und dass, wie in dem Prozess Keidel, von diesem früheren Militärlieferanten, der sich auch selbst des Schmierens schuldig bekannte, behauptet wurde, dass bei der Militärverwaltung ohne Schmieren nichts zu erreichen sei, so dass sich manche Firmen, um sich nicht schweren kriminellen Gefahren auszusetzen, von der Militärlieferung zurückziehen (vgl. den im Prozess Keidel mitgeteilten Brief).

Zur „Naturgeschichte der Rüstungs- und Kriegshetzer"

Aktive und inaktive Militärs spielen unter ihnen eine besonders große Rolle. Es mögen darunter einfach militaristische Heißsporne sein. Zumeist werden sie von der alldeutschen Presse und den alldeutschen Organisationen protegiert und mit allerhand Tamtam zur Aufregung der Bevölkerung, zur Verbreitung des chauvinistischen Giftes demagogisch ausgenutzt. Das Rückgrat dieser Alldeutschen sind unzweifelhaft die Rüstungsinteressenten der Großindustrie. Die Bernhardi und Deimling, die Liebert, Keim und Wrochem segeln unter dieser Flagge. Auch der neuste Admiral C. U. Breusing gehört zu diesem Kaliber. Herr Breusing hat durch seine wilde Flottenvermehrungsagitation offensichtlich, mindestens objektiv, den materiellen Interessen der Panzerplattenindustrie à la Dillinger Hütte und Krupp das Wort geredet. Das Treiben des Wehrverein-Generals Keim, das in neuster Zeit den süddeutschen Offiziösen zu toll geworden ist, wirkt in derselben Richtung Es wäre sehr empfehlenswert, die leitenden Personen des Flotten- und Wehrvereins auf Herz und Nieren in Bezug auf ihre Beteiligung an der Rüstungsindustrie zu untersuchen. Zumeist halten sich die Herren von Aufsichtsrat- und Direktorialposten fern, so dass ihnen in Deutschland nach den deutschen Verhältnissen nichts nachgewiesen werden kann. Das Adressbuch der Direktoren und Aufsichtsräte versagt hier in der Regel. Nur Herrn von Lieberts bekannte kolonialpolitische Interessen sind aus diesem Adressbuch erkennbar. Wenn man die militärische Umschau der „Berliner Neuesten Nachrichten" (oder „Post" ?) von einem Generalleutnant z. D. von Müllmann geleitet und einen Konteradmiral z. D. Witschel als Mitarbeiter darin findet, so ergibt sich unwillkürlich starkes Misstrauen, nicht minder, wenn der Generalmajor a. D. Bahn in der „Täglichen Rundschau" Artikel im Interesse der privaten Rüstungsindustrie loslässt; aber auch – um von den glanzvollen Uniformen zu Zivilisten westlicher Provenienz zu kommen – wenn man in der genugsam bekannten „Rheinisch-Westfälischen Zeitung" jenen Alois Nießner sein Wesen treiben sieht, jenen Mann, der selbst aus Ungarn stammt und mit einer Engländerin verheiratet ist. Man wird dem „Berliner Tageblatt" (vom 30. 12. 13) wohl glauben können, dass die Liste der in der alldeutsch-chauvinistischen Presse sich urdeutsch gebärdenden Ausländer viel größer sei, als die Leser ihrer Schreibübungen meinen.

Im April 1914 ist als neuer Stern am Himmel der Rüstungstreiber der Präsident der Oberzolldirektion Posen, Geheimer Oberfinanzrat Carthaus, aufgegangen, dessen Gebaren noch am günstigsten beurteilt wird, wenn man es unter den Gesichtspunkt einer fessellosen Monomanie bringt, der nicht weniger als 160 Millionen [Mark] Rüstungssteigerung pro Jahr befürwortet und einer staatsstreichlerischen, hochverräterischen Ausschaltung des Reichstages das Wort redet. Diese Monomanie hat aber doch Methode zweifellos in der Richtung des Interesses der Rüstungsindustrie. Haben doch Militär und kronprinzliche Kamarilla im Jahre 1912/13 mit einer ähnlich wahnsinnigen und, abgesehen von den Interessen der Rüstungsindustrie, sinnlosen Forderung schließlich Erfolg gehabt, den Erfolg der größten Wehrvorlage der Weltgeschichte. Der Appetit kommt bei solcher Vorgeschichte natürlich mit dem Essen.

