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Karl Liebknecht 19150800 Antimilitarismus!

Karl Liebknecht: Antimilitarismus!

Artikel (Anfang August 1915)

[Jugend-Internationale (Zürich), Nr. 1 und 2 vom 1. September und 1. Dezember 1915. Nach Gesammelte Reden und Schriften, Band 8, S. 266-283]

Ich schreibe dies am Jahrestag des Kriegsausbruchs.

Die Bilanz des Jahres ist: Tötung, Verstümmelung, Erkrankung, Verseuchung von Millionen der kräftigsten Männer; Ausrottung der Menschenblüte Europas; moralische Rebarbarisierung der Völker; Verwüstung geheiligter Kulturschöpfungen von Generationen; Verschleuderung Hunderter von Milliarden; Dezimierung des von der Vergangenheit gespeicherten gesellschaftlichen Reichtums zu Lasten der Zukunft; Teuerung; Hungersnot; eine Sintflut von Kummer und Tränen; ein endloser Gespensterzug trauernder Mütter und Väter, Witwen und Waisen.

Verheißen war Erlösung geknechteter Nationen – aber der bluttriefende Mars ist kein Jesus Christus; er hat sie vollends ans Kreuz geschlagen; ihr Jammer hallt über den Erdball, brandet zum Firmament. Und Belgien ward die Niobe der Länder.

Verheißen war Gleichberechtigung, Freiheit und Glück den Lichtlosen, den Leibeigenen, den Zwangsarbeitern des Kapitalismus – aber ihre politischen Fesseln wurden enger geschmiedet; die eisernen Riegel ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit wurden verdoppelt. Das europäische Proletariat ward zum Hiob der Welt. Verheißen war von hoffnungsvollen Toren und wissenden Auguren Zerschmetterung des Militarismus – und der Militarismus wuchs empor über alle Ideale und Mächte, ein dräuendes Verhängnis; als eine Midgardschlange umgürtet er die fünf Kontinente, dem Magnetberg der Sage vergleichbar, löste er die Nieten und Nägel der Zivilisation, die in den Grundfesten bröckelt.

Triumphator Militarismus mit seinen Trabanten der inneren Reaktion pocht herrisch an die Tore des freiheitsstolzen Britannien; wühlt klerikale und monarchistische Minengänge gegen die französische Republik – „das Vaterland in Gefahr!" –, bedroht Portugal mit Wiederaufrichtung des Königsthrons, der vor einem halben Jahrzehnt in Fäulnis verbarst; rafft die Neutralen, Holland, Schweden, Norwegen, Dänemark und selbst die Schweiz, an sich; reißt das Sternenbanner in die Wirbel seines Sturmlaufs; bereitet in paradoxer Form eine neue verruchte „Heilige Allianz" der Zentralmächte mit Russland, das europäische Protektorat des Zarismus, die Verkosakung Europas.

Apotheose des Militarismus; Orgie der kommandierten „Begeisterung" und des kommandierten „Zorns", der kommandierten Opferbereitschaft und der kommandierten Unterwürfigkeit; wedelnder Byzantinismus auf Anpfiff; Heiligsprechung der Kanonenfabrikanten; Anbetung der brutalen Gewalt; aller Menschenadel versunken in einem Schiffbruch.

Apotheose des Militarismus, der „starken Staatsgewalt", der skrupellosen Regierungsdemagogie, der allzu menschlichen Herdenhaftigkeit; Apotheose der Pickelhaube, des Dreiklassenwahlrechts und des Lebensmittelwuchers; Verstärkung der Zwingburg des Großkapitals; Schandpfählung jeder Regung der Demokratie, der Völkerverbrüderung, des Völkerfriedens.

Apotheose des Militarismus! Das ist die Bilanz der einen Seite, das Konto der alten kapitalistischen Welt.

Und die Bilanz der anderen Seite? Der werdenden neuen Welt? Der Welt des Sozialismus? Die Eiserne Jungfrau des Imperialismus hat ihn vernichtend umklammert. Was kann den Glauben an eine höhere „Bestimmung" des Menschengeschlechtes retten? Wo ist das Wehen jenes Geistes der Selbstbestimmung der Massen, der selbstentschlossenen Tat- und grenzenlosen Opferbereitschaft für selbstgewählte Ziele, für heilige Ideale, für Klassenkampf, für Völkerbefreiung, für Völkerverbrüderung und Frieden, für die Internationale des Sozialismus?

Die sozialistische Internationale ist zusammengebrochen unter dem Orkan des Imperialismus, verschüttet unter der Mur des Chauvinismus, unter dem Schlamm jener Lüge von der nationalen Klassenharmonie, unter dem dumpfen Wust des Burgfriedensbetruges, dessen Segnung den Wölfen der Politik und den Schakalen des Wirtschaftslebens ungestörte Beutejagd sichert. Die Legende vom babylonischen Turmbau ist am kühnen Bau der proletarischen Weltorganisation Ereignis geworden; Verwirrung ergriff die Geister und Zungen derer, die daran mauerten und zimmerten; auseinander gestoben ist die brüderliche Gemeinschaft. Militarismus triumphans hat seine Totenkopfflagge hohnlachend auch auf diese Feste gepflanzt, vor der er trotz alledem gelinde zitterte und die ihm am ersten Tage seines Amoklaufs beim Frührot ohne Schwertstreich zufiel; der erste, höchste „Siegespreis", ein wirklicher „Siegespreis". Die einzige Sperre gesprengt, die seiner Allmacht wehrte. Ein Kartenhaus umgeblasen.

