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Karl Liebknecht 19151214 Der Anfragenfeldzug

Karl Liebknecht: Der Anfragenfeldzug

[Nach Verhandlungen des Reichstags, XIII. Legislaturperiode, II. Session, Bd. 306, Berlin 1916, S. 448-450 und nach Gesammelte Reden und Schriften, Band 8, S. 428-434]

Kleine Anfragen im Deutschen Reichstag

Liebknecht:

1. Ist die Regierung bei entsprechender Bereitschaft der übrigen Kriegführenden bereit, auf der Grundlage des Verzichts auf Annexionen aller Art in sofortige Friedensverhandlungen einzutreten?

Diese am 10. November gestellte Anfrage ziehe ich zurück, nachdem am Donnerstag1 der Herr Reichskanzler sie bereits verneint hat.

(Glocke des Präsidenten.)

Die Regierung will den Eroberungskrieg und nicht den Frieden.

(Glocke des Präsidenten. – Lebhafte Unruhe.)

2. Auf welcher sonstigen Grundlage ist die Regierung bereit, in sofortige Friedensverhandlungen einzutreten?

Präsident: Das Wort zur Beantwortung der Anfrage hat der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts.

von Jagow, Staatsminister, Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Bevollmächtigter zum Bundesrat: Das erforderliche Material zur Beurteilung der Entstehung des Weltkriegs und der Neutralitätsfrage ist bereits veröffentlicht worden. Die Regierung beabsichtigt auch fernerhin, über wichtige diplomatische Verhandlungen –

Präsident: Ich darf wohl bemerken, dass die Ziffer 1 der Anfrage auf Nr. 152 der Drucksachen zurückgezogen worden ist. Es steht nur die Ziffer 2 zur Verhandlung.

von Jagow: Ich konnte es nicht verstehen, es war zu leise gesprochen. Nach den Verhandlungen vom 9. dieses Monats muss ich es ablehnen, auf diese zweite Frage zu antworten.

Liebknecht: Ich bitte ums Wort zu einer Ergänzung der Anfrage gemäß Paragraph 31b der Geschäftsordnung!

Präsident: Zu einer Ergänzung der Anfrage hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Liebknecht.

Liebknecht: Welches Verhalten denkt die Regierung einzuschlagen gegenüber einem Friedensvermittlungsvorschlag neutraler Regierungen, wie er jetzt von der Schweizer Sozialdemokratie beim Schweizer Bundesrat beantragt worden ist?

Präsident: Das ist keine Ergänzung, sondern eine neue Anfrage, die nicht zulässig ist.

(„Sehr richtig!")

Wir kommen zu der

Anfrage Nr. 4, Dr. Liebknecht, Nr. 153 der Drucksachen.

Das Wort zur Verlesung der Anfrage hat der Herr Abgeordnete Dr. Liebknecht.

Liebknecht: Ist die Regierung endlich bereit, die Dokumente und das sonstige amtliche und halbamtliche Material über die unmittelbare Entstehung des Weltkrieges, insbesondere

a) über die diplomatische Vorgeschichte des österreichischen Ultimatums an Serbien vom 23. Juli 1914, darunter die offiziellen und offiziösen Verhandlungen zwischen der deutschen und der österreichischen Regierung seit dem Mord von Sarajevo,

b) über die Vorgeschichte des Bruchs der luxemburgischen und belgischen Neutralität, dem Reichstag und dem deutschen Volk vorzulegen?

Ist sie bereit, für die sofortige Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission einzutreten, die unter Kontrolle der Öffentlichkeit die Verantwortlichkeiten prüfen und die Verantwortlichen der Sühne zuführen soll?

Präsident: Zur Beantwortung der Anfrage hat das Wort der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts.

von Jagow: Das erforderliche Material für die Beurteilung der Entstehung des Weltkriegs und der Neutralitätsfragen ist bereits veröffentlicht worden.

(„Sehr richtig!")

Die Regierung wird aber auch fernerhin über wichtige diplomatische Verhandlungen Veröffentlichungen vornehmen, soweit ihr dies für die Aufklärung der Öffentlichkeit erforderlich erscheint. Für die Einsetzung einer parlamentarischen Kommission einzutreten, lehnt die Regierung ab.

(„Bravo!")

Die Verantwortlichkeit und Sühne trifft nur unsere Gegner.

(Lebhafter Beifall.)

Präsident: Wir kommen zur –

Liebknecht: Ich bitte um das Wort zu einer Ergänzungsfrage!

Präsident: Für welche Nummer?

Liebknecht: Für diese Nummer 4!

