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Karl Liebknecht 19150309 Hintergründe der Verhaftung Rosa Luxemburgs

Karl Liebknecht: Hintergründe der Verhaftung Rosa Luxemburgs

Rede im preußischen Abgeordnetenhaus zum Justizetat

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 22. Legislaturperiode, II. Session 1914/15, 7. Bd., Berlin 1916, Sp. 8659, 8754-8757, 8759 und nach Gesammelte Reden und Schriften, Band 8, S. 210-217]

I

Bemerkung zur Geschäftsordnung

(4. März 1915)

Meine Herren, ich hatte das Bedürfnis, heute das Verfahren zur Sprache zu bringen, das die Justizverwaltung meiner Freundin Rosa Luxemburg gegenüber

(Lachen.)

einzuschlagen sich bemüßigt gefühlt hat und das zeigt, dass die preußische Justiz in der Zeit des „Burgfriedens" ebenso wie je

(Unruhe. Glocke des Präsidenten.)

ein eminent politisches Instrument ist.

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident Dr. Graf von Schwerin-Löwitz: Was dieses Verfahren beweist, darüber haben Sie sich in einer Bemerkung zur Geschäftsordnung nicht auszulassen. Ich bitte, sich streng an die Geschäftsordnung zu halten.

Liebknecht: Ich bedauere auf das lebhafteste, dass ich nicht in der Lage gewesen bin, diesem Verfahren die erforderliche Kennzeichnung vor aller Öffentlichkeit zuteil werden zu lassen.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

II

Rede

(9. März 1915)

Meine Herren, vor wenigen Tagen haben Sie mir in Fortsetzung einer alten Gepflogenheit dieses Hauses, das sich also auch in dieser Beziehung treu geblieben ist, das Wort abgeschnitten; heute werden Sie es sich doch gefallen lassen müssen, dass ich Ihnen dasjenige sage, was ich für angemessen halte.

Meine Parteifreundin Rosa Luxemburg ist, wie Ihnen bekannt, im vorigen Jahre wegen angeblicher an die Soldaten gerichteter Aufforderung zum Ungehorsam zu der ungeheuerlichen Strafe von einem Jahr Gefängnis verurteilt worden;

(Abgeordneter Ströbel: „Hört! Hört!")

das Urteil wurde vor einigen Monaten vom Reichsgericht bestätigt. Im Januar dieses Jahres erhielt sie wegen Krankheit einen Strafaufschub bis zum 31. März. Sie hatte mehrere Wochen im Schöneberger Krankenhaus zugebracht und war von dort ungeheilt mit der Aufgabe zur Innehaltung einer bestimmten Kur entlassen worden. Am 18. Februar wurde sie plötzlich in ihrer Südender Wohnung von zwei Berliner Kriminalbeamten festgenommen, im Automobil nach dem Berliner Polizeipräsidium gebracht, und zwar nach Abteilung 7, das heißt der politischen Polizei, nicht der Kriminalpolizei. Von dort wurde sie trotz Intervention ihres Anwalts im Grünen Wagen gemeinsam mit gemeinen Verbrechern nach dem Weibergefängnis in der Barnimstraße transportiert, und zwar zur Vollstreckung ihrer einjährigen Gefängnisstrafe.

Dieser Vorgang enthüllt das Wesen des sogenannten Burgfriedens mit der Präzision eines physikalischen Experiments.

(Abgeordneter Ströbel: „Sehr wahr!")

Darüber, dass diese hochpolitische, diese parteipolitische Strafe jetzt trotz des sogenannten Burgfriedens vollstreckt wird, beschweren wir uns nicht. Darüber mögen sich diejenigen beschweren, die an den „Burgfrieden" geglaubt haben,

(Abgeordneter Ströbel: „Sehr richtig!")

die sich die Würdigkeit für die Segnungen dieses Burgfriedens durch Wohlverhalten zu erwerben versucht haben oder versuchen. Ich weiß, dass meine Freundin Luxemburg genauso wie ich in dieser Vollstreckung im Gegenteil einen Ehrentitel erblickt, ein Zeugnis dafür, dass sie ihrer Pflicht, im sozialistischen Sinne für das Interesse des Volkes zu arbeiten, auch in dieser Zeit der inneren Wirrnisse, nach Kräften und wirksam genügt hat.

