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Karl Liebknecht 19150300 Hat die Sozialdemokratie alles getan, um den Krieg zu verhindern?

Karl Liebknecht: Hat die Sozialdemokratie alles getan, um den Krieg zu verhindern?1

Manuskript

[Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Zentrales Parteiarchiv, NL-1/23. Nach Gesammelte Reden und Schriften, Band 8, S. 222-224]

Der vom Basler Kongress 1912 wiederholte Beschluss des Stuttgarter Kongresses 1907 sagt:

Droht der Ausbruch eines Krieges, so sind die arbeitenden Klassen und deren parlamentarische Vertretungen in den beteiligten Ländern verpflichtet, … alles aufzubieten, um durch die Anwendung der ihnen am wirksamsten erscheinenden Mittel den Ausbruch des Kriegs zu verhindern, die sich je nach der Verschärfung … der allgemeinen politischen Situation naturgemäß ändern."

Die deutsche Sozialdemokratie hat es, als der Ausbruch des jetzigen Kriegs drohte, an scharfen Artikeln und Manifesten kaum fehlen lassen; möglich, ja wahrscheinlich, dass an Versammlungen und sonstigen Massenkundgebungen mehr hätte geschehen können, doch soll auch hier darüber nicht gerechtet werden.

War ein Massenstreik mit Aussicht auf Erfolg durchführbar? In weiten Kreisen der Arbeiterschaft scheint man auf eine solche Parole gerechnet zu haben. Das raffinierte diplomatische Spiel, dem es gelungen war, in den entscheidenden Tagen den Zarismus als Sündenbock vorzuschieben, hatte freilich eine so hochgradige Verwirrung der öffentlichen Meinung erzielt; die Trümpfe der staatlichen Machtmittel waren in so gewaltiger Steigerung und Bereitschaft in den Händen der Kriegsmacher; die Aktionsbereitschaft der Arbeiterorganisationen war gerade in diesen Tagen aus verschiedenen Gründen derart gemindert, dass die Aussichten einer großen, über rasch unterdrückte Ansätze hinausgehenden Massenstreikbewegung nicht günstig waren.

Richtig ist, dass die Opfer einer solchen Bewegung im Vergleich zu den wahnwitzigen Massenopfern des Kriegs lächerlich gering und wahrlich rühmlich gewesen wären. Aber die Fähigkeit, aus eigenem freiem Entschluss für selbst gesetzte Ziele auch nur den hundertsten Teil der Opfer zu bringen, die dann auf Kommando von oben gebracht wurden, ist im deutschen Proletariat nicht entwickelt. Ein solcher Massenstreik wäre die Revolution gewesen, die von der besten Organisation nicht aus dem Boden gestampft werden konnte. Wäre die Vorbedingung dafür vorhanden gewesen, so wäre dafür eine Massenstimmung Voraussetzung gewesen, die sich auch beim völligen Versagen der Organisation irgendwie, wenn auch verworren und zerfahren, hätte entladen müssen. Kein solches Symptom ist in Erscheinung getreten.

Die Frage der Gegenseitigkeit macht unter diesen Umständen wenig Beschwer. Wir zweifeln nicht an ihr; da die Umstände in den beteiligten Ländern einschließlich Russland annähernd die gleichen waren wie in Deutschland.

Kluge Leute meinen, die Kreditverweigerer seien nur Maulhelden; sie hätten sich Unter den Linden hinstellen und das Volk zur Dienstverweigerung aufrufen sollen. Über diesen anarcho-sozialistischen Galimathias, der individuelle Aktionen, lächerliche Donquichotterien einzelner aus durchsichtigen Gründen als sozialistisch empfiehlt, während der Sozialismus nur Massenaktionen kennt, bedarf es keines Worts. Auch Dienstverweigerung ist nur als Massenaktion denkbar. Ihre Möglichkeit im August 1914 begegnete denselben und noch stärkeren Zweifeln als die eines wirksamen Massenstreiks.

Mag also immerhin weder Massenstreik noch Massendienstverweigerung als internationale Aktion durchführbar gewesen sein, hat darum die Sozialdemokratie alles in ihren Kräften Stehende gegen den Krieg getan?

1 Originalüberschrift. – Undatiert; entstand vermutlich im März oder Mai 1915.

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