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Karl Liebknecht19151100 Um die Kleinen Anfragen

Karl Liebknecht: Um die Kleinen Anfragen

[Brief I: Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU, Zentrales Parteiarchiv, Fonds 215 (Wilhelm Dittmann). Briefe II-IX: Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Zentrales Parteiarchiv, NL-1/7. Nach Gesammelte Reden und Schriften, Band 8, S. 366-378]

I

An Wilhelm Dittmann

Königsberg/Pr., den 8. 11. 1915

Festungshilfslazarett I

Werter Genosse!

Ich halte die Einreichung der abschriftlich beigefügten Anfrage für notwendig; absichtlich ist die Hauptfrage der von mir im August gestellten wörtlich gleich gefasst.

Eine Begründung darf ich, zumal nach unseren Besprechungen im August, sparen. Ganz ausgeschlossen ist, dass etwa die Fraktion eine entsprechende oder verwandte Aktion beschließen wird. Bis zur ausdrücklichen Entscheidung der Fraktion mit der Einreichung warten wäre demnach sinnlos; es wäre auch praktisch aus mehreren Gründen bedenklich. Ich kann nicht länger als bis zum 10. d. M. zögern. Ich befinde mich zur Zeit hier im Lazarett und bin über mein künftiges Schicksal sehr ungewiss. Es schwebt wegen der bekannten Eingabe vom 9. Juni d. J. und ähnlichem ein militärisches Strafverfahren gegen mich, in dem man die Immunität nicht zu beachten entschlossen ist, so dass ich mit meiner Verhaftung bzw. Lahmlegung jederzeit zu rechnen habe.

Ich bitte Sie nun, falls Sie mit der Anfrage einverstanden sind, sie mit dem Ortsdatum zu versehen, zu unterzeichnen und am 10. an das Reichstagsbüro zu senden, so dass sie am 11. d. M. dort einläuft. So wird hoffentlich doch ein gemeinsames Vorgehen wenigstens eines Teils der sogenannten Opposition gelingen. Einen anderen Weg wüsste ich nicht zu finden. Übrigens werde ich noch einige andere Anfragen vorschlagen. Ich halte dieses Geschäftsordnungsmittel des Ausbaus und der Ausnutzung für sehr fähig. Vielleicht können die Anfrager, sobald sie sich herausgestellt haben, eine gemeinsame Erklärung an den Fraktionsvorstand richten, über die wir uns leicht einigen werden. Um möglichst eine internationale Koalition im Sinne der Anfrage zu erzielen, habe ich das Erforderliche veranlasst.

Freundlichen Gruß

Ihr K. Liebknecht

Kurze Anfrage

Der Unterzeichnete fragt den Herrn Reichskanzler:

1. Ist die Regierung bei entsprechender Bereitschaft der übrigen Kriegführenden bereit, auf der Grundlage des Verzichts auf Annexionen aller Art in sofortige Friedensverhandlungen einzutreten?

2. Auf welcher sonstigen Grundlage ist die Regierung bereit, in sofortige Friedensverhandlungen einzutreten?

10. November 1915

II

An Wilhelm Dittmann

Königsberg, den 11. 11. 1915

Festungslazarett I

Werter Genosse!

Anbei meine weiteren Anfragen. Ich bitte Sie, falls einverstanden, das Ortsdatum darunter zu setzen und die Absendung so zu bewerkstelligen, dass Ankunft im Reichstagsbüro am 13. d. M.

Im übrigen beziehe ich mich auf meinen Brief vom 8. d. M. Lassen Sie mich bitte recht bald unter Adresse: Büro Rechtsanwälte Liebknecht und Friedlaender, Berlin, Chausseestr. 121, - wissen, wie Sie sich zur Anfrage vom 10. und den heutigen Anfragen stellen.

Keine Anfrage steht einer Interpellation im Weg. Im Gegenteil. Die unsichere Hoffnung auf eine Interpellation oder dergl. darf aber keinesfalls hemmen!

