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Karl Liebknecht 19141023 Über die Kriegssitzung des preußischen Landtages

Karl Liebknecht: Über die Kriegssitzung des preußischen Landtages

[I: Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung Nr. 543 vom 25. Oktober 1914. II: Vorwärts Nr. 293 vom 26. Oktober 1914. III: Die Gleichheit, Nr. 4 vom 13. November 1914. Nach Gesammelte Reden und Schriften, Band 8, S. 156-159]

I

An die

Redaktion des „Berliner Tageblatts"

Berlin

Berlin, den 24. Oktober 1914

Sehr geehrte Herren!

In Ihrem Bericht über die Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 22. dieses Monats wird gesagt, bei der Mitteilung der kaiserlichen Botschaft1 an das Abgeordnetenhaus durch Dr. Delbrück habe sich das ganze Haus (also auch die sozialdemokratische Fraktion) erhoben. Das trifft nicht zu. Sämtliche Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion, die an ihren Plätzen waren, sind hierbei sitzen geblieben.

In Bezug auf die Schlussansprache des Präsidenten heißt es in Ihrem Bericht, dass das ganze Haus Beifall gespendet und in das Hoch eingestimmt habe. Auch das trifft nicht zu. Fünf Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion, also die Hälfte, haben vielmehr bei dieser Ansprache den Saal verlassen.

Ich bitte Sie, dies gemäß § 11 des Pressgesetzes berichtigen zu wollen.

Hochachtungsvoll

Dr. Liebknecht

II

An die

Redaktion des „Vorwärts"

Berlin

Ich muss Sie dringend bitten, Ihren Bericht über die Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 22. Oktober in folgenden Punkten zu berichtigen und zu ergänzen:

a) Bei der Mitteilung der Grüße des Kaisers an das Abgeordnetenhaus durch Dr. Delbrück erhob sich das ganze Haus, mit Ausnahme der Sozialdemokraten. Die Sozialdemokraten, die an ihren Plätzen waren, blieben hierbei sitzen. Das ist im Bericht nicht erwähnt.

b) Bei den Schlussworten Dr. Delbrücks über den Krieg ertönte der Beifall nur bei der Rechten, dem Zentrum und den liberalen Parteien. Bei den Sozialdemokraten aber nicht.

c) Bei der Schlussrede des Präsidenten ist im „Vorwärts" verschwiegen, dass die Hälfte unsrer Fraktion bei dieser Rede bereits den Saal verlassen hatte und auch die übrigen schwerlich in den Beifall eingestimmt haben dürften.

d) In Bezug auf das Hoch auf den obersten Kriegsherrn heißt es im Bericht: „Das Haus stimmt in den Hurraruf ein." Auch hier ist verschwiegen, dass die Hälfte der Fraktion vor diesem Hoch den Saal verlassen hatte und auch die Zurückgebliebenen, wenn sie sich an das vorher Beschlossene gehalten haben, nur aufgestanden sind, ohne sich an dem Hoch zu beteiligen.2

III

Die Kriegssitzung des preußischen Abgeordnetenhauses3 (November 1914)

Der preußische Landtag war für den 22. Oktober einberufen worden, um die Vorlage zu dem 1½-Milliarden-Kredit zu erledigen, durch den die schlimme Kriegsnot gemildert werden sollte. Seit Wochen waren Kräfte am Werke, um diese Sitzung in eine Neuauflage der Reichstagssitzung vom 4. August zu verwandeln. Das Abgeordnetenhaus wurde auf 2 Uhr einberufen, das Herrenhaus auf 3 Uhr und die gemeinsame Schlusssitzung beider Häuser auf 4 Uhr anberaumt. Dem Abgeordnetenhaus wären dabei knapp ¾ Stunden zur Beratung der wichtigen Vorlage geblieben. Die Sitzung war die erste, seitdem das preußische Volk unter der Kriegsnot seufzt, und es handelt sich nicht nur darum, das Elend der letzten Monate zu lindern, sondern auch für die nahen schrecklichen Wintermonate gründlich vorzusorgen. Millionen von trauernden, hungernden, frierenden, kranken und obdachlosen Menschen erhofften von der Notstandssitzung gründliche Arbeit.

In Vorbesprechungen suchte die Regierung im Verein mit den bürgerlichen Parteien durchzusetzen, dass die Vorlage ohne Debatte en bloc angenommen werde. Die sozialdemokratische Fraktion konnte selbstverständlich nicht darauf eingehen, zumal weil die Vorlage an allen Ecken und Enden Mängel aufwies. Leider verzichtete sie auf den Versuch, in der Sitzung selbst vor der breiten Öffentlichkeit mit allen geschäftsordnungsmäßigen Mitteln – die keineswegs Lärmszenen heraufzubeschwören brauchten – eine sorgsame Durchberatung der Vorlage herbeizuführen. Immerhin gab die Fraktion eine Erklärung ab, die das Mindestmaß dessen enthielt, was gesagt und gefordert werden musste. Diese „Eingängerei" der Sozialdemokraten dämpfte von vornherein etwas die forsche Hurrastimmung der bürgerlichen Parteien und schuf der Sitzung eine gedrückte Atmosphäre. Die bürgerlichen Abgeordneten, die Herren am Regierungstisch fühlten es: Der Konflikt war da, der Gegensatz zwischen „hüben und drüben" würde in Erscheinung treten und erkennen lassen, dass das Dreiklassenhaus sich nicht über Nacht aus einem Schauplatz leidenschaftlicher parlamentarischer Kämpfe in eine Theaterkulisse für einen Rütlischwur verwandelt hatte.

Die Scheidung der Geister zeigte sich, als Delbrück in seiner nüchternen Rede das Begrüßungsschreiben des Kaisers mitteilte. Während sich das ganze Haus erhob, blieben die Sozialdemokraten sitzen, die auf ihren Plätzen waren. Am Schlusse von Delbrücks Rede lösten zwar einige energische Worte zum Krieg starken Beifall aus, jedoch nur bei etwa zwei Drittel der Abgeordneten. Die sozialdemokratische Fraktion verhielt sich natürlich passiv.

Die Scheidung der Geister wiederholte sich, als die sozialdemokratische Erklärung verlesen wurde. Alles in allem fand sie nur den Beifall der Sozialdemokraten. Nur bei der Forderung auf Aufhebung der Ausnahmegesetze gab es von den Bänken der Polen vereinzelten Applaus. Die Forderung des demokratischen Wahlrechts unterstrichen dagegen die konservativen Parteien mit einem deutlichen Gemurmel des Unwillens.

Bei der Schlussrede des Präsidenten verließen fünf sozialdemokratische Abgeordnete – die Genossen Hofer, Adolph Hoffmann, Paul Hoffmann, Liebknecht und Ströbel – den Saal, die übrigen fünf verblieben dort und erhoben sich beim Hoch auf die Armee und den obersten Kriegsherrn.

1 Sie betraf die Vertagung des Abgeordnetenhauses bis zum 9. Februar 1915.

2 Eine gleichlautende Erklärung sandte Karl Liebknecht auch an die „Deutsche Tageszeitung"; sie erschien in Nr. 544 vom 26. Oktober 1914.

3 Originalüberschrift.

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