Karl Liebknecht‎ > ‎1914‎ > ‎

Karl Liebknecht 19140207 Wider den Justizmord

Karl Liebknecht: Wider den Justizmord

Aus Reden im preußischen Abgeordnetenhaus zum Justizetat 7. Februar 1914

[Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 22. Legislaturperiode, II. Session 1914/15, 2. Bd., Berlin 1914, Sp. 1650-1654,1662/1663,1668-1670, 1674/1675,1676-1678. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 7, S. 99-114]

I

Meine Herren, ich gehe nicht auf derartige Wünsche ein wie die Herren Vorredner, sondern befasse mich mit einigen Dingen allgemeinen Interesses und werde in den Vordergrund meiner Erörterung den Fall der Witwe Hamm stellen. Gestern und vorgestern sind der Herr Justizminister, der Herr Abgeordnete Haarmann und der Herr Abgeordnete Dr. Bredt wie ein Mann aufgestanden zur Verteidigung der schwer bloßgestellten Firma Krupp. Sie haben eine feste Phalanx um diesen Kapitalgewaltigen gebildet. Ich nehme es ihnen nicht übel, da Krupp ja Fleisch von ihrem Fleisch ist. Durch dieses Auftreten ist wiederum nur bewiesen worden, dass die Reinwaschung Krupps den bürgerlichen Parteien ohne Rücksicht auf Recht und Gerechtigkeit als eine Angelegenheit der Staatsräson, der Krupp-Räson, der Kapitalistenräson gilt.

Dabei haben die Herren, die über den Fall Krupp gesprochen haben, gar keine blasse Ahnung von alledem, worum es sich handelt. Sie urteilen vollkommen in das Blaue hinein und ausschließlich auf Grundlage der Vertuschungsberichte der Krupp-Presse, die in geradezu skandalöser Weise systematisch irregeführt hat, so skandalös, dass zum Beispiel die übrigen deutschen Telegrafenbüros von dem auch Krupp dienstbaren Wolffschen Telegraphenbüro abgeschwenkt sind und eine besondere Telegrafenunion gegründet haben („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.) gegen die Krupp-Korruption. (Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Dr. von Krause: Herr Abgeordneter Liebknecht, diese allgemeinen Deduktionen gehören nicht in das Kapitel Landgerichte und Amtsgerichte …

Liebknecht: Ich habe nicht die Absicht, in die allgemeine Debatte zurückzufallen. Diese Bemerkungen bilden die Einleitung zu meinen Ausführungen zu dem speziellen Fall Hamm, dessen Erörterung unzweifelhaft hierher gehört. (Lachen rechts.) Ich möchte nur einleitend darauf hinweisen, und das ist der Appell, den ich an die Herren richte, damit sie sich im Falle Hamm an meine Seite stellen: Mit welcher Lebhaftigkeit haben Sie sich und hat sich der Herr Justizminister der Firma Krupp und des Herrn Rötger angenommen. (Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Herr Abgeordneter Liebknecht, ich muss Sie bitten, den Anordnungen des Präsidenten Folge zu leisten. Ich rufe Sie jetzt zur Sache.

Liebknecht: Es handelt sich hier im Falle Hamm um eine einfache Frau, der nach meiner Überzeugung schwerstes Unrecht geschehen ist, die auf 14 Jahre ins Zuchthaus geschickt ist. Ich habe vorgestern den Fall zur Sprache gebracht. Der Herr Justizminister hat mit wenigen abweisenden Sätzen, die von Sachkunde nicht getrübt waren, auf meine Bemerkungen geantwortet. Der Herr Justizminister hat dann, während er sich im Fall der Witwe Hamm dieser unglücklichen Person gegenüber so ablehnend verhalten hat, mit wenigen, aber scharfen Worten die Korruption im Falle Krupp verteidigt, sie als ein Nichts bezeichnet. (Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Herr Abgeordneter Liebknecht, auch der Fall Hamm, von dem Sie eben sagten, dass Sie ihn vorgestern behandelt haben, gehörte damals zur Sache; heute gehört er ebenso wie die allgemeine Kritik über die Rechtsprechung nicht zur Sache …

Liebknecht: Meine Herren, wir haben in früheren Jahren – das dürfte Ihnen allen bekannt sein – bei dem Titel „Amts- und Landgerichte" auch einzelne Akte der Rechtsprechung der Amts- und Landgerichte erörtert. („Sehr wahr'" bei den Sozialdemokraten. Widerspruch. Glocke des Präsidenten)

Vizepräsident: Ich bitte, hier keine retrospektiven Betrachtungen anzustellen. Es kann nur Sache der Geschäftsordnung sein, dass man eine allgemeine Diskussion an einem Orte erledigt, und man kann auf die allgemeinen Fragen nicht bei jedem Titel zurückkommen. Das ist mit einer geordneten Geschäftsführung nicht vereinbar … (Lebhafte Zurufe bei den .Sozialdemokraten. Rufe rechts: „Ruhe!" Glocke des Präsidenten.)