Mit freundlichem Gruß

Ihr K. Liebknecht

Kurze Anfragen1

Der Unterzeichnete fragt den Herrn Reichskanzler:

a) Ist der Regierung bekannt, dass die Masse des deutschen Volkes in und außerhalb der Armee – ähnlich der Bevölkerung der übrigen kriegführenden Länder – dringend fordert, dass ihr die Schrecknisse eines neuen Winterfeldzuges erspart werden und dass gegenüber diesem Ziele alle Eroberungspläne und alle kapitalistischen [Rücksichten]2 schlechthin zurückzutreten haben?

b) Was hat die Regierung bisher zur Erfüllung dieser Forderung getan ?

c) Ist die Regierung bereit, dieser Forderung3 wenigstens noch in letzter Stunde zu genügen?

Kgsbg., den 11. November 1915.

Karl Liebknecht4

Der Unterzeichnete fragt den Herrn Reichskanzler:

a) Ist der Regierung bekannt, dass die Masse des deutschen Volkes die maßgebende Bestimmung über die auswärtige Politik Deutschlands für sich beansprucht und die Ersetzung der Geheimdiplomatie durch eine5 unter dauernder Kontrolle der Öffentlichkeit [stehende auswärtige Politik] fordert?

b) Ist die Regierung bereit, dem Reichstag noch während des jetzigen Tagungsabschnittes einen Gesetzentwurf vorzulegen, der diese Forderung erfüllt und6 die Entscheidung über Krieg und Frieden der Volksvertretung überträgt?

Kgsbg., den 11. November 1915.

Karl Liebknecht

Der Unterzeichnete fragt den Herrn Reichskanzler: Weiß die Regierung, in welcher schweren wirtschaftlichen Not sich die Masse des deutschen Volkes befindet?

Ist die Regierung endlich bereit, zur Steuerung dieser Not bei energischer Steigerung der allgemeinen Kriegsfürsorge ohne weiteres Zögern unter7 Beiseiteschiebung aller Sonderinteressen8 die erforderlichen Schritte zur ausreichenden Versorgung der Bevölkerung9 mit Lebensmitteln (Nahrung, Kleidung, Unterkunft, Heizung, Beleuchtung) zu tun, und zwar so, dass die Produktion im Interesse der [Gesamtheit]10 geregelt, die vorhandenen Vorräte beschlagnahmt, und unter weitgehender Inanspruchnahme öffentlicher Mittel auf die Gesamtbevölkerung ohne Rücksicht auf ihre wirtschaftliche Lage gleichmäßig verteilt werden?

Kgsbg., den 11. November 1915.

Karl Liebknecht

Der Unterzeichnete fragt den Herrn Reichskanzler: Ist die Regierung [endlich] bereit, die Dokumente und das sonstige [amtliche und halbamtliche] Material über die unmittelbare Entstehung des Weltkrieges, [insbesondere]11 über die diplomatische Vorgeschichte des österreichischen Ultimatums an Serbien vom 23. Juli 1914 [dem Reichstag und dem deutschen Volk vorzulegen?]12 Ist sie bereit, für die sofortige Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission einzutreten, die13 unter Kontrolle der Öffentlichkeit die Verantwortlichkeiten prüfen und die Verantwortlichen der Sühne zuführen soll?

Kgsbg., den 11. November 1915.

Karl Liebknecht

Der Unterzeichnete fragt den Herrn Reichskanzler:

a) Welchen Begriff verbindet die Regierung mit dem Wort „Neuorientierung" der inneren Politik?

b) Hat sie ein konkretes Programm zu dieser Neuorientierung14?

c) Welches ist dieses Programm im einzelnen?

d) Wann gedenkt die Regierung es zu verwirklichen?

e) Ist die Regierung bereit, noch im Laufe des jetzigen Tagungsabschnittes oder wann sonst die erforderlichen Vorlagen zur Demokratisierung von Verfassung, Gesetzgebung und Verwaltung des Deutschen Reiches und seiner Einzelstaaten, [insbesondere zur Reform des Wahlrechts für die gesetzgebenden u. die Verwaltungs-Körperschaften und zur Demokratisierung des Heerwesens zu machen?]15

Kgsbg., den 11. November 1915.

