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Karl Liebknecht 19151130 Brief an Berta Thalheimer

Karl Liebknecht: Brief an Berta Thalheimer1

[DZA, Potsdam, Oberreichsanwalt beim Reichsgericht, C 85/16, Bd. 5, Bl. 60. Nach Gesammelte Reden und Schriften, Band 8, S. 381 f.]

30. 11. 15

Liebe Genossin Th.!

Ihre Briefe kamen, der zweite heute. Vielen Dank. Ich stimme Ihnen sachlich voll zu u. schreibe an Rob. Ferner:

Die Sache2 wird gemacht, u. bald. Hier ganz inoffiziell; wohlerwogen; auch ohne das Schwergewicht der Zimm[erwald]-Versager u. -Halbversager. Je enger der Kreis, je entschlossener u. einheitlicher aber, um so nützlicher.

Die Julian-Frage3 liegt auf andrem Brett. Überlassen Sie sie uns. Sie ist taktisch ganz eigen u. intrikat. Ich will mich jetzt nicht näher äußern. Kleinlich werden wir nicht sein.

Wegen des Zirkulars wird das Gremium die Hauptantwort geben.

Zeitpunkt u. Ort:

Ich kann, bes. am 12., nur hier; auch am 19., kaum anders. Muss, nach meinem Bedürfnis wenigstens, dabei sein. Bitte dringendst. Kosten werden nicht hindern. Alles andre spricht für, nicht gegen hier.

Also bitte, kategorisch! Sie kennen meine persönliche Lage.

Meine Anfragen, in verschärfter Form, sind gestern – bis auf die, wie vorauszusehen, peinlichste über Winterfeldzug – endlich in „Geschäftsgang" genommen. Bis dahin durch Zensur u. Geschäftsordnungskniffe unterdrückt. Und jetzt noch Zensur. Toll. Natürlich vorausgesehen.

Die Winterfeldzugfrage abgelehnt vom Präs., „weil ihre Wirkung eine schwere Schädigung des Deutschen Reiches herbeizuführen geeignet ist" (Kaempf). Sachlich noch kindischer und verblüffender als stilistisch. R.T. Präs. politischer Zensor! Ich zwinge den Reichstag selbst zur Stellungnahme usw. Lasse nicht locker!

Wie sich die Fraktionsmehrheit, aber noch vielmehr ihre Minderheit, zum Gespött gemacht hat, haben Sie gelesen. Ein Aristophanes wäre da zu schade. Kinderpossen von Männern verübt? Ach nein! Auch keine Rüpelnarretei shakespeareschen Stils. Ohne Gleichnis, ohne Gleichen – Ben Akiba war ein gutmütiger Narr. Keine Narrenpritsche sind sie wert. Ich verschrieb mich dem Teufel, könnt ich sie jetzt als Paviane in den kaiserlichen Tiergarten schicken.

Die Thesen leg ich noch vor. (Verständigt natürlich.)

Bitte 1. Cr.4 hiervon Kenntnis geben.

2. Wie steht’s mit No. Mit dem Druckprojekt, Rob. betreff. Ich hab noch einiges Kleines davon, woran mir liegt. Hat er Geld? Alles hat Eile. Ich muss ihn möglichst sehn. Sicherste Adresse? Ich bin ganz ohne seine versprochene Nachricht.

Erbitte bald Antworten.

Herzlichst

Ihr K. L.

1 Berta Thalheimer, führende Vertreterin der Gruppe Internationale in Stuttgart, vertrat zusammen mit Ernst Meyer die Gruppe Internationale auf der ersten Zimmerwalder Konferenz Anfang September 1915.

2 Es handelt sich um die Vorbereitung der Reichskonferenz der Gruppe Internationale.

3 Gemeint ist offensichtlich das Verhältnis der Gruppe Internationale zu den von Julian Borchardt geleiteten „Internationalen Sozialisten Deutschlands".

4 Vermutlich Arthur Crispien.

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