Liebknecht: Meine Herren, ich appelliere an Ihre Erinnerung. Es ist zum Beispiel bekannt, dass wir zwar bei der allgemeinen Debatte regelmäßig über das Gefängniswesen, die Strafvollstreckung und dergleichen gesprochen haben, aber dass wir dann doch bei dem besonderen Titel „Gefängniswesen'' wiederum spezielle Debatten über dasselbe Thema gehabt haben; und gerade hier bei diesem Titel haben wir in früheren Jahren regelmäßig einzelne Fälle, die wir nicht in der allgemeinen Debatte verschwinden lassen wollten, hervorgehoben. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Ich will mich ausschließlich mit diesem einen Fall Hamm befassen. Ich habe das übrigens neulich angekündigt, und da ist in keiner Weise ein Bedenken dagegen erhoben worden. Ich weise darauf hin, dass es sich hier um einen Fall handelt, der geradezu nach Gerechtigkeit schreit („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.), und um einen Fall, bei dem man überall draußen im Lande erwartet, dass er hier besprochen wird („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.), besonders nach den Worten, die der Herr Minister vorgestern gegen mich gerichtet hat. Ich möchte doch wirklich bitten, dass man hier nicht aus formalen Bedenken heraus die Praxis der vergangenen Jahre nun noch weiter einschränkend interpretiert in einem Falle, wo die Gerechtigkeit doch wahrlich keine Verzögerung zulässt. (Rufe bei den Sozialdemokraten: „Landwirtschaftsetat!" „Dr. Hahn!") Ich möchte mich nur auf den Fall Hamm beschränken. (Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Nein, ich kann die Erörterung des Falles Hamm nicht zulassen. (Lebhafte Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Ich bitte Sie, mich wenigstens nicht zu unterbrechen und mich anzuhören. Ich kann nur annehmen, dass die Herren doch auch eine geordnete Geschäftsführung wollen. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: „Aber Gleichberechtigung!") Bei der dritten Lesung des Justizetats ist wieder die Gelegenheit gegeben, auf alle einzelnen Angelegenheiten einzugehen. Eine Sonderbesprechung kann ich hier nicht mehr zulassen, und ich bitte Sie daher, davon Abstand zu nehmen.

Liebknecht: Meine Herren, ich halte die Auffassung des Herrn Präsidenten für eine durchaus unmögliche. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.) Ich würde mich der Auffassung des Herrn Präsidenten ohne weiteres fügen, wenn nicht im vorliegenden Falle die dringendsten Interessen es erforderten, dass diese Sache zur Sprache kommt. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, auf jeden Tag kommt es an, die Frau kann nicht bis zur dritten Lesung des Etats im Zuchthaus sitzen bleiben; wir können nicht sagen: Auf ein paar Monate kommt es hierbei nicht an! (Zuruf bei den Sozialdemokraten: „Auf jeden Tag kommt es an, den die Frau im Zuchthaus sitzt!" Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Meine Herren, unterlassen Sie doch die Zwischenrufe! Ich als Präsident habe gar nichts damit zu tun, in welchem Sinne der Abgeordnete spricht – es mag alles richtig sein, was Sie sagen; ich habe dafür einzutreten, dass wir ordnungsmäßig die Geschäfte führen. („Sehr richtig!" Abgeordneter Adolph Hoffmann: „Auch dann, wenn Hahn kommt!") Darum handelt es sich jetzt nicht, Herr Hoffmann; es handelt sich darum, ob wir jetzt die weitere Erörterung der Sache zulassen dürfen. Ich bin der Meinung, dass das nicht zulässig ist, und dabei leiten mich lediglich sachliche und formale Bedenken, denen Rechnung zu tragen der Präsident berufen ist. Ich bitte also, Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, davon Abstand zu nehmen.

Liebknecht: Ich will mich zu diesem Titel mit den Beschlüssen und Urteilen des Landgerichts Elberfeld, dessen Etat hier zur Debatte steht, befassen („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.); und ich bestehe darauf, das bei diesem Titel zu tun, im Namen der Gerechtigkeit und des öffentlichen Gewissens. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Ich fordere das auch im Namen der bisherigen Geschäftspraxis. Ich appelliere an die Herren im Hause, hier objektive Gerechtigkeit walten zu lassen, obgleich es ein Sozialdemokrat ist, der in diesem Falle das Wort führt im Namen der Gerechtigkeit. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.) Ich bitte, das Haus zu befragen, Herr Präsident, ob es mir gestatten will, zu diesem Titel über den Fall Hamm zu sprechen.