Der Fall Wangemann verdient hier eine klare Beleuchtung. Dieser Mann hat im Krupp-Prozess eingeräumt, dass er schon aus seiner amtlichen Stellung in der Artillerieprüfungskommission usw. heraus in der Presse als Militärschriftsteller tätig gewesen ist, dass er auch während seiner aktiven Stellung nicht nur militärliterarisch beschäftigt war, sondern auch seit der Düsseldorfer Ausstellung 1902 enge Beziehungen zur Firma Krupp unterhielt. Es handelte sich gerade um die Zeit der Entwicklung des modernen Feldgeschützes. Er wurde von Krupp durch Überlassung des Materials in seiner hierauf bezüglichen literarischen Tätigkeit unterstützt. Dass diese literarische Tätigkeit ganz naturgemäß die Richtung im Sinne der Kruppschen Interessen nahm, bedarf keiner Erörterung. Als Major Wangemann, so sagte er aus, seinen Abschied nahm, hatte er den Wunsch, „die alten Beziehungen wieder anzuknüpfen", und du gelang auch. „Als er seinen Abschied nahm", d. h., bevor er seinen Abschied genommen hat, das ergibt ein in der Verhandlung verlesener Brief wie das Zeugnis des Herrn von Metzen, das in dieser Beziehung unangefochten blieb, verkehrte Herr Eccius, der wegen Beihilfe zur Bestechung verurteilte Krupp-Direktor, mit Wangemann schon während seiner Dienstzeit ziemlich intim. Sie waren wochenlang gemeinsam in Marienbad. Schließlich wurden Abmachungen getroffen, dass Wangemann, der damals bei der Artillerieprüfungskommission war, aus dem Dienst scheiden und eine artilleristische Zeitschrift leiten solle, natürlich eine artilleristische Zeitschrift, die für die Interessen der Firma Krupp wirken sollte, nicht eine unabhängige Zeitschrift. Tatsächlich bezog Wangemann nach seinem Ausscheiden aus den Diensten von Krupp ein monatliches Gehalt von 400 Mark, für das er nach seiner eigenen Angabe für Krupp als literarischer Söldling tätig sein sollte und war. Eine solche schriftstellerische Korruption, die er selbst eingestanden hat, nennt der Major Wangemann „kristallklar"! Nimmt man noch hinzu, was sicherlich glaubhaft ist, dass nach dem Zeugnis von Metzens Wangemann durch Gespräche mit früheren Kollegen der Artillerieprüfungskommission Dinge in Erfahrung bringen sollte, die die Firma interessierten, so wird man diesen Fall Wangemann als ein sehr hässliches Blatt in dem Buche der Krupp-Korruption bezeichnen dürfen. Man kann dabei ruhig unterstellen, dass von Metzen recht hat, wenn er meint: „ … dass er sich die Beschaffung von Geheimnissen durch Bestechung zu erlangen suchen sollte, glaube ich nicht." Jedenfalls sollte, nach der gewiss zutreffenden Auffassung von Metzens, von Wangemann eine Lücke in der Brandtschen Tätigkeit ausfüllen.

Der Fall Wangemann gibt zugleich ein typisches Beispiel über die Voraussetzungen und Umstände, unter denen Beamte und Militärs zu Krupp hinüber zu wechseln pflegen. Ein vorzügliches Mittel dazu ist, sich durch öffentliche literarische oder sonstige Tätigkeit im Interesse der Rüstungsindustrie liebsam bemerkbar zu machen, genauso wie die Tätigkeit in der Abnahmekommission, im Interesse Krupps ausgeübt, eine Empfehlung zur Beförderung in Kruppsche Dienste darstellt. Es ist im hohen Maße bezeichnend, dass man angesichts solcher bekannt gewordener symptomatischer Erscheinungen bei dem Auftreten der Rüstungshetzer niemals den Gedanken unterdrücken kann: cui bono, wer bezahlt das? Sind dies Spuren der rollenden Kruppschen Rubel?, und dass einem immer wieder ein fataler Geruch in die Nase steigt und immer wieder der Ausruf auf der Zunge liegt: „Hier riecht's nach Krupp."

Internationaler Handel mit militärischen Konstruktionen und Patenten

Die militärischen Konstruktionsgeheimnisse als offizielle Geheimnisse des Weltmarktes

Die Internationalität der Zweigniederlassungen und Produktionsstätten, Fabriken usw. der großen Rüstungsfirmen bedeutet im Prinzip bereits eine Preisgabe aller Konstruktionsgeheimnisse auch an die fremden Staaten; auch die Kapitalbeteiligung inländischer Firmen an ausländischen10 Unternehmungen ergibt eine starke Tendenz in dieser Richtung.

Die Internationalität des Rüstungshandels führt naturgemäß zu einer Publizität nahezu aller wesentlichen militärischen Konstruktionen. Ja mit einer unvergleichlichen naiven Unverschämtheit macht General Bahn in seinem mehr[fach] zitierten Artikel diese Wirkung des auswärtigen Handels mit Kriegsgerät als ein besonderes Verdienst geltend, das den Anspruch auf einen besonderen staatlichen Schutz rechtfertigt, denn nichts anderes ist eine Forderung nach Ablehnung der Verstaatlichung der Rüstungsindustrie, die er mit dem Umstand begründet, dass sonst das Ausland nicht mehr die Gewähr habe, bereits im Inland erprobte Kriegsgeräte geliefert zu erhalten, und daher von Bestellungen11 bei einer nur für das Ausland arbeitenden privaten Rüstungsindustrie leicht Abstand nehmen würde.

Die internationalen Konventionen, Konzerne und Trusts der Rüstungsindustrie sind zu einem Teil auf Patenten aufgebaut, deren gemeinschaftliche, allgemeine Verwertung der Zweck der kapitalistischen Koalition ist.

Typische Beispiele dafür sind der Dieselmotorenkonzern und der Panzerplattentrust.

In anderen Fällen bildet zwar kein Patent die Wurzel und Grundlage des Verbandes, wohl aber die gegenseitige Mitteilung (Austausch) von technischen Neuerungen einen ihrer wichtigsten Zwecke.

Typisch hierfür ist der an anderer Stelle mitgeteilte Vertrag des Konzerns der Waffen- und Munitionsfabriken, dem sich ebenbürtig der Kartellvertrag zwischen den Deutschen Waffen- & Munitionsfabriken – Stahlwerke Becker und der russischen Fabrik „Parabellum" anschließt, dessen erste und wesentlichste Verpflichtung es ist, dass die beiden deutschen Firmen in das russische Unternehmen „ihre sämtlichen Erfahrungen und Patente usw. einbringen".