Ursachen, Umstände und Folgen dieser Tragödie, die hart an welthistorische Tragikomik streift, sind hier nicht zu schildern.

Aber mit Stolz dürfen wir sagen: Wie sich manche Sektionen der Internationale ruhmvoll hielten – trotz alledem! –, so hat gleich der Internationale der Frauen die Internationale der Jugend in dem allgemeinen Zusammensturz bestanden. Die Internationale der Alten ist dahin, die Internationale der Jugend lebt. Und sie wird weiterleben; lernend von dem Ungeheuren, dessen Zeuge sie ist, vorantreibend zum Wiederaufbau, anfeuernd, helfend beim Wiederaufbau der großen neuen Internationale, von der geschrieben steht: „Ich werde stehn, und wiederum voran den Völkern werd' ich gehn."

Was zu lernen ist, das sei hier mit einigen Strichen angedeutet.

Das Programm der proletarischen Jugendbewegung gilt's zu überprüfen und am Feuer der neuen Erfahrung zu härten.

Nicht nur die jugendliche Begeisterung, die zu großen Taten befähigt – es ist die Klarheit und Festigkeit, es ist der unnachgiebige Klassenkampfgedanke, der die Jugendbewegung feite: der Wille zu dem einen und unteilbaren internationalen Klassenkampf; das Bekenntnis zur Klassensolidarität über alle staatlichen Schranken hinweg und der unerbittliche antimilitaristische Grundzug ihrer Taktik.

Antimilitarismus lautet das Feldgeschrei der internationalen Jugendbewegung heute und für die Zukunft mehr wie je. Wer das bisher nicht begriff, wird es heute erkannt haben.

Eine Epoche des Übermilitarismus steht der kapitalistischen Welt bevor. Der Antimilitarismus hat sich fieberhaft zu rüsten. Zu rüsten noch gegen den Weltkrieg von heute und schon gegen die Weltkriegsgefahr von morgen; gegen die militaristische Knebelung des innerpolitischen Völkerlebens von heute und ihre drohende Verschärfung von morgen.

Zur Aufklärung über das Wesen des Militarismus hat die Jugendinternationale auf ihren Konferenzen in Stuttgart (1907) und Kopenhagen (1910) Gründliches geleistet, Gründlicheres als die internationalen Kongresse. Durch Aufklärung die Entwicklung zu einem bewussten dialektischen Prozess zu gestalten bleibt das taktische Urprinzip. Die Aufgeklärtheit ist nur aus dem Schein in die Wirklichkeit, aus dem Reich des hohlen Schalls, des selbstbetrügerischen und andere täuschenden Lippenbekenntnisses in den Bereich der innerlich festverankerten Weltanschauung zu überführen; die sozialistische Weltanschauung ist zur alles Denken bestimmenden seelischen Notwendigkeit, zur Bussole alles Fühlens, zur Achse alles Handelns, zur allenthalben orientierenden geistigen Macht zu erheben.

Kein wesentliches Wort unserer bisherigen antimilitaristischen Lehre ist widerlegt; ihre Hauptsätze wurden in diesem Jahr des Unheils dreifach unterstrichen und doch von vielen vergessen oder geradewegs verspottet. Mit um so festerer Hand muss in diesem Wirrwarr zugegriffen werden, um die Köpfe zurechtzusetzen. Das Einmaleins des Sozialismus muss in eindringlichen Lektionen wieder eingepaukt werden: Aufklärung über den Klassencharakter der heutigen Gesellschaftsordnung, über die Vaterlandslosigkeit des Kapitals, und möge es sich noch so nationalpatriotisch gebärden; über die Vaterlandslosigkeit auch der Regierungen, die unter dem demagogischen Vorwand, dem Volksganzen zu dienen, die Volksmassen in die Dienste des vaterlandslosen Kapitals spannen; über die ober- und noch mehr unterirdischen internationalen Verkuppelungen des Weltkapitals und seine zwischenstaatliche Solidarität, die durch imperialistische Raubkriege sowenig berührt wird wie die gesellschaftliche Interessengemeinschaft der im gleichen Staate sitzenden Kapitalisten durch ihre Konkurrenzkämpfe, und wären es die blutigsten; über die Gemeingefährlichkeit des internationalen Rüstungskapitals, seine Völkerverhetzungs-Interessen und -Machenschaften; über die Kriegsparteien, ihre Bestandteile, ihr Wesen; über die Interesseneinheit der Arbeiterklasse aller Länder gegenüber dem Kapitalismus und den Regierungen aller Länder; über das für die Arbeiterklasse bei ihrer Rolle im dialektischen Geschichtsprozess vorgeschriebene unbedingte Primat der Klassenscheidung gegenüber der nationalen und staatlichen Scheidung, das heißt über das Gebot, im proletarischen Befreiungskampf der aus ihrem Wesen organisch notwendig hervor wachsenden, schichtenweisen Gliederung der menschlichen Gesellschaft gegenüber ihrer von außergesellschaftlichen Ursachen veranlassten vertikalen Sonderung den Vorrang einzuräumen; über die Notwendigkeit, die Arbeiterbewegung jedes Landes unverrückbar auf diesen Grundsatz einzustellen, alle anderen noch so wichtigen Interessen, wo immer sie damit in Widerspruch geraten, entschlossen beiseite zu schieben: Internationaler Klassenkampf über Staatenkrieg! Internationaler Klassenkampf gegen Staatenkrieg – die praktische Folgerung für den Kriegsfall aus dem allgemeinen Antagonismus: Sozialismus gegen Imperialismus, welcher Gegensatz ohne jene Folgerung zum Gegenstand einer unpolitischen Betrachtung herabsinkt.