Karl Liebknecht

III

An den Vorstand der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion

Berlin

Berlin-Schöneberg, 22. November 1915

Reservelazarett Gesellschaftshaus des Westens

Werte Genossen!

Die abschriftlich beigefügten Anfragen habe ich dem Reichstag überreicht, und zwar aus dem Festungshilfslazarett I, Königsberg, aus dem ich vor einigen Tagen nach Berlin überführt worden bin. Der Versuch, eine Verständigung über diese Anfragen mit dem Fraktionsvorstand oder der Fraktion herbeizuführen, war nach den bisherigen Erfahrungen aussichtslos. Ich befinde mich zudem infolge meiner Erkrankung (Rheumatismus und Entzündung der Beinnerven) und infolge eines neuen militärischen Strafverfahrens, bei dem man nach bestimmter Information entschlossen ist, die Immunität nicht zu beachten, in einer so unsicheren persönlichen Lage, dass ich das von mir für erforderlich Gehaltene nicht hinauszögern konnte.

Natürlich würde ich es lebhaft begrüßen, wenn die Fraktion, sei es durch Interpellation, sei es in anderer Weise, in der Richtung meiner Anfragen vorgehen sollte; meine Anfragen würden einem solchen Vorgehen durchaus nicht im Wege stehen.

Mit Parteigruß

Karl Liebknecht

IV

An den Vorstand der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion

Berlin

Berlin-Schöneberg, 22. November 1915

Hauptstr. 30/51,

Reservelazarett Gesellschaftshaus des Westens

Werte Genossen!

Für die bevorstehenden Fraktionsverhandlungen beantrage ich, die Fraktion möge beschließen:

1. folgende Interpellationen sofort einzureichen

a) 1. Ist die Regierung bei entsprechender Bereitschaft der übrigen Kriegsführenden bereit, auf der Grundlage des Verzichts auf Annexionen aller Art in sofortige Friedensverhandlungen einzutreten?

2. Auf welcher sonstigen Grundlage ist die Regierung bereit, in sofortige Friedensverhandlungen einzutreten?

b) 1. Ist der Regierung bekannt, dass die Masse des deutschen Volkes in und außerhalb der Armee – ähnlich der Bevölkerung der übrigen kriegführenden Länder – dringend fordert, dass ihr die Schrecknisse eines neuen Winterfeldzuges erspart werden und dass gegenüber diesem Ziele alle Eroberungspläne und alle kapitalistischen Rücksichten schlechthin zurückzutreten haben?

2. Was hat die Regierung bisher zur Erfüllung dieser Forderung getan ?

3. Ist die Regierung bereit, dieser Forderung wenigstens noch in letzter Stunde zu genügen?

c) Ist die Regierung endlich bereit, die Dokumente und das sonstige amtliche und halbamtliche Material über die unmittelbare Entstehung des Weltkrieges, insbesondere über die diplomatische Vorgeschichte des österreichischen Ultimatums an Serbien vom 23. Juli 1914, dem Reichstag und dem deutschen Volke vorzulegen? Ist sie bereit, für die sofortige Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission einzutreten, die unter Kontrolle der Öffentlichkeit die Verantwortlichkeiten prüfen und die Verantwortlichen der Sühne zuführen soll?

d) 1. Ist der Regierung bekannt, dass die Masse des deutschen Volkes die maßgebende Bestimmung über die auswärtige Politik Deutschlands für sich beansprucht und die Ersetzung der Geheimdiplomatie durch eine unter dauernder Kontrolle der Öffentlichkeit stehende auswärtige Politik fordert?