Vgl. „Voss. Ztg." vom 3. 4. 1914; offenbar eine offiziöse Notiz des Loewe-Konzerns, da sie sich in den Börsenberichten aller Zeitungen gleichlautend findet – eine Patentverwertungsgesellschaft eigener Art.

In den Büros der großen Rüstungsfirmen sitzen lauter Auguren; sie stehen in engster, dauernder Wechselbeziehung und bieten sich fortgesetzt alle möglichen Konstruktionen gegenseitig an. Besonders englische Geschützfirmen sollen häufig genug von deutschen Geschützfirmen ihre neuesten Errungenschaften, die in Deutschland als strengstes Geheimnis aufgefasst werden, angeboten erhalten haben

Am 22. April 1913 berichtete der „Lokal-Anzeiger", ohne Widerspruch zu erheben, über einen Artikel des französischen Generals Maitrot im „Echo de Paris", wonach zwei deutsche Ingenieure die Vermittlung in Anspruch nahmen, um ihre Detailpläne für Luftschiffe größter Dimensionen der französischen Regierung zu verkaufen. Gleichzeitig teilte der „Lokal-Anzeiger" mit, dass diese beiden Ingenieure schon vorher zu dem gleichen Zweck in London und Brüssel gewesen seien, nachdem sie ihr System der deutschen Regierung vergeblich unterbreitet hätten, und wonach in London eine Gesellschaft in Bildung begriffen sei, um die Pläne der deutschen Ingenieure auszuführen.

Hier handelt es sich anscheinend um ein paar Privatpersonen, deren Verhalten, da sie schwerlich auf den Rang patriotischer Heroen à la Krupp Anspruch erheben, immerhin etwas anders charakterisiert werden kann als das Gebaren der Rüstungsfirmen.

Wir vermelden weiter, dass nach dem gleichen Artikel des Generals Maitrot eine französische Gesellschaft der italienischen Regierung ein Geschütz angeboten hat, das vollkommener ist als das bisherige französische. Es handelt sich hierbei um die Kanone déport, die in den Etablissements der Gesellschaft Chatillon-Commanderie in den Staatswerkstätten von Bourge und Puteaux hergestellt wurde.

Der „Matin" brachte alsbald die Version, nicht Italien, sondern Deutschland sei der eigentliche Käufer des französischen Modells, Krupp stecke dahinter, der nur einen italienischen Mittelsmann benutzt habe. Die italienischen Käufer Krupps, an deren Spitze der Piemonteser Deputierte Puccelli steht, haben nur als Strohmänner gedient, Krupp habe auch bereits Kanonen nach dem französischen Modell bauen lassen.

Trifft dies zu, so will es nicht viel besagen, es gilt hier das peccatur intra et extra.

Jedenfalls spielen derartige Einzelfälle im Verhältnis zu der sonstigen faktischen und unbestrittenen, ja geradezu offiziösen Internationalität der Rüstungskonstruktionen nur eine anekdotische Holle.

Rechnet man zu all dem noch die Spionage, von der man allerdings gar nicht recht weiß, wo sie noch das nötige Feld zur Betätigung findet, so ergibt sich als Schluss die resignierte Feststellung von dem wohlorganisierten, tadellos funktionierenden internationalen Clearingsystem (oder Schmiersystem?) in Bezug auf die Rüstungskonstruktion.

Der Dieselmotorenkonzern gehört zugleich hierher, insofern zwar das Prinzip der Dieselmotorenkonstruktion den Entstehungsgrund des Verbandes gebildet hat, aber in Bezug auf alle Neuerungen im technischen Detail und alle sonst sich an die Grundbestimmung anschließenden technischen Errungenschaften die Austauschpflicht besteht.

Auch die Verbindung zwischen Krupp und Skoda und indirekt Schneider-Creusot ist in ähnlicher Weise aufgebaut.

Der Austausch und die Verwertung von Patenten und Konstruktionen ist eben eines der wichtigsten Motive für die Gründung, Entwicklung und Erhaltung der internationalen Industriekoalition.

Dass der Panzerplattentrust mit Ablauf der Patente auseinanderzufallen droht, ist bereits erwähnt, ebenso aber, dass andere Motive in genügender Zahl und Kraft vorhanden sind, um den Trust trotz Wegfalls des ursprünglichen Patents noch lebensfähig zu erhalten. Der Panzerplattentrust, das klassische Vorbild (Prototyp) der Rüstungsinternationale, würde dann aus einer Kapitalverbindung ersterer Art zu einer Kapitalverbindung der zweiten Art werden.

Förderung der ausländischen Rüstungen als Methode der Förderung der einheimischen Rüstungsindustrie12

Wachsen die ausländischen Rüstungen, so müssen nach dem Einmaleins der militaristischen Mathematik auch die einheimischen Rüstungen wachsen. Es gibt kein schlagenderes Argument zur Erzwingung einer einheimischen Rüstungssteigerung als Pläne oder Realitäten ausländischer Rüstungsvermehrungen. So haben die Rüstungsindustrie und deren Soldknechte bei Bearbeitung des Publikums, ihre Presseagenten, ein gewaltiges Interesse daran, das Ihrige zur Vermehrung der ausländischen Rüstung beizutragen. Dazu dienen verschiedene Mittel, Hatz und Drohungen gegen das Ausland, Aufputschen der Völker gegeneinander, kurzum, das Säen von Zwietracht ist ein ausgezeichnetes, ja das grundlegende Mittel, bei dem noch die besonders angenehme Beigabe abfällt, sich in patriotischen Verzückungen der Welt produzieren zu können und den Lorbeer der tapferen, unentwegten Retter des Vaterlandes verdienen zu können.