Und der antimilitaristische Kampf ist die zugespitzte Form des Klassenkampfes gegen den Krieg und gegen die innerpolitische Gewaltpolitik des Kapitalismus.

Diesen Kampf aber, der gegenüber dem jetzigen Krieg noch völlig versagt hat, heißt es von nun an umfassender und tatkräftiger zu gestalten als bisher.

Die Voraussetzungen und Bedingungen dafür bedürfen eingehender Prüfung.

Revolutionen können nicht gemacht werden" – dies Wort, das auf alle gesellschaftliche Entwicklung angewandt wird, ist wahr und falsch zugleich.

Revolutionen" werden, wie alle gesellschaftliche Entwicklung, „gemacht". Nur dass sie nicht aus dem Boden gestampft werden, sondern in organischer Entfaltung von Erkenntnis, Gesinnung und Willen herauswachsen, in einer Entfaltung, die nicht vom Himmel purzelt, freilich auch nicht mit mechanisch-außermenschlicher oder vegetativ-unwillkürlicher Naturgesetzlichkeit vor sich geht, sondern nach den Gesetzen des menschlichen, des gesellschaftlichen Seelenlebens, durch menschliches – mehr oder weniger bewusstes – Handeln, das heißt eben durch eine gegebene Individual- und Sozialpsychologie und durch allgemeine gesellschaftliche Umstände bestimmt ist. Nur dass es ein gesellschaftliches „Machen" ist; ein Massenprozess; ein Vorgang in den Massen, durch die Massen; ein Vorgang, der sich aber vollzieht in Handlungen der einzelnen, aus denen sich die Massen zusammensetzen oder die zuzeiten die Massen vertreten.

Allzu oft ist jenes Wort als Schild für politische Untätigkeit missverstanden und missbraucht worden. Das gilt nicht für alle Länder gleich. Am meisten für Deutschland mit seiner für normalruhige Entwicklung musterhaften sozialdemokratischen Organisation, die für außergewöhnliche Zeiten aber wie Spanische Stiefel einschnürt. Viel weniger in den romanischen Ländern. Kein Quietismus, sondern Aktivierung heißt die Losung.

Und keine Unterdrückung, keine Unterbindung der individuellen Tat! Zu engbrüstiger Besorgnis vor den Gefahren der freien Initiative, vor übereilten törichten Handlungen und „Verirrungen" einzelner fehlt bei einer weltgeschichtlichen Erscheinung, die auf breiter Grundlage gesellschaftlicher Kräfte und Strebungen ruht, schlechthin der zureichende Grund. Eine große gesellschaftliche Bewegung kann die für sie verfügbaren gesellschaftlichen Kräfte nur durch einen in ihr selbst andauernd spielenden, verwickelten dialektischen Prozess herausholen und einspannen, vornehmlich in Zeiten katastrophaler Erschütterung. Nötig ist in gewissen Entwicklungsabschnitten die Zurückdrängung eingängerischer Putschbedürfnisse; dazu diente auch die Fassung und immer wiederkehrende Predigt jenes Satzes, der einseitig auf diesen Entwicklungszustand der Arbeiterbewegung zugeschnitten ist. Aber im tieferen Sinn ist die Verfemung der Einzelaktion als anarchistisch oder anarchosozialistisch nur gerechtfertigt, wenn sie individualistisch nicht nur der Erscheinungsform, sondern auch der Wirkung, der gesellschaftlichen Bedeutung nach ist. Einzelhandlungen, die Massenaktionen zu fördern oder gar auszulösen vermögen, bestehen nicht nur vor dem kritischen Auge der marxistischen Gesellschaftslehre, sondern werden von ihr geradezu gefordert.

Massenaktionen im Sinne der gleichzeitigen Bildung und Durchführung eines Entschlusses zur Tat in allen Einzelnen, aus denen sich die das geschichtliche Werden entscheidende Masse zusammensetzt, sind ein Unding. Der erste Anstoß ruht stets beim Einzelnen oder mehreren Einzelnen; seine oder ihre Initiative ist das Signal für andere, und deren Eingreifen das Signal für die Übrigen. Ein Funke ist's, der zündet, wenn auch erst der Brand der entzündeten Massen die Feuersbrunst bildet.

