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Karl Liebknecht 19150902 An die Zimmerwalder Konferenz

Karl Liebknecht: An die Zimmerwalder Konferenz1

[Die Rote Fahne Nr. 12 vom 15. Januar 1925. Nach Gesammelte Reden und Schriften, Band 8, S. 305-307]

2. September 1915

Liebe Genossen!

Verzeiht wenige, eilige Zeilen. Ich bin vom Militarismus gefangen, gefesselt. So kann ich nicht zu Euch kommen. Mein Herz, mein Kopf, meine ganze Sache ist dennoch bei Euch.

Ihr habt zwei ernste Aufgaben. Eine harte der rauen Pflicht und eine heilige der enthusiastischen Begeisterung und Hoffnung.

Abrechnung, unerbittliche Abrechnung mit den Fahnenflüchtigen und Überläufern der Internationale in Deutschland, England, Frankreich und anderwärts.2

Gegenseitige Verständigung, Ermutigung, Anfeuerung der Fahnentreuen, die entschlossen sind, keinen Fußbreit vor dem internationalen Imperialismus zu weichen, mögen sie auch-als Opfer fallen. Und Ordnung in den Reihen derer zu schaffen, die auszuharren entschlossen sind; auszuharren und zu kämpfen, den Fuß fest am Boden des internationalen Sozialismus.

Die Prinzipien unserer Stellung zum Weltkrieg als Spezialfall der Prinzipien unserer Stellung zur kapitalistischen Gesellschaftsordnung gilt's kurz zu klären. Kurz – so hoffe ich! Denn hier sind wir alle, seid Ihr alle einig, müssen wir einig sein.

Die taktischen Folgerungen aus diesen Prinzipien gilt's vor allem, zu ziehen. Rücksichtslos für alle Länder!

Burgkrieg, nicht Burgfriede! Internationale Solidarität des Proletariats üben, gegen pseudo-nationale, pseudo-patriotische Klassenharmonie; internationaler Klassenkampf für den Frieden, für die sozialistische Revolution. Wie's zu kämpfen gilt, muss festgelegt werden. Nur im Zusammenwirken, nur in der Wechselwirkung von einem Lande zum andern, sich gegenseitig steigernd, können die möglichsten Kräfte, die erreichbaren Erfolge erzielt werden.

Die Freunde jedes Landes haben die Hoffnungen und Aussichten der Freunde jedes anderen Landes mit in der Hand. Ihr französischen und Ihr deutschen Sozialisten vor allem seid einander Schicksal. Ihr französischen Freunde, ich beschwöre Euch, lasst Euch nicht von der Phrase der nationalen Einmütigkeit – dagegen seid Ihr gefeit! –, aber auch nicht von der ebenso gefährlichen der Parteieinmütigkeit fangen. Jeder Protest dagegen, jede Kundgebung Eurer Ablehnung der regierungsoffiziösen Politik, jedes kühne Bekenntnis zum Klassenkampf, zur Solidarität mit uns, zum proletarischen Friedenswillen stärkt unseren Kampfgeist, verzehnfacht unsere Kraft, im gleichen Sinne in Deutschland zu wirken, für das Proletariat der Welt, für seine ökonomische und politische Befreiung, für seine Befreiung aus den Fesseln des Kapitalismus, aber auch aus den Ketten des Zarismus, Kaiserismus, des Junkerismus, des Militarismus, des nicht minder internationalen Militarismus; zu kämpfen in Deutschland für die politische und soziale Erlösung des deutschen Volkes; gegen die Macht- und Ländergier der deutschen Imperialisten – für einen baldigen Frieden ohne Eroberung und Vergewaltigung, für einen Frieden, der auch das unglückliche Belgien …3 frei und unabhängig wiederherstellt und Frankreich dem französischen Volke zurückgibt.

Französische Brüder – Wir kennen die besonderen Schwierigkeiten Eurer tragischen Lage und bluten mit Euch wie mit der gepeinigten und gesteinigten Masse aller Völker. Euer Unglück ist unser Unglück, die wir wissen, dass unser Schmerz Euer Schmerz ist. Lasst unseren Kampf Euren Kampf sein. Helft uns, wie wir Euch zu helfen geloben.

Die neue Internationale wird erstehen, auf den Trümmern der alten kann sie erstehen, auf neuen, festeren Fundamenten. Ihr Freunde, Sozialisten aus allen Ländern, habt den Grundstein heute für den Zukunftsbau zu legen. Haltet unversöhnlich Gericht über die falschen Sozialisten! Peitscht die Schwankenden und Zögernden in allen Ländern, auch … die in Deutschland, rücksichtslos voran! Die Größe des Ziels wird Euch über die Enge und Kleinheit des Tages, über das Elend dieser entsetzlichen Tage hinausheben!

Es lebe der Völkerfriede der Zukunft! Es lebe der Antimilitarismus! Es lebe der internationale, der völkerbefreiende, der revolutionäre Sozialismus!

Proletarier aller Länder, vereinigt euch wieder!

K. Liebknecht

1Zimmerwalder Konferenz (Liebknecht bezeichnet sie anfänglich auch als Konferenz von Bern) – Vom 5. bis 8. September 1915 fand in Zimmerwald (Schweiz) die erste internationale sozialistische Konferenz der oppositionellen Antikriegskräfte der zusammengebrochenen II. Internationale statt. Von 38 Delegierten aus 12 Ländern (Bulgarien, Deutschland, England, Frankreich, Holland, Italien, Norwegen, Polen, Rumänien, Russland, Schweden, Schweiz) kamen zehn Teilnehmer aus Deutschland. Die Gruppe Internationale wurde durch Berta Thalheimer und Ernst Meyer vertreten; für die Internationalen Sozialisten Deutschlands mit ihrem Organ „Lichtstrahlen" war Julian Borchardt erschienen, der auch die Bremer Linken vertrat; und die zentristischen Kräfte der Opposition wurden durch Georg Ledebour, Adolph Hoffmann und fünf weitere Delegierte repräsentiert. Die Zentristen hatten die Mehrheit. Einstimmig angenommen wurde ein Manifest gegen den Krieg. Die Konferenz wählte die Internationale Sozialistische Kommission (ISK) als ihr ausführendes Organ.

2 Die kursiv gesetzten Teile kennzeichnen die Auszüge, die sich W. I Lenin aus diesem Brief Karl Liebknechts machte. (Siehe Internationale Pressekorrespondenz, 10. Jg. 1930, Nr. 5, S. 90.)

3 Auslassungen in der Quelle.

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