2. Ist die Regierung bereit, dem Reichstag noch während des jetzigen Tagungsabschnitts einen Gesetzentwurf vorzulegen, der diese Forderung erfüllt und die Entscheidung über Krieg und Frieden der Volksvertretung überträgt?

e) Weiß die Regierung, in welch schwerer wirtschaftlicher Not sich die Masse des deutschen Volkes infolge des Krieges, der Gewinnsucht kapitalistischer Interessengruppen und der völlig ungenügenden Maßregeln der Regierung befindet?

Ist die Regierung endlich bereit, zur Steuerung dieser Not bei energischer Steigerung der allgemeinen Kriegsfürsorge ohne weiteres Zögern unter Beiseiteschiebung aller Sonderinteressen die erforderlichen Schritte zur ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln (Nahrung, Kleidung, Unterkunft, Heizung, Beleuchtung) zu tun, und zwar so, dass die Produktion im Interesse der Gesamtheit geregelt, die vorhandenen Vorräte beschlagnahmt, und, unter weitgehender Inanspruchnahme öffentlicher Mittel für die Bedürftigen, auf die Gesamtbevölkerung gleichmäßig verteilt werden?

f) Welchen Begriff verbindet die Regierung mit dem Wort „Neuorientierung" der inneren Politik? Hat sie ein konkretes Programm zu dieser Neuorientierung? Welches ist dieses Programm im einzelnen? Wann gedenkt die Regierung es zu verwirklichen? Ist die Regierung bereit, noch im Laufe des jetzigen Tagungsabschnitts oder wann sonst die erforderlichen Vorlagen zur Demokratisierung von Verfassung, Gesetzgebung und Verwaltung des Deutschen Reiches und seiner Einzelstaaten, insbesondere zur Reform des Wahlrechts für die gesetzgebenden und die Verwaltungskörperschaften und zur Demokratisierung des Heerwesens zu machen?

g) Ist dem Herrn Reichskanzler bekannt, dass die türkische Regierung nach unwidersprochenen Meldungen die armenische Bevölkerung des türkischen Reiches mit einer Grausamkeit, die selbst die Grausamkeiten des russischen Zarismus in den Schatten stellt, zu Hunderttausenden aus ihren Wohnsitzen vertrieben und niedergemetzelt haben soll?

Welche Schritte hat der Herr Reichskanzler unternommen, um diese Meldungen aufzuklären, die gebotene Sühne für das Geschehene herbeizuführen und die künftige Wiederholung ähnlicher Vorgänge zu verhindern?

II. die sofortige Aufhebung des Belagerungszustandes zu beantragen ;

III. den Eintritt in die Beratung des Etats und aller sonstigen Vorlagen der Regierung (soweit sie sich nicht etwa gegen Lebensmittelnot der Bevölkerung richten sollten) – und zwar die Verhandlung im Plenum und in den Kommissionen – bis zur Erledigung der Interpellationen zu I und des Antrages zu II zu verweigern;

IV. auf öffentlicher Verhandlung aller Missstände

1. im Heerwesen, und zwar

a) der Kriegführung selbst,

b) der Behandlung der Heeresangehörigen,

c) des militärischen Sanitätswesens,

d) der Beköstigung und Bekleidung der Heeresangehörigen,

e) der Lage der Bewohner in den besetzten feindlichen Gebieten,

2. auf allen Gebieten der inneren Politik – Lebensmittelfragen, Belagerungszustand (Zensur, Vereins- und Versammlungsrecht), Sozialpolitik, Zoll- und Wirtschaftspolitik usw. – im Plenum des Reichstags zu bestehen.

Mit Parteigruß

Karl Liebknecht

V

An den Vorstand der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion

Berlin

24. November 1915

Lazarett Gesellschaftshaus des Westens, Hauptstr. 50/31

Werte Genossen!