Es ist nicht wahr, dass in jedem geschichtlichen Zeitpunkt das Möglichste, der Gesamtheit Nützlichste mit „Naturnotwendigkeit" vollzogen wird. Dieser Satz hieße das verwickelt organische Wesen aller Gesellschaftsentwicklung mit ihrer Breite der Möglichkeiten verkennen. Naturgesetzliche Ursächlichkeit und Notwendigkeit beherrscht freilich das gesellschaftliche Geschehen; aber in die Reihe dieser Ursächlichkeit und Notwendigkeit gehört auch die vom gesellschaftlichen Standpunkt aus sehr wandlungsfähige und beeinflussbare individuelle Kraft und Tat, und, soweit sie auslösend, massenzündend wirken kann, als ein Faktor hohen Grades.

Die bisherige Erziehung des Proletariats zur Unterordnung des Einzelnen unter die Gesamtheit, unter den von ihr umständlich gebildeten Entschluss bedarf bitter notwendig einer Ergänzung durch Erziehung zur freien, kühnen Initiative des Einzelnen für den richtig gewählten Moment: durch Erziehung zum Handeln auf eigene Verantwortung; durch Erziehung zur Fähigkeit, in Augenblicken, wo die Entschlüsse der Massen noch nicht getroffen werden konnten oder Verwirrung herrscht, auf eigene Faust das Richtige und Nötige zu finden und zu tun – als Alarmruf für das alsbaldige Eingreifen der Massen oder im Sinne ihrer zunächst noch verkannten tieferen Interessen. Dass es Zeiten gibt, in denen die Organisationen nicht wirken und nicht wirken können, in denen alle herkömmlichen Wege zur förmlichen Bildung und Ausführung des Massenwillens ungangbar sind, hat die Arbeiterklasse seit einem Jahr in schmerzlichen Erfahrungen gelernt, gründlich gelernt, und hoffentlich, um es nicht wieder zu vergessen.

Daraus gilt's die Nutzanwendung zu ziehen. Die Organisation hat wenigstens in Deutschland ihr Recht erkämpft; jetzt gilt's der Individualität zu geben, was ihrer ist: die auch zu Nutzen gerade der Organisationen gebotene Ellbogenfreiheit.

Der „Mechanismus" der gesellschaftlichen Machtausübung, der „Mechanismus", durch den sich potentielle gesellschaftliche Kräfte in kinetische Kräfte, durch die Tatsachen, die an sich mögliche gesellschaftliche Ursachen sind, sich in gesellschaftliche Wirkungen umsetzen, also in Wirklichkeit gesellschaftliche Ursachen werden, und die Art dieser Wirkungen, ihr Verhältnis zu der Art der Ursachen, der gesellschaftliche Resorptions- und Assimilationsprozess, in dem diese Ursachen zu Wirkungen gestaltet werden, ist noch nicht erschöpfend untersucht. Es handelt sich um einen sehr verwickelten sozialpsychologischen Vorgang. Der seelische Zustand der Gesellschaft ist nichts weniger als beständig. Mit seinen Wandlungen wechselt die Art, in der sich die Wirkungskette abwickelt.

Gleiche Ursachen können ganz verschiedene gesellschaftliche Wirkungen erzeugen. Die Verschiedenheit kann darin liegen, dass unter gewissen Umständen jede gesellschaftliche Wirkung ausfällt, dass eine Tatsache schlechthin gesellschaftlich unfruchtbar bleibt, nicht aufgesogen, nicht angepasst wird, zum Beispiel, indem sie nicht bekannt oder nicht verstanden wird. Die Verschiedenheit kann auch räumlich und quantitativ sein, das heißt in der Verschiedenheit der betroffenen Teile der Gesellschaft bestehen, wobei diese „Teile" bald verschiedene Gesellschaftsschichten (Klassen usw.), bald örtliche Gruppen verschiedener Größe sein können. Sie kann in der Qualität der Wirkung liegen, im Unterschied der erweckten Stimmung, des angeregten Urteils und des hervorgerufenen Verhaltens. Die Stärke der Wirkung auch im gleichen Gesellschaftskreis kann erheblich schwanken. Nicht minder ihre Dauerhaftigkeit. Und schließlich ihr zeitlicher Ablauf, insofern die Wirkung schneller oder langsamer, sofort oder – was gar nicht selten – erst nach einem recht langen Intervall, dann aber oft um so machtvoller eintritt, nach einem Zwischenraum scheinbarer Wirkungslosigkeit, währenddessen die Ursache unter Erhaltung ihrer potentiellen Kraft in einem gesellschaftlichen Verpuppungszustande ruht.

Auch der Weg der gesellschaftlichen Ursächlichkeit weist überraschende Mannigfaltigkeit auf, die sich zum guten Teil schon aus dem dialektischen Wesen der Gesellschaftsentwicklung ergibt. Die Wirkungsreihe kann gradlinig oder zickzackförmig, unmittelbar oder mittelbar sein, wie im Billardspiel rikoschettierend oder gleich einem Segelboot kreuzend.

