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Karl Liebknecht 19150302 „Im Kampf um Demokratie wird das Volk sein Recht finden!"

Karl Liebknecht: „Im Kampf um Demokratie wird das Volk sein Recht finden!"

Rede im preußischen Abgeordnetenhaus in der zweiten Lesung des Etats des Ministeriums des Innern

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 22, Legislaturperiode, II. Session 1914/15, 7. Bd., Berlin 1916, Sp. 8575-8581 und nach Gesammelte Reden und Schriften, Band 8, S. 200-209]

Meine Herren, ich spreche einen kurzen Protest dagegen aus, dass man die russischen Arbeiter anders behandelt als andere Zivilisten der feindlichen Staaten. Eine solche differenzielle Behandlung ist durch nichts begründet, ist auf das Schärfste zu verwerfen.

In Bezug auf die Krüppelfürsorge kann ich nur betonen, dass die wärmsten Worte, die von irgendeiner Seite dieses Hauses in dieser Frage gefallen sind, bei uns ein Echo finden, dass wir das dringende Verlangen erheben, dass auf diesem Gebiete die Allgemeinheit unverzüglich in solchem Maße einschreitet und nicht nur jetzt, sondern für die ganze weitere Zukunft die erforderlichen Sicherheiten schafft, dass nach aller Möglichkeit alle Not und alles Elend von diesen unglücklichen Menschen ferngehalten wird. Aber die Erfahrung lehrt, dass man die Worte, die in der heutigen Zeit fallen, ganz besonders kritisch und misstrauisch aufzunehmen alle Veranlassung hat, und deshalb möchte ich die Worte, die heute in dieser Frage gefallen sind, nicht als vollgewichtig in die Waagschale werfen. Wir werden sehen, ob künftig die Taten folgen werden.

Der große Eifer, mit dem diese ungeheuer wichtige und alles menschliche Mitgefühl lebhaft in Anspruch nehmende Frage heute erörtert worden ist, hat schon um deswillen für mich einen etwas eigenartigen Beigeschmack, weil diese Ausführungen mit dazu gedient haben, das völlige Schweigen und Versagen der bürgerlichen Parteien in der entscheidend wichtigen Wahlrechtsfrage zu kaschieren.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, Sie können versichert sein: Die draußen im Felde stehen und die unglücklichen Krüppel in den Krankenhäusern werden nur dann überzeugt sein, dass in dieser wichtigen Frage alles Notwendige geschieht, wenn dafür gesorgt wird, dass ihnen auch bei der Regelung der Frage der nötige Einfluss auf Gesetzgebung und Verwaltung gesichert ist;

(Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)

sie werden sich nicht auf den guten Willen der herrschenden Parteien verlassen wollen. Wenn die guten Worte, die über die Krüppelfürsorge gefallen sind, nicht Hand in Hand gehen mit der Bereitwilligkeit, der Masse des Volkes weitere Rechte zu verleihen, eine Demokratisierung Preußens durchzuführen, dann werden Sie tauben Ohren predigen, und wenn die Worte noch so freundlich klingen.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, der 27. Februar dieses Jahres wird für Preußen ein historischer Tag sein. Er war ein kritischer Tag. In der Budgetkommission hat der Minister es kurz abgelehnt, irgendeine noch so allgemeine Zusicherung über eine künftige Wahlrechtsreform zu geben. Auch heute haben wir nichts darüber gehört. Die Fortschrittliche Volkspartei erwartet nach den Ausführungen des Abgeordneten Pachnicke eine Wahlreform nach dem Kriege; sie erhofft wenigstens die geheime und direkte Wahl. Das Zentrum beruft sich auf seine „klare und unverrückbare" Stellung zur Wahlrechtsfrage, die kein Mensch kennt,

(Abgeordneter Ströbel: „Sehr gut!")

und für sein jetziges Schweigen auf den Burgfrieden.

Die Nationalliberalen stellen die Wahlrechtsfrage hinter die Aufgabe zurück, zu siegen.

Die Freikonservativen haben durch Herrn Freiherrn von Zedlitz eine schroffe Absage erteilen lassen, die Herr Freiherr von Zedlitz gestern Abend noch in der „Post" dreifach unterstrichen hat.