Eine direktere Methode ist die von den Waffen- und Munitionsfabriken bei dem „Figaro"-Brief eingeschlagene, der intriganten Beeinflussung der öffentlichen Meinung im Auslande selbst, um Rüstungssteigerungen plausibel zu machen, nahezulegen.

Hierher gehören auch zwei einander scheinbar ergänzende, in Wirklichkeit auf dasselbe Ziel lossteuernde Mittel: einmal das triumphierende Säbelrasseln militärischen Bramarbasierens unter ostentativer Betonung der eigenen militärischen Überlegenheit und verächtlichem Achselzucken über die ausländische Schwäche, andererseits die Klage über die Überlegenheit der Rüstung andrer Länder.

Bei dem letzteren gibt es natürlich vielerlei Nuancen bis zur scheinbar wohlwollenden Erörterung und Darlegung der militärischen Schwäche des Auslandes, die eine Rüstungsvermehrung und Verbesserung erforderlich mache. Zuweilen tritt hierbei eine wahre Ungeduld über das Ausbleiben ausländischer Rüstungen zutage, wie denn Anfang April 1914 die alldeutschen „Berliner Neuesten Nachrichten" ganz aufgeregt und in großen Lettern fragten: Wo bleiben die neuen großen französischen Lenkballons?

Es ist noch erinnerlich, wie selbst die deutsche Zentrumspresse, nachdem erst wenige Monate vorher dem deutschen Volke unter Hinweis auf die militärische Stärke des Auslandes die größte Militärvorlage der Weltgeschichte aufgehalst worden war, dann plötzlich in scheinbar fachmännisch objektiver Weise die Schwäche der französischen Armee dartat.

Ausgezeichnet und ganz unmittelbar dient der militärischen Stärkung des Auslandes die Lieferung von Rüstungsgerät ins Ausland, die kapitalistische Stärkung des Auslandes, die Errichtung von Rüstungsfabriken im Auslande und die Bildung internationaler Rüstungskonzerne.

Das ist das infamste an den Geschäftspraktiken der Rüstungsindustrie, dass sie ihren Profit im Auslande sucht, wo sie ihn findet, damit aber zugleich, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagend, durch Stärkung der Rüstungen des Auslandes auf eine Vermehrung der einheimischen Rüstungen hinwirkt, und ihr13 dann wiederum köstlicher Gewinn winkt. Natürlich erleichtern dann die einheimischen Neurüstungen wiederum ausländische Rüstungsvermehrungen, womit das Spiel von neuem beginnt. Ein verblüffend einfacher Mechanismus.

Übrigens wirken die Regierungen nur allzu häufig ganz in der gleichen Richtung, indem sie ausländische Rüstungen unterstützen, die ausländische militärische Kraft durch Instrukteure und Militär- oder Marinemissionen, ja auch durch den amtlichen Verkauf von bereits im staatlichen Besitz befindlichen Kriegsschiffen und anderem Kriegsgerät unmittelbar unterstützen, woraus sich gleichzeitig ergibt, wie wenig begründet die Besorgnis ist, als sei für eine verstaatlichte Rüstungsindustrie der Handel mit Kriegsgerät nach dem Auslande ausgeschlossen.

Man darf hier allerdings unterstellen, dass die Regierungen bei solchem Vorgehen nicht geradewegs eine militärische Stärkung der künftigen Kriegsfeinde fördern wollen; im Gegenteil wird dabei offenbar das Ziel einer Stärkung des politischen Einflusses im Auslande angestrebt.

Bei der Unsicherheit aller politischen Konstellationen, bei dem raschen Wechsel in der Mächtegruppierung und der Unübersehbarkeit der Zukunft in unserer Zeit der phantastischsten Umgestaltungen ist jedoch nicht die geringste Gewähr dafür geleistet, dass die gestärkten ausländischen Staaten, die gestern noch Freunde schienen oder die man gestern noch als Freunde zu gewinnen hoffte, heute [nicht] bereits als Feinde im Kriege stehen. Bei aller Wandelbarkeit auch der militärischen Technik und trotz der kurzen Umschlagsperioden der jeweils angeschafften Kriegsgeräte: wie viel wandelbarer noch als die Kriegsgeräte sind die Bündnisse und internationalen Kombinationen; dafür bietet die Geschichte der letzten 15 Jahre eine Überfülle von Belegen; die Verhältnisse auf dem Balkan und in Bezug auf den Balkankonflikt besitzen eine zwingende Beweiskraft.