Ärztliches Veto hindert heut mein Erscheinen in der Fraktionssitzung. Wann ich kommen kann, steht noch dahin. Ich bitte, mich bis auf weiteres zu entschuldigen und die in meinem Brief vom 22. formulierten Anträge der Fraktion jedenfalls zur Erledigung und Entscheidung vorzulegen.

Dass ich meinen im August gestellten Antrag betr. Einreichung eines Wahlrechtsarcfrag-.s und von Anträgen auf Aufhebung aller zivilistischen und kriminellen Z)iaZi£iorcsrechtsbeschränkungen wie aller Ausnahme pp daneben aufrechterhalte und mit der Modalität zu III meines Briefes vom 22. d. M. erneuere, bedarf keiner besonderen Betonung. Ich bitte, auch da das Erforderliche zu veranlassen.

Mit Parteigruß

Karl Liebknecht

VI

An den Vorstand der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion

z. Hd. des Abg. Haase

Berlin-Schöneberg, 25. November 1915

Reservelazarett Gesellschaftshaus des Westens, Hauptstr. 30/31

Werte Genossen!

Die Fraktion wird eine Entscheidung in der mir von Haase mit geteilten Angelegenheit16 nicht treffen können, ehe ich mich nicht selbst in Rede und Gegenrede in der Fraktion erklärt habe. Mitteilungen eines Fraktionsmitglieds über meine mündlichen Äußerungen zu ihm bilden keine ausreichende Unterlage.

Ich protestiere gegen die Art des geplanten Verfahrens.

Mit Parteigruß

K. Liebknecht17

VII

An den Vorstand der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion

Berlin

Berlin-Schöneberg, 26. November 1915

Reservelazarett, Hauptstr. 30/31

Werte Genossen!

Die kritischen Anfragen, die die Parteipflicht, wie ich sie auffasse, als Minimum gebot und gebietet, werden gegenstandslos sein, wenn die Fraktion Interpellationen im gleichen Sinne stellen wird.

Das habe ich, wie bei der Anfrage vom 31. Juli d. J., so auch jetzt deutlich hervorgehoben; ebenso, welche besonderen Umstände meiner persönlichen Lage (wie ich sie bei Einreichung der Anfragen beurteilen musste) mich zu sofortigem Vorgehen nötigten.

Übrigens lag damals noch der nach meiner Orientierung unerledigte Antrag auf früheren Zusammentritt des Reichstags vor.

Von der Einberufung der Fraktion auf den 24. d. M. war mir noch nichts bekannt.

Mit Parteigruß

Karl Liebknecht

VIII

An den Vorstand der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion

Berlin

Reservelazarett, Hauptstr. 30/31

Berlin-Schöneberg, 28. November 1915

Werte Genossen!

Der mir soeben vom Fraktionsvorstand mitgeteilte Antrag Giebel glaubt mir „Provokationen" der Fraktion vorwerfen zu dürfen. Ich schlage diesen Vorwurf zurück und verweise darauf, dass ich bereits im Februar d. J. und früher gegenüber ähnlichen Angriffen die bis jetzt geübte und gesteigerte Mehrheitspolitik und den Versuch ihrer Deckung durch Fraktionsdisziplin als eine fortgesetzte Programm- und Parteiwidrigkeit und ihre Bekämpfung als unerbittliche Parteipflicht kennzeichnete.

Ich brauche nicht hervorzuheben, dass ich eine Friedensaktion der Fraktion in jedem Betracht nur dann als beachtlich ansehen kann, wenn sie mit der Verweigerung künftiger Kriegskredite und Budgets, Aufsage des Burgfriedens, Eröffnung schärfsten Klassenkampfs auf dem ganzen breiten Blockgebiet der äußeren und inneren Politik einhergeht, d. h. nur der organische Teil einer grundsätzlichen Umwälzung der Politik des 4. August ist.

Wollen Sie bitte der Fraktion genaue Kenntnis meiner Briefe an den Fraktionsvorstand, und zwar zweier (2) vom 22., eines (1) vom 24., eines (1) vom 25., und eines (1) vom 26. d. J. sowie dieses hier vorliegenden geben.