(„Sehr richtig!" bei den Freikonservativen.)

Ich höre eben wieder ein „Sehr richtig" aus den Reihen der Freikonservativen und nagle auch das hiermit fest. – Nach ihm hat der Krieg starke Gegenwirkungen gegen jede Demokratisierung ausgelöst, und Herr Freiherr von Zedlitz muss das ja wissen, da er hinter dem Ofen der Politik sitzt. Er betrachtet die Wahlrechtserörterung als mindestens überflüssige, dem Burgfrieden schädliche Belastung der Etatsverhandlungen und verhöhnt den Köhlerglauben an eine allgemeine Verbrüderung auf der Grundlage der Einführung des Reichswahlrechts in Preußen.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Die Deutschkonservative Partei schwieg sich aus und bestätigte durch ihr Schweigen, dass sie der herausfordernden Absage des Herrn Freiherrn von Zedlitz zustimmt.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Auch heute ist diese Zustimmung in diesem unzweideutigen Sinne wiederholt.

Damit ist die Situation geklärt, meine Herren, erfreulich geklärt. Klarheit ist in unseren Tagen besonders vonnöten,

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

sie war nie so nötig wie heute, wo das Wort vom „Burgfrieden" und Wahnvorstellungen von Klassenharmonie, von Einheit und Einmütigkeit des Volkes und noch schönere schillernde Worte von einem freien deutschen Volke der Zukunft manchen Sinn umnebeln. Meine Herren, wir sind froh, dass dieser Nebeldunst fortgeblasen ist. Die kalte Wahrheit ist: In Preußen bleibt alles beim Alten.

Meine Herren, am 22. Oktober vorigen Jahres wurde unsere Mahnung in Bezug auf die Wahlreform von diesem Hause zum Teil mit eisigem Schweigen, zum Teil mit unwilligem Murren aufgenommen. Es war den Herren erstaunlich, dass die Vertreter der preußischen Dreiklassenwahlheloten es wagten, in dieser Zeit die Forderung des Volkes zu erheben. Die Regierung schwieg damals. Am 9. Februar das gleiche Schauspiel, und jetzt diese Kommissions-Verhandlungen und die ebenso klärenden Verhandlungen des heutigen Tages. Es bleibt alles beim Alten – das ist die Signatur des Tages für Preußen.

Aus den Zeitungen wusste man das ja schon früher, meine Herren. Schon im September 1914 war bei dem Siegeszug der deutschen Truppen gar vielen deutschen „Volksfreunden" der Kamm gar gewaltig geschwollen. Eine Apotheose des Militarismus, eine Apotheose der Monarchie, eine Apotheose des Dreiklassenwahlrechts und aller „preußischen Eigenarten" fand sich in den Zeitungen der Reaktion, in den Zeitungen nicht nur der konservativen Parteien, sondern bis weit in die sogenannten liberalen Parteien hinein.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, 1866 hieß es noch: Der Schulmeister, der preußische Schulmeister hat gesiegt. Heute heißt es: Das preußische Dreiklassenwahlrecht hat in diesem Kriege gesiegt oder wird in diesem Kriege siegen.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Welcher Fortschritt! Es wird heißen, wie es schon hieß: Das preußische Dreiklassenwahlrecht hat über die Demokratie gesiegt. Wobei man natürlich Russland als guten Freund der Vergangenheit und sicherlich guten Freund der Zukunft außer acht lässt. Man wird die Folgerung ziehen, die in erfreulich deutlicher Weise der Herr Freiherr von Zedlitz bereits gezogen hat. Ich möchte Ihnen aber doch in Ihrem Interesse raten, nicht zu vergessen, dass, wenn dieser Krieg, besonders in den ersten Monaten, im deutschen Volke auf eine starke Begeisterung gestoßen ist, das ganz überwiegend der Tatsache zu verdanken ist, dass es hieß: Gegen den Zarismus, gegen die russische Reaktion,

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

gegen Barbarei und Rechtlosigkeit, dass man einen Kampf um die Freiheit Europas zu kämpfen glaubte!

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Und, meine Herren, nicht zu vergessen, welchen ganz verhängnisvollen Einfluss die von uns seit je bekämpften rückständigen Zustände in Preußen und Deutschland nach der Auffassung wohl aller Kenner geübt haben auf die Haltung der Neutralen gegenüber Deutschland in diesem Kriege!