Der Möglichkeiten sind um so mehr, je mehr die Objekte, auf die, und die Zwischenglieder, durch deren Vermittlung gewirkt wird, zumeist selbst nicht untätig, sondern in steter Tätigkeit verschiedenen Grades und verschiedener Richtung sind und so die verwickeltsten Gattungen der Wechselwirkung und sich nach Art der Cladischen Schallreihen gegenseitig schwächender, aufhebender, steigernder Effekte entstehen.

Die Erfahrung der Kriegszeit lehrt, in wie hohem Maße der Militarismus durch Ausschaltung und Unterbindung des Gedankenverkehrs, durch Verhinderung der Nachrichtenverbreitung, die Wirkung individueller Auffassungen und Handlungen, den Einfluss von Vorgängen, die an sich die Massen aufs stärkste erregen würden, hintan zu halten vermag.

Die Vorausberechnung der gesellschaftlichen Wirkung eines etwaigen Verhaltens bildet das Fundament der politischen Leistung.

Als Ziele des antimilitaristischen Abwehrkampfes kommen grundsätzlich alle Machtstellungen des Militarismus in Betracht: die militärischen im engeren Sinne wie die bürgerlichen, seine persönlichen und seine sächlichen Werkzeuge. Dazu einige Hinweise:

Der jetzige Krieg – das ist der Krieg des voll entwickelten Imperialismus – zeigt mehr als jeder frühere die Kriegführung als eine Angelegenheit nicht nur der Armee, sondern des ganzen Staatswesens, des ganzen Wirtschaftslebens und der gesamten Bevölkerung, von deren Charakter und Leistungsfähigkeit die Heeresorganisation freilich auch im Frieden hochgradig abhängt. Wie das ganze Wirtschaftsleben zu einer Funktion des Militarismus geworden ist, so der Staat zu einer bis ins einzelne durchgebildeten Maschine, weit „vollkommener", gewaltiger und verwickelter als selbst die viel bestaunte spartiatische, die sich neben ihr wie ein griechischer Wurfspeer neben einer Skodaschen 42-Zentimeter-Haubitze ausnehmen mag: Die Bürokratie ist zur Kanonokratie „empor gediehen". Von der amtlichen, halbamtlichen und privatfreiwilligen Regie zur „Begeisterung" der öffentlichen Meinung für den Krieg, von der Durchführung der Heeresmobilisation, dem Transportwesen und dem Nachrichtendienst; von der finanziellen Mobilmachung und der Regelung der Produktion oder anderweitigen Besorgung der Heeresbedürfnisse (Waffen und Munition, Ausrüstung und Bekleidung, Verpflegung) bis zur laufenden Bearbeitung der Zivilbevölkerung (Monopolisierung aller Instrumente der Stimmungsmache durch Belagerungszustand usw. und mehr oder minder virtuose Benutzung dieser Instrumente zur Verhinderung unliebsamer Strömungen; materielle Versorgung der Zivilbevölkerung einschließlich der Soldatenfamilien zur Vorbeugung oder zur Beseitigung unerwünschter Regungen) hat die zivile Staatsverwaltung – selbstverständlich unter militärdiktatorischer Obhut – ein außerordentliches Betätigungsfeld. Wenn ihr dabei die Parlamente, nicht nur verfassungsmäßig mitwirkend – diese Mitwirkung verflüchtigt sich unter der Herrschaft der Militärdiktatur zur theatralischen Farce –, sondern auch als gefälliger Putz, als demagogische Fänger, Treiber, Einpeitscher zur Seite stehen, so bedeutet das eine wichtige Unterstützung, die von den parlamentarischen Vertretern der herrschenden Klassen natürlich im bestverstandenen Eigeninteresse geleistet wird.

Das Wirtschaftsleben versorgt die Armee mit ihrem Bedarf. Wie das menschliche, so ist auch das sächliche Material der Kriegführung heute im Gegensatz zu einst keine einmal gegebene feste Größe, sondern ein fortgesetzt sich erneuerndes, ergänzendes, nach den jeweiligen Erfordernissen an Masse und Art wechselndes gesellschaftliches Erzeugnis. Bei der Vielfältigkeit und Riesenhaftigkeit des laufenden Armeebedarfs ist der mit seiner Herstellung und Zuführung beschäftigte Teil des Wirtschaftslebens schier unübersehbar. Der Begriff der Rüstungs- und gar der der Kriegsindustrie sowie der in ihrem Dienst stehenden distributiven Verrichtungen hat sich ungeahnt erweitert. Aber auch die Erzeugung und Verteilung des Bedarfs der Zivilbevölkerung, einschließlich des „geistigen" Bedarfs („panem et circenses"), gehört zu den Erfordernissen des modernen Krieges: Die Zivilbevölkerung muss – schon als Vorratsbecken für künftigen Heeresersatz und kapitalistisches Ausbeutungsobjekt und vor allem um der Armee willen (wegen ihrer Versorgung und zur Erhaltung ihres Kampfgeistes) – schlecht und recht in möglichst guter Stimmung erhalten werden.