Vizepräsident: Dieser Antrag ist durchaus zulässig, und ich werde ihm entsprechen.

Ich bitte, dass diejenigen Herren, welche die Besprechung dieses Falles seitens des Herrn Abgeordneten Liebknecht, natürlich aber auch durch jeden anderen Redner, der das Wort dazu nehmen will, zulassen wollen, sich von ihren Plätzen erheben. (Geschieht.) Das ist die Minderheit. (Lebhafte Zurufe von den Sozialdemokraten: „Pfui!") Meine Herren, ich bitte, die Zurufe zu unterlassen. (Erneute Zurufe von den Sozialdemokraten.) Ich bitte, dass diejenigen Herren, die das Wort „Pfui" gerufen haben, sich bei mir melden. (Zurufe bei den Sozialdemokraten: „Wir alle!") Herr Abgeordneter Hoffmann, Herr Abgeordneter Haenisch, Herr Abgeordneter Strubel und Herr Abgeordneter Hofer, ich rufe Sie hiermit zur Ordnung.

Herr Abgeordneter Liebknecht, Sie haben das Votum des Hauses haben wollen; Sie haben es gehört, und Sie dürfen zu dieser Sache nicht mehr sprechen.

Liebknecht: Sie haben sich damit zur Krupp-Korruption bekannt. (Stürmische Zurufe: „Unverschämt!" „Herunter!" „Zur Ordnung!") Das ist eine Verhöhnung aller Gerechtigkeit. Sie werden dessen nicht froh werden.

Vizepräsident: Herr Abgeordneter Liebknecht, mit dieser Äußerung haben Sie gegen die Würde des Hauses verstoßen. Ich rufe Sie zur Ordnung.

II

Zur Geschäftsordnung

Meine Herren, ich bitte Sie nur, in aller Ruhe folgendes erwägen zu wollen.

Indem wir den Etat beraten und über ihn abstimmen, üben wir das Budgetrecht aus. Das Budgetrecht besteht darin, dass wir das Recht haben, den Etat im Ganzen und im Einzelnen zu bewilligen oder nicht zu bewilligen. Das Budget wird im Einzelnen beraten, damit jeweils im einzelnen auch die Bewilligung oder Nichtbewilligung erfolgen kann. Wenn der Titel des Herrn Justizministers beraten wird, gehört die gesamte Justiz insofern zur Debatte, als er die Verantwortung für die gesamte Justiz trägt. Wenn wir über die Titel verhandeln, die die Amts- und Landgerichte betreffen, gehört alles zur Debatte, was zu der Amtstätigkeit der Land- und Amtsgerichte gehört. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Wenn wir uns bei der Beratung des Gehalts des Herrn Ministers mit den allgemeinen Fragen beschäftigen – auch mit denjenigen, die sich auf die Jurisdiktion der Amts- und Landgerichte beziehen –, so geschieht das nur unter dem Gesichtswinkel der Verantwortlichkeit des Herrn Justizministers und nicht unter dem Gesichtswinkel, inwieweit den einzelnen Justizbeamten ihr Gehalt bewilligt oder versagt werden soll. Wenn wir nun bei diesem Titel zu entscheiden haben, sollen wir die Gehälter der Mitglieder der Amts- und Landgerichte bewilligen, dann müssen wir das Recht haben, uns darüber zu beraten; um uns darüber schlüssig werden zu können, müssen wir die Amtstätigkeit der fraglichen Beamten erörtern. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Es wäre eine Kleinigkeit, die von uns verlangte Beratung zu erzwingen; wir brauchten nur den Antrag zu stellen, das Gehalt eines der Landgerichtspräsidenten im Etat nicht zu bewilligen; in diesem Moment müsste uns das Recht gegeben werden, diesen Antrag zu begründen, und zwar aus der besonderen Amtstätigkeit dieses Herrn heraus. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Sie sehen doch, wie der Herr Präsident nach seiner eigenen Auffassung den von uns bekämpften Standpunkt nicht mehr aufrechterhalten kann in dem Moment, wo ein derartiger Antrag gestellt ist, wie ich ihn zum nächsten Titel gestellt habe.1 Aber derartige Anträge brauchen nicht erst gestellt zu werden; sie sind doch nur Amendements zum Etat, sie werden ja doch nur in diesem Sinne aufgefasst. Es ist also meiner Ansicht nach durchaus verfehlt und sinnwidrig, wenn Sie die Voraussetzungen für das Votum, das wir demnächst zu fassen haben, ob wir nämlich den Titel bewilligen wollen oder nicht, nicht erörtern lassen wollen. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.) Ihr ganzes Verhalten hierbei ist also unlogisch; es ist aber auch durch die Praxis nicht gebilligt. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.) Die Praxis spricht für unsere Auffassung.