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten,)

Meine Herren, trotz all der charakteristischen echt preußischen Kundgebungen seit den ersten Kriegsmonaten, von denen ich eben sprach, gab es bis heute noch immer politische Phantasten. Meine Herren, die dürften jetzt ernüchtert sein, überall, wo sie sind, und das ist von großem Wert. Die schwärzesten Pessimisten haben recht behalten. Diese Verhandlungen haben Wasser auf unsere Mühlen geliefert. Die ausschlaggebenden konservativen Parteien stehen in alter Feindschaft gegen jede Demokratisierung. Vom Zentrum ist nichts zu hoffen. Die Nationalliberalen sind ein besonderes Kapitel. Ihr Ideal in Bezug auf die Wahlrechtsreform war seit jeher dem des Herrn Freiherrn von Zedlitz ganz verdammt ähnlich, nämlich nicht Demokratisierung, sondern konsequentere Plutokratisierung des Wahlrechts.

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Also alles beim Alten! Die Nationalliberalen stellen den Kampf für dieses Volksrecht nach ihrem Sinn zurück, weil der Sieg ihnen, wie sie sagen, jetzt wichtiger ist. Meine Herren, das ist begreiflich. Die Herren wissen ja in der Tat, wofür dieser Krieg geführt wird. Für ihre Mandatgeber ist dieser Krieg ein so ungeheuer wichtiges politisches und wirtschaftliches Geschäft, dass die Volksrechte wohl oder übel zurückzutreten haben. Meine Herren, die Minettefelder von Briey und Longwy, die Minenfelder von Westpolen, die Kolonien, die wertvollen Profitertrag versprechen, und manche anderen schönen Sachen sind wahrlich kein Pappenstiel für das deutsche Kapital; da kann das Volk warten.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Und Herr Pachnicke, noch der kühnste Vertreter der Demokratie in den bürgerlichen Parteien dieses Hauses, begnügt sich bereits im Voraus – allerdings nur vorläufig, wie er sagt – mit dem geheimen und direkten Wahlrecht!

Aber selbst der mäßige Optimismus des Herrn Pachnicke und des Herrn Cassel, dass in Bezug auf diese Flickreform eine Mehrheit im Hause sei, wurde schon in der Budgetkommission recht unsanft durch einen konservativen Zwischenruf entblättert. Es soll selbst da alles beim Alten bleiben! Und auch mit dieser Flickreform will Herr Dr. Pachnicke bis nach dem Kriege warten. Wir sind nicht so bescheiden, meine Herren.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Wir sehen, wie alle anderen Klassen im Kriege und vor allem durch den Krieg ihre Klasseninteressen ungeniert und rücksichtslos verfolgen. Wir wissen, dass dieser Krieg in der Tat der Förderung der großkapitalistischen Interessen, den Interessen der herrschenden Klassen im eminenten Sinne dient oder doch – wenn es nach ihnen geht – dienen soll. Soll denn nur die Masse des Volkes bis nach dem Kriege warten? Die technische Herstellung des Gesetzes ist eine Bagatelle.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Viel schwierigere technische Aufgaben sind während des Krieges gelöst worden. Wäre nur der gute Wille da! Aber der fehlt!

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, hätten wir etwa Anlass, in der Zeit des Belagerungszustandes, der Pressezensur, der Aufhebung des kümmerlichen Versammlungsrechtes, in einer Zeit, in der die schwärzeste Reaktion bis einschließlich der Spitzelei in Preußen unter dem Titel Burgfrieden in Form der Militärdiktatur geradezu Triumphe feiert, wo das Volk rechtloser ist als je, in der durch den Krieg nicht nur die blutige Gemeinschädlichkeit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung offenbarer wurde als je, sondern auch der politische Druck rauer als je auf dem Volke liegt, hätten wir etwa in einer solchen Zeit Anlass, unsere Forderung nach Demokratisierung zurückzustellen? Sie ist brennender als je, gerade in diesen Tagen.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Nie hat sich der Klassencharakter der heutigen Gesellschaft, des preußischen Staates so schroff und unverhüllt offenbart wie gerade jetzt.