Die Zivilbevölkerung ist nicht nur Träger der – persönlichen und sächlichen – Heeresversorgung, sondern, als Gegenstand der stärksten Interessen, der engsten seelischen und materiellen Lebensbeziehungen der Heeresangehörigen, ein Faktor von elementarem Einfluss auf die „Moral", den „Geist" der Armee. Die Sicherung ihrer „Moral", ihres „Geistes" gehört zu den unbedingten Notwendigkeiten der heutigen Kriegführung.

Zu den menschlichen Werkzeugen des imperialistischen Militarismus gehört also außer der Armee „als Versorger der Armee" ein großer Teil der Zivilbevölkerung, den man wenigstens in den wichtigsten Zweigen auch der militärischen Disziplin zu unterwerfen sucht; und schließlich – als Mittel zur Einwirkung auf die „Moral" der Armee und als menschlicher Stoff der kapitalistischen Gesellschaft überhaupt – die sonstige Zivilbevölkerung.

Zu seinen sächlichen Werkzeugen rechnen zuvörderst Waffen, Munition, Ausrüstung und aller übrige Heeresbedarf, schließlich aber der gesamte Bedarf auch der Zivilbevölkerung.

Der viel engere Kreis der militärischen und bürgerlichen Machtstellungen, der menschlichen und sächlichen Werkzeuge des Militarismus in Friedenszeiten braucht hier nicht näher umgrenzt zu werden; das ist anderwärts geschehen.

Dass der Militarismus nicht nur in seiner Friedens-, sondern auch in seiner Kriegsgestaltung zugleich der Bekämpfung des „inneren Feindes" dient, predigt die neueste Erfahrung mit tausend Zungen. Immerhin ist das besonders für den Militarismus in Kriegsform zweischneidig genug. Ist der „innere Feind" in der Zivilbevölkerung oder gar in der Armee selbst von einiger Kraft, so bedeutet das freilich Schwächung und weitere Gefährdung der militärischen „Moral"; seine Bekämpfung aber vergrößert leicht das Übel, sintemalen die „Moral" des ganzen Volkes mit allen seinen Klassen, Interessenkreisen und Gesinnungsgruppen und mit seiner Resonanz für Anklagen und Empörung aller Art zu beachten ist.

Eine Absperrung des Volkes in Waffen vom übrigen Volk oder gar des ganzen Volkes von sich selbst ist Nonsens. Durch Einschnürung der Tatsachenverbreitung und des Meinungsaustausches (Kontrolle der Korrespondenz, Zensur, Zeitungsverbote, Aufhebung des Vereins- und Versammlungsrechtes) könnte dieses Bedenken theoretisch verringert werden; aber solche Maßnahmen wirken auf die „Moral" nicht völlig sklavensinniger oder eingeschüchterter Menschen an sich verhängnisvoll; und Menschen, auf die sie nicht verhängnisvoll wirken, sind – bei dem Charakter der modernen Kriegführung – militaristisch minderwertig: eine der zahlreichen Zwickmühlen, in die der heutige Militarismus ständig gerät.

Freilich ist's mit dem Seelenzustand der Soldaten und der Zivilbevölkerung im Kriege ein eigenes Ding. Besonders an der Front, in ständiger Lebensgefahr, in dauernder ungeheurer Nervenanspannung, wird er leicht eng, monomanisch und primitiv; die Triebe herrschen, der Verstand schweigt; der Überblick fehlt, auch der über die Kriegsereignisse – jeder Gedanke über die Interessen der unmittelbaren eigenen Lebenshaltung hinaus geht zum Teufel; selbst die Anteilnahme an den Angehörigen tritt leicht zurück; Abstumpfung, Abhetzung, nicht zur Besinnung, nicht zu Atem kommen lassen ist eine ausgezeichnete Methode der seelischen Absperrung und Mechanisierung bis zur hemmungslosen Gefügigkeit. Doch auch sie findet schließlich ihre Schranke. Bei längerer Kriegsdauer versagt selbst der suggestive Einfluss des Erfolges; und die Triebhaftigkeit des soldatischen Seelenlebens schlägt dann leicht in erhöhte Gefährlichkeit um.

So sieht sich der Militarismus bei Bekämpfung des inneren Feindes in Kriegszeiten viel ernsteren Schwierigkeiten gegenüber als in Friedenszeiten.

Ein klarblickender, in der Geschichte des amtlichen und halbamtlichen Lügen- und Heuchlertums erfahrener, allen offiziellen und offiziösen Verlautbarungen grundsätzlich schroff misstrauender, gegen jede Stimmungsmacherei von oben gefeiter, ja sich gegen sie instinktiv aufbäumender, bis in die innerste Seele international und klassenkämpferisch gesonnener Sozialdemokrat kann nie ein williges Werkzeug des Militarismus sein, nicht im Frieden oder im Kriege gegen den inneren Feind noch im imperialistischen Kriege gegen den äußeren Feind; nicht in der Armee und nicht außerhalb der Armee. Das ist die vielberufene Zersetzung und Zermürbung des militaristischen Geistes.

Nichts tun, was die militärische „Moral" in Heer und Zivilbevölkerung fördern kann, heißt das erste Gebot für die Bekämpfung des Krieges vor und nach seinem Ausbruch. Eiserne Konsequenz in Befolgung dieses höchsten und heiligsten Gebots ist von jedem Sozialdemokraten und von der Politik der Sozialdemokratischen Partei zu fordern.