Der Fall meines Freundes Haenisch ist erwähnt worden. Gegenüber der Bemerkung des Herrn Präsidenten, dass es sich um Ausnahmefälle handelte, will ich nur noch auf zweierlei verweisen. Im Jahre 1912 habe ich bei dem Kapitel 77 und bei Kapitel 80 Titel 3 den Fall des bei den Moabiter Krawallen ermordeten Arbeiters Herrmann2 behandelt, und im Jahre 1911 ist bei demselben Titel, den wir eben beraten, der Essener Meineidsprozess3 („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.) und der Moabiter Prozess4 („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.) in der ausführlichsten Weise erörtert worden. Die Beispiele könnten gehäuft werden. Eine solche beschränkende Interpretation ist noch niemals vorgenommen worden wie heute, und wir müssen zu der Auffassung kommen, dass diese beschränkende Interpretation nicht sowohl – ich nehme natürlich guten Glauben an – aus sachlichen Erwägungen erfolgt ist als darum, weil Ihnen die Erörterung der Dinge, die ich besprechen will, unbequem ist („Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.) aus Gründen, die, weil sie Gründe der Ungerechtigkeit sind, am allerwenigsten bei der Beratung des Justizetats jemals maßgebend sein sollten. Ich bitte Sie dringend, Ihre vorige Beschlussfassung zu revidieren. („Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

III

Meine Herren, der Fall der Witwe Hamm, über den ich sprechen werde, liegt weit entfernt von dem Lärm der politischen und sozialen Gegensätze. Ein Interesse an der angemessenen Erledigung dieses Falles hat nicht diese oder jene Partei, ein solches Interesse sollten alle anständigen Menschen haben. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.) Es ist denn auch eine Wirkung dieses Charakters des Falles Hamm, dass sich, wie Ihnen wohl bekannt, Reichstagsabgeordnete von vier großen Parteien zusammengetan haben zu einer gemeinsamen Eingabe im Interesse der Witwe Hamm an den Herrn Staatssekretär Lisko: Vertreter des Zentrums – meine Herren, das möchte ich besonders hervorheben –, Vertreter der Nationalliberalen Partei, außerdem Vertreter der Fortschrittlichen Volkspartei und selbstverständlich der Sozialdemokratie. Meine Herren, Sie werden aus der Tatsache, dass dieser außergewöhnliche Schritt von Vertretern dieser vier großen Parteien im Reichstage unternommen worden ist, bereits ersehen, dass es sich um eine ernste Angelegenheit handelt, die der parlamentarischen Erörterung wert ist nicht nur, sondern dringend bedarf.

Der Herr Justizminister hat, als ich vorgestern mit wenigen Strichen den Fall zu skizzieren versuchte, gemeint, was gehe das das Haus an; das Abgeordnetenhaus sei kein Gerichtshof; über diese Dinge habe eben nur das Gericht zu entscheiden. Ja, meine Herren, wann sollen wir denn dann nach Auffassung des Herrn Ministers über die Justiz reden? (Abgeordneter Adolph Hoffmann: „Überhaupt nicht!") Als wir gestern über den Fall sprachen, wo es sich um die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft handelte im Vorverfahren, bevor das Gericht befasst war, da wurde eingewandt: Eingriff in ein schwebendes Verfahren! Wenn die Gerichte mit der Sache befasst sind, heißt es: Eingriff in ein schwebendes Verfahren! Hier liegt eine rechtskräftig entschiedene Sache vor. Aber auch da wird uns wieder entgegen gerufen: Was wollt ihr im Parlament mit dem Fall, ihr seid kein Gerichtshof. Ei, meine Herren, dann können wir uns die ganze Beratung des Justizetats schenken. (Abgeordneter Adolph Hoffmann: „Das Beifallnicken des Herrn neben dem Minister ist bezeichnend!") Nur die Ängstlichkeit vor der öffentlichen Kritik drückt sich darin aus. Gute Institutionen können öffentliche Kritik vertragen und sehnen sich danach, um sich auf diese Weise im öffentlichen Vertrauen immer fester verankern zu können.