Oder hätten wir etwa Anlass, unsere Forderung nach Demokratisierung zurückzustellen in einer Zeit, wo sich die schädliche Rückwirkung der inneren Reaktion auf die auswärtige Politik so besonders traurig und schädlich gezeigt hat, in einer Zeit, die nach einer Demokratisierung der äußeren Politik gerade schreit?

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, der Herr Abgeordnete Dr. Pachnicke hat in der Kommission gemeint, der Krieg habe der Wahlreformforderung neue Stützen verliehen. Herr Freiherr von Zedlitz rief zu diesem Worte ein schrilles „Im Gegenteil!".

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Ein Wort, das wie ein Blitzlicht die Lage erhellte, ein Wort, das ich und mit mir alle meine Freunde ihm danken, ein erlösendes Wort, das ein Alarmruf sein kann für den weiteren Verlauf der inneren preußisch-deutschen Entwicklung.

In der Tat, der Krieg hat neue Stützen verliehen – nicht etwa der Forderung nach einer Flickreform im Sinne des Herrn Pachnicke, sondern nach einer Reform des preußischen Staates an Haupt und Gliedern, und zwar in Wahlrecht und Verwaltung von unten bis zur höchsten Spitze. Und nicht etwa wegen der kriegsbegeisterten Haltung des deutschen Volkes, wie Herr Pachnicke meinte; das hieße auch, die Weltgeschichte um die Achse eines Reichsverbandsschwindels drehen. Aus ganz anderen Gründen. Niemals trat so wie heute der grelle Kontrast zwischen der Allgemeinheit der schwersten Pflichten und dem Privilegiencharakter des Staates und der Verwaltung gerade in Preußen zutage; der Gegensatz zwischen der Gleichverpflichtung als Kanonenfutter und der politischen Ungleichberechtigung im Staate.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, und weiter: In dem Halbabsolutismus, in der Geheimdiplomatie, in dem persönlichen Regiment und alledem erblicken wir eine der wichtigsten unmittelbaren Ursachen für den Ausbruch dieses Krieges, der allerdings international kapitalistisch bedingt und begründet ist.

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, wenn die imperialistischen Bestrebungen des Hochkapitalismus schwere Gefahren für den Frieden heraufbeschwören, so bedarf es umso mehr der Kontrolle der auswärtigen Politik durch die breiten Massen des Volkes,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

einer Kontrolle, die durch die heutige Verfassung und Verwaltung Preußens und Deutschlands ausgeschlossen ist.

Ich weiß, dass die Demokratisierung der auswärtigen Politik auch in den anderen Staaten, wo die Demokratisierung der inneren Politik weit fortgeschritten ist, noch vieles zu wünschen übrig lässt, und unsere Freunde in England, unsere Freunde in Frankreich, denen wir heute so nahe stehen wie jemals, soweit sie sozialistische Politik treiben,

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

haben die Forderung nach konsequenter Demokratisierung der auswärtigen Politik früher und auch jetzt erhoben.

Meine Herren, die Demokratisierung allein könnte eine Mauer aufrichten gegen die imperialistische Abenteuerpolitik.