Gewaltig stärkte die politische Unterstützung des jetzigen Krieges und der Regierung durch die Sozialdemokratie, wo sie stattfand, den Imperialismus; sie vervielfältigte seine Sprungkraft, seine Elastizität, seine Zähigkeit, seine Selbstsicherheit.

Die Verpönung dieses Wahnsinns ergibt sich von selbst, und damit die Pflicht der entgegengesetzten Politik – die Ablehnung jeder Unterstützung – nicht nur, sondern die konsequente, rücksichtslose Bekämpfung der gesamten Regierungspolitik, die schärfste Fortführung des Klassenkampfes auf allen Gebieten; Burgkrieg, nicht Burgfrieden: Ausnutzung der durch den Krieg geschaffenen Lage „zur Aufrüttelung der Massen". In den Schrecken des modernen Krieges verblassen die Nöte selbst der blindwütigsten Säbeldiktatur: Hölle, wo ist dein Stachel! Wenn alle Bande der Menschlichkeit und Moral zerreißen und zerflattern, wird die Autorität paragraphenbedruckter Papierfetzen leichter zum nebelhaften Schemen, als sich mancher brave Parteibürokrat träumen lässt. Und auch das Postulat des großen Soldatenkönigs, dass der Soldat vor dem Vorgesetzten größere Angst fühlen müsse als vor dem Feinde, ist bei der infernalischen Grauenhaftigkeit der modernen Kriegführung nicht mehr zu verwirklichen; die Wurzel der militärischen Zwangsdisziplin wird morsch.

Freilich nur unter einer Voraussetzung: wenn wenigstens die Masse der Völker reif ist, sich ihre Zwecke selbst zu setzen, sich für eigene, selbstgewählte Ziele nach freiem Entschluss zu opfern, statt für die Ziele ihrer Feinde, die noch ihre Herren sind, wenn die kommandierte, sklavenmütige Opferbereitschaft verdrängt sein wird.

Sicher ist sie auch in Deutschland schon heute stärker entwickelt, als es den Anschein hat. Ungenützt verkümmert sie, wenn das Signal ausbleibt, wenn der Weg nicht gefunden wird. Schlecht besuchte Versammlungen jener totgehetzten Sorte beweisen weniger als nichts. Die Technik des „revolutionären" Kampfes ist in gewissen Ländern ganz unbekannt. Manch einer schmiedete sich gern ein Schwert. Die Erfahrung, die Überlieferung mangelt. Tausend für den politischen Alltag nützliche Hemmungsvorstellungen liegen als Felsblöcke auf der Bahn. Freischöpferische, schlagfertige Aktionsfähigkeit der Einzelnen, möglichst vieler Einzelner ist vonnöten, alle Wege führen den Kritiker der revolutionären Taktik heute nach diesem Rom.

Als mögliche Formen der unmittelbaren antimilitaristischen Aktion erörtert die Literatur: offene und versteckte Dienstverweigerung verschiedenen Grades und in Bezug auf verschiedene Verrichtungen (darunter Nichtgestellung, Dienstunbrauchbarmachung, Wehrstreik, das berühmte „nous ne tirerons pas" – „wir werden nicht schießen!" usw.), Diensthemmung (besonders durch überpeinliche Genauigkeit in der Befolgung der Vorschriften – vergleiche die erfolgreichen italienischen Eisenbahnerkämpfe!), Dienstverwirrung (durch verkehrte Ausführung der Befehle), Sabotage, Fahnenflucht (vergleiche die Vorgänge in der russischen Armee!) usw. Es ist aber klar, dass alles, was die Armee durch Ausscheidung gerade der tüchtigsten Antimilitaristen um so zuverlässiger in die Hände der Militaristen liefert, und alle bloß individuell geübten und individuell wirkenden Methoden grundsätzlich zu verwerfen sind.

Nach manchen Berichten musste der zweite Balkankrieg schließlich abgebrochen werden, weil die Truppen nicht mehr gegeneinander getrieben werden konnten: passive Resistenz! Wenn sich im jetzigen Krieg zwischen den monatelang einander gegenüberliegenden deutschen und französischen Soldaten gewisse kameradschaftsähnliche Beziehungen entwickelten, gegen die durch schroffe Befehle vorgegangen wurde, so verdient das immerhin einiges Interesse. Wie man munkelt, sollen französische Soldaten am Anfang des Krieges in Erwartung der Gegenseitigkeit zuweilen absichtlich über die Köpfe der Deutschen geschossen haben – eine schwer zu kontrollierende, kaum zu verhütende, jedoch an Gegenseitigkeit gebundene Form der Passivität.

Bemerkenswert ist in der Literatur die besondere Hochschätzung der „passiven Resistenz", deren Technik ungeahnter Ausbildung zu höchster Wirksamkeit in schwierigster Lage für fähig erachtet wird. „Die Zukunft gehört der passiven Resistenz" – so lautet der Refrain vieler Antimilitaristen.