Aber, meine Herren, bemerkenswert ist folgendes – und diese Tatsache hebe ich besonders heraus –: Sie ist zum Zweck der Strafvollstreckung verhaftet worden trotz des Strafaufschubs, der ihr bis zum 31. März bewilligt war, ohne dass man ihr – nachdem man meinte, dass die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung des Strafaufschubes nicht mehr vorhanden seien – eine erneute Aufforderung zum freiwilligen Strafantritt hätte zugehen lassen. Man hat sie ohne jede Aufforderung gefasst und weggeschleppt, ohne ihr die Möglichkeit zu geben, sich freiwillig im Gefängnisse zu stellen. Die Art der Ausführung ist unter aller Kritik. Dieser Transport mit dem Grünen Wagen und die Einzelheiten, von denen ich vorhin sprach, rechtfertigen die schwersten Vorwürfe gegen diejenigen Beamten, die für dieses Vorgehen verantwortlich sind.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Von besonderer politischer Bedeutung ist der Grund dieser Maßnahmen. Die „Deutsche Tageszeitung" hat, bevor noch in unseren Parteizeitungen irgendeine Mitteilung von der Verhaftung meiner Parteifreundin erschienen war, bereits eine Notiz gebracht, die sicherlich inspiriert war und jedenfalls von gut unterrichteter Seite herrührte und in der mit klipp und klaren Worten gesagt wurde, dieses Verfahren sei eingeschlagen worden, weil Frau Dr. Luxemburg Versammlungen abgehalten habe,

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

weil sie sich politisch betätigt habe.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Gewiss, die Verhaftung war keine bloße militärdiktatorische Maßnahme, gewiss, es handelt sich um eine Strafvollstreckung; aber man hat das beschriebene Verfahren aus Gründen angewendet und in einer Weise zur Ausführung gebracht, dass es den Stempel einer parteipolitischen Verfolgung in der schärfsten und verwerflichsten Form trägt.

Sehr bemerkenswert ist, dass, wie ich weiß, dieses Vorgehen stattgefunden hat, nachdem die Berliner Geheimpolizei dem Oberkommando in den Marken vom Auftreten der Frau Luxemburg in einigen Versammlungen Kenntnis gegeben hatte.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Das Oberkommando in den Marken als die höchste militärdiktatorische Institution der Mark Brandenburg hat die Staatsanwaltschaft, die ihr ja in diesen Zeiten als Verwaltungsorgan untergeben ist, angewiesen, gegen Frau Luxemburg einzuschreiten, einzuschreiten wegen der Versammlungen, wegen ihrer politischen Tätigkeit.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Nun ein Beispiel, wie prompt die Spitzelei funktioniert, die hier im Dienst der Justiz und damit im trauten Verein der Militärdiktatur stand! Am 10. Februar hat Frau Luxemburg in Charlottenburg in einer geschlossenen Mitgliederversammlung gesprochen. Schon am 13. Februar war daraufhin in Frankfurt am Main die Verfügung erlassen, sie nunmehr in Haft zu bringen. Es war also im Verlaufe von drei Tagen oder vielmehr von zwei Tagen – die Versammlung hatte ja erst am Abend des 10. Februar stattgefunden – von dem Spitzel, der in der Versammlung gewesen sein muss und für den Sie jetzt den Etat bewilligen werden, die Nachricht an das Polizeipräsidium, von diesem an das Oberkommando und vom Oberkommando nach Frankfurt am Main gegeben und von dort die Verfügung getroffen worden. So prompt funktioniert die Technik des preußischen Staates zur politischen Unterdrückung der Bevölkerung auch heute, zur Zeit des „Burgfriedens"! Hier hat sich der Mechanismus des preußischen Staates fast noch bewundernswerter erprobt als in den Gebieten, von denen hier in den letzten Tagen so viel Rühmens gemacht wurde.