Meine Herren, die Millionenopfer, die in diesem Kriege hingeschlachtet werden, sind ganz wesentlich verschuldet durch die Rechtlosigkeit der Masse des Volkes in den beteiligten Ländern.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Wir alle – so viele Meinungsverschiedenheiten es auch jetzt in unserem engen Kreise geben mag – sind darüber einig, dass die Masse des Volkes in keinem der beteiligten Länder den Krieg gewollt hat.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Und wenn dies wahr ist, so ergibt sich, dass eine durchgeführte demokratische Kontrolle der auswärtigen Politik in allen Staaten den Krieg verhindert hätte.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Daraus folgt die Berechtigung und die Pflicht, gerade jetzt, wo Europa in Blut und Mord und Brand seine Kultur begräbt und die Blüte seiner Menschheit, die Forderung zu erheben nach Demokratisierung der auswärtigen Politik, die nur herauswachsen kann aus einer demokratischen inneren Politik, die nur beruhen kann auf dem Boden eines an Haupt und Gliedern demokratischen Staatswesens.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, ich begrüße die Zerstörung der Illusionen, die in weiten Kreisen des Volkes über die Bereitwilligkeit der herrschenden Klassen und der Regierung zu einer Wahlrechtsreform bestanden haben. Klarheit, klarer Ausblick ist vor allem nötig; der Dunst ist jetzt weggeblasen. Und diese Klarheit wird nicht nur denen gepredigt – und das vergessen Sie nicht! –, die im Bürgerrock das Vaterland zu schützen und zu stützen haben und die Not dieser Tage erfahren, sondern auch denen, die draußen in der Schlacht stehen und die wohl etwas anderes von Hause zu hören erwarteten, und die, wenn sie die Zeitungen lesen über die Verhandlungen der Budgetkommission vom Sonnabend und die heutigen Verhandlungen – ich bin fest überzeugt –, ingrimmig die Faust in der Tasche ballen und denen ihren Fluch senden, die in ihnen Hoffnungen, Illusionen weckten, die sie über die Wahrheit hinwegtäuschten, über die Wahrheit, dass dieser Krieg nicht für die Interessen der großen Masse des deutschen Volkes geführt wird, über die Wahrheit, dass die Masse des Volkes nach dem Kriege so rechtlos bleiben wird, wie sie es vor dem Kriege war, wenn sie sich ihr Recht nicht selbst sucht. Meine Herren, der Krieg predigt mit ehernen Zungen die Notwendigkeit der Demokratie, und Ihnen allen, die Sie heut in so schroffer Weise die Forderung des Volkes zurückweisen zu können glauben, müsste doch wohl der Gedanke auftauchen, wie sich unter dem Eindruck Ihrer rücksichtslosen und herausfordernden volksfeindlichen Kundgebungen die innerpolitischen Verhältnisse Deutschlands jetzt schon während des Krieges gestalten werden.

Meine Herren, es geht dem deutschen Proletariat wie jenem armen Schlucker der alten Tragikomödie, der, von einem Fürsten auf einen Tag des Wahnes in vornehme Gewänder gekleidet, einen Tag des Wahnes wähnte, ein Fürst zu sein. Nach den jetzigen Offenbarungen wird wohl auch dem letzten der Heldentraum, der Traum, als ein freier deutscher Bürger, als ein gleichberechtigter deutscher Bürger anerkannt zu sein, verfliegen; er wird erwachen aus dem Wahne eines ungeheuerlichen Dreivierteljahrs, er wird ernüchtert und erbittert die Schlussfolgerung für seine politische Haltung auch während des Krieges rücksichtslos ziehen.

Meine Herren, das einzige Heil ist für die Masse des Volkes der Kampf; das ist heute nicht anders geworden als einst. Nicht durch Nachgiebigkeit und nicht durch Anpassung und nicht durch Schmiegsamkeit, sondern im Kampfe wird das Volk sein Recht finden.

(Abgeordneter Paul Hoffmann: „Sehr wahr!")

Der Klassenkampf allein ist das Heil des Proletariats, und wir hoffen, dass wir diesen Klassenkampf bald wieder in offener Gemeinschaft führen werden, international, mit dem Proletariat aller anderen Länder, auch der mit uns kriegführenden Länder. In diesem internationalen Klassenkampfe beruht nicht nur die einzige Hoffnung auf Demokratisierung, auf politische und wirtschaftliche Befreiung der Arbeiterklasse, sondern auch die einzige Hoffnung für die Masse der beteiligten Völker schon während des Krieges, ihre einzige Aussicht und Macht im Kampf für die Beendigung des entsetzlichen Völkermordes, im Kampf für einen Frieden im sozialistischen Geiste.

Meine Herren, das Wahlrecht haben Sie für die Dauer des Krieges schroff versagt. Auch nach dem Kriege wollen Sie es nicht geben. Lächerliche Flickreformen sind das höchste, was einer von Ihnen, der Vertreter der einflusslosen Fortschrittlichen Volkspartei, als möglich erhofft; die Mehrheit sagt selbst hier „Nein". Meine Herren, das heißt: der Masse des Volkes die Faust!

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Dem setze ich entgegen die Losung: Fort mit der Heuchelei des Burgfriedens! Auf zum Klassenkampf! Auf zum internationalen Klassenkampf für die Befreiung der Arbeiterklasse und gegen den Krieg!

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

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