Der Herr Minister hat gemeint, ich hätte die Notwendigkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens ausschließlich daraus begründet, dass der Auffassung des früher tätig gewesenen mit der Sache von Anfang an befassten Kriminalkommissars von Tresckow sich nachträglich ein mit der Sache gar nicht befasst gewesener, nur aus den Akten orientierter Kriminalkommissar entgegengesetzt hätte. Diese Ansicht des Herrn Ministers ist ganz falsch. Ich habe schon neulich in Kürze darauf hingewiesen: Von Anfang an ist bei der Untersuchung der Flandersbacher Mordaffäre kein anderer Kommissar tätig gewesen als der Polizeikommissar Kutzi. Das ist der Mann, der am Morgen nach der Tat, als alles noch zurecht lag, die erste Tatbestandsaufnahme gemacht hat. Der Kriminalkommissar von Tresckow hat erst viel später eingegriffen, als die Sache bereits in das Stadium der Kombinationen eingetreten war.

Dieser von Anfang an in der Sache tätig gewesene Polizeikommissar Kutzi hat in einem Gutachten vom 2. September 1913, das mir hier in Abschrift vorliegt und das erstattet worden ist auf Ansuchen der Elberfelder Staatsanwaltschaft, mit aller Schärfe seine Meinung zum Ausdruck gebracht, dass das Urteil gegen die Witwe Hamm vollkommen verfehlt ist. In diesem Gutachten heißt es: „Ich selber, der ich doch den Tatbestand gleich am Morgen nach Verübung der Tat aufgenommen habe, hätte in der Schwurgerichtsverhandlung die von mir selbst gezogenen Schlüsse und Folgerungen nicht besser zum Ausdruck bringen können, als Herr Metelmann dies getan hat." Herr Metelmann ist ein Kriminalkommissar aus Berlin, der gleichfalls auf Ersuchen der Elberfelder Staatsanwaltschaft ein in meinem Sinne lautendes Gutachten erstattet hat, außerdem Polizeirat Braun, ein über 40 Jahre im Dienst gewesener Spezialist für Mordsachen, auf dessen Gutachten ich neulich zurückgegriffen habe. Kutzi hebt hervor, dass er leider zum Nachteil der Frau Hamm nicht mehr zum Wort gekommen sei; er habe am Schluss, als Herr von Tresckow seine Schlüsse zuungunsten der Frau Hamm vorgetragen hat, sich noch bemüht, entsprechend einer früheren Zusicherung des Vorsitzenden, zum Wort zu kommen, aber vergeblich; er habe infolgedessen seine von vornherein abweichende Auffassung, die auf Grund genauester Sachkunde und auf Grund der von Anfang an gemachten Beobachtungen gewonnen war, dem Gericht nicht mehr vortragen können. Kutzi schließt sein Gutachten: „Frau Hamm ging also meines für sie so wichtigen und günstigen Zeugnisses verlustig … Zur Sache selbst bemerke ich, dass auch ich auf dem Standpunkt stehe, es handelt sich bei der Tat nicht um einen geplanten Meuchelmord, sondern um einen versuchten Einbruchsdiebstahl, bei welchem der Täter von Hamm ertappt wurde und diesen niederschlug und erstach."

Meine Herren, in genau derselben Weise haben sich auf Grund eines sorgfältigen Studiums des ganzen vorliegenden Materials, wie bereits bemerkt, auf Ansuchen der Elberfelder Staatsanwaltschaft auch der Polizeikommissar Metelmann und der alte, bewährte Spezialist für Mordsachen, Polizeirat Braun, ausgesprochen. Herr Braun hebt in seinem ausführlichen Gutachten, das er im Namen der Inspektion B I der Berliner Kriminalpolizei erstattet hat, hervor, er habe an Dutzenden von Mordsachen mitgewirkt, und sagt dann: „In den 42 Jahren meiner Praxis und den vielen Dutzenden von Mordsachen, die von mir persönlich oder unter meiner Leitung bearbeitet worden sind, ist mir selten ein Fall vorgekommen, in dem der objektive Tatbestand so klar lag und die Fülle des Überführungsmaterials und der Beweisstücke so umfangreich gewesen ist wie im vorliegenden Falle, und es ist mir unerklärlich, wie es möglich gewesen ist, den klar zutage liegenden Tatbestand in sein Gegenteil umzukehren und ihn zur Belastung einer Unschuldigen zu verwerten, ein Verbrechen konstruierend, das nie begangen worden ist." („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.) Er fährt fort: „Allerdings hat zu diesem Kunststück der im Disziplinarverfahren aus dem Dienst entlassene damalige Kriminalkommissar von Tresckow neben einem dicken Band von angeblichen Ermittlungen nicht weniger als 86 Seiten Schlussbericht gebraucht. Seiner unheilvollen Mitwirkung in der Sache ist dann auch die meiste, wenn nicht die ganze Schuld an dem tragischen Ausgang des Falles zuzuschreiben, der eine Unschuldige auf lange Jahre in das Zuchthaus gebracht und sie zur Mörderin gestempelt hat."