Mit Parteigruß

Karl Liebknecht

P. S.

Dem Antrag auf Einreichung einer Friedensinterpellation (über sofortige Friedensverhandlungen unter Verzicht auf Annexionen jeder Art und über Aufhebung des Belagerungszustands), bisher von Rühle, Henke und über 41 andren unterschrieben, schließe ich mich selbstverständlich an. Ich bitte das zu vermerken und der Fraktion mitzuteilen. Ich beantrage weiter einen Antrag oder eine Interpellation in der bekannten Angelegenheit der Verteilung und Verschacherung Elsass-Lothringens.

K. L.

IX

An die Fraktionsminderheit

Berlin-Schöneberg, 28. November 1915

Reservelazarett, Hauptstr. 30/31

Werte Genossen!

Ich habe dem Fraktionsvorstand mitgeteilt, dass ich den Antrag auf Einreichung einer Friedensinterpellation unterzeichne. Ich bitte meinen Namen jedenfalls unter eine etwaige derartige Minderheitsinterpellation zu setzen.

Bitte mir letzteres zu bestätigen.

Mit Parteigruß

Ihr Karl Liebknecht

1 Karl Liebknecht hat diese Anfragen in erweiterter Fassung am 22. November 1915 dem Fraktionsvorstand übersandt. Die Zusätze sind in Fußnoten, die gestrichenen Teile durch eckige Klammern kenntlich gemacht.

2 Geschäftsrücksichten

3 unter Preisgabe aller Eroberungspläne und Zurückweisung aller kapitalistischen Geschäftsrücksichten

4 Diese Anfrage wurde am 30. November 1915 vom Präsidenten des Reichstags abgelehnt. Siehe S. 412.

5 auswärtige Politik

6 insbesondere

7 entschlossener

8 und ausschließlicher Berücksichtigung der allgemeinen Wohlfahrt

9 insbesondere der unbemittelten,

10 Gesamtbevölkerung

11 das heißt

12 insbesondere die offiziellen und offiziösen Verhandlungen zwischen der deutschen und der österreichischen Regierung seit dem Mord von Sarajevo, die offiziellen und offiziösen Instruktionen, Verhandlungen und Berichte der deutschen und österreichischen amtlichen und halbamtlichen Vertreter in Petersburg, Paris, London, Rom, Belgrad und Brüssel seit dem Juni 1914, endlich vorzulegen?

13 ohne Verzug,

14 durch gesetzliche Reformen

15 (im Sinne des sozialdemokratischen Programms) zu machen (insbesondere Reform des Wahlrechts für die gesetzgebenden Körperschaften, die Gemeinden und die Verwaltungskörper; parlamentarisches Regierungssystem; Ministerverantwortlichkeit; Demokratisierung des Heerwesens; Abschaffung der Geheimen Militär- und Zivilkabinette der Krone; Unterstellung der militärischen Kommandogewalt unter die demokratisch kontrollierte verantwortliche allgemeine Staatsverwaltung; Beseitigung aller zivil- und strafrechtlichen Einschränkungen des Koalitions-, Vereins- und Versammlungsrechts; sofortige Aufhebung des Belagerungszustandes und aller Gesetze über die Verhängung des Belagerungszustandes), und wie stellt sich die Regierung zu diesen Forderungen im einzelnen?

16 Karl Liebknecht schrieb in „Betrachtungen und Erinnerungen aus großer Zeit'": „Der Fraktionsvorstand schickte Haase zu mir, um mich zur Zurückziehung [der Anfragen] zu bestimmen. Ich lehnte ab." (Karl Liebknecht: Ausgewählte Reden, Briefe und Aufsätze, S. 440.)

17 Randbemerkung Karl Liebknechts: „Abschr. gleichzeitig an Rühle, mit Bitte um Besuch u. Mitteilung, dass ich evtl. zu schriftl. Äußerung bereit."

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