Man soll mir nicht sagen, Frau Dr. Luxemburg sei in Haft genommen worden, weil sie, nachdem sie Versammlungen gehalten hat, nicht mehr krank gewesen sei. Meine Herren, zunächst weiß ich, dass sie nur unter Aufbietung ihrer letzten Kräfte, obwohl krank, sich bemüht hat, ihre Parteipflicht im Interesse des deutschen Volkes, im Interesse des ganzen internationalen Proletariats zu erfüllen. Aber, meine Herren, wer will uns denn etwa glauben machen, dass diese Maßnahmen unabhängig gewesen seien von dem, was sie gesagt hat?

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Der parteipolitische Inhalt dessen, was sie gesagt hat, war bestimmend für die Behörden, die „keine Parteien mehr kennen". Hätte sie die heute übliche Marktware von sogenanntem Patriotismus verzapft, so wäre ihr nicht nur dieser überraschende Überfall erspart worden, sondern es wäre ihr wahrscheinlich sogar die Amnestie aufgenötigt worden.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Aber, meine Herren, sie hat eben unter Aufbietung ihrer ganzen Kraft sich bemüht, in proletarisch-sozialistischem Sinne gegen den wahnwitzigen Völkermord zu wirken. Das passt den herrschenden Gewalten nicht, und deshalb wurde zugepackt.

Wohl das schlimmste aber ist, dass man sich nicht begnügt hat, meine Freundin Luxemburg in dieser Weise zu fassen, sondern dass man noch versucht, ihr eine Brandmarkung zuteil werden zu lassen, dass man ihre Ehre antasten möchte, indem man, aus durchsichtigen Gründen, geflissentlich behauptet, sie habe sich fluchtverdächtig gemacht. Meine Herren, Frau Dr. Luxemburg wollte zu einer Freundin nach Holland fahren. Sie hat zu diesem Zweck um den Auslandspass nachgesucht, und zwar bei der für sie zuständigen Polizei, die von ihrer Strafe natürlich unterrichtet war und sich zudem bei dem natürlich auch unterrichteten Berliner Polizeipräsidium vor Erteilung des Passes zu erkundigen hatte; sie hat sich, als ihr dort Bedenken geäußert wurden, mit meiner Hilfe, einen Tag bevor sie verhaftet wurde, an den Staatsanwalt in Frankfurt am Main, das heißt an den zur Strafvollstreckung zuständigen Beamten, gewandt und um Erlaubnis zu der geplanten Auslandsreise nachgesucht. Der Auftrag, diesen Antrag bei dem Staatsanwalt zu stellen, war ihrem Frankfurter Rechtsanwalt am Nachmittag des 17. Februar gegeben worden. Meine Herren, ich habe nicht nötig, darauf hinzuweisen, dass eine Frau wie Frau Dr. Luxemburg nicht zu denen gehört, die sich einer Strafe zu entziehen suchen, dass eine Frau wie Frau Dr. Luxemburg tapfer genug ist, um ihren Feinden Auge in Auge Trotz zu bieten, und nicht daran denkt, das für sie gerade in der jetzigen Zeit besonders wichtige Kampffeld Deutschland zu verlassen, wo ein so großer Teil des Kampfes gegen die internationale Reaktion, gegen den Imperialismus, auszufechten ist. Es gehört in der Tat ein ganz preußischer Polizeigeist dazu, um das nicht zu begreifen. Angesichts aber der Tatsachen, von denen ich eben gesprochen habe, angesichts der offenkundlichen Unmöglichkeit, in der jetzigen Zeit ohne den Willen der Behörden über die Grenzen zu kommen, kennzeichnet sich das Gerede vom Fluchtverdacht nur als ein Versuch, die wirklich genügend verfolgte Frau auch noch in ihrer Ehre zu stigmatisieren. Ganz nach russischer Methode, die sich auch nicht damit begnügt, politisch missliebige Untertanen zu bestrafen, sondern sie nach Möglichkeit auch in ihrer Ehre herabzuwürdigen sucht.