Präsident: Das Wort zur Ergänzung der Anfrage hat der Herr Abgeordnete Dr. Liebknecht.

Liebknecht: Ist die Regierung wenigstens bereit, das gesamte amtliche dokumentarische Material über die erwähnten Vorgänge sofort vorzulegen?

Präsident: Zur Beantwortung der Ergänzung hat das Wort der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts.

von Jagow: Ich habe nichts hinzuzusetzen.

(„Bravo!")

Liebknecht: Noch eine Ergänzung, Herr Präsident!

(Heiterkeit.)

Präsident: Das Wort zu einer Ergänzung der Anfrage auf Nr. 153 hat der Herr Abgeordnete Dr. Liebknecht.

Liebknecht: Ist dem Herrn Reichskanzler bekannt, dass nach einer am 5. Dezember vorigen Jahres gehaltenen unwidersprochenen Kammerrede des neutralistischen früheren italienischen Ministerpräsidenten Giolitti die österreichische Regierung schon im August 1913 – –

(Glocke des Präsidenten. – Lebhafte Zurufe: „Neue Frage!")

Präsident: Das ist eine neue Frage.

Zur Verlesung der

Anfrage auf Nr. 154

hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Liebknecht.

Liebknecht: Herr Präsident, ich habe gemäß Paragraph 31b der Geschäftsordnung das Wort zu einer Ergänzung der Anfrage auf Nr. 153 erbeten.

Präsident: Sie haben schon zwei Ergänzungen gestellt.

Liebknecht .Die Geschäftsordnung sieht keinerlei Einschränkung vor!

(Heiterkeit.)

Präsident: Gut! Bitte, zur Ergänzung von Nr. 153!

Liebknecht: Warum hat der Herr Reichskanzler dem Reichstag vor und in der Kriegssitzung vom 4. August vorigen Jahres das am 2. August ergangene belgische Ultimatum verschwiegen?

(Große Unruhe und Zurufe.)

Präsident: Das ist keine Ergänzung, sondern eine neue Anfrage, die ich nicht zulassen kann. Haben Sie noch eine Ergänzung zu Nr. 153?

(Schallende Heiterkeit. Zuruf des Abgeordneten Dr. Liebknecht.)

Das Wort zur Verlesung der Anfrage auf Nr. 154 der Drucksachen hat der Herr Abgeordnete Dr. Liebknecht.

Liebknecht: Herr Präsident, ich habe noch eine Ergänzungsfrage!

(Große Heiterkeit.)

Präsident: Das geht nun aber nicht!

Liebknecht: Herr Präsident, Sie haben mich gefragt!

Präsident: Da ich Ihnen schon das Wort zu der nächsten Anfrage erteilte, werden wir mit dieser fortfahren. Das Wort zur Verlesung der Anfrage Nr. 154 hat der Herr Abgeordnete Dr. Liebknecht.

Liebknecht: Herr Präsident, ich habe noch um das Wort gebeten zu einer Ergänzung der Anfrage!

Präsident: Ich war schon zu Nr. 154 übergegangen. Ich bitte Sie, nunmehr die Anfrage Nr. 154 zu verlesen.

Liebknecht: Ist der Regierung bekannt, dass die Masse des deutschen Volkes die maßgebende Bestimmung über die auswärtige Politik Deutschlands für sich beansprucht, das heißt die Ersetzung der Geheimdiplomatie durch eine unter dauernder Kontrolle der Öffentlichkeit stehende auswärtige Politik, und deren allgemeine Demokratisierung fordert?

Ist die Regierung bereit, dem Reichstag noch während des jetzigen Tagungsabschnittes einen Gesetzentwurf vorzulegen, der diese Forderung erfüllt und die Entscheidung über Krieg und Frieden der Volksvertretung überträgt?

Präsident: Das Wort zur Beantwortung der Anfrage hat der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts.

von Jagow: Die Regierung ist nicht bereit, den sub b genannten Wünschen des Herrn Abgeordneten Dr. Liebknecht zu entsprechen und eine hierfür erforderliche Verfassungsänderung vorzuschlagen. Damit erledigt sich auch der erste Teil der Anfrage.

Liebknecht: Neuorientierung!

(Lachen.)

Präsident: Wir kommen zur

Anfrage Nr. 6, Dr. Liebknecht, Nr. 155 der Drucksachen.

Zur Verlesung der Anfrage hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Liebknecht.

Liebknecht: Weiß die Regierung, in welch schwerer wirtschaftlicher Not sich die Masse des deutschen Volkes infolge des Krieges, der Gewinnsucht kapitalistischer Interessengruppen und des Versagens der Regierung befindet?

