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Karl Liebknecht 19140319 Die preußische Reaktion missachtet den Volkswillen

Karl Liebknecht: Die preußische Reaktion missachtet den Volkswillen

Reden im preußischen Abgeordnetenhaus zu Petitionen

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 22. Legislaturperiode, II. Session 1914/15, 3. Bd., Berlin 1914, Sp. 3659-3661 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 7, S. 186-189]

I

Meine Herren, diese Petitionen1 befassen sich mit der Frage des Koalitionsrechts. Sie gehen von dem Gesichtspunkt aus, dass die Arbeiter bisher ein genügendes Koalitionsrecht in Deutschland nicht besitzen. Ganz im Gegensatz zu der besonders in diesem Hause stark vertretenen Auffassung, dass das Koalitionsrecht der Arbeiter einer weiteren Einschränkung bedürfe, fordern sie, dass ein wirklich uneingeschränktes Koalitionsrecht hergestellt werde. Was zur Begründung dieser Petitionen dient, will ich jetzt nicht ausführlich erörtern. Wir haben Ihnen bereits bei anderen Gelegenheiten unser erdrückendes Material wenigstens in Stichproben unterbreitet und unsere Ansicht dargelegt. Allerdings ist es richtig, dass das Koalitionsrecht – mit dem Galgen daneben – reichsgesetzlich ist –

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident Dr. Graf von Schwerin-Löwitz: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, diese Petitionen sind für nicht geeignet zur Erörterung im Plenum erachtet worden. Sie können dazu nur beantragen, sie in eine Kommission zu verweisen, aber ohne Weiteres. Der Antrag muss von 15 Mitgliedern unterstützt werden.

Liebknecht: Ich muss doch den Antrag auf Zurückverweisung begründen können. – Selbstverständlich gehört das Koalitionsrecht zu den Materien, die reichsgesetzlich zu regeln sind, und insofern ist das Abgeordnetenhaus nicht die zuständige Instanz zur Entgegennahme derartiger Petitionen. Aber wenn man die Petitionen in dem Sinne versteht, dass vom Abgeordnetenhause und von den preußischen Instanzen aus eine entsprechende Einwirkung auf die Reichsgesetzgebung geübt oder wenigstens kein Widerstand geleistet – –

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, das ist nach unserer Geschäftsordnung nicht zulässig; der Antrag, die Petitionen in die Kommission zurückzuverweisen, muss mindestens von 15 Mitgliedern gestellt werden. Lediglich das können Sie beantragen. Aber eine Besprechung der Petitionen kann hier nicht stattfinden.

Liebknecht: Meine Herren, aus den vorgetragenen Gründen beantrage ich die Zurückverweisung der Petitionen in die Kommission.

II

Zur Geschäftsordnung

Meine Herren, ob das Beschlüsse von Volksversammlungen sind oder nicht, dürfte doch wohl hierbei nicht entscheidend sein. Wollen Sie etwa sagen: Weil es sich um Beschlüsse von Volksversammlungen handelt, deshalb braucht diese Volksvertretung, die Sie doch zu sein vorgeben, nichts darauf zu geben. Ich meine, es müsste doch ein Grund sein, Sie zu veranlassen, derartigen Anträgen eine besonders ernste Beachtung zu schenken, wenn sie von Volksversammlungen ausgehen. Ist denn der Name Volk in diesem Hause schon so zu Spott und Hohn geworden, dass die Berufung auf ihn genügt, um Geringschätzung hervorzurufen?

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, das gehört nicht zur Geschäftsordnung. Paragraph 29 unserer Geschäftsordnung lautet im dritten Absatz:

Zur weiteren Erörterung im Hause gelangen diejenigen Petitionen, bei welchen auf solche Erörterung entweder von der Kommission oder von 15 Mitgliedern des Hauses angetragen wird. Im letzteren Falle gehen die Petitionen an die betreffende Kommission zur Berichterstattung zurück."

Ein solcher Antrag von 15 Mitgliedern liegt nicht vor; also kann über die Petitionen nicht verhandelt werden.

(„Sehr richtig!" rechts.)

Sollte ein solcher Antrag von 15 Mitgliedern gestellt werden, so würde über die Petitionen heute auch nicht verhandelt werden können, sondern die Petitionen würden einfach an die Kommission zurückgehen.

Dr. Schroeder (Kassel), Abgeordneter (nationalliberal): Zur Geschäftsordnung möchte ich gegenüber den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Dr. Liebknecht nur bemerken, dass der springende Punkt bei der ganzen Frage nicht der ist, dass Volksversammlungen die Beschlüsse gefasst haben, sondern dass die Beschlüsse lediglich zur Kenntnisnahme überwiesen worden sind.

Liebknecht: Es ist bekannt, dass bei Vorlagen, die dem Hause zur Kenntnisnahme mitgeteilt werden, sehr häufig ausführliche Diskussionen stattfinden. Das vom Herrn Vorredner verlangte Vorgehen wird jedenfalls nicht durch die Tatsache gerechtfertigt, dass es sich hier um bloß zur Kenntnisnahme mitgeteilte Beschlüsse handelt. Meine Bemerkungen über die Nichtachtung des Begriffs Volk durch dieses Haus habe ich angeknüpft an die Bemerkung, die Herr Schroeder vorhin gemacht hat –

Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter, das gehört nicht zur Geschäftsordnung.

Liebknecht: Im Übrigen stelle ich den Antrag, diese Petitionen an die Kommission zurückzuverweisen.

(Heiterkeit rechts.)

Ich bitte zu fragen, ob dem Antrage die erforderliche Unterstützung zuteil wird. Ich weiß, dass in früheren Jahren nicht gefordert wurde, dass ein Antrag schriftlich vorlag, der bereits von 15 Mitgliedern unterzeichnet war, sondern dass es genügte, wenn der Antrag gestellt wurde und demnächst sich 15 Mitglieder bereit fanden, diesen Antrag zu unterstützen. Ich bitte also, in dieser Weise zu prozedieren.

Präsident: Also ich frage, ob der Antrag von 15 Mitgliedern unterstützt wird. – Das ist nicht der Fall. Der Gegenstand ist damit erledigt.

1 Karl Liebknecht sprach zu den Petitionen 518, 1-3, Krüger und Genossen in Landsberg (Warthe); 522 Ziemann und Genossen in Rathenow und 527 Paulick und Genossen in Rathenow, Krahl in Sommerfeld, Fielitz und Genossen in Velten (Mark), in denen die gesetzliche Gewährleistung des uneingeschränkten Koalitionsrechts der Arbeiter gefordert wurde.

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