Meine Herren, es handelt sich außerdem auch noch um das geradezu vernichtende Gutachten des Berliner chemischen Polizeiuntersuchungsamtes. Dieses Gutachten zerstört in einer nicht mehr zu überbietenden Gründlichkeit die Thesen, von denen von Tresckow ausgegangen war, und entzieht damit der Verurteilung den Boden unter den Füßen …

Die Auffassung von der Unschuld der Witwe Hamm wird auch von den Beamten des Zuchthauses geteilt, in dem sich die Witwe Hamm befindet, von dem Pfarrer, von der Hausmutter; sie haben diese Ansicht zum Ausdruck gebracht. Aber legen Sie meinethalben solchen Meinungen kein Gewicht bei. Man pflegt freilich die Menschen im Gefängnis besser kennenzulernen als auf der Anklagebank. Die gesamte Einwohnerschaft des Ortes Flandersbach hat ihre Auffassung und Überzeugung von der Unschuld der Witwe Hamm zum Ausdruck gebracht und sich der Bitte der Angehörigen der Witwe Hamm angeschlossen, die Wiederaufnahme des Verfahrens, eine erneute Prüfung der Sache eintreten zu lassen.

Was aber viel wichtiger ist: Eine ganze Zahl von Geschworenen, die damals das Urteil auf schuldig gegen die Frau Hamm gefällt haben, haben jetzt Erklärungen abgegeben, dass sie zu ihrem Schuldigspruch gekommen seien, weil der Kriminalkommissar von Tresckow ihnen mit seinem Gutachten imponiert habe, weil sie seinen Worten geglaubt hätten, dass er ein alter, erfahrener Kriminalist sei. Sie alle wissen – darüber dürfte nur eine Stimme im ganzen Hause sein –, dass der Kriminalkommissar von Tresckow abgeschüttelt werden musste, dass er kein erfahrener Kriminalist war, dass er in der unlautersten Weise sich in das Berliner Polizeipräsidium eingeschlichen hatte und gegenwärtig eine lichtscheue Tätigkeit entfaltet, dass er, um alles in der Welt, jetzt nicht mehr als eine Autorität betrachtet werden kann, wie er in dem naiven Glauben der damaligen Geschworenen betrachtet wurde.

Der Kriminalkommissar von Tresckow ist im Wege des Disziplinarverfahrens aus seinem Amte geschasst worden („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.) als unwürdig, und das Gutachten dieses unqualifizierten Mannes, der keine Erfahrungen als Kriminalist hatte, das Gutachten dieses Mannes, dessen moralische Qualitäten in dem Disziplinarverfahren festgestellt worden sind und über den nur eine Stimme herrschen sollte, das ist gegenwärtig die einzige Säule, auf der das Urteil noch ruht. („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.) Wenn wir hören, dass selbst die Geschworenen erklären: Wir würden heute ein anderes Urteil fällen, wir sind irregeführt worden durch falsche Vorspiegelungen des Kriminalkommissars von Tresckow und so zu unserem Schuldigspruch gekommen; wir fordern auch unsererseits die Wiederaufnahme des Verfahrens – ja, meine Herren, wie kann überhaupt je eine Wiederaufnahme des Verfahrens durchgeführt werden, wenn nicht im vorliegenden Falle auf Grund all dieses neuen Materials! („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, es ist eine Gerechtigkeit, die gefordert wird, nichts anderes. Ich weiß: Die Herren haben ein Bedürfnis dazu, die Staatsautorität auch in der Rechtskraft des Urteils zu stützen und zu schützen. Ich will nicht darüber rechten, ob dieser Standpunkt, so wie Sie ihn im allgemeinen vertreten, wie er von unserer Justiz im allgemeinen vertreten wird, richtig ist oder nicht. Sie wissen: Ich billige ihn nicht. Aber ich meine, hier haben wir uns darüber gar nicht zu streiten; dass in diesem Falle das Urteil nicht aufrechterhalten werden kann, ist für jeden Menschen mit natürlichem Empfinden eine Selbstverständlichkeit. Dass hier die Rechtskraft nicht gewichtiger und stärker sein darf als das Bedürfnis nach Gerechtigkeit, das man auf das dringlichste empfinden muss, das dürfte doch wohl nicht nur meine Auffassung sein. Meine Herren, es ist ein aus einem primitiven, elementaren menschlichen Empfinden heraus geborener Schrei nach Gerechtigkeit, den ich hiermit ausrufe. Ich hoffe, dass ich dafür ein besseres Echo in diesem Hause finden werde, als wir es häufig mit unseren Auffassungen sonst zu finden pflegen. (Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.)