Ein internationaler Generalstreik, ein internationaler Streik wenigstens in der Kriegs-, vor allem der internationalen Waffen- und Munitionsindustrie, würde – ähnlich dem internationalen Verkehrsstreik – einen Krieg gewiss hindern oder zu Ende bringen: Mars stünde von Stunde an entwaffnet da. Aber die Möglichkeit eines solchen Streiks, für den die englischen und französischen Sozialisten eifrig eintraten, begegnet starken Zweifeln; Bebel stellte ihm 1911 die ungünstigste Prognose. Die jetzt erwiesene Organisationskraft des kapitalistischen Wirtschaftssystems gegenüber dem Weltkrieg und die neuesten Erfahrungen in England, Russland, Amerika schieben das taktische Problem wieder in den Vordergrund. Dass selbst die Androhung der militärischen Einberufung für den Streikfall – wo die Bewegung die Massen ergriffen hatte – nicht verfangen konnte, wird von einigen Berichten behauptet.

International müsste eine solche Bewegung sein: Gleichmäßig müsste sie die Kriegsparteien treffen. Ihr Übergreifen auf etwaige diese oder jene Partei versorgende Neutrale wäre erforderlich. Erleichternd kann hierbei der equilibrierende Einfluss der Neutralen auf die Waagschale des kriegerischen Erfolges wirken, dieses sehr tief begründete Kennzeichen des jetzigen Krieges; ein Einfluss, mit dem auch für einen künftigen imperialistischen Krieg zu rechnen ist – notabene, wenn es dann noch Neutrale gibt.* Der Fortschritt in der kapitalistischen Uniformierung der Weltwirtschaft, das Zerrbild des geschlossenen Handelsstaates, das sich zum tiefen Schaden der Volkswohlfahrt als eine neue Form des kapitalistischen Verschwendungswahnsinns auch aus militaristischen Rücksichten zeitweilig durchzusetzen droht; das Streben, die Rüstungsindustrie zur Sicherung der Selbstversorgung jedes Landes aufzumästen, sie ganz oder halb zu verstaatlichen, wirken nicht minder international ausgleichend. Das in der sozialistischen Aufklärung zurückgebliebene Land wird auch militaristisch von vornherein minder leistungsfähig sein und besondere Keime der Zersetzung in sich tragen (vergleiche Russland). All das lässt sich freilich nicht genau vorausberechnen; aber diese Unsicherheit wirkt auch gegen den kriegslüsternen Militarismus, gegen seine Selbstsicherheit, deren er für alle seine Unternehmungen nicht entbehren kann. Es reicht mindestens zur Vorbeugung aus, dass genügend große Aussichten annähernd gleicher antimilitaristischer Stoßkraft erkennbar bestehen. Damit ist jene Schwierigkeit ungemein vereinfacht.

Die Jugendinternationale hat ein ernstes Vermächtnis übernommen: während des Weltkrieges das Allerheiligste der proletarischen Solidarität zu hüten, sich gegenseitig steigernde Wechselwirkungen in allen kriegführenden Ländern nach Kräften auszulösen und so im internationalen Klassenkampf für den Frieden die Ehre des Sozialismus zu retten. Begeisternd und faule Kompromisse hindernd, zum Aufbau der neuen, großen, fester zu gründenden Internationale anzuspornen. Alle Fibern dafür einzusetzen, dass sich die herrschenden Klassen gründlich verrechnen, wenn sie sich nach dem bequemen Sieg über die alte Internationale auch für die Zukunft ihrer größten Sorge ledig wähnen; dass kein neues, mörderisches Attentat des Imperialismus auf Blut und Wohlfahrt der Völker gelingt; dass der Militarismus, wenn er künftig die Faust gegen den inneren Feind erhebt, diesen gerüstet findet und, wenn er sich von neuem aufreckt, den Stahl auf die Menschheit zu zücken, die Brandfackel in die Welt zu schleudern, in Donner und Blitz zusammenstürzt.

Proletarier aller Länder – werdet heiß, werdet hart!

Die Vergangenheit war und die Gegenwart ist der Triumph des Völkermordens; die Zukunft muss der Triumph des Völkerfriedens sein; und die proletarische Jugend wird der neuen Internationale voranschreiten – aufwärts – der Sonne des Sozialismus entgegen.

Implacabilis

* Anmerkung. Die Neutralität wird im Weltkrieg wüster angefochten als die Keuschheit im Bordell. Man braucht Bundesgenossen oder doch die halbierte oder gevierteilte Jungfernschaft einer möglichst „wohlwollenden Neutralität" (d. h. Helfershelferschaft). Man braucht aber bei gewissen Konstellationen, so paradox es klingt, auch neue – Feinde; nicht nur zur Wegräumung bedenklicher Zweideutigkeiten, sondern auch als neue „Bundesgenossen" für den Gegenpart – um Zwist in die Reihen der feindlichen Koalition zu tragen, um ihre Front durch Interessengegensätze zu lockern. Statt „teile und herrsche" : „vergrößere und herrsche"! Erweiterung, Verallgemeinerung des kriegerischen Konflikts zum Zweck seiner Abschwächung – gar leicht ein weltpolitisches Vabanquespiel. Der jetzige Krieg bietet eine Musterkollektion für all dies.

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