In der Tat lag die Sache so, dass die Militärbehörde besorgte, dass Frau Luxemburg im Ausland in einem den herrschenden deutschen Gewalten nicht erwünschten Sinne politisch tätig sein könnte. Sage man das doch offen und ehrlich heraus, statt sich hinter solchen Paragraphenmasken zu verstecken.

Wie für Ihre Wahlrechtsabsage, für die Aufrechterhaltung der Ausnahmerechte, wie für Ihre Verweigerung jeder inneren Reform es nur ein Gegenstück gibt, nämlich die politische Unbelehrbarkeit und Volksfeindlichkeit der zaristischen Regierung, so bildet dieses Verfahren gegen meine Freundin Luxemburg ein Gegenstück zu den Verhaftungen der russischen Dumaabgeordneten1, unserer bewunderungswürdigen Freunde im Kampfe für die Völkerfreiheit und für die Wiederherstellung des Völkerfriedens, die mit uns gemeinsam – jeder in seinem eigenen Lande – sich bemühen, in unversöhnlicher Opposition gegen die eigene Regierung dem Wohl des eigenen Volkes und dem Wohl der anderen Völker, dem Wohle des internationalen Proletariats, dem Wohle der Menschheit zu dienen. Und so gewiss die Verhaftung der Dumaabgeordneten dazu geführt hat, dass in Russland selbst Hunderttausenden Verblendeter die Augen geöffnet wurden, so sind wir überzeugt, dass auch das Verfahren gegen unsere Genossin Luxemburg gar manchen Träumer aufgescheucht hat

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

und dass es den Kampf für ein freies Preußen fördern wird und den Kampf für die Beendigung des Völkermassenmords.

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

III

Persönliche Bemerkung

(9. März 1915)

Meine Herren, ich möchte zunächst hervorheben, dass, bevor der Vorgang, der jetzt zum Schluss der Debatte geführt hat, sich abspielte, Herr Abgeordneter von Pappenheim bereits dem Herrn Präsidenten erklärt hatte: Wenn sich der Herr Abgeordnete Liebknecht zum Worte meldet, so beantrage ich Schluss.

(Abgeordneter von Pappenheim: „Sehr richtig!")

Gut, das ist also bestätigt. Meine Herren, damit ist klar ersichtlich, dass Sie es mir von vornherein unmöglich machen wollten, auf die Ausführungen des Herrn Ministers zu antworten.

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, durch diese Mundtotmachung drücken Sie das Siegel unter die Volksfeindlichkeit Ihrer ganzen Tätigkeit in dieser Session.

(Lachen rechts. „Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Ich bin Ihnen dankbar.

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

1 Verhaftung der Dumaabgeordneten – Am 5. (18.) November 1914 wurden die fünf bolschewistischen Abgeordneten der IV. Reichsduma A. J. Badajew, G. I. Petrowski, M. K. Muranow, F. N. Samojlow und N. R. Schagow verhaftet. Vom 2. bis 4. (15. bis 17.) November hatten sie an der Gesamtrussischen Konferenz der Bolschewiki zur Frage des Krieges teilgenommen und waren von einem Spitzel angezeigt worden. Vom 10. bis 13. (23. bis 26.) Februar 1915 fand gegen sie ein Prozess wegen Hochverrats statt. Sie wurden zu lebenslänglicher Verbannung nach Sibirien verurteilt.

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