IV

Meine Herren, ich will sofort auf die Bemerkungen des Herrn Justizministers erwidern. Es trifft nicht zu, dass hier ein Eingriff in die Exekutive, die ausschließlich in den Händen des Königs liege, geplant wäre. Allerdings würden wir auch berechtigt sein, da doch die Verwaltungstätigkeit des Königs vom Minister verantwortet wird, uns mit einem solchen Antrage an den Herrn Minister zu wenden. Aber es handelt sich hier gar nicht um irgendeine Prärogative der Krone, sondern um denjenigen Teil der Strafvollstreckung, der durchaus in den Händen der Staatsanwaltschaft liegt. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Die Staatsanwaltschaft hat nach dem Gesetz, wenn die Sachlage danach angetan ist, jederzeit das Recht und die Macht, die Strafvollstreckung zu unterbrechen; und davon wird sehr häufig Gebrauch gemacht. Die Staatsanwaltschaft hat aber weiter auch ihrerseits die gesetzliche Pflicht, die Wiederaufnahme des Verfahrens auch im Interesse des Verurteilten zu beantragen („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.); sie soll ja die objektivste Behörde sein. Es kommt wohl auch vor, dass die Staatsanwaltschaft selbst Anträge auf Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten stellt. Auch insofern ist es durchaus am Platze, dass wir uns hier beim Etat der Staatsanwaltschaft mit dieser Sache beschäftigen und dass wir einen solchen Antrag gestellt haben.

Die Ausführungen des Herrn Justizministers über die Geschworenen haben im Wesentlichen doch nur bestätigt, was ich gesagt habe. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.) Wenn sieben Geschworene den Wunsch zum Ausdruck gebracht haben, dass die Sache von Neuem nachgeprüft werden solle, so geht diese Zahl doch weit über die Zahl hinaus, die schon genügen würde und genügt hätte, um eine Verurteilung unmöglich zu machen („Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.); es müssen doch mindestens acht von zwölf für schuldig sein. Wenn also nun schon sieben sagen, wir wünschen eine Nachprüfung, dann könnten doch höchstenfalls fünf übrigbleiben, die vielleicht keine Nachprüfung für nötig halten! Dass die Geschworenen selbst aus eigener Wissenschaft keine neuen Tatsachen kennen, ist doch nur natürlich. Woher sollen sie die Tatsachen kennen? Aber es ist ihnen das Gutachten des Herrn Braun mitgeteilt worden. Dieses Gutachten verweist unter anderem darauf, dass der Kriminalkommissar von Tresckow entlassen, diszipliniert ist, und hat ihnen besonderen energischen Anlass zu Bedenken gegeben. Ich habe hier die entsprechende Äußerung eines der Geschworenen in Abschrift bei meinen Papieren, worin er ausdrücklich sagt: Ich bin damals zu meiner ungünstigen Auffassung gegen die Witwe Hamm durch das überzeugende Gutachten des Herrn von Tresckow bestimmt worden, den ich damals, seiner Angabe entsprechend, für einen alten, gewiegten Kriminalisten, für eine Autorität gehalten habe; jetzt hält dieser Geschworene eine Nachprüfung der Sache für erforderlich. Ich glaube nach alledem, dass man die Sache nicht so abfertigen kann, wie der Herr Justizminister es getan hat. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Ich möchte nicht aggressiv werden. Ich habe den Wunsch zum Ausdruck gebracht, dass bei dieser Erörterung alles Aggressive vermieden werde; und ich glaube, Sie werden nicht verkennen, dass ich mich bemüht habe, sachlich zu sprechen, ohne Angriffe gegen Behörden oder Beamte, außer gegen Herrn von Tresckow. Ich meine, diese abweisende Art des Herrn Ministers habe ich nicht verdient und hat die Sache nicht verdient. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)