Gefährlichkeit der privaten Rüstungsindustrie

Die Rüstungsindustriellen entwickeln einen geradezu unheimlichen Eifer in der Fortentwicklung der Rüstungstechnik, sicherlich nicht einen patriotischen Eifer, von Idealismus ist hier keine Spur. Jede neue Erfindung, die sie machen oder veranlassen oder stehlen, hat für sie ja die angenehme Wirkung, vorhandenes Kriegsmaterial zu altem Eisen zu machen und ihnen damit neue lockende Gewinne zu verschaffen. Jede wichtigere Erfindung wird natürlich vermöge der internationalen selbstlosen Gesinnung der Rüstungsindustriellen alsbald Gemeingut aller großen Militärstaaten, so dass schließlich aus den technischen Verbesserungen ein Vorteil für keine Macht erwächst.14 Es ist hier etwa das gleiche wie bei den quantitativen Rüstungssteigerungen. Auch eine Schraube ohne Ende, durch deren weiteres Anziehen zumeist im Kräfteverhältnis der verschiedenen Staaten keine wesentliche Verschiebung stattfindet, während doch nur eine Verschiebung im Kräfteverhältnis, nicht aber die absolute Steigerung der militärischen Kräfte an und für sich einen Vorteil bieten kann. Nichts daher verdächtiger als die fabelhafte Geschwindigkeit, mit der die Rüstungsindustrie an der Vervollkommnung der Kriegstechnik, der Mordtechnik arbeitet! Und doch beanspruchen und erhalten erstaunlicherweise diese Geldsacks-Patriotarden dazu den patriotischen Lorbeer.

Zur auswärtigen Politik des Kapitals

Mit den Mitteln des wirtschaftlichen Boykotts werden auswärtige Konflikte häufig ausgefochten. Jedenfalls dient der wirtschaftliche Boykott immer häufiger als ein Mittel zur Pression bei Spannungen zwischen den Staaten. Die Ansätze eines solchen Boykotts bei wirtschaftlich so verwachsenen Ländern wie Frankreich und Deutschland und England können allerdings, wie die Erfahrungen in den letzten Jahren lehrten, nur eine sehr geringe Wirkung haben. Bei starken Verschiebungen der wirtschaftlichen Struktur eines der beteiligten Länder sind trotz bisheriger enger Beziehungen starke Wirkungen möglich. Russland befindet sich in einer wirtschaftlichen Gärung größten Stils, eine grundstürzende Umwälzung seiner wirtschaftlichen Struktur vollzieht sich rapide; aus dem Getreide ausführenden Lande wird in absehbarer Zeit ein Getreide einführendes Land werden; jedenfalls vollzieht sich die Entwicklung in dieser Richtung. Mit der Entfaltung der kapitalistischen Wirtschaft in Russland wird die Ware Arbeitskraft, die bisher in großem Umfange exportiert werden konnte, mehr und mehr im Inneren selbst absorbiert. In diesem Stadium sind russische Regierungsmaßregeln zur Erschwerung der russischen Arbeiterwanderungen nach dem Westen nicht aussichtslos. Wir erinnern auch an den gewaltigen Schrecken, der unseren deutschen Kapitalisten, insbesondere den Rüstungskapitalisten, in die Glieder fuhr, als im Verfolg der Poljakow-Affäre in Russland Drohungen über eine allgemeine Ausschließung der deutschen Industrie von russischen Staatslieferungen laut wurden. Es verlohnt der Mühe, die verlegenen Ausflüchte, die betretenen halben Entschuldigungen, das Stammeln der Hoffnung und die verzweifelten Ausbrüche einer zur Schau getragenen Tapferkeit in der deutschen kapitalistischen Presse dieser Tage nachzulesen. Die Angst beschlich sie alle, die Angst um die Prozente.

Im Garten der Hesperiden

Die Chancen des Rüstungsgeschäftes 1913/1914

Eine außerordentliche Expansion der großen Unternehmungen des Rüstungskapitals ist die Signatur der letzten Jahre. Es ist wieder viel Blut geflossen, die Erde dampft von Blut, und eine fatale, verfluchte Witterung nach künftigem Blut will uns nicht aus der Nase.

Das ist die Atmosphäre, in der die Mordindustrie in die Halme schießt.

Die Erweiterung des Krupp- und des Loewe-Konzerns15 und der großen ausländischen Rüstungskonzerne; die Kapitalverdoppelung der Waffen- und Munitionsfabriken; die Kapitalerhöhung von Böhler & Co.16 und vom Nobel-Trust; die im Rechenschaftsbericht der Skodawerke aus 1914 verzeichneten Neuinvestitionen („Vossische Zeitung", 22. April 1914); die Riesengewinne von Krupp, die in der neuesten Zeit fast über das Fassungsvermögen gewöhnlicher Sterblicher hinausgehen; die höchst günstige Geschäftslage von Goerz, dem hauptsächlichen deutschen Unternehmen der optischen Kriegsindustrie; die Mitteilung der Verwaltung von Ehrhardt in der Generalversammlung vom 27. Februar 1913, dass der Auftragsbestand in Kriegsmaterial und die Preise dafür höher als im Vorjahre seien und also für 1912/13 ein günstiges Resultat erwartet werde, eine Erwartung, die sich bekanntlich inzwischen bestätigt hat; das Anwachsen des Werftkapitals und das der Elektrizitätsindustrie; die glänzende Lage der Motorenindustrie und insbesondere die geradezu riesigen Neuanlagen in der Flugzeug- und Luftschiffindustrie zeigen, dass das Mordgewerbe seinen Mann recht gut ernährt. Es ist halt ein einträgliches Geschäft, und all diese günstigen Wirklichkeiten der Gegenwart und Vergangenheit und Aussichten der Zukunft wiegen doppelt in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Gesamtlage; denn diese günstige Situation der Rüstungsindustrie fällt in eine sonst schwer gedrückte wirtschaftliche Epoche, unter der im übrigen auch gerade der Eisenmarkt leidet.

