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Karl Liebknecht: Disziplinbrüche!

Flugblatt (Februar 1915)

[Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Zentrales Parteiarchiv, DP V/12. Nach Gesammelte Reden und Schriften, Band 8, S. 197-199]

Bekanntlich stimmte in der Reichstagssitzung vom 2. Dezember 1914 der Genosse Dr. Liebknecht als einziger gegen die Bewilligung der Kriegskredite, trotzdem die Fraktion beschlossen hatte, dafür zu stimmen. Wegen dieses „Disziplinbruches" wurde er ja von der Fraktion „verurteilt". Diese Disziplinbruchsgeschichte ist aber nicht vollständig. Wir halten folgende Ergänzung nötig nachzutragen:

Als am 2. Februar in der deutschen sozialdemokratischen Reichstagsfraktion der „Disziplinbruch" Liebknechts behandelt wurde, geschah dies unter größter Erregung der Fraktionsmitglieder. Unter denen, die Liebknecht mit Beschimpfungen wie Lump, Lümmel, Hampelmann, Fatzke usw. oft minutenlang überhäuften, tat sich neben Ulrich, Thöne, Peus, Rauch besonders auch Hildenbrand hervor. Da sprang plötzlich der Genosse Edmund Fischer-Zittau (ein Mitglied der äußersten Rechten in der Fraktion) in die Höhe und erklärte schreiend unter atemloser Spannung der Fraktion folgendes: „Das Vorgehen gegen Liebknecht ist eine empörende Heuchelei! Als ich im August 1914 nach Berlin gefahren bin, war ich fest überzeugt, dass die Fraktion gegen die Kriegskredite stimmen würde. Aber ich hatte mir vorgenommen, unter allen Umständen dafür zu stimmen. Und zahlreiche meiner Freunde – es mögen 25 bis 30 gewesen sein – waren genauso wie ich entschlossen, dies zu tun, auch auf die Gefahr eines Disziplinbruches hin. Das kann nicht bestritten werden, und deshalb nenne ich das Vorgehen gegen Liebknecht nochmals eine empörende Heuchelei!"

Man kann sich lebhaft vorstellen, welche Verblüffung diese Enthüllung hervorrief, so mancher saß da wie vor den Kopf geschlagen.

Aber keiner protestierte. Nur Schöpflin, der nächste Redner, erklärte, dass er gern zu denen gehöre, die sich so geäußert, doch habe er nicht die Disziplin brechen wollen, sondern sein Mandat hätte er niederlegen wollen. Dass gerade Schöpflin von Mandatniederlegen sprach, entfesselte allgemeines Gelächter, denn man kennt – Schöpflin.

Auf Drängen seiner Freunde suchte zwar Fischer seine Erklärung am andern Tag etwas abzuschwächen, so, dass zwar keine positive Erklärung abgegeben worden sei, er habe aus den Gesprächen die Überzeugung gewonnen usw.

Auch hierüber wurde mit gebührender Heiterkeit quittiert.

Nun ist aber interessant, dass diese Leute, die hier fest entschlossen waren, selbst Disziplinbruch zu begehen, und einen andern deswegen hängen wollen, schon zweimal eklatanten Disziplinbruch verübten.

Das erste Mal, als sie den sozialdemokratischen Antrag auf Erhöhung der Landbriefträgergehälter dadurch niederzustimmen versuchten, dass sie beim Hammelsprung entgegen dem Fraktionsbeschluss sich weigerten, mit abzustimmen. Dies wurde von Gothein (Fortschrittler) des anderen Tages angenagelt. (Stenographischer Bericht von der 261. und 262. Sitzung.)

Das zweite Mal wurde von derselben Seite Disziplinbruch verübt, als bei Sessionsschluss von der Fraktion beschlossen wurde, beim Kaiserhoch sitzen zu bleiben. Trotz dieses Beschlusses verließen sie unter Keils Führung den Saal. Das war eine direkte Verhöhnung des Fraktionsbeschlusses. Und diese Leute hatten den Mut, gegen Liebknecht das Verdammungsurteil auszusprechen, wegen – Disziplinbruches – und trotzdem [ihnen] in der betreffenden Sitzung ihre eigenen Sünden vorgehalten wurden.

Das ist der Gipfel.

Dieselbe Mehrheit der Fraktion ist sich auch klar darüber, dass die Bewilligung der Kriegskredite konsequenterweise die Bewilligung des Budgets nach sich ziehen muss. Hiergegen gibt es aber ganz bindende Parteitagsbeschlüsse. In Hinsicht auf den „Fall" Liebknecht wagt man diese offene Verhöhnung der Parteitagsbeschlüsse jedoch nicht. Man sucht einen anderen Weg, aus dem Dilemma zu kommen. Kann man Beschlüsse nicht ohne weiteres übertreten, so – hebt man sie einfach auf. Und so besteht tatsächlich die Absicht: Auf einer gemeinsamen Tagung des Parteiausschusses, des Parteivorstandes und der Reichstagsfraktion sollen diese Parteitagsbeschlüsse vorübergehend außer Kraft gesetzt werden. Der nächste Parteitag soll dann Indemnität erteilen. Es ist zwar zu definitiven Schritten noch nicht gekommen, darum ist es aber Zeit, dagegen Front zu machen!

Das fehlte gerade noch, dass die sozialistisch-nationalistisch-imperialistische Mehrheit die Partei einfach vergewaltigt.

Die Arbeiter haben hiergegen auf der Hut zu sein, wenn sie nicht eine neue Überraschung erleben wollen.

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