Ist die Regierung endlich bereit, zur Steuerung dieser Not bei energischer Steigerung der allgemeinen Kriegsfürsorge ohne weiteres Zögern unter Beiseiteschiebung aller Sonderinteressen die erforderlichen Schritte zur ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln (Nahrung, Kleidung, Unterkunft, Heizung, Beleuchtung) zu tun, und zwar durch Regelung der Produktion nach den Interessen der Allgemeinheit, durch Beschlagnahme der Vorräte und ihre gleichmäßige Verteilung auf die Gesamtbevölkerung, so zwar, dass sie den Bedürftigen bei einfachster und weitherzigster Prüfung der Bedürftigkeit, unter scharfer Anspannung öffentlicher Mittel, aber unter grundsätzlicher Ausschaltung der Armenfürsorge auf diesem Gebiete, kostenlos oder zu leicht erschwinglichen Preisen in ausreichender Menge zur Verfügung stehen?

Präsident: Das Wort zur Beantwortung der Anfrage hat der Herr Direktor im Reichsamt des Innern Dr. Lewald.

Lewald, Direktor im Reichsamt des Innern, stellvertretender Bevollmächtigter zum Bundesrat: Der Herr Reichskanzler lehnt die Beantwortung dieser Frage ab.

(„Bravo!")

Liebknecht: Ich bitte um das Wort zur Ergänzung!

Präsident: Das Wort zur Ergänzung dieser Anfrage hat der Herr Abgeordnete Dr. Liebknecht.

Liebknecht: Erkennt die Regierung an, dass nach den bisherigen Erfahrungen die allgemeine Beschlagnahme der vorhandenen Vorräte die notwendige Grundlage für alle weiteren Maßregeln bilden muss?

Präsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, das ist keine Ergänzung, sondern eine neue Anfrage!

(„Sehr richtig!")

Liebknecht: Das ist eine Ergänzung und keine neue Anfrage! Ich bitte um das Wort zu einer neuen Ergänzung!

Präsident: Das Wort zu einer neuen Ergänzung der Anfrage hat der Herr Abgeordnete Dr. Liebknecht.

Liebknecht: Wird die Regierung wenigstens die Beschlüsse der Budgetkommission, die in der Richtung dieser meiner Forderungen liegen, ausführen?

Präsident: Zur Beantwortung dieser Ergänzung hat das Wort der Herr Direktor im Reichsamt des Innern Dr. Lewald.

Lewald: Ich lehne im Namen des Herrn Reichskanzlers die Beantwortung dieser Ergänzungsfrage ab.

(„Bravo!")

Liebknecht: Das wird das Volk verstehen!

Präsident: Wir kommen zu der

Anfrage Nr. 7, Dr. Liebknecht, Nr. 156 der Drucksachen.

Zur Verlesung der Anfrage hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Liebknecht.

Liebknecht: Welchen Begriff verbindet die Regierung mit dem Wort „Neuorientierung" der inneren Politik?

Hat sie ein konkretes Programm zu dieser Neuorientierung?

Welches ist dieses Programm im einzelnen?

Wann gedenkt die Regierung es zu verwirklichen?

Ist die Regierung bereit, noch im Laufe des jetzigen Tagungsabschnitts oder wann sonst die erforderlichen Vorlagen zur Demokratisierung von Verfassung, Gesetzgebung und Verwaltung des Deutschen Reichs und seiner Einzelstaaten, insbesondere zur Reform des Wahlrechts für die gesetzgebenden und Verwaltungskörperschaften und zur Demokratisierung der Wehrverfassung zu machen?

Präsident: Zur Beantwortung der Anfrage hat das Wort der Herr Direktor im Reichsamt des Innern Dr. Lewald.

Lewald: Der Herr Reichskanzler lehnt die Beantwortung auch dieser Frage ab.

Liebknecht: Das wird das Volk verstehen! Ich bitte um das Wort zur Ergänzung der Anfrage!

Präsident: Das Wort zur Ergänzung der Anfrage hat der Herr Abgeordnete Dr. Liebknecht.

Liebknecht: Wie stellt sich die Regierung besonders zur Frage der preußischen Wahlrechtsreform?

(Lachen und Zurufe.)

Das ist eine Frage, die das ganze deutsche Volk betrifft.

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Das ist keine Ergänzung, sondern eine neue Anfrage.

Liebknecht: Das ist keine neue Anfrage, sondern eine Detailausführung der Anfrage!

Präsident: Wir kommen zum zweiten Gegenstand der Tagesordnung …

1 9. Dezember 1915, bei der Behandlung der sozialdemokratischen Friedensinterpellation.

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