Die Krupp u. Gen. lustwandeln, während das Elend unter der Menschheit grauenhaft wütet, im Garten der Hesperiden und pflücken goldene Äpfel, goldene Erisäpfel allerdings, aber goldene.

Zur „Verstaatlichung der Rüstungsindustrie"

Zu beachten ist vor allen Dingen auch: Die märchenhaft günstigen Chancen der Kriegsindustrie in gewissen Ländern, so England, Frankreich, Deutschland, sind keineswegs dauernde. Wir wollen dabei die Hoffnung, dass in absehbarer Zeit dem gegenwärtigen Rüstungstaumel Einhalt geboten werden wird, noch gar nicht in Rechnung setzen; ebenso wenig mit Folgen rechnen, wie sie schwerste äußere und innere Konflikte, auch in Bezug auf die Rüstungsindustrie, in der gegenwärtigen Form und gerade in Bezug auf sie, haben können. Wesentlich ist, dass in nahezu allen Ländern mit größerem Rüstungsbedarf sich eine eigene Rüstungsindustrie schon jetzt zu entwickeln im Begriff ist und unzweifelhaft weiter entwickeln wird. Wenn diese neu entstehenden Industrien auch von den großen Rüstungsfirmen der Haupt-Kriegsindustrie-Staaten geschaffen zu werden pflegen, wenn die österreichische, italienische, russische, japanische usw. Rüstungsindustrie Krupp, Loewe und Schneider-Creusot zu Vätern und Vickers und Maxim zu Müttern haben und wenn dabei auch die englischen, französischen und deutschen Banken Pate gestanden haben, die Entwicklung zu einer gewissen Selbständigkeit wird sich nicht wohl aufhalten lassen, das darf man, ohne damit die antagonistische Tendenz zur internationalen Vertrustung der Rüstungsindustrie zu verkennen, [annehmen]. Aber auch schon bis zu dieser Verselbständigung wirken diese von den westeuropäischen Rüstungspatrioten gefütterten auswärtigen Unternehmungen in dem Sinne, dass die inländischen Anlagen der großen Rüstungsfirmen immer mehr von der Produktion für das Ausland entlastet werden. An den ausländischen Anlagen der großen Rüstungsfirmen haben deren Vaterländer, denen diese Firmen so überschwänglich teuer sind, nur ein ganz bedingtes und begrenztes Interesse, das heißt, die im Sinne einer andauernden Hochspannung des Beschäftigungsgrades der großen Rüstungsfirmen wirkenden, in diesem Sinne regulierenden Rüstungsbedürfnisse des Auslandes haben die entschiedene Tendenz, im Auslande selbst befriedigt zu werden, so dass für die inländischen Werke mehr und mehr nur der inländische Bedarf in Frage kommt, womit sich für diese privaten Firmen von selbst eine ganz ähnliche Situation in nicht allzu ferner Zeit ergeben wird wie für eine staatliche Rüstungsindustrie. Die Tendenz zur Rüstungssteigerung wirkt zwar gegenwärtig noch rapide, aber schwerlich wird sie auf die Dauer in den ausländischen Staaten so gewaltig wirken, dass trotz der Entwicklung selbständiger Rüstungsindustrien in diesen Ländern die Abhängigkeit vom Auslande, das heißt [von] den großen Kriegsindustriestaaten, die Notwendigkeit jedenfalls, einen gleichbleibenden oder gar noch zunehmenden Teil der Massen des Bedarfs zu decken, bestehen bleiben wird.

Die Verstaatlichung der Rüstungsindustrie wird in allen großen Kriegsindustriestaaten mit immer größerem Nachdruck gefordert. Kein Zweifel, dass die Verstaatlichungsbestrebungen in diesen Ländern trotz aller Gegensätze einander unterstützen. Die Sozialdemokratie jedenfalls erhebt die gleiche Forderung in allen diesen Staaten. Die Zweckmäßigkeit und Durchführbarkeit der Forderung muss von der Voraussetzung ausgehend geprüft werden – das gilt ja von allen Forderungen der Sozialdemokratie –, dass die Verwirklichung international erfolgen wird. Gelingt dies, so sind damit alle großen Militärstaaten unter die gleichen Bedingungen für die Produktion des Kriegsgerätes gestellt. Den Wünschen nach allzu plötzlicher, stoßweiser Expansion der Rüstungen stehen überall die gleichen Hindernisse im Wege. Eine Tendenz zur Vergleichmäßigung der Entfaltung der Rüstungen statt ihres explosionsartigen Charakters, zur Anpassung der jeweils an die Rüstungsindustrie gestellten Ansprüche an die wirtschaftlich-kaufmännische Lage der vorhandenen Produktionsanlagen wird dann international stattfinden.

