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Karl Liebknecht 19140429 Wer budgetwidrig manipuliert, soll zahlen

Karl Liebknecht: Wer budgetwidrig manipuliert, soll zahlen

Rede im preußischen Abgeordnetenhaus zum Gesetzentwurf, betreffend die Feststellung eines Nachtrags zum Staatshaushaltsetat für das Etatsjahr 1913, 29. April 1914

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 22. Legislaturperiode, II. Session 1914/15, 5. Bd., Berlin 1914, Sp. 5717-5720 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 7, S. 190-194]

Meine Herren, ich muss zunächst dem Herrn Finanzminister meine Bewunderung zu Füßen legen über das Zauberkunststück, das er hier fertiggebracht hat. Man weiß ja, wie elastisch die Etats aufgestellt zu werden pflegen und wie, je nach den Bedürfnissen, die der Staatsregierung gegenübertreten, mit Geschwindigkeit bald weniger, bald mehr aus denselben sachlichen Voraussetzungen heraus geschöpft wird. Wir hatten unseren Etatsvoranschlag. Plötzlich sehen wir, dass drei Millionen mehr, als bisher angenommen wurde, aus den vorhandenen Einnahmequellen fließen sollen: „mehr an Zinsgewinnen infolge der bis zum Herbst 1913 bestehenden hohen Diskontsätze sowie durch günstigere Anlegung der Bestände des Ausgleichsfonds und Nutzung vorzeitiger Einzahlungen auf die neue Schatzanweisungsanleihe."

Meine Herren, sind neue Tatsachen hervorgetreten, die die Regierung plötzlich zu dem Optimismus veranlassen, drei Millionen weiter herausschlagen zu können? Oder handelt es sich einfach um ein finanzpolitisches Kunststück, wie sie ja gemacht zu werden pflegen, aus nichts etwas hervorzuzaubern? Meine Herren, Mephisto bohrte in hölzerne Tische, und es floss Tokajer; der Herr Finanzminister bohrt in seine Akten, und die Millionen strömen.

Meine Herren, das politisch Wichtige an der Vorlage ist aber etwas vollkommen anderes, nämlich die Tatsache, dass wir hier von Neuem mit derselben Angelegenheit befasst werden, die bereits im vergangenen Jahre das Abgeordnetenhaus beschäftigt hat und als ein Skandalosum unserer inneren Verwaltung bezeichnet werden kann.

(Abgeordneter Adolph Hoffmann: „Sehr wahr!")

Inzwischen hat sich ja der Reichstag mit dieser Angelegenheit beschäftigt; er hat in der schroffsten Weise gegen die Transaktionen und Techtelmechteleien Front gemacht, die die Reichsregierung mit Herrn von Winterfeld unternommen hatte.

Meine Herren, die Tatsache, dass der Reichstag im vergangenen Jahre die einschlägige Forderung so eindeutig behandelte, dass die Regierung sie zurückziehen musste, spricht bereits Bände für den Charakter auch dieser Vorlage. In diesem Jahre hat nun der Reichstag schließlich, vor ein unabänderliches Faktum gestellt, nolens volens eine andere Haltung einnehmen müssen. Die Reichsregierung hatte, ohne dass der Reichstag vorher gehört worden wäre, mit Herrn von Winterfeld ein Schiedsgericht abhalten lassen, das die Reichsregierung verurteilt hat; ich brauche ja auf die Einzelheiten hier nicht näher einzugehen. Obwohl dieses schiedsgerichtliche Urteil vorlag, war der Reichstag so wenig mit einer glatten Erledigung der Angelegenheit im Sinne der Reichsregierung zufrieden, dass er zunächst einmal sein Veto dagegen eingelegt hat, dass das Grundstück in der Viktoriastraße, das hier hineinspielt, für Zwecke des Militärkabinetts verwendet wird.

Hier interessiert uns aber in erster Linie etwas anderes: Der Reichstag hat einen Beschluss angenommen, wonach er sich den Regress gegen die an der ganzen Affäre schuldigen Beamten des Reiches ausdrücklich vorbehält. Es handelt sich also darum, dass das Reich wegen der Schädigungen, die ihm aus der Grundstückstransaktion mit Herrn von Winterfeld erwachsen sind und erwachsen werden, den Regress an den dafür verantwortlichen Beamten nehmen will, die in grober Missachtung des Budgetrechtes des Reichstags gehofft hatten, hintenherum, unter Umgehung des Reichstags, für das Militärkabinett ein neues Dienstgebäude und für den Chef des Militärkabinetts eine neue bequeme Wohnung schaffen zu können, obwohl der Reichstag sich bereits wiederholt ganz ausdrücklich gegen einen derartigen Plan ausgesprochen hatte.

Dieses budgetwidrige Verfahren des Kriegsministeriums hat zu der schroffen Haltung des Reichstags wesentlich Veranlassung gegeben. Und, meine Herren, dieses budgetwidrige Verhalten des Kriegsministeriums, der Reichsmilitärverwaltung, gehört unmittelbar in unsere jetzige preußische Vorlage hinein.