Ich betone, dass der Herr Minister hier mit einer Strömung in weiten Kreisen der Bevölkerung zu rechnen hat. Natürlich hat das Gericht zu entscheiden über Schuld oder Nichtschuld, Herr Minister, Kompetenzbedenken sind hier nicht am Platze. Ich habe nicht gefordert, dass jemand anders als das zuständige Gericht entscheiden soll. Aber die Justiz ist eine Angelegenheit des ganzen Volkes (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.), ist eine Angelegenheit des öffentlichen Interesses im höchsten Maße. Es kann uns nicht gleichgültig sein, ob jemand unschuldig hinter Zuchthausmauern sitzt. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.) Sie wissen, dass in der Weltgeschichte mancher Justizmord eine große und volksbewegende Bedeutung bekommen hat. Man müsste doch an der Kraft des Bedürfnisses nach Gerechtigkeit verzweifeln, man würde den Gedanken und die Empfindung der Gerechtigkeit verhöhnen, wenn man den verspotten wollte, der es [als] unerträglich empfindet, dass jemand unschuldig wegen Mordes hinter Zuchthausmauern sitzt, wenn man ihn, der nach Gerechtigkeit ruft, verspotten oder auf kalte formalistische Kompetenzbedenken zurückgreifen würde. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Das verträgt die Sache Hamm nicht. („Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, es ist mein dringender Wunsch, das Herz des Herrn Ministers zu rühren. Wir pflegen sonst unsere Kämpfe in anderer Weise zu führen, das wissen Sie; hier aber handelt es sich um eine Sache, bei der man andere Töne anschlagen kann als im politischen Kampfe. Es ist keine politische Angelegenheit, es ist eine Angelegenheit aller anständigen Menschen („Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.), die uns hier beschäftigt. Diese unglückselige Frau darf nicht einen Tag, nicht eine Stunde, nicht eine Minute unschuldig im Zuchthause sitzen („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.), und wenn nur der Verdacht oder die Besorgnis vorhanden ist, dass sie unschuldig sitzen könnte, dann müsste das uns allen zusammen, auch den Herren auf den Regierungsbänken („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.), so in die Seele hinein brennen, dass es nicht mehr ertragen werden könnte, wenn die erneute Prüfung noch einen Tag verschoben werden würde. Lieber zehn Schuldige frei als eine Unschuldige im Zuchthaus! („Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.) Sie rufen mir zu: Sie sind der Geeignete dazu! Meine Herren, ich habe hier jede politische Erörterung ausgeschaltet; ich weiß, wie scharf wir gegeneinander stehen. Aber ich meine, wir müssen bei dem vorliegenden Falle allesamt jede Spur politischer Beurteilung ausmerzen. Das gebietet die Pflicht und die Menschlichkeit. Und den Herrn Minister bitte ich dringend, in diesem Fall zu vergessen, dass ich Sozialdemokrat bin („Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.), und nur daran zu denken, dass ich ein Mensch bin. (Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.)

1 Der Antrag Karl Liebknechts vom 7. Februar 1914 lautete: „Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen: die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, die Königliche Staatsanwaltschaft in Elberfeld anzuweisen, die Witwe Hamm aus Flandersbach aus der Haft zu entlassen." Diesen Antrag zog Liebknecht zurück und beantragte folgendes: „Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen: die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, die Königliche Staatsanwaltschaft zu Elberfeld anzuweisen, eine erneute schleunige Prüfung des Falles Hamm eintreten zu lassen." Der Antrag wurde abgelehnt.

2 Während der sogenannten Moabiter Unruhen im Herbst 1910 war der Arbeiter Herrmann am 27. September 1910 von zwei Polizisten durch Säbelhiebe so schwer verletzt worden, dass er am 3. Oktober 1910 starb. Die Mörder wurden durch den Staatsapparat deckt und nie zur Verantwortung gezogen. Die Klage der Witwe des ermordeten Arbeiters auf Schadenersatz wurde jahrelang verschleppt.

3 In einer Versammlung des Gewerkvereins christlicher Bergarbeiter am 3. Februar 1895 in Baukau bei Herne war der Bergarbeiter Schröder von dem Gendarmen Munter niedergeschlagen worden. Im Prozess (Juni 1895) gegen den Redakteur Margraf, der über diesen Vorfall in der „Deutschen Berg- und Hüttenarbeiter-Zeitung" berichtet hatte, wurden Schröder und seine Zeugen wegen „dringenden Verdachts wissentlichen Meineids" im Gerichtssaal verhaftet und unter Anklage gestellt. Das Essener Schwurgericht verurteilte im August 1895 in einem Meineidsprozess Schröder und sechs weitere Angeklagte zu hohen Zuchthausstrafen. Wiederholte Versuche des Verteidigers, das Verfahren wieder aufzunehmen, führten erst im März 1910, gestützt auf das gegen Munter im Jahre 1908 angestrengte Disziplinarverfahren, zum Freispruch und zur Zubilligung einer Entschädigung für die unschuldig Bestraften.

4 Siehe Karl Liebknecht: Gesammelte Reden …, Bd. V, S. 71-77. Die Red.

Kommentare