Wir Sozialdemokraten dürfen aber am allerwenigsten eine Forderung wie die der Verstaatlichung der Rüstungsindustrie für sich, isoliert, aus dem Zusammenhang gerissen betrachten. Wir betrachten die Verstaatlichung als eine der zahlreichen Maßnahmen, die der Bekämpfung des heutigen Militarismus dienen soll und die zugleich in der Richtung der von der Sozialdemokratie angestrebten wirtschaftlichen Umgestaltung liegt. Die Maßnahme ist aber durchaus schon im Gegenwartsstaat durchführbar und liegt im Interesse auch einer vernünftigen Gegenwartspolitik derjenigen Schichten des Bürgertums, die nicht unmittelbar an den Rüstungen und den Kriegshetzereien interessiert sind. Das wichtigste und aktuellste Argument ist die Tatsache, dass nur durch die Verstaatlichung der Rüstungsindustrie jene gemeingefährliche kapitalistische Clique der Rüstungsinteressenten ausgerottet werden kann.

Zur Krupp-Vertuschung

Keine Nervosität! Kein Zittern in den Knien!" so warnte Herr Schiffer die Reichstagsmehrheit eindringlich für die Zukunft. Diese Warnung vor der Zukunft enthielt einen Vorwurf und auch einige Gewissensbisse für die Vergangenheit und ein Eingeständnis, dass man es damals mit der „Nervosität" und dem „Zittern in den Knien" bekommen hatte. Bekommen hatte, obwohl man hinter den Kulissen genau Bescheid wusste und weiß und obwohl sicherlich keine Nervosität die Knie zittern machte, die nicht durch die selbigen bekannten nervösen Zustände hinter den Kulissen, also durch die Wahrheit und Wirklichkeit veranlasst worden waren. Man denkt ja auch zur Verhinderung künftiger „Nervosität" nicht, die Ursache der früheren „Nervosität" zu beseitigen, im Gegenteil, die Rüstungskorruption würde fast zu einem Nationalheiligtum erklärt und, es fehlte nicht viel, die Brandt und Eccius als Retter des Vaterlandes. Herr Schiffer will vielmehr eine Abhärtungskur gegen allzu große Empfindlichkeit gegenüber von kapitalistischen Korruptionserscheinungen, eine Rhinozeroshaut der Unempfindlichkeit, der Abgebrühtheit: Lasst abgebrühte Menschen um mich sein, mit festen Knien und die Schmutz nicht riechen. Zehn Meilen gegen den Wind roch es nach Bestechung. Kriegspest in der Welt. In der Tat, die Gerüche waren in der Zeit vom 18. April bis zum 12. Dezember 1913 nicht geringer geworden. Der Unterschied war nur der, dass die Nasen minder empfindlich, abgestumpft geworden waren. Köstlich ist die Begeisterung, mit der die Schiffersche Rede alsbald in der großkapitalistischen Presse aufgenommen wurde. „Das ist ein Mann, nehmt alles nur in allem, wir werden nimmer seinesgleichen sehen", so jubelte das Krupp-Echo allenthalben, und das Wolffsche Büro, das Krupp-Offiziösentum verlor alle Kontenance und kugelte sich vor Begeisterung. Gleich in zwei Stilübungen, in der Wochenübersicht, dem berühmten, unsterblichen Bandwurm, und einem besonderen Entrefilet, kam das Kanzlerblatt in der Nummer vom 13. März auf die Reichstagssitzung vom 12. März zurück und brachte dem Abgeordneten Schiffer die wärmsten Ovationen dar. Das war etwas übernommen, etwas zu viel auf einmal, eine solche anteilsame Freude konnte nur immer mehr kompromittieren.

Dass auch das offiziöse Wolff-Büro gerade die Schiffer-Rede in alle Welt als Glanzleistung hinausposaunte, kann nicht wundernehmen. Die Gesellschaft meint halt wieder Oberwasser zu haben und trumpft auf.

Wir aber können es nur zufrieden sein, wenn sich die gesamte bürgerliche Welt nach ihrem kurzen Überschwange einer gewissen elementaren Reinlichkeit sich jetzt wieder zu jener Perversion der politischen Reinlichkeitsbegriffe zurückgefunden hat, die in den Reden der Schiffer und Genossen klassischen Ausdruck gefunden hat.

Und für uns kann es nur von Wert sein, zu beobachten, festzustellen, welche Rolle in unserer Welt die Jagd nach dem Golde der Dame Krupp spielt. Wie ein Magnetberg reißt es alles an sich; welche Verwirrungen richtet das gleißende Krupp-Gold an! Von den Feuerwerkern angefangen bis zu Herrn Löwenstein, dem Brandt-Verteidiger, der diesen Meister und Organisator des inneren deutschen Kruppschen Bestechungsdienstes unter die Sterne versetzen wollte gleich einem stoischen Asketen der griechischen Staatskunst, gleich einem Aristides. Und bis zu Herrn Schiffer, der jene köstliche Kaltwassertherapie zur Abhärtung der moralischen Empfindung des Reichstages entdeckt hat, eine Entdeckung, die fast diejenige des Herrn Löwenstein übertrifft.

Da kommt weiter selbst ein Landgerichtsdirektor von Campe, nationalliberaler Abgeordneter seines Zeichens, und besitzt die Ahnungslosigkeit oder die Kühnheit, in der „National-Zeitung" vom 15. Dezember zu behaupten: Das Gute des Prozesses war die Feststellung, dass auf all diesen Gebieten nennenswerte Schäden nicht vorliegen; und der dann als hoher preußischer Richter fast in dieselbe Kerbe mit Herrn Witting schlägt und sich besonders den Kopf zerbricht, wie künftig dergleichen Bloßstellungen kapitalistischer Ausschreitungen vorgebeugt werden kann.

Man ist versucht, mit Keulen in dies Gesindel hineinzuschlagen; im Grunde indessen können wir es wohl zufrieden sein, wenn die bürgerliche Presse die Korruptionserscheinungen in ihrem Staat, in ihrer Gesellschaft nicht nur zu verdecken, sondern auch noch zu fördern sucht, wie dies in den letzten Monaten geschehen ist. Im Grunde können wir nur zufrieden sein, wenn die führenden kapitalistischen Kreise ihr eigenes Gewissen, soweit sie noch eins haben, durch ihr lautes „Kein Panama!"-Geschrei17 zu übertönen suchen. Im Grunde können wir auch Herrn Schiffer nur gratulieren. Uns fallen so wieder aufs bequemste so viel Früchte mühelos in den Schoß, dass wir fast in eine Verlegenheit des Überflusses kommen. Einer der Krupp-Direktoren hatte den schönen Plan, den Verfasser wegen seiner Angriffe gegen Krupp mit der Pistole im Duell niederzuknallen. Er gedachte die gegen ihn und die übrigen Mitglieder jenes Klubs der Harmlosen in Essen erhobenen, unzweifelhaft und erwiesenermaßen wahren Bezichtigungen durch Pulver und Blei zu widerlegen. Das wäre zwar eine Eisenbartkur gewesen, durch ihre urwüchsige Drastik nicht ohne Reiz, und hätte den Kruppiers sicher gut gepasst. Danach können sie von Glück sagen, dass es zu diesem Gottesgericht nicht gekommen ist, denn dank der Hilfe der großkapitalistischen Parteien und der Presse und dem Parlament und dank der Hilfe der Justiz können sie jetzt in dulci jubilo leben, als sei gar nichts geschehen. Ist das nicht wundervoll?

1 Handschriftliche Bemerkung Karl Liebknechts am linken oberen Rand: Jedenfalls – nur! Seite 3 ff. hier (Kaisergeburtstagsrede). Die Red.

2 Im Reichstag. Die Red.

3 Siehe Karl Liebknecht: Gesammelte Reden …, Bd. VI, S. 261/262, 290. Die Red.

4 Die Unterschriften fehlen in der Quelle. Die Red.

5 Auf Grund der Enthüllungen Karl Liebknechts am 18., 19. und 26. April 1913 im Reichstag (siehe Karl Liebknecht: Gesammelte Reden …, Bd. VI, S. 258-296) fand vom 31. Juli bis 5. August 1913 vor dem Berliner Kriegsgericht der erste Krupp-Prozess statt. Angeklagt waren sieben Militärbeamte, darunter als Hauptverantwortlicher der Zeugleutnant Tilian, wegen Verrats militärischer Geheimnisse und Bestechung. Das Gericht verurteilte unter Ausschluss der Öffentlichkeit vier Angeklagte zu geringfügigen Freiheitsstrafen.

6 Vor der 11. Strafkammer des Landgerichts I Berlin-Moabit fand vom 23. Oktober bis 8. November 1913 der zweite Krupp-Prozess gegen den Berliner Krupp-Agenten M. Brandt und den Krupp-Direktor O. Eccius, Leiter der Abteilung Ausländische Lieferungen, statt. Karl Liebknechts Versuch, dem Gericht weiteres Belastungsmaterial vorzutragen, wurde abgewiesen. Brandt wurde zu vier Monaten Gefängnis verurteilt, die durch die Untersuchungshaft als verbüßt galten. Eccius erhielt lediglich eine Geldstrafe von 1200,- Mark. (Siehe Karl Liebknecht: Gesammelte Reden …, Bd. VI, S. 402-406.)

7 Der Bund wurde 1911 durch den preußischen Generalfeldmarschall Colmar Freiherrn von der Goltz als chauvinistisch-militaristische Dachorganisation gegründet, in der die Mehrheit der bürgerlichen Jugendvereine unter dem Deckmantel der „Jugendpflege" zusammengefasst war. Er sollte in erster Linie ein Gegengewicht gegen alle sozialdemokratischen und antimilitaristischen Einflüsse auf die Jugend sein und der chauvinistischen Verhetzung und militaristischen Erziehung dienen.

8 Karl Liebknecht bezeichnet damit das System und die Methoden der im Auftrag der Firma Krupp durchgeführten Spionage. Unter dem Decknamen „Kornwalzer" wurden die Spionageberichte nach Essen gesandt.

9 Siehe Karl Liebknecht: Gesammelte Reden …, Bd. VI, S. 258-296. Die Red.

10 Im Original: gegenwärtigem. Die Red.

11 Im Original: Bestechungen. Die Red.

12 Handschriftliche Bemerkung Karl Liebknechts an der Überschrift: auch durch Kriegshetze! Die Red.

13 Im Original: denen. Die Red.

14 Handschriftliche Bemerkung Karl Liebknechts am linken Rand: Wettlauf. Die Red.

15 Handschriftliche Bemerkung Karl Liebknechts über dieser Zeile nach zwei unleserlichen Wörtern: Einfluss auf Ehrhardt, Skoda, Putilow. Die Red.

16 Handschriftliche Einfügung Karl Liebknechts: um 4.375.000 (14. 5. 13) erhöht. Die Red.

17 Synonym für große Betrugsaffären, abgeleitet aus den beiden großen Betrugs- und Bestechungsprozessen 1893/1894 in Frankreich im Zusammenhang mit dem Bau des Panamakanals (Panamaskandal).

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