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Karl Liebknecht 19150800 Brief an Rosa Luxemburg

Karl Liebknecht: Brief an Rosa Luxemburg

Bemerkungen zu ihrem Entwurf der Leitsätze für die Gruppe Internationale1

Unter dem Banner des Marxismus (Wien/Berlin), März 1925 bis Januar 1926, S. 420/421. Nach Gesammelte Reden und Schriften, Band 8, S. 302-304]

Zu den Hauptgedanken der Kritik (1-7) und den Richtpunkten zur Orientierung der sozialistischen Politik (8, 9; bes. „Grundlagen" 1, 2) natürlich mit Haut und Haar einig.

Die Entwicklung der „Majorität" von der Passivität durch die Impotenz zum Renegatentum müsste baldigst für die Massen drastisch konterfeit werden. Freilich nicht minder die himmelschreiende Gottjämmerlichkeit der sogenannten „Minorität" – diesen Korb voll hüpfender Flöhe – so verworren, nur nicht so lustig anzuschauen ; voller Flöhe, die nicht mal stechen können oder – aus Ordnungsliebe und „Disziplin" – wollen; im Vergleich zu denen der Minister-Floh des Ministers Goethe ein ganzer Kerl war und die berühmte „stets im Gras ihr altes Liedchen singende" Zikade ein Wunder voll Sturm und Drang. Ich sah jüngst in Lothringen einen Wallach, der sich trotz seiner Wallachei dann und wann an einer Stute mühte; der keusche Joseph möge das Zeichen deuten! Item – die Massen in allen Ehren, aber die einstigen Sümpfler quaken und laichen wieder im alten Sumpf. Die „Minorität" – verzeihen Sie, wenn mich's hier übermannt. Das waren Wochen! Skorpionen her, diese „Myrmidonen" des Klassenkampfes voran zu züchtigen! Aber man trifft nur die Luft. Und die Narrenpritsche bleibt als einzige Hoffnung.

Nur einige Worte der Kritik zu Ihnen, wir müssen uns ja notwendig ganz offen aussprechen:

Zu 9 Schluss kann nach der Stilisierung („hängen davon ab, ob . . . sich . . . aufraffen wird") das Schicksal des Sozialismus zu unbedingt von dem freien Entschluss des internationalen Proletariats abhängig gemacht erscheinen, einem Entschluss, von dem es nach den gebrauchten Wendungen den Eindruck erwecken könnte, dass er als nur durch Agitation, Belehrung, Erziehung bestimmt, bestimmbar betrachtet werde, während diese Tätigkeiten im gesellschaftlichen Massenprozess doch hauptsächlich entbindende, nicht erzeugende Kraft haben und selbst wiederum objektiv bedingt, bestimmt sind. – Etwas andere Formulierung wäre erwünscht.

Zu 12 soll – ich weiß wohl – bedeuten: Die neue Internationale, die nach dem Zusammenbruch („Sprengung" besagt zu wenig) der bisherigen entstehen, aufgebaut werden wird, muss auf folgenden Grundlagen beruhen usw. Es handelt sich nicht um den Plan einer Gründung neben irgendwelchen anderen möglichen Gründungen, sondern um die Richtlinien für die Gestaltung der trotz alledem „einen und unteilbaren" Internationale. – Ließe sich das nicht deutlicher ausdrücken?

Zu 3 und 4 der „Grundlagen": zu mechanisch-zentralistisch. Zuviel „Disziplin", zu wenig Spontaneität, deren Vorbereitung und Entfaltung die Hauptaufgabe ist. Spontaner Parallelismus von Empfindungen, Gedanken, Zielen, Forderungen, Taten; spontan erwachsende Koalition, Kooperation bilden die wichtigste Grundlage, die einzige Dauergewähr des künftigen Sieges. – „Von unten auf", „Massen, nicht Führer", gilt natürlich auch hier. „Diktatur" der Internationale nur möglich, falls nicht Diktatur, nicht Willensaufzwingung, sondern zweckmäßigste Methode der Aktion, der Willensausübung; falls nicht Aufnötigung eines Wohlfahrtsausschusses oder sonstigen Zentralwillens auf die Massen, sondern energischste Form der Vollziehung des organisatorisch ermittelten oder frei erkannten Massenwillens.

Zu 5: Die Massen zu sehr als Werkzeuge der Tat, nicht als Träger des Willens gedacht; als Werkzeuge der von der Internationale gewollten und beschlossenen Tat, nicht als Selbst-Woller, Selbst-Beschließer. Was bedeutet die scharfe Kontrastierung der Massen und der Internationale? Die internationalen Massen sind die Internationale. Die Alternative „Führer oder Massen" kann nicht in die Alternative „Die Führer der Internationale oder die Führer ihrer internationalen Sektionen" gekehrt werden; wenn die ersteren natürlich auch – wenigstens heute noch für Deutschland – ein günstiger Austausch wären.

Zu 5 und 6: 6 gehört vor 5. Tritt in der Umstellung nicht die eben bedeutete Abweichung wiederum zutage?

Im allgemeinen: Das Wichtigste zur Vorbereitung der neuen Internationale ist, dass jetzt noch etwas getan wird, was sich sehen lassen kann; was den Gedanken, der die neue Internationale erfüllen muss, heute nicht nur theoretisch gedacht, sondern bereits lebendig, in Opferwillen und Aktionskraft, in Tatbereitschaft und Tat inkarniert zeigt. Der Kurs der Theoremen, taktischen Vorsätze, Resolutionen, Thesen, Statuten, Programme und selbst von Organisationen mit den schönsten Programmen der Welt ist bei den vielen patriotischen Runs spekulativer Sozialisten verhängnisvoll gestürzt. Am Anfang der neuen Internationale soll die Tat stehen, dann ist sie geboren, getauft und fertig da; in der Gegenwart fest, für die Zukunft sicher.

Gelingt die Tat nicht, so bleibt allein der andere, langsamere Weg zu ihrer Schöpfung, der auf den ersten Tagesreisen der Weg erbarmungslosester Kritik sein muss.

Ich weiß, auch darüber sind wir einig.

1Undatiert, vermutlich im August 1915 geschrieben

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