Im vergangenen Jahre wurde uns bei der gleichartigen Vorlage detailliert dargelegt, aus welchen Summen sich der Betrag von sechs Millionen zusammensetzt, der hier gefordert wird; wir erfuhren damals, dass in diesem Betrag nicht weniger als 2.608.000 Mark enthalten seien, die Herrn von Winterfeld als Entschädigung gezahlt werden mussten, weil er in Betreff des Grundstücks in der Königgrätzer Straße, auf das wir reflektierten, das aber der Reichsmilitärfiskus ihm inzwischen veräußert oder dort an die Hand gegeben hatte, bereits Transaktionen usw. vorgenommen hatte, für die das Reich in Höhe von 2 608 000 Mark aufkommen sollte; nur bei Erstattung dieser mehr als zweieinhalb Millionen konnte, so sagte man uns, das Grundstück in die freie Verfügung des Reichs zurückgelangen und vom Reiche an den preußischen Staat veräußert werden.

In der diesjährigen Vorlage finden wir auch nicht ein Wort von der Zusammensetzung der Summe von sechs Millionen. Stecken auch in diesen sechs Millionen, die einfach vom vergangenen Jahre übernommen worden sind, die zweieinhalb Millionen für Herrn von Winterfeld darin? Ganz zweifellos stecken auch in diesem Jahre diese zweieinhalb Millionen darin, obwohl die Vorlage das schamhaft verschweigt, offenbar in der Hoffnung, dass es nicht gemerkt werde. Diese zweieinhalb Millionen, die Herrn von Winterfeld bezahlt werden sollen, sollen ihm aber doch bezahlt werden vom Reich, nicht von Preußen; sie bedeuten also eine Abfindung des Reiches an Herrn von Winterfeld für die frühere Transaktion. Diese Abfindung an Herrn von Winterfeld ist aber nur infolge des budgetwidrigen und rechtswidrigen Verhaltens der Reichsmilitärverwaltung zu zahlen. Die Beamten der Reichsmilitärverwaltung, die eigenmächtig alle diese Grundstückstransaktionen vorgenommen haben, sind schuld daran, dass diese zweieinhalb Millionen an Herrn von Winterfeld zu zahlen sind.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Weil die Reichsbeamten schuld daran sind, so haben diese Reichsbeamten den Betrag entsprechend dem Beschlüsse des Reichstages dem Deutschen Reiche im Regresswege zu ersetzen. Das will der Beschluss des Reichstages, der bereits gefasst ist.

Nunmehr kommt die preußische Staatsregierung und fordert vom preußischen Landtag die Zustimmung dazu, dass dieser Betrag, der von den schuldigen Reichsbeamten im Regresswege zu erstatten wäre, vom preußischen Staate übernommen wird!

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Die Sache liegt also faktisch so, dass der Regress an die schuldigen Beamten durch diese Vorlage auf den preußischen Staat abgewälzt werden soll! Das ist eine Sache, die unter gar keinen Umständen geduldet werden kann, und ich möchte eine Rechtfertigung für dieses Verfahren von der preußischen Staatsregierung hören. Es dürfte keinem Zweifel unterliegen, dass das Ansinnen, das hier von der preußischen Staatsregierung dem Abgeordnetenhaus gestellt ist, eine außerordentlich starke Zumutung bedeutet, die auf das energischste zurückgewiesen werden muss.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Ich will mich im Übrigen mit der Vorlage nicht weiter befassen. Dasjenige, was im vergangenen Jahre mein Freund Hoffmann, ganz abgesehen von den Gesichtspunkten, die ich eben erwähnt habe und die aus einer späteren Zeit stammen, angeführt hat, gilt Wort für Wort auch noch heute. Aber zu den Bedenken, die im vergangenen Jahre vorlagen, sind nunmehr noch die Bedenken gekommen, die schweren Bedenken, die ich mir vorzutragen gestattet habe. Diese Vorlage ist ein Unikum, sie ist ein Phänomen an rücksichtsloser Zumutung gegenüber einem Parlament.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Sie ist eine Vorlage, die man auch in finanzpolitischer Beziehung als ein Unikum, als etwas bis dahin kaum Dagewesenes bezeichnen darf. Ich meine, meine Herren, es ist notwendig, auf diese Umstände schon im gegenwärtigen Stadium der Beratung dieser Vorlage einzugehen. Es ist notwendig, bereits heute der Katze die Schelle umzuhängen. Es ist insbesondere für uns notwendig, diese unsere wesentlichen Bedenken bereits gegenwärtig scharf zum Ausdruck zu bringen, weil wir in der Budgetkommission nicht vertreten sind. Meine Herren, es wird ja allerdings kein Zweifel sein können, dass diese Vorlage in die Budgetkommission verwiesen wird, aber ich hoffe, dass die Budgetkommission Energie genug besitzen wird, um sich gegen die Vorlage zu wenden und sie dorthin zu werfen, wohin sie gehört: in die Wolfsschlucht!

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

II

Persönliche Bemerkung

Meine Herren, der Herr Finanzminister hat behauptet, ich hätte gesagt, diese Vorlage sei lediglich gemacht, um einen Regress von den schuldigen Reichsbeamten abzuwenden und den dem Reich durch diese Beamten zugefügten Schaden auf Preußen zu schieben. Dieses „lediglich" habe ich nicht gebraucht. Aber ich entnehme den Ausführungen des Herrn Finanzministers gern das Zugeständnis, dass der von mir gekennzeichnete Zweck auch ein Zweck der Vorlage gewesen ist, und das richtet die Vorlage zur Genüge.

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