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Karl Liebknecht 19140609 Gegen die Portemonnaie-Interessen der Agrarier

Karl Liebknecht: Gegen die Portemonnaie-Interessen der Agrarier

Rede im preußischen Abgeordnetenhaus zum Entwurf eines Ausführungsgesetzes zum Paragraphen 1 des Reichsgesetzes über Änderungen im Finanzwesen vom 3. Juli 1913 (Zuwachssteuer )

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 22. Legislaturperiode, II. Session 1914/15, 6. Bd., Berlin 1914, Sp. 7861-7863 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 7, S. 409-414]

Meine Herren, wenn man die heutige Debatte angehört hat, dann fragt man sich unwillkürlich: Was würde aus dem preußischen Steuersystem werden, das einst unter Beihilfe auch der rechten Parteien dieses Hauses geschaffen wurde, wenn es heute geschaffen werden sollte? Die Haltung der großen Parteien dieses Hauses ergibt, dass alles, was in dem preußischen Steuerwesen gegenwärtig etwa an sozialen Gedanken verwirklicht ist, heute keine Aussicht auf Annahme mehr haben würde. So hat sich Preußen „fortentwickelt".

Meine Herren, Herr Abgeordneter Waldstein hat sich lebhaft über Widersprüche beklagt, die in den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Dr. Bredt enthalten gewesen seien. Aber ein größerer Widerspruch als in den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Waldstein ist wirklich nicht denkbar. Herr Abgeordneter Waldstein beginnt mit einer scheinbar lebhaften Verteidigung der Wertzuwachssteuer und seiner Polemik gegen Herrn Dr. Bredt und Herrn von Hennigs-Techlin und endet mit einer bitteren Klage über die schwere Belastung des Grundbesitzes.

(Zuruf: „Umsatzsteuer!")

Das ist ganz etwas anderes. – Das läuft natürlich im Schlussresultat darauf hinaus, Wasser auf die Mühle der Feinde der Wertzuwachssteuer zu gießen.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten. – Widerspruch bei der Fortschrittlichen Volkspartei.)

Ich glaube, dass dem Herrn Abgeordneten Waldstein eine etwas allzu starke Unterstreichung dieses letzten Gedankens zugestoßen ist – vielleicht unbeabsichtigt – und dass dadurch dieser Widerspruch, der aber wohl in seiner Denkweise tief verankert liegt, wie überhaupt in der politischen Haltung seiner Partei, auch in den Kommunen zu dieser Frage – dass dadurch dieser Widerspruch so deutlich zutage getreten ist, zur offenbaren Freude der Herren Dr. Bredt und von Hennigs-Techlin. Es ist ein Treppenwitz der Weltgeschichte, dass ausgerechnet Herr Dr. Bredt, ein Mitglied derselben Partei, der Herr von Dewitz angehört, heute so heftig gegen den Gedanken der Wertzuwachssteuer Sturm läuft; denn er ist gegen den Grundgedanken der Wertzuwachssteuer Sturm gelaufen trotz der Bemäntelungen, die er seinen Ausführungen gegeben hat. Herr von Dewitz ist ja der Vater des beinahe ebenso „sozialistischen" Gedankens der Vermögenszuwachssteuer, der jetzt im Reiche in einer sehr verkrüppelten Form verwirklicht ist.

Nicht minder ist es ein Treppenwitz der Weltgeschichte, dass sich ein Vertreter der Deutschkonservativen Partei leidenschaftlich gegen den Gedanken des Wertzuwachssteuergesetzes wendet und damit, ohne es auszusprechen, was Herr Dr. Bredt aussprechen konnte, polemisiert gegen den eigenen sonst so hoch verehrten Parteigenossen Herrn Professor Adolph Wagner, der ja doch ein Deutschkonservativer ist vom Scheitel bis zur Sohle. Und, meine Herren, was würde der verstorbene Stoecker sagen? Der würde sich ja im Grabe umdrehen, wenn er die Ausführungen hörte, die heute Herr von Hennigs-Techlin über die Wertzuwachssteuerfrage gemacht hat, ein Beweis, wie die sozialen Gedanken, die eine Zeitlang aus Opposition gegen das mobile Kapital in der Deutsch-konservativen Partei lebendig waren, elend im Absterben begriffen sind, ja überhaupt schon restlos untergegangen sind.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Dann, meine Herren, ist es sehr interessant, zu sehen, wie sich der Herr Abgeordnete Dr. Bredt unter Aufwendung einer geschickten Dialektik gegen den Gedanken des Gesetzes gewandt hat, indem er sich den Anschein gab, als ob er sich bloß gegen gewisse Übertreibungen des Gedankens wende. Er führte aus: Es ist ein sozialistischer Gedanke, der den Zweck verfolgt, die Grundrente zu sozialisieren, zu konfiszieren. Die Bodenreformer haben sich damals goldene Berge versprochen, gewaltige Reichtümer für das Reich, für die soziale Wohlfahrt usw.; und was ist übriggeblieben? Ein Trümmerhaufen! – Dabei hat der Herr Abgeordnete Dr. Bredt selbst dargelegt, dass das Reichswertzuwachssteuergesetz und überhaupt die gesetzgeberischen Grundlagen und die praktischen Versuche, die wir bisher auf diesem Gebiet haben, absolut gar nicht dem entsprechen, was die Bodenreformer angestrebt haben! Das sind ja doch ganz schwächliche Ansätze, mit denen gar nicht mehr erzielt werden konnte als tatsächlich erzielt worden ist. Wie kann der Herr Abgeordnete Dr. Bredt, indem er einmal feststellt, dass die Wünsche der Bodenreformer bisher nicht erfüllt seien – 90 Prozent des Wertzuwachses usw. wollten sie verstaatlicht haben –, andererseits feststellen, dass der Ertrag doch ein ganz erheblich geringerer sei, als sich die Herren vorgestellt hatten!

Also, meine Herren, entweder – oder. Wenn ein ehrlicher Versuch mit einem Wertzuwachssteuergesetz im Sinne der Bodenreformer gemacht würde, dann könnte man gewisse Erfahrungen gewinnen, ob der Gedanke der Bodenreformer richtig ist oder nicht. Vorläufig ist ein solcher Versuch nicht unternommen, und infolgedessen fällt all Ihre Deduktion einfach zu Boden. Sie wollten zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, Herr Dr. Bredt, und haben keine geschlagen; das ist das Resultat Ihrer ganzen Deduktion. Meine Herren, die Wertzuwachssteuer hat nach dem, was ich gezeigt habe und was die Diskussion ergeben hat, weder einen Freund in der Deutschkonservativen Partei noch in der Freikonservativen Partei, noch im Zentrum, noch auch im Freisinn, sie hat aber nicht einmal ehrliche Freunde – ehrlich will ich nicht sagen: überzeugte, begeisterte Freunde – bei der Regierung. Denn der Gesetzentwurf1, den wir hier vor uns haben, ist nicht etwa dazu bestimmt, den Gedanken der Wertzuwachssteuer zu fördern, sondern im Gegenteil – das hat ja der Herr Ministerialdirektor vorhin in dankenswerter Weise gestanden –, er hat den Zweck, „Unfug", wie man sich wohl drastisch ausdrücken mag, der Gemeinden mit dieser Steuer zu verhindern, das heißt also, den Gedanken nicht zu fördern, sondern zu restringieren, zu hemmen. Die Regierung hat diesen Gesetzentwurf gemacht, um die „Gefahr" der Erhebung der Wertzuwachssteuer zu verringern. Das ergibt deutlich der Paragraph 1.

Der Paragraph 1 ist auch in einer anderen Richtung sehr bemerkenswert. Er hat einen agrarischen Pferdefuß, der sich sehen lassen kann. In der Ziffer 1 ist den kreisangehörigen Gemeinden – damit sind die Stadtgemeinden gemeint – das Recht gegeben, Wertzuwachssteuer zu erheben, aber den Landgemeinden ist das Recht entzogen, sobald der Kreis will; sie sind dem Kreis auf Gnade und Ungnade ausgeliefert. Wer aber ist der Kreis, der Landkreis? Das sind die Landräte, die Herren von der Rechten! Die sollen damit einen Strick in die Hand bekommen, den sie den Landgemeinden um den Hals legen, so dass sie jederzeit die Wertzuwachssteuerwünsche etwaiger unbotmäßiger Gemeinden strangulieren können. Es ist überaus interessant, mit welcher Geschicklichkeit nicht nur die Herren hier im Hause es verstehen, ihre Portemonnaiewünsche in gesetzgeberische Form zu kleiden, sondern wie auch die Regierung gelehrig von vornherein die Wünsche der Herren bereits vorausahnt und ihnen auf halbem Wege entgegenkommt; die andere Hälfte des Weges wird ja wohl in der Kommission zurückgelegt werden. Die Kommission wird nach dem Plane der Herren von der Rechten nicht dem Zwecke dienen, das Gesetz zum Scheitern zu bringen. – Ich glaube, da hat der Herr-Ministerialdirektor eine Besorgnis an die Wand gemalt, die er im Innersten nicht ernstlich hegt; denn der jetzige Zustand ist den Herren von der Rechten viel unangenehmer und unheimlicher als der Zustand, den das Gesetz herbeiführen soll. Also dieses Gesetz werden auch die Herren von der Rechten schlucken, das unterliegt keinem Zweifel, sie wollen es nur noch verschlechtern; das ist die Sache; und darum heute diese gewaltige Attacke gegen das Gesetz, als ob es ihnen etwas zuleide täte, während es tatsächlich für sie gemacht ist; und darum malt der Abgeordnete Dr. Bredt hier das rote Gespenst an die Wand: Das alt erprobte Mittel mit alt erprobter Wirkung. Besonders in diesem Hause gibt es nichts Bequemeres, als ein bisschen den roten Lappen zu schwenken mit der psychologisch notwendigen Wirkung, die das in diesem Hause ausübt. Der Entwurf will den bisherigen Rechtszustand verschlechtern; das Ergebnis der Arbeit dieses Hauses wird eine weitere Verschlechterung des Gesetzes sein.

Meine Herren, wenn irgend etwas ernst gemeint war in Ihren heutigen Klagen, so Ihre Angst vor der Sozialisierung, vor der Verstaatlichung. Die Angst vor dem Gedanken der Sozialisierung ist wirklich so ehrlich wie nur möglich. Der Verstaatlichungsgedanke hat es Ihnen angetan. Ich möchte da auf ein anderes Beispiel verweisen. Als der Gedanke auftauchte, auch bei bürgerlichen Parteien, vielleicht einen Teil unserer Rüstungsindustrie zu verstaatlichen: Welche Angst wurde da allenthalben rege, und wie wurde da in der Presse des Industriekapitals Lärm geschlagen! Selbst Herr Krupp von Bohlen und Halbach hielt, wie Sie wissen, bei der letzten Kaisergeburtstagsfeier eine Rede, in der er die privatkapitalistische Souveränität des Hauses Krupp stabilisierte wie einen rocher de bronze. Das brauchen Sie freilich der Welt gar nicht erst zu sagen; dass Sie Feinde des Verstaatlichungsgedankens sind, das hat man längst gewusst. Wir haben außerdem längst gewusst, dass Sie rücksichtslose Vertreter der agrarischen Interessen sind und alles tun werden, um das Gesetz diesen Interessen entsprechend zu gestalten.

Wir können Ihnen nur versichern, dass alle Versuche, durch mehr oder weniger geschickte Ablenkungsmanöver die wirklichen Gründe Ihrer Haltung zu verdecken, fehlschlagen werden. Man wird draußen gar wohl verstehen, dass Ihre Haltung bestimmt ist von Feindseligkeit gegen den Gedanken der Sozialisierung, von Feindseligkeit gegen die Selbständigkeit der Kommunen und von einer unbegrenzten Begeisterung für die Portemonnaieinteressen der Agrarier.

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

1 Siehe Drucksache Nr. 339: Entwurf eines Ausführungsgesetzes zum § 1 des Reichsgesetzes über Änderungen im Finanzwesen vom 3. Juli 1913 (Reichs-Gesetzbl. S. 521). In: Sammlung der Drucksachen des Preußischen Hauses der Abgeordneten (Anlagen zu den Stenographischen Berichten). 22. Legislaturperiode, II. Session 1914/15, 4. Bd., Berlin 1914, S. 2805